Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsgruppenzuordnung pflichtversicherter Selbständiger
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Einstufung einer in der DDR pflichtversichert gewesenen selbständigen Damen-Schneidermeisterin nach den FRG §§ 22, 23.
Leitsatz (redaktionell)
Bei nachgewiesener Beitragsleistung kommt es bei pflichtversicherten Selbständigen für die Leistungsgruppenzuordnung nach FRG § 23 Abs 1 nicht auf das erzielte Einkommen, sondern auf die Höhe der Beitragsleistung an; die Ursache einer höheren oder geringeren Beitragsleistung ist ebensowenig von Bedeutung wie die Frage, ob der Versicherte auf die Höhe der Beiträge im Herkunftsgebiet Einfluß nehmen konnte.
Normenkette
FRG § 22 Anl 1 Fassung: 1960-02-25, § 23 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, § 22 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 1974 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Einstufung von in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zurückgelegten Beitragszeiten in eine höhere Leistungsgruppe und eine entsprechende Erhöhung ihres Altersruhegeldes.
Die 1907 geborene Klägerin war bis zum 30. Juni 1960 in der DDR als selbständige Damenschneidermeisterin pflichtversichert. In ihren Versicherungsausweisen sind für die Jahre 1951 bis 1957 als "normale Jahreseinkommen" Beträge zwischen 1.656.- und 720.- DM angegeben. Die Eintragungen für die folgenden Jahre beschränken sich dagegen auf Angaben über Art und Dauer ihrer Tätigkeit. Die Beklagte berücksichtigte bei der Berechnung des der Klägerin mit Bescheid vom 18. März 1970 ab 1. Januar 1970 gewährten Altersruhegeldes für die Zeit vom 1. Januar 1951 bis 30. Juni 1960 die in der Anlage 11 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) für die Leistungsgruppe 4 ausgewiesenen Bruttojahresarbeitsentgelte. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin durch Urteil vom 30. Juli 1973 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin durch Urteil vom 11. Dezember 1974 das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid geändert und die Beklagte verurteilt, die Beiträge der Klägerin für die streitige Zeit nach den in der genannten Anlage zu § 22 FRG ausgewiesenen Entgeltwerten der Leistungsgruppe 3 einzustufen und das Altersruhegeld der Klägerin entsprechend zu erhöhen. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, hat das LSG ausgeführt: Die Klägerin gehöre als Damenschneidermeisterin zu den Versicherten sowohl mit mehrjähriger Berufserfahrung als auch mit besonderen Fachkenntnissen. Sie habe auch selbständig gearbeitet. Ihre Tätigkeit sei mit der einer Direktrice vergleichbar. Für ihre Eingruppierung in der Leistungsgruppe 3 spreche auch der Umfang ihres damaligen Betriebes, in dem sie während der in Betracht kommenden Zeit anfangs mindestens 3 Gesellinnen und 2 Lehrlinge und zuletzt noch 3 Gesellinnen beschäftigt habe. Aus § 23 Abs. 1 FRG lasse sich keine Herabsetzung der Leistungsgruppe herleiten, weil in der DDR die selbständigen Handwerker im Gegensatz zu anderen Selbständigen Versicherungsbeiträge nach vom Einkommen unabhängigen festen Sätzen entrichteten, während die Beiträge der Handwerker in der Bundesrepublik Deutschland vom Einkommen abhängig seien. Für die Jahre 1958 bis 1960 aber, für die hinsichtlich der Beitragsleistung in den Versicherungsausweisen der Klägerin entsprechende Eintragungen fehlen, komme eine Änderung der Leistungsgruppe nicht in Betracht, weil sich an der Berufstätigkeit der Klägerin gegenüber der vorangegangenen Zeit nichts geändert habe.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 23 FRG. Sie führt dazu aus: In der DDR seien für pflichtversicherte Handwerker ab 1. Januar 1951 die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr nach dem steuerpflichtigen Einkommen, sondern in Höhe des nach Handwerkszweigen und Ortsklassen unterschiedlichen Handwerkssteuer-Grundbetrages erhoben worden. Ihre Leistungsgruppenzuordnung im Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung (RVO) könne sich deshalb u. a. auch nur an der Beitragsleistung, nicht dagegen an dem tatsächlich erzielten Einkommen orientieren. Die Beitragsleistung der Klägerin habe nach den Eintragungen in ihren Versicherungsausweisen erheblich unter der eines vergleichbaren Beschäftigten gelegen. Deshalb komme lediglich eine Zuordnung zur Leistungsgruppe 4 in Betracht; denn ein von der Klägerin möglicherweise erzieltes höheres Einkommen sei von ihrer Beitragspflicht nicht erfaßt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin kann für die streitige Zeit vom 1. Januar 1951 bis 30. Juni 1960 in keine höhere Leistungsgruppe eingestuft werden. Sie hat deshalb auch keinen Anspruch auf Erhöhung des ihr gewährten Altersruhegeldes.
Nach § 23 Abs. 1 FRG ist bei pflichtversicherten Selbständigen wie der Klägerin unter Berücksichtigung der Beitragsleistung § 22 FRG entsprechend anzuwenden. Diese Vorschrift sieht vor, daß bei der Anrechnung fremder Versicherungs- und Beschäftigungszeiten zur Ermittlung der maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage bestimmte durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelte nach Maßgabe der der Vorschrift beigegebenen Anlage 1 zugrunde zu legen sind. Diese Anlage enthält die Definitionen der verschiedenen Leistungsgruppen. Danach ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß nach der von der Klägerin in der streitigen Zeit ausgeübten Berufstätigkeit einer Damenschneidermeisterin als vergleichbare unselbständige Beschäftigte die den Angestellten der Leistungsgruppe 3 zugeordnete Direktrice in Betracht kommt. Allein aufgrund ihrer Tätigkeitsmerkmale wäre die Klägerin mithin für die streitige Zeit in die Leistungsgruppe 3 einzustufen. Indessen muß aber außerdem auch noch die Beitragsleistung berücksichtigt werden (§ 23 Abs. 1 FRG). Das ist bei pflichtversicherten Selbständigen von besonderer Bedeutung, weil bei ihnen der Versicherungsschutz regelmäßig von der Höhe der entrichteten Beiträge abhängt. Deshalb kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin insoweit nicht auf das von ihr seinerzeit tatsächlich erzielte Einkommen an. Auch sind entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung die Ursachen einer höheren oder geringeren Beitragsleistung hier ebensowenig von Bedeutung, wie die Frage, ob die Klägerin auf die Höhe der von ihr entrichteten Beiträge Einfluß nehmen konnte (BSGE 24, 99 = SozR Nr. 1 zu § 23 FRG; BSG SozR Nr. 3 zu § 23 FRG).
Die von der Klägerin in der streitigen Zeit entrichteten Beiträge rechtfertigen jedoch keine Einstufung in die Leistungsgruppe 3. Die damals entrichteten Beiträge ergeben sich für die Jahre 1951 bis 1957 aus den Eintragungen in den Versicherungsausweisen der Klägerin. Die hier als "normale Jahreseinkommen" ausgewiesenen Beträge stellen für die Jahre 1951 bis 1955 das Sechsfache, für die Jahre 1956 und 1957 das Fünffache des erhobenen Rentenversicherungs-Jahresbeitrags dar (§§ 3, 22, 24 der 3. Durchführungsbestimmung zum Ges. zur Förderung des Handwerks vom 16. August 1952, GBl der DDR 1952, 737; § 4 Abs. 3, § 7 der 1. Durchführungsbestimmung zur VO zur Übertragung der Sozialversicherung für Bauern, Handwerker, selbständige Erwerbstätige und Unternehmer sowie freiberuflich Tätige auf die Deutsche Versicherungsanstalt vom 7. März 1956, GBl der DDR 1956, 258). Der von der Klägerin entrichtete Jahresbeitrag schwankte in den Jahren 1951 bis 1957 zwischen 276.- und 120.- DM. Er bewegte sich damit stets im ersten Viertel der für selbständige Handwerker bis zur Höhe von zunächst 1.116.-, später 1.440.- DM bemessenen Jahresbeitragssätze und lag erheblich unter dem einer vergleichbaren Beschäftigten (§ 3 der 3. Durchführungsbestimmung zum Ges. vom 16. August 1972, GBl der DDR 1952, 737; § 1 Anlage A des Ges. über die Steuertarife des Handwerks vom 13. April 1951, GBl der DDR 1951, 292; §§ 2, 6 der VO zur Ergänzung und Änderung der Steuertarife des Handwerks vom 7. August 1952, GBl der DDR 1952, 719; §§ 3, 9 der 8. Durchführungsbestimmung zu den Gesetzen über die Steuer und Steuertarife des Handwerks vom 6. Januar 1954, GBl der DDR 1954, 103; §§ 2, 7 der Anordnung über Beiträge zur Sozialversicherung bei der Deutschen Versicherungsanstalt vom 7. März 1956, GBL der DDR 1956, 259).
Die in § 23 Abs. 1 FRG vorgeschriebene Berücksichtigung dieser Beitragsleistung erfordert deshalb bei der Klägerin eine Korrektur der allein aufgrund ihrer Tätigkeitsmerkmale für sie in Betracht kommenden Leistungsgruppeneinstufung nach unten. Die Leistungsgruppe 5 kommt für sie als Damenschneidermeisterin nicht in Betracht, denn diese Leistungsgruppe erfaßt nur Angestellte in einfacher, schematischer oder mechanischer Tätigkeit, die keine Berufsausbildung erfordert. Die Beklagte hat die Klägerin mithin für die Jahre 1951 bis 1957 zu Recht in die Leistungsgruppe 4 eingestuft.
Für die Jahre 1958 bis 1960 ist die Höhe der von der Klägerin entrichteten Beiträge nicht nachgewiesen; für diese Zeit fehlen in ihren Versicherungsausweisen entsprechende Eintragungen. Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 FRG sind deshalb bei der Zuordnung der Tabellenwerte des § 22 FRG anstelle der Beitragsleistung die Berufstätigkeit und die Einkommensverhältnisse der Klägerin zu berücksichtigen. Das bedingt jedoch keine höhere Leistungsgruppeneinstufung; denn nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin während der streitigen Zeit anfangs mindestens 3 Gesellinnen und 2 Lehrlinge, zuletzt jedoch nur noch 3 Gesellinnen beschäftigt. Für eine Verbesserung ihrer Einkommensverhältnisse in den Jahren 1958 bis 1960 sind Anhaltspunkte weder festgestellt noch ersichtlich. Ihre Berufstätigkeit hat sich aber gegenüber der vorangegangenen Zeit nicht geändert.
Nach alledem hat die Klägerin für die streitige Zeit vom 1. Januar 1951 bis 30. Juni 1960 keinen Anspruch auf Einstufung in eine höhere Leistungsgruppe, so daß auch eine Erhöhung ihres Altersruhegeldes nicht in Betracht kommt. Auf die Revision der Beklagten ist deshalb das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende Urteil des SG ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen