Leitsatz (amtlich)
Eine Selbsttötung kann schon dann rechtlich wesentlich durch einen Arbeitsunfall verursacht sein, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls beeinträchtigt war; es ist jedenfalls nicht erforderlich, daß die Selbsttötung in einem durch den Unfall verursachten Zustand der Unzurechnungsfähigkeit ausgeführt worden ist (Abweichung RVA = EuM 25, 7).
Bei der rechtlichen Wertung der seelischen Auswirkungen des Unfalls, darf nicht von vornherein nur darauf abgestellt werden, wie ein "normaler" Verletzter reagiert hätte (vergleiche BSG 1959-11-11 11/9 RV 290/57 = BSGE 11, 50, 53).
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09, § 555 Fassung: 1939-02-17, § 556 Fassung: 1949-08-10
Tenor
Dan Urteil des Schleswig- Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Dezember 1956 (L 1 U 206/54) wird mit den ihn zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin ist die Witwe des Feinmechanikers und Nähmaschinenhändlers Hans-Wilhelm K…(K.), der mit seinem in E… betriebenen Unternehmen bei der Beklagten versichert war.
K. verunglückte am 17. Dezember 1948 auf der Heimfahrt von einem Kundenbesuch mit seinem Motorrad. Er wurde in das Städtische Krankenhaus in E… (Chefarzt Durchgangsarzt Dr. Sp …) bewußtlos eingeliefert. Die Diagnose lautete: Schädelbasisbruch, Commotio cerebri, Schürfungen und Platzwunden in Gesicht, Distorsion des rechten Handgelenks. Er wurde am 15. Januar 1949 als arbeitsunfähig aus der stationären Behandlung entlassen, am rechten Auge bestand noch eine Sehstörung.
Am 20. Mai 1949 stellte der behandelnde Hausarzt, Facharzt für innere Medizin Dr. Sch … in, eine Temperaturerhöhung fest und überwies ihn in die Behandlung der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses E. (Chefarzt Dozent Dr. S… ), wo er am 29. Mai. 1949 wegen seiner Lungen-Tuberkulose (Lungen-Tbc) stationär aufgenommen wurde.
Durch Bescheid vom 15. Juli 1949 gewährte die Beklagte vom 16. Januar 1949 an die Vollrente und vom 1. Mai 1949 an eine vorläufige Rente in Höhe von 70 v.H. der Vollrente. Als Unfallfolgen sind in diesem Bescheid angegeben: Beschwerden nach Gehirnerschütterung und Sehnervenschädigung rechts. Als unfallunabhängig ist bezeichnet: linksseitige alte Lungen-Tbc.
Gegen diesen Bescheid hat der Ehemann der Klägerin Berufung (alten Rechts) beim Oberversicherungsamt (OVA) Schleswig eingelegt. Das Rechtsmittel richtet sich gegen die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) und dagegen, daß die Tbc nicht als Unfallfolge anerkannt worden ist. Es wird insoweit die Vollrente beansprucht. Das OVA hat zur Frage des Einflusses der Unfallfolgen auf die Entwicklung der Tbc ein Gutachten des Direktors des Krankenhauses T… der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein, Prof. Dr. H….beigezogen (vom 21. März 1950), der zu dem Ergebnis kommt, bei der Erkrankung handele es sich um einen schicksalsmäßigen Ablauf der Tbc, der durch den Unfall nicht richtunggebend verschlimmert worden sei.
Am 19. Februar 1951 hat der Ehemann der Klägerin Selbstmord durch Erhängen begangen. Die Klägerin hat durch ihren Prozeßbevollmächtigten das unterbrochene Verfahren aufgenommen und weiterbetrieben. Eine Leichenöffnung ist im Pathologischen Institut des Universitäts-Krankenhauses Hamburg-Eppendorf am 13. März 1951 vorgenommen worden. Der Oberarzt Prof. Dr. F hat über ihr Ergebnis ein Gutachten vom 29. März 1961 erstattet. Das OVA hat hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen den Unfallfolgen und der Entwicklung der Tbc ein weiteres Gutachten des Prof. Dr. I… in H… von 1. Mai 1951 beigezogen sowie ein Gutachten des Prof. Dr. A… (Niedersächsischer Verein zur Bekämpfung der Tbc, H…) von 19. Februar 1952. Außerdem hat sich der Gerichtsarzt des OVA, Prof. Dr. G… verschiedentlich … in den Akten zu dieser Frage geäußert. Im Termin vom 21. Juni 1952 hat der Oberarzt Dr. D zur Frage des Zusammenhangs zwischen Unfall und Tbc ein Gutachten erstattet, außerdem ist der Oberarzt des Krankenhauses T…, Dr. St…, als Sachverständiger gehört worden.
Durch Urteil vom 21. Juni 1952 hat das OVA die Berufung gegen den Bescheid von 15. Juli 1949 zurückgewiesen.
Der Streit über die Berechnung des JAV war inzwischen gegenstandslos geworden. Hinsichtlich der Frage, ob die Tbc durch die Auswirkungen des Unfalls richtunggebend oder auch nur vorübergehend verschlimmert worden ist, hat sich das OVA der negativen Auffassung des Prof. Dr. H… angeschlossen, der auch die Gutachten der Sachverständigen Dr. I… und Dr. St… sowie die Äußerungen des Gerichtsarztes Prof. Dr. G… zustimmen. Die gegenteiligen Auffassungen, die von dem behandelnden Arzt Dr. Sch … und von den Sachverständigen Prof. Dr. I… und Prof. Dr. A… vertreten werden, hat das OVA sich nicht zu eigen gemacht.
Gegen das Urteil des OVA hat die Klägerin weitere Berufung zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt, die von dort nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG) Schleswig übergegangen ist. Das LSG hat noch einen ausführlichen Bericht des behandelnden Arztes Dr. Sch… beigezogen und im Termin den Obermedizinalrat Dr. A... (Leitender Arzt der Tbc-Fürsorge L...) als Sachverständigen gehört. Dieser hat sich in einem ausführlichen Gutachten dem Gutachten des Prof. Dr. H... angeschlossen.
Durch Urteil vom 21. Dezember 1956 (L 1 U 102/54) hat das LSG die Berufung gegen das Urteil des OVA Schleswig vom 21. Juni 1952 zurückgewiesen. Es hat festgestellt, daß die seit 1939 nachgewiesene Lungen-Tbc durch das Unfallereignis weder im Sinne einer vorübergehenden noch einer richtunggebenden Verschlimmerung beeinflußt worden sei.
Gegen dieses Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen worden ist, hat die Klägerin kein Rechtsmittel eingelegt.
Hinsichtlich der Frage, ob der Selbstmord des Ehemannes der Klägerin mit dem Unfall vom 17. Dezember 1948 in Zusammenhang steht, hat die Beklagte ein Gutachten des Chefarztes der Neurologischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses H... in H... Prof. Dr. D... vom 21. September 1952 beigezogen.
Durch Bescheid vom 18. Dezember 1952 hat die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenentschädigung abgelehnt.
Im Bescheid ist mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß eine Unzurechnungsfähigkeit nicht vorgelegen habe und deshalb ein Anspruch auf Entschädigung nicht gegeben sei.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin fristgerecht Berufung (alten Rechts) zum OVA Schleswig eingelegt. Das OVA hat im Termin den Chefarzt Dr. C...in H... als Sachverständigen gehört, der sich der Auffassung von Prof. Dr. D... angeschlossen hat, und hat durch Urteil vom 30. Juni 1953 die Berufung zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil, das dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 15. Juli 1953 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 9. August 1953 (weitere) Berufung zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt. Nach Inkrafttreten des SGG ist dieses Rechtsmittel als Berufung auf das LSG Schleswig übergegangen.
Das LSG hat im Termin ein Gutachten des Schriftsachverständigen A. A. über den vom Ehemann der Klägerin hinterlassenen Abschiedsbrief und ein Gutachten des Nervenarztes Dr. G. erstatten lassen. Durch Urteil vom 21. Dezember 1956 (L 1 U 206/54) hat es die Berufung gegen das Urteil des OVA Schleswig vom 30. Juni 1953 zurückgewiesen.
Die Revision ist vom LSG zugelassen worden.
Zur Begründung hat das LSG u.a. ausgeführt: Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Selbsttötung könne nur bejaht werden, wenn die Selbsttötung in einem durch den Unfall herbeigeführten Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen worden sei. Die abweichende Auffassung des LSG Hamburg (Breithaupt 1955 S. 918) führe dazu, psychologisch verstehbare Gründe mit medizinischen Ursachen zu identifizieren. Im Falle der reaktiven Depression sei die Fähigkeit zur normalen Willensbildung voll erhalten. Die Auffassung des LSG Hamburg würde also bedeuten, daß durch freien Entschluß entschädigungspflichtige "Unfallwirkungen" herbeigeführt werden könnten. Ein Ursachenzusammenhang komme aber nur in Betracht, wenn das Unfallgeschehen in einem durch die Persönlichkeit nicht mehr kontrollierbaren Vorgang zur Selbsttötung führe. Der Ehemann der Klägerin habe sich nicht in einem Zustand krankhafter Geistesgestörtheit befunden. Er habe noch einen sehr klaren Abschiedsbrief geschrieben. Wegen der Unheilbarkeit der Lungen-Tbc und seiner wirtschaftlichen Sorgen habe er sich in einen reaktiven Verstimmungszustand befunden und aus einer für ausweglos gehaltenen Situation heraus bei erhaltener Erkenntnisfähigkeit den Freitod gewählt. Die Folgen der Kopfverletzung seien auch nicht derart gewesen, daß sie nach Ablauf von zwei Jahren noch zu einem depressiven Verstimmungszustand hätten Anlaß geben können.
Die Selbsttötung reihe sich in die Gruppe der sogenannten "Bilanzselbstmorde" ein. Zwischen dem Unfall und der Selbsttötung könne daher allenfalls eine reaktive psychologische Beziehung bestehen. Das sei aber was ganz anderes als ein ursächlicher Zusammenhang.
Gegen das Urteil des LSG, das dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 6. März 1957 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 2. April 1957 Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 6. Juni 1957 durch am 9. Mai 1957 und 6. Juni 1957 eingegangene Schriftsätze begründet.
Sie beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Oberversicherungsamts und des LSG sowie des Bescheids der Beklagten vom 18. Dezember 1952 die Beklagte zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente zu verurteilen,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und innerhalb der bis zum 6. Juni 1957 verlängerten Frist (§ 164 Abs. 1 Satz 2 SGG) begründet worden. Sie ist also statthaft.
Die Revision wendet sich - abgesehen von den gegen das Verfahren des LSG gerichteten Rügen - in erster Linie gegen die Auffassung des LSG, daß eine "reaktive psychologische Beziehung" zwischen dem Unfall und der Selbsttötung kein ursächlicher Zusammenhang - d.h. in Rechtssinne - sein könne.
Diese Rüge ist grundsätzlich berechtigt.
Die Prüfung, welche "Ursachen" für den Selbstmord rechtlich als wesentlich anzusehen sind (vgl. hierzu BSG 1, 150, 156), darf nicht auf die Geschehensabläufe beschränkt werden, die sich auf körperlich-organischem Gebiet abgespielt haben, vielmehr sind auch Vorgänge im Bereich des Psychischen und Geistigen hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung zu würdigen (vgl. hierzu auch BGHZ 20, 137); auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis "verursacht" sein, während andererseits Vorgänge im Bereich des Psychischen oder Geistigen "Ursachen" im Rechtssinne sein können (vgl. z.B. aus dem Gebiet des Strafrechts den durch die vorsätzliche Täuschung bewirkten Irrtum als "Ursache" der schädigenden Vermögensverfügung im Tatbestand des § 263 StGB - Strafgesetzbuch (Leipziger Kommentar) 8. Aufl. § 263 Anm. 6). Bei der rechtlichen Prüfung ursächlicher Zusammenhänge - wie des im vorliegenden Fall streitigen - ist auch zu berücksichtigen, daß nach den Erkenntnissen der ärztlichen Wissenschaft eine scharfe Trennung zwischen Vorgängen, die nur im organischen Bereich ablaufen, und solchen, die sich im Psychischen und Geistigen abspielen, nicht berechtigt und vielfach praktisch nicht einmal möglich ist, da die Bereiche des Somatischen und des Psychischen und Geistigen sich wechselseitig beeinflussen.
Der für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Begriff der "wesentlichen Ursache" berechtigt deshalb nicht dazu, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Auswirkungen eines Unfallereignisses und einem Selbstmord schon deshalb zu verneinen, weil die Geschehensabläufe, die von dem einen Ereignis zum anderen hinführen, nicht nur in Einwirkungen und durch sie bewirkten Veränderungen im organischen Bereich bestanden haben, sondern auch psychische Reaktionen und deren Auswirkungen als Zwischenglieder eingeschaltet waren.
Nach § 556 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat allerdings das vorsätzliche Handeln des Verletzten rechtliche Bedeutung; der Entschädigungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Damit haben für die rechtliche Betrachtung die Anschauungen auszuscheiden, die unter naturwissenschaftlichen oder philosophischen Gesichtspunkten eine echte Entscheidungsfreiheit des Menschen in Zweifel ziehen. Aus § 556 RVO - vgl. auch § 606 RVO - ist auch der allgemein anerkannte Grundsatz abzuleiten, daß der Entschädigungsanspruch nicht nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls, sondern auch insoweit entfällt, als der Verletzte die Auswirkungen des Unfalls durch sein vorsätzliches Handeln ungünstig beeinflußt hat. Hierunter sind nicht nur die vorsätzliche Verschlimmerung primärer Unfallfolgen - Artefacte - zu verstehen, sondern auch die Schaffung neuer Gesundheitsschädigungen und die Selbsttötung als die äußerste Erscheinung einer Schädigung. Daraus ergibt sich, daß in der Regel vorsätzliches Handeln als die rechtlich allein wesentliche Ursache für seine Folgen anzusehen ist. Ist das vorsätzliche Handeln aber auf Motive zurückzuführen, die ihrerseits durch das Unfallereignis oder seine Auswirkungen gesetzt worden sind, so kann dieses Handeln nicht von vornherein als die rechtlich allein wesentliche Ursache seiner Folgen angesehen werden. Es bedarf vielmehr der Prüfung, ob der Unfall oder seine Auswirkungen rechtlich wesentlich das Handeln und damit auch seine Folgen verursacht haben.
Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat allerdings in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Tod durch Selbstmord und einem Unfall nur anerkannt werden könne, wenn der Selbstmord in einem durch den Unfall verursachten Zustand der - eine freie Willensbestimmung ausschließenden - Unzurechnungsfähigkeit begangen worden sei (AN 1888 S. 328 Nr. 206; AN 1892 S. 320 Nr. 1161; EuM 25. S. 7; RVO-Mitgl. Komm. 2. Aufl. S. 109 § 555 Anm. 3). Diese Auffassung, die insbesondere nach dem Kriege in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach Widerspruch gefunden hat (vgl. z.B. BayerLVA in DVZ 1950, 142; LSG Hamburg in Breithaupt 1955 S. 917; 1960 S. 210; BG 1959 S. 258; Hess. LSG in Breithaupt 1956 S. 30; Nieders. LSG in BG 1958 S. 513; Breithaupt 1959 S. 404; Lange in BG 1951 S. 107; Gunkel, Der Arbeitsunfall, 2. Aufl. S. 33), beruht nach der Auffassung des erkennenden Senats auf einer rechtlichen Unterbewertung des psychischen Reaktionen, die auch naturwissenschaftlich nicht berechtigt ist, und muß im Ergebnis dazu führen, daß nur die Auswirkungen des Unfalls rechtlich gewürdigt werden, die in Form einer als somatogen geltenden geistigen Erkrankung in Erscheinung treten. Eine solche einschränkende rechtliche Auswahl innerhalb der ursächlich zum Selbstmord führenden Geschehensabläufe ist jedoch nach der Auffassung des Senats nicht gerechtfertigt. Eine rechtlich wesentliche ursächliche Verknüpfung kann vielmehr jedenfalls schon dann gegeben sein, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls wesentlich beeinträchtigt war (vgl. auch die zur Auslegung des § 1 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - ergangene Verwaltungsvorschrift Nr. 11 sowie BSG 1, 150).
Hiermit steht nicht im Widerspruch, daß in Strafrecht die Schuld nur durch Unzurechnungsfähigkeit, nicht dagegen schon durch verminderte Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird (§ 51 StGB); denn im Unterschied zum Strafrecht kommt es in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich auf ein Verschulden nicht an, vielmehr hängt der Entschädigungsanspruch ausschlaggebend vom Vorliegen eines rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhangs ab.
Im vorliegenden Fall kann unerörtert bleiben, welche Folgerungen hieraus in den - in der Unfallversicherung praktisch wohl sehr seltenen - Fall zu ziehen sind, daß der Unfall keine Auswirkungen auf Psyche und Geist des Verletzten gehabt hat, der Entschluß zum Selbstmord aber auf Motive zurückzuführen ist, die ihrerseits mit dem Unfallereignis in ursächlichem Zusammenhang stehen. Nach den Feststellungen des LSG hat der Ehemann der Klägerin sich zwar nicht in einem Zustand krankhafter Geistesgestörtheit befunden, in der er die Fähigkeit zur Einsicht und zu einer dadurch begründeten eigenen Willensbestimmung verloren hatte, bei ihm bestand aber eine reaktive Depression, d.h. ein Zustand, in dem die Fähigkeit zur Willensbildung zwar grundsätzlich noch erhalten ist, der jedoch auf eine verändernde Entwicklung der Persönlichkeit schließen läßt und den vom LSG gezogenen Schluß nicht ohne weiteres rechtfertigt, der Ehemann der Klägerin habe "aus folgetreuer Überlegung" gehandelt (vgl. zum Problem des sog. "Bilanzselbstmordes": Ringel, Der Selbstmord, Wiener Beiträge zur Neurologie und Psychiatrie, Bd. III 1953 S. 102 ff.).
Für die Entscheidung darüber, ob zwischen dem Unfall und dem Tod durch Selbstmord ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang bestand, kommt es deshalb einerseits darauf an, in welchem Umfang die Depression durch Auswirkungen des Unfalls hervorgerufen war; grundsätzlich ist hierbei die gesamte Persönlichkeit des Ehemannes der Klägerin zu berücksichtigen und zu prüfen, welche Auswirkungen die Unfallfolgen auf ihn im körperlichen, seelischen und geistigen Bereich gemacht haben (vgl. auch BSG 11, 50, 53). Ergibt sich hierbei, daß die Depression rechtlich wesentlich durch Unfallfolgen verursacht war, so ist weiterhin zu prüfen, in welchem Umfang durch sie die Fähigkeit des Ehemannes der Klägerin zu vernunftgemäß würdigenden, folgerichtigen Überlegungen und darauf aufgebauter Entschließung beeinträchtigt war und welche Bedeutung derartige Veränderungen der Persönlichkeit für den "Entschluß" zur Selbsttötung hatten.
Das LSG hatte von seinem Rechtsstandpunkt aus keine Veranlassung, hierzu eingehende Feststellungen zu treffen. Es hat jedoch hinsichtlich der Ursachen der Depression ausgeführt:
"Die Selbsttötung ist vielmehr aus der Gesamtheit der Lebensumstände psychologisch zu erklären. Zwang den Ehemann der Klägerin zunächst der Unfall, seinen geschäftlichen Unternehmen einige Zeit fernzubleiben, so wurde er durch die Ende Mai 1949 erneut zum Ausbruch gekommene schwere Lungen-Tbc mehr und mehr, schließlich ganz an der Mitarbeit in seinem Geschäftsbetrieb gehindert. Aus diesen und anderen Gründen ergab sich ein so erheblicher geschäftlicher Rückgang, daß - wie die Klägerin selbst ausgeführt hat - die Konkursanmeldung beabsichtigt war. Wenn die Klägerin nun freilich behauptet, finanzielle Sorgen hätten ihren Ehemann nicht bedrückt, und sich zum Beweise hierfür auf eine Bescheinigung der Ankerwerke-AG Bielefeld bezieht, wonach ihr Ehemann bei dieser Firma ein Guthaben von ca. 10.000,-- DM gehabt haben soll, so ist hierzu festzustellen, daß dieses Guthaben nach der Bescheinigung der Ankerwerke -AG vom 4. Oktober 1952 am Unfalltage bestanden hat; darüber, ob zur gleichen Zeit bereits anderweit etwa Schulden vorhanden gewesen sind, ist nichts bekannt. Zwischen dem Unfalltag und der Selbsttötung liegt aber ein Zeitraum von über zwei Jahren, in dem sich die finanziellen Verhältnisse des Verunglückten grundlegend geändert hatten, wie aus dem eigenen Vortrag der Klägerin hervorgeht. Daß diese wirtschaftlichen Verhältnisse den Ehemann der Klägerin besonders stark belastet haben, geht auch daraus hervor, daß er sehr dringend auf die Bewilligung eines Lastenausgleichsdarlehns gewartet hat, wie die im Todesermittlungsverfahren gehörte Zeugin D. bekundet hat. Eine weiter Belastung für K. haben sicher die Unklarheiten bedeutet, die sich aus den Entschädigungsverfahren, die bei der "A… "-Versicherungs-AG und bei der Beklagten schwebten, ergaben. Diese Situation ist dem Ehemann der Klägerin so ausweglos erschienen, daß er - nachdem er bereits einige Male seine Frau und auch die Zeugin D… gebeten hatte, ihm Gift zu besorgen - sich entschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen."
Nach den von der Revision insoweit nicht angegriffenen Feststellungen (§ 163 SGG) bestand auch zwischen der Lungen-Tbc des Ehemannes der Klägerin und dem Unfallereignis ein ursächlicher Zusammenhang weder im Sinne einer vorübergehenden noch einer "richtunggebenden" Verschlimmerung; auf diese Krankheit war aber in erster Linie das lange Krankenlager und der dadurch bedingte Rückgang des Geschäfts zurückzuführen. Durch das rechtskräftige Urteil des LSG vom 21. Dezember 1956 in der Sache L 1-U 102/54 steht weiterhin fest, daß die von der Beklagten bis zum Tod des Ehemanns der Klägerin gewährte Rente in Höhe von 70 v.H. der Vollrente ausreichend und angemessen war.
Auf Grund der Feststellungen des LSG kann das Revisionsgericht somit nicht den rechtlichen Schluß ziehen, daß die reaktive Depression, aus der heraus der Ehemann der Klägerin sich zu Selbsttötung entschlossen hat, rechtlich wesentlich durch Auswirkungen des Unfalls verursacht gewesen sei.
Infolgedessen bedarf es einer Prüfung der Rügen, mit denen die Revision sich dagegen wendet, daß das LSG die Depression lediglich auf psychische Reaktionen zurückgeführt und einen Zusammenhang mit den durch den Unfall verursachten organischen Schädigungen des Gehirns verneint hat. Diese Auffassung des LSG stimmt mit dem im Verwaltungsverfahren von der Beklagten beigezogenen Gutachten des Chefarztes der neurologischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses H… in H…, Prof. Dr. D… vom 21. September 1952 überein, in dem ausgeführt ist, die Folgen der Kopfverletzung seien nicht derart gewesen, daß sich nach zwei Jahren noch zu einem depressiven Verstimmungszustand Anlaß geben konnten; der Unfall habe auch keine Wesensänderung veranlasst. Auch der vom LSG im Termin vom 21. Dezember 1956 als Sachverständiger gehörte Nervenarzt Dr. G… hat sich dieser Auffassung angeschlossen und dabei auch u.a. darauf hingewiesen, daß keine Zeichen einer hirntraumatischen Wesensänderung beobachtet worden seien. Demgegenüber hat Prof. Dr. I… in dem von OVA Schleswig im Verfahren über die Höhe des Rentenanspruchs des Ehemannes der Klägerin beigezogenen Gutachten vom 1. Mai 1951 die Ansicht vertreten, aus den Schilderungen des behandelnden Hausarztes Dr. S… gehe hervor, daß das psychische Verhalten des Ehemannes der Klägerin "ganz und gar" dem von anderen Hirnverletzten entsprochen habe. Auch Prof. Dr. A… hat in dem vom OVA Schleswig in diesem Verfahren beigezogenen Gutachten vom 19. Februar 1952 die Auffassung vertreten, daß die seelischen Veränderungen, die zum Selbstmord geführt haben, in erster Linie mit der Hirnschädigung und ihren direkten Folgen zusammenhängen dürften. Die Revision weist unter Bezugnahme auf Dubitscher (Der Suicid, Arbeit und Gesundheit, neue Folge Heft 61 S. 140) darauf hin, daß schon die Richtigkeit der Behauptung im Gutachten des Dr. G… Selbstmorde als Folge von Hirnverletzungen seien in der Literatur nirgends beschrieben oder bewiesen, zweifelhaft ist. Vor allem rügt aber die Revision mit Recht, daß den Gutachtern Prof. Dr. D… und Dr. G… insofern keine ausreichenden Grundlagen für ihre Meinungsbildung zur Verfügung standen, als die Akten keine ausführlichen Unterlagen über die Wahrnehmung von Zeugen enthalten, aus denen sich zuverlässige Schlüsse hinsichtlich des psychischen Verhaltens des Ehemannes der Klägerin in der Zeit nach dem Unfall, hinsichtlich der Entwicklung seiner Verhaltensweise und des Zustandes in der Zeit vor dem Selbstmord ziehen lassen. Für derartige Ermittlungen hätte schon deshalb Veranlassung bestanden, weil bereits Dr. S…; der Chefarzt der Interneurologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses E…, in dessen Behandlung der Ehemann der Klägerin wegen der Tbc gestanden hatte, in seinem Gutachten vom 31. Juli 1950 ausgeführt hat, der Ehemann der Klägerin sein ein "unverständiger und schwer lenkbarer" Patient gewesen und habe nicht die erforderliche Krankheitseinsicht gehabt. Auch der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hatte im Schriftsatz vom 30. August 1951 an das OVA Schleswig im Rechtsstreit über die Höhe des Rentenanspruchs der Klägerin ausdrücklich vorgetragen, das Gespräch mit der Zeugin D… sei in der Niederschrift in den Polizeiakten verzerrt wiedergegeben, wobei überdies zu berücksichtigen ist, daß die Vernehmung der Klägerin und der Frau D… durch die Polizei ihrer Zielrichtung entsprechend nicht auf die Klärung psychologischer Zusammenhänge, sondern auf den Hergang des Selbstmordes und etwaiges Verschulden anderer Personen abgestellt war. Auch der vom LSG im Verfahren über den Rentenanspruch des Ehemannes der Klägerin beigezogene Bericht des Dr. Sch… vom 17. November 1956 und. der von OVA in diesem Verfahren erstattete ausführliche Bericht dieses Arztes vom 25. August 1949 enthalten nur wenige Angaben über die Beobachtungen hinsichtlich des psychischen Verhaltens, da sie sich in erster Linie mit der Entwicklung der Tbc befassen. Die Revision rügt deshalb mit Recht, daß das LSG es unterlassen hat, durch Befragen von Personen aus der Umgebung des Ehemannes der Klägerin und insbesondere des behandelnden Arztes ausreichende Unterlagen über die Beobachtungen zu schaffen, die von diesen Personen hinsichtlich der psychischen Verhaltensweise des Ehemannes der Klägerin und etwaiger Persönlichkeitsveränderungen gemacht worden sind. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Gutachter auf Grund derartiger Unterlagen zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Frage gekommen wären, ob zwischen der beim Ehemann der Klägerin bestehenden Depression und der durch den Unfall verursachten Hirnverletzung ein Zusammenhang besteht. Im übrigen hätten derartige Unterlagen auch ein umfassenderes Urteil über die Natur der beim Kläger beobachteten psychischen Veränderungen und ihre Stärke ermöglicht. Es ist nicht auszuschließen, daß eingehende Ermittlungen in dieser Hinsicht auch eine andere Entscheidung hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Hinterbliebenenentschädigung zur Folge gehabt hätten.
Die Revision ist deshalb begründet. Da eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst jedoch infolge der unzureichenden Sachaufklärung nicht möglich ist, mußte das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen