Leitsatz (redaktionell)

1. Hat ein deutscher Kriegsgefangener in Frankreich einen zivilen Arbeitsvertrag abgeschlossen, so ist damit in der Regel die Kriegsgefangenschaft beendet.

2. BVG § 4, durch den der Heimweg nach Beendigung der Kriegsgefangenschaft unter versorgungsrechtlichen Schutz gestellt ist, bietet keine Grundlage für einen Versorgungsanspruch des Klägers. Diese Vorschrift ist dem RVO § 543 nachgebildet. Wie RVO § 543 den mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängenden Weg nach und von der Arbeitsstätte schützt, so schützt BVG § 4 ua den mit der Kriegsgefangenschaft zusammenhängenden Heimweg in den bürgerlichen Lebenskreis. Der Schutz ist beendet, wenn der ehemalige Kriegsgefangene wieder in diesen privaten Lebenskreis eintritt, dh regelmäßig, aber nicht notwendig bei Erreichen des früheren Wohnortes bzw des zugewiesenen Aufenthaltsortes.

Geht der Kriegsgefangene aber schon vorher ein Zivilarbeitsverhältnis ein, so tritt er damit wieder in den bürgerlichen und zivilen Lebenskreis ein, so daß alle weiteren Handlungen, Ereignisse und Risiken diesem Lebensbereich angehören und nicht mehr unter den Schutz des BVG § 4 fallen. Dabei ist es gleichgültig, aus welchen Motiven dieser Übertritt erfolgte. Deshalb ist es auch unerheblich, von welchen Vorstellungen sich der Kläger hat leiten lassen, ob seiner Vorstellung nach die Eingehung des Arbeitsverhältnisses schon der Anfang einer besonderen Art der Flucht war oder eine Vorbereitung der eigentlichen Flucht, die seiner Vorstellung nach erst mit dem Verstecken aus dem Anwesen seines Arbeitgebers begann.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 2 Buchst. b Fassung: 1950-12-20, § 4 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; RVO § 543 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 8. Juni 1959 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger wurde im Januar 1945 zur Wehrmacht eingezogen und im April 1948 förmlich aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen, um anschließend als Zivilarbeiter bei einem Bauern zu arbeiten. Nach etwa vier Monaten wurde er - nach seinen Angaben wegen eines Gelddiebstahls - von einem zivilen Gericht zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt, die er in einer zivilen Strafanstalt verbüßte. Sodann nahm er Arbeit bei einem anderen Bauern in L... Dep. C... an. Dieser Arbeit entzog er sich nach etwa fünf Monaten dadurch, daß er sich im Hof seines Arbeitgebers versteckt hielt. Dabei zog er sich Erfrierungen an den Beinen zu. Deshalb mußten ihm, als er nach etwa einem Monat - im Frühjahr 1949 - sein Versteck verließ, das linke Bein im Unterschenkel und der rechte Fuß bis auf einen kurzen Stumpf der Ferse amputiert werden. Im Januar 1950 kehrte der Kläger in seine Heimat zurück.

Sein Antrag auf Gewährung von Versorgung wurde abgelehnt, weil er sich die Schäden in einem zivilen Arbeitsverhältnis zugezogen habe. Der Einspruch blieb erfolglos; auch wurde die Gewährung einer Rente im Wege des Härteausgleichs abgelehnt. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) den Beklagten verurteilt, dem Kläger für die Folgen der erlittenen Schädigung Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. zu zahlen, weil er die Erfrierungen auf der Flucht aus einer Zwangssituation, in die er durch den Krieg geraten sei, und somit auf dem Heimweg aus der Kriegsgefangenschaft erlitten habe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Der Kläger habe in der fraglichen Zeit sicherlich weder unmittelbar in militärischem Dienst gestanden, noch sei er interniert gewesen. Er sei nach der förmlichen Entlassung und der Überführung in ein freies Arbeitsverhältnis aber auch kein Kriegsgefangener mehr gewesen, weil ihm tatsächlich die Rechte des freien Arbeiters eingeräumt worden seien und er sich innerhalb des Departements frei habe bewegen können. Weder sei bei der Eingehung des Arbeitsverhältnisses ein ernsthafter Druck ausgeübt worden, noch habe sich der Kläger auf sonstige Weise in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden. Er neige nur zu abwegigen Reaktionen, ohne daß von Schwachsinn oder gar von Unzurechnungsfähigkeit gesprochen werden könne. Die Schädigung sei auch nicht auf dem "Heimweg nach Beendigung der Kriegsgefangenschaft" im Sinne des § 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) eingetreten. Ob der Kläger subjektiv etwa die Vorstellung gehabt habe, auf der Flucht oder auf dem Heimweg zu sein, sei ebenso unerheblich wie gegebenenfalls die Vorstellung, daß er sich noch in der Kriegsgefangenschaft befunden habe. Eine rechtlich erheblich Verbindung mit der Kriegsgefangenschaft könne auch nicht mit der Erwägung begründet werden, daß der Kläger nicht in die Lage eines Zivilarbeiters in Frankreich gekommen wäre, wenn er nicht vorher Soldat und Kriegsgefangener gewesen wäre. Ob die Verhältnisse, denen der Kläger während seines Arbeitsverhältnisses ausgesetzt gewesen sei, etwa eine besondere Gefahr im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG gewesen seien, könne dahingestellt bleiben, da diese Verhältnisse nicht die Ursache, sondern höchstens das Motiv für das Handeln des Klägers gewesen seien. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 8. 6. 1959 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Stade vom 12. 12. 1956 als unbegründet zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen in Celle zurückzuverweisen.

Er rügt mit näherer Begründung die Verletzung materiellen Rechts (§§ 1 Abs. 2 Buchst. b, 4 BVG), hilfsweise auch die Verletzung formellen Rechts (§§ 103, 106, 128, 153 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Vor allem wendet er sich gegen die Ansicht, die Kriegsgefangenschaft sei mit dem Übertritt in den Status eines Zivilarbeiters beendet gewesen; denn eine völlige Freiheit habe nicht bestanden. Der Arbeitsvertrag sei nach den Umständen nicht freiwillig abgeschlossen worden. Der Heimweg aus dem Arbeitsverhältnis - auch wenn er im Wege der Flucht erfolgte - müsse jedenfalls geschützt werden. Das Berufungsgericht hätte ein neurologisch-psychologisches Gutachten einholen müssen, um festzustellen, inwieweit der Kläger überhaupt in der Lage gewesen sei, die Folgen seiner Handlungsweise in ihrer Gesamtheit zu übersehen und die einzelnen Umstände seines Tuns abzuwägen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG); sie ist daher zulässig.

Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.

Das Berufungsgericht hat zu Recht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage gegen den ablehnenden Bescheid abgewiesen; denn die vom Kläger erlittenen Erfrierungen und ihre Folgen rechtfertigen es nicht, Versorgungsrente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 oder dem BVG zu gewähren.

Der Entscheidung ist der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt zugrunde zu legen. Denn die hilfsweise erhobene Rüge einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts entspricht nicht den Erfordernissen des § 164 SGG. Die Revision macht geltend, das LSG habe über den Kläger ein neurologisch-psychologisches Gutachten einholen müssen, welches unter Umständen ergeben hätte, daß es dem Kläger im damaligen Zeitpunkt überhaupt an der notwendigen Reife und Einsicht für alle seine Handlungen gefehlt habe. - Dies könnte allerdings dann von Bedeutung sein, wenn Reife und Einsicht in einem solchen Maße fehlten, daß von einer Freiheit in der Entschließung vor allem bei der Eingehung des Arbeitsverhältnisses nicht die Rede sein könnte. Auf Grund der Akten des Vormundschaftsgerichts und der Behandlungsunterlagen des Versorgungsheimes Ha... hat das LSG hierzu mehrfach festgestellt, daß beim Kläger zwar eine Neigung zu abwegigen Reaktionen bestehe, daß aber von einem Schwachsinn oder gar von Unzurechnungsfähigkeit nicht gesprochen werden könne, und er sich bei Abschluß des Arbeitsvertrages nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Geisteszustand befunden habe; er habe sich durch Verträge verpflichten können und sei auch prozeßfähig. Um diese Feststellungen wirksam anzugreifen, hätte es seitens der Revision einer Darlegung bedurft, warum das LSG sich bei seiner Überzeugungsbildung nicht mit den von ihm bezeichneten Unterlagen hätte begnügen dürfen, vielmehr hätte gedrängt fühlen müssen, die von der Revision als notwendig bezeichnete Begutachtung durchführen zu lassen. Hierzu hat die Revision aber nichts vorgebracht. Sie hat auch im Verfahren vor dem Berufungsgericht, soweit ersichtlich, keine entsprechende Anregung gegeben. Die Rüge gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts greift deshalb schon aus diesem Grunde nicht durch, so daß die Feststellungen des LSG für das Bundessozialgericht (BSG) bindend sind (§ 163 SGG).

Von den Tatbeständen des BVG käme vor allem § 1 Abs. 2 Buchst. b in Betracht. Nach dieser Vorschrift in Verbindung mit Abs. 1 wird Versorgung gewährt für eine Schädigung, die durch eine Kriegsgefangenschaft oder durch einen Unfall während der Kriegsgefangenschaft oder durch die der Kriegsgefangenschaft eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Die vom Kläger erlittenen Erfrierungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Dem LSG ist zunächst darin beizupflichten, daß die Kriegsgefangenschaft durch die förmliche Entlassung in Verbindung mit der Eingehung eines zivilen Arbeitsverhältnisses für den Kläger beendet war. Wie das BSG bereits entschieden hat, war bei einem deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich der mit behördlicher Genehmigung einen Arbeitsvertrag als Zivilarbeiter abgeschlossen hat, damit in der Regel die Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG beendet. Das BSG hat in diesem Zusammenhang ua darauf hingewiesen, daß auch der Gesetzgeber in dem Gesetz über das allgemeine Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Soziale Sicherheit nebst vier Zusatzvereinbarungen und drei Protokollen vom 18. Oktober 1951 (BGBl II 177 ff) und im Heimkehrergesetz in der Fassung vom 30. Oktober 1951 zum Ausdruck gebracht habe, die ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich seien nach Abschluß eines Arbeitsvertrages als freie Arbeiter und nicht mehr als Kriegsgefangene anzusehen; die in der vierten Zusatzvereinbarung zu dem oben angeführten Abkommen (vgl. BGBl aaO 195) enthaltene Einbeziehung dieser Personen in die deutsche Sozialversicherung sei nicht verständlich, wenn während des Arbeitsverhältnisses die Kriegsgefangenschaft noch fortbestanden habe (vgl. BSG 3, 268 ff). Dem schließt sich der Senat an.

Die Beendigung der Kriegsgefangenschaft im völkerrechtlichen Sinne setzt allerdings die Freilassung des Gefangenen voraus, und es kann zweifelhaft sein, ob bei den Kriegsgefangenen in Frankreich mit der Überführung in den Status eines "freien Arbeiters" wirklich eine vollkommene Freilassung verbunden war. Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Entscheidungen zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KgfEG) eine wirkliche Freilassung dieses Personenkreises verneint und ein Weiterbestehen des Kriegsgefangenen-Status angenommen (vgl. Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. 4a, 412, 4 § 2 KgfEG Nr. 7). Es hat in seinen Urteilen die oa Rechtsprechung des BSG erwähnt, hat sich mit ihr aber nicht näher auseinandergesetzt. Der Senat hat die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht zum Anlaß genommen, von der Rechtsprechung des BSG abzuweichen, weil die Rechtsgebiete des BVG und des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes verschiedenartige Regelungen enthalten und deshalb die Rechtsbegriffe nicht in gleicher Weise ausgelegt zu werden brauchen, auch bei der Gewährung von Entschädigungen für ein Ferngehaltensein von der Heimat andere Erwägungen mitsprechen können als bei der Gewährung von Versorgung nach dem BVG.

Für den vorliegenden Fall war noch folgendes zu berücksichtigen:

Wenn auch dem BVG grundsätzlich der Begriff der Kriegsgefangenschaft im völkerrechtlichen Sinne zugrundeliegt (vgl. BSG aaO), so darf doch nicht übersehen werden, daß der Gesetzgeber den hier in Frage kommenden Personenkreis in dem oben angeführten Abkommen mit Frankreich in den Schutz der deutschen Sozialversicherung einbezogen hat. Ob daraus allein schon zwingend zu schließen ist, daß diesem Personenkreis keine Versorgung nach dem BVG gewährt werden sollte, kann unerörtert bleiben. Denn hinzukommt, daß dies auch in der Begründung zum Regierungsentwurf zum BVG, wenn auch nicht zu § 1, so doch zu § 4, zum Ausdruck gekommen ist. In § 4 BVG ist ua der Heimweg nach Beendigung des militärischen bzw. militärähnlichen Dienstes oder der Kriegsgefangenschaft unter versorgungsrechtlichen Schutz gestellt. In der Begründung heißt es, daß ein ziviles Arbeitsverhältnis, das ein ehemaliger Kriegsgefangener im Anschluß an die Kriegsgefangenschaft im Gewahrsamsland eingegangen sei, nicht als militärähnlicher Dienst gewertet werden könne (vgl. Anlage 1 zur Bundestagsdrucksache Nr. 1333, 1. Wahlperiode, Begründung Teil B zu § 4). Damit ist gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß ein solches Arbeitsverhältnis erst recht nicht mehr als Kriegsgefangenschaft angesehen werden kann. Gegen diese Ansicht ist auch in den Beratungen des 26. Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Bundestages keine Einwendung erhoben. Das erscheint auch im Hinblick auf die oben erwähnte Einbeziehung dieses Personenkreises in die deutsche Sozialversicherung und den dadurch herbeigeführten, für die Belange eines zivilen Arbeitsverhältnisses ausreichenden sozialen Schutz - das oben angeführte Gesetz ist zwar vom 18. Oktober 1951, das zugrunde liegende Abkommen sowie die entscheidende vierte Zusatzvereinbarung ist aber schon am 10. Juli 1950, also vor Inkrafttreten des BVG, unterzeichnet - verständlich.

Die Kriegsgefangenschaft hat allerdings durch die förmliche Entlassung in Verbindung mit der Aufnahme eines zivilen Arbeitsverhältnisses nur dann ein Ende gefunden, wenn dieser Wechsel auf dem freien Willensentschluß des Kriegsgefangenen beruht und kein unzulässiger Zwang ausgeübt wurde. Letzteres hat das LSG ohne Rechtsirrtum angenommen und hat festgestellt, daß in Frankreich allgemein kein Zwang zur Aufgabe der Rechte eines Kriegsgefangenen ausgeübt worden sei und daß - wie der Kläger im übrigen vor dem Gericht selbst zugegeben habe - auf ihn ein ernsthafter Druck nicht ausgeübt worden sei. Nach den weiteren Feststellungen hat sich der Kläger auch nicht auf sonstige Weise in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Geisteszustand befunden. Diese Feststellungen sind von der Revision - wie bereits dargelegt - nicht in einer dem § 164 SGG entsprechenden Weise angegriffen worden und daher für das Revisionsgericht bindend. Im übrigen ist der Auffassung des Berufungsgerichts zuzustimmen, daß die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen durch den Übertritt in ein ziviles Arbeitsverhältnis noch keinen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zwang darstellt.

Die Revision vertritt schließlich noch die Ansicht, daß sich der Kläger dadurch, daß er sich auf dem Anwesen seines Arbeitgebers versteckte, zumindest wieder von seinem Arbeitsvertrag gelöst habe und in den Status eines Kriegsgefangenen zurückgekehrt sei. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Denn wenn jemand als Kriegsgefangener entlassen ist und damit den Status eines Kriegsgefangenen verloren hat, so kann er diesen Status nicht ohne Zutun der früheren Gewahrsamsmacht wiedererhalten. Ein solches Zutun wäre aber eine unabdingbare Voraussetzung der Wiederbegründung des Kriegsgefangenenstatus, weil nur dadurch eine erneute Festhaltung erfolgen könnte.

Ist somit die im Frühjahr 1949 erlittene Schädigung nicht während der Kriegsgefangenschaft eingetreten, so könnte sie dennoch "durch" die Kriegsgefangenschaft erfolgt sein, wenn der wesentliche Grund für die Schädigung in der dem freien Arbeitsverhältnis vorausgehenden Kriegsgefangenschaft zu suchen wäre. Ein Zusammenhang besteht zweifellos in der Weise, daß es ohne die Kriegsgefangenschaft nicht zu dem freien Arbeitsverhältnis in Frankreich und ohne dieses nicht zu den Verhältnissen gekommen wäre, die schließlich zu der Schädigung führten. Ursache im Sinne des Versorgungsrechts ist aber nur die "wesentliche" Ursache, d.h. die, welche wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt hat (vgl. BSG 1, 157, 269-270; 11, 50, 52 mit weiteren Hinweisen). Ursache der Erfrierungen war aber, wie das LSG ohne Rechtsirrtum angenommen hat, die Neigung des Klägers zu abnormen Reaktionen. Diese wäre versorgungsrechtlich nur dann beachtlich, wenn sie ihrerseits auf den militärischen Dienst oder die Kriegsgefangenschaft zurückzuführen wäre. Sie beruht aber, wie das LSG festgestellt hat, ohne daß die Revision insoweit eine Rüge erhoben hätte, auf einer entsprechenden Veranlagung. Die Revision meint zwar in diesem Zusammenhang, wenn der Staat solche seelisch labilen und jungen Menschen zu den Waffen gerufen habe, so müsse er später für deren Handlungen haften, die dadurch entstanden seien, daß diese Menschen auf Zwangssituationen anders reagierten als man es von Durchschnittsmenschen habe erwarten können. Selbst wenn man aber die Umstände, unter denen der Kläger in seinem Arbeitsverhältnis arbeitete, als mit wesentlich für seine Reaktion und die dadurch herbeigeführte Schädigung ansieht und nicht ausschließlich seine Veranlagung zu derartigen abnormen Reaktionen, so ist diese Ursache doch deshalb versorgungsrechtlich unerheblich, weil sie ihrerseits nicht im Zusammenhang (im versorgungsrechtlichen Sinn) mit dem militärischen Dienst oder der Kriegsgefangenschaft steht, sondern mit dem zivilen Arbeitsverhältnis.

Auch § 4 BVG, durch den der Heimweg nach Beendigung der Kriegsgefangenschaft unter versorgungsrechtlichen Schutz gestellt ist, bietet keine Grundlage für einen Versorgungsanspruch des Klägers. Diese Vorschrift ist dem § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nachgebildet. Wie § 543 RVO den mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängenden Weg nach und von der Arbeitsstätte schützt, so schützt § 4 BVG ua. den mit der Kriegsgefangenschaft zusammenhängenden Heimweg in den bürgerlichen Lebenskreis. Der Schutz ist beendet, wenn der ehemalige Kriegsgefangene wieder in diesen privaten Lebenskreis eintritt, d.h. regelmäßig, aber nicht notwendig (vgl. BSG 7, 243, 245), bei Erreichen des früheren Wohnortes bzw. des zugewiesenen Aufenthaltsortes. Geht der Kriegsgefangene aber schon vorher ein Zivilarbeitsverhältnis ein, so tritt er damit wieder in den bürgerlichen und zivilen Lebenskreis ein, so daß alle weiteren Handlungen, Ereignisse und Risiken diesem Lebensbereich angehören und nicht mehr unter den Schutz des § 4 BVG fallen. Dabei ist es gleichgültig, aus welchen Motiven dieser Übertritt erfolgte. Deshalb ist es auch unerheblich, von welchen Vorstellungen sich der Kläger hat leiten lassen, ob seiner Vorstellung nach die Eingehung des Arbeitsverhältnisses schon der Anfang einer besonderen Art der Flucht war oder eine Vorbereitung der eigentlichen Flucht, die seiner Vorstellung nach erst mit dem Verstecken auf dem Anwesen seines Arbeitgebers begann.

Der Kläger hat sich seine Erfrierungen auch nicht durch unmittelbare Kriegseinwirkungen im Sinne der §§ 1 Abs. 2 Buchst. a, 5 Abs. 1 Buchst. d BVG zugezogen, d.h. durch schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der Besetzung ehemals deutsch besetzten Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine etwa noch bestehende feindliche Einstellung der Bevölkerung sich auf den Kläger durch konkrete schädigende Vorgänge ausgewirkt hat oder ob etwa die feindliche Einstellung an sich schon ein solcher "Vorgang" gewesen ist. Alle diese "Vorgänge" sind nicht, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung verlangt (BSG 2, 99), infolge einer der militärischen Besetzung eigentümlichen besonderen Gefahr eingetreten, weil in Frankreich zu dieser Zeit die mit der Wiederbesetzung zunächst verbundene Ausübung der Gewalt durch die Armee beendet war und eine zivile Regierung ihre Funktionen in normaler Weise ausübte. Selbst wenn zu dieser Zeit noch für deutsche Staatsangehörige eine besondere Gefährdung bestand, so hatte diese mit der Wiederbesetzung durch französische Truppen im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des BSG nichts mehr zu tun.

Schließlich ist die Schädigung auch nicht durch eine Internierung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG herbeigeführt worden. Die Zeit des freien Arbeitsverhältnisses stellt schon deshalb keine Internierung im Sinne des BVG dar, weil eine solche nach der Rechtsprechung des BSG nur dann bestanden hat, wenn jemand auf eng begrenztem Raum und unter dauernder Bewachung festgehalten worden ist (vgl. BSG in SozR BVG § 1. Bl. Ca 19 Nr. 42). Das war aber beim Kläger nicht der Fall.

Da der Sachverhalt somit keine der gesetzlichen Tatbestände des BVG erfüllt, steht dem Kläger kein Anspruch auf Versorgungsrente nach diesem Gesetz zu.

Aus dem gleichen Grunde besteht auch für die Zeit bis zum Inkrafttreten des BVG kein Anspruch nach den entsprechenden Vorschriften der SVD Nr. 27 (SVD Nr. 27 § 4 Buchst. a in Verbindung mit SVA Nr. 11 I Nr. 2 Buchst. a, Nr. 3 Buchst. c).

Das LSG hat daher über die Ansprüche zutreffend entschieden, so daß die Revision gegen das Urteil des LSG unbegründet ist. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2253209

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