Leitsatz (redaktionell)
BVG § 86 Abs 1 S 3 findet bei der Umanerkennung nach dem BVG keine Anwendung, wenn der Wegfall der Versorgungsbezüge nicht mit dem Inkrafttreten der durch das BVG geschaffenen gesetzlichen Neuregelung, sondern vielmehr mit der Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse (Erhöhung der Rentenbezüge aus der Invalidenversicherung und Unfallversicherung) in Zusammenhang steht.
Normenkette
BVG § 86 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 29. Mai 1956 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin bezog auf Grund eines Bescheides der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Baden vom 23. September 1949 Elternrente nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) in Höhe von monatlich 30,-- DM. Im Bescheid war als Einkommensgrenze ein Betrag von monatlich 72,-- DM festgestellt, als anrechenbares Einkommen wurden 54,40 DM bzw. 60,40 DM errechnet (Bezüge aus der Invalidenversicherung in Höhe von 15,40 DM bzw. 21,40 DM und aus der Unfallversicherung in Höhe von 39,-- DM monatlich).
Die Versorgungsverwaltung stellte mit Ende Mai 1952 die Zahlung der Elternrente ein, nachdem sie festgestellt hatte daß sich die Bezüge der Klägerin aus der Unfallversicherung seit dem 1. Juni 1949 auf monatlich 46,80 DM und seit dem 1. September 1949 auf monatlich 93,60 DM erhöht hatten, und daß ferner vom 1. Juni 1951 an Invaliden-Witwenrente in Höhe von monatlich 26,40 DM gezahlt wurde.
Mit Bescheid vom 13. Februar 1953, durch den die Umanerkennung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erfolgte, teilte das Versorgungsamt (VersorgA.) Heidelberg der Klägerin mit, daß ihr seit dem 1. September 1949 keine Elternrente zustehe, weil von diesen Zeitpunkt an ihr monatliches Einkommen von 115,-- DM die Bedürftigkeitsgrenze übersteige. Auch nach dem BVG könne sie keine Rente erhalten, weil die in diesem Gesetz für einen Elternteil vorgeschriebene Einkommensgrenze durch das monatliche Einkommen, das sich vom 1. Juni 1951 an noch weiter auf 120,-- DM erhöht habe, überschritten sei. Das VersorgA. forderte gleichzeitig die für die Zeit vom 1. September 1949 bis 31. Mai 1952 gezahlte Rente in Höhe von 990,-- DM als überzahlt zurück. Die Rückforderung wurde damit begründet, daß die Klägerin es trotz einer im Bescheid vom 23. September 1949 enthaltenen Belehrung unterlassen habe, die Veränderung in den Einkommens Verhältnissen rechtzeitig anzuzeigen.
Auf die gegen diesen Bescheid zum Oberversicherungsamt (OVA.) Karlsruhe eingelegte Berufung, die als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Mannheim übergegangen war, hat das SG. den Beklagten verurteilt, in Höhe von 390,-- DM (13 Monatsbeträgen) von einer Rückforderung Abstand zu nehmen: Für die Zeit vom 1. September 1949 bis 30. September 1950 sei ein absichtliches Unterlassen der Veränderungsanzeige, wie es der für diesen Zeitraum anzuwendende § 12 Abs. 4 KBLG voraussetze, nicht erwiesen; denn der Klägerin könne die Behauptung nicht widerlegt werden, sie habe ihre Rentenbezüge in den Jahresbescheinigungen jeweils vollständig angegeben. Im übrigen hat das SG. die Klage abgewiesen: Die Rückforderung sei vom 1. Oktober 1950 an gerechtfertigt, da es seit Inkrafttreten des BVG an einer gesetzlichen Regelung der Rückforderung fehle, die Rückforderung aber nicht gegen Treu und Glauben verstoße. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg in Stuttgart den angefochtenen Bescheid durch Urteil vom 29. Mai 1956 unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils auch insoweit aufgehoben, als mit ihm die Rückzahlung der vom 1. Oktober 1950 an gezahlten Rentenbezüge angeordnet worden ist: § 12 Abs. 4 KBLG gelte auch für die Rückforderung einer nach dem Außerkrafttreten des KBLG bis zur Erstfeststellung nach dem BVG gezahlten Rente; das ergebe sich aus der Übergangsvorschrift des § 86 Abs. 1 BVG. Der Klägerin sei ein absichtliches Verschweigen der Einkommensänderung nicht nachzuweisen, so daß die gezahlte Rente nicht zurückgefordert werden könne. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 13. Juli 1956 zugestellte Urteil mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 8. August 1956 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Mai 1956 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. September 1954, welches den Rückforderungsanspruch des Landes für die zu Unrecht gezahlten Versorgungsbezüge für die Zeit vom 1. Oktober 1950 ab anerkannte, zu bestätigen.
In der am 8. September 1956 beim BSG. eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Beklagte die Verletzung materiellen (§ 86 Abs. 1 BVG) und formellen (§§ 103, 157 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) Rechts: Bas LSG. habe der Entscheidung über den Rückforderungsanspruch zu Unrecht § 12 Abs. 4 KBLG zugrunde gelegt. Die Auffassung des LSG. beruhe auf einer falschen Auslegung des § 86 Abs. 1 BVG. Im übrigen sei nach dem Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) § 47 dieses Gesetzes auf alle anhängigen Fälle anzuwenden. Nach dieser Vorschrift sei der Rückforderungsanspruch begründet. Das Verfahren des LSG. leide auch an einem wesentlichen Mangel, weil dem Berufungsgericht bei Prüfung der Frage, ob die Klägerin die Änderung ihrer Verhältnisse absichtlich verschwiegen habe, ein wesentliches Versehen unterlaufen sei. Das LSG. habe unterstellt, daß die Klägerin die Erhöhung ihrer mit Mitteilung vom 17. November 1949 auf 46,80 DM erhöhten Unfallrente in der Rentenjahresbescheinigung 1950 mitgeteilt habe. Die weitere wesentliche Erhöhung der Unfallrente auf 93,60 DM sei aber erst mit Bescheid vom 5. April 1950 erfolgt. Die Jahresbescheinigung vom März 1950, die schon beim Empfang der Aprilrente habe vorliegen müssen, habe deshalb diese Erhöhung nicht als Angabe enthalten können.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten aus den Gründen des angefochtenen Urteils vom 29. Mai 1956 als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Der Senat hat zunächst geprüft, ob das LSG. die Berufung, deren Zulässigkeit als Voraussetzung der Rechtswirksamkeit des gesamten weiteren Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BSG. 2 S. 225 [227]; 3 S. 124 [126] und 234; 4 S. 70 [72] und S. 281 [284]), mit Recht als zulässig angesehen hat. Er hat diese Frage bejaht. Denn überzahlte Versorgungsbezüge, die von den Versorgungsbehörden zurückgefordert werden, sind weder einmalige Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, noch handelt es sich um Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume im Sinne des § 148 Nr. 2 SGG (vgl. BSG. 3 S. 234). Die Berufung war daher nicht nach einer dieser Vorschriften ausgeschlossen.
Die Parteien streiten darüber, ob die der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis Ende Mai 1952 gezahlten Versorgungsbezüge von der Versorgungsverwaltung zurückgefordert werden können. Das LSG. hat diesen Rückforderungsanspruch verneint. Der Beklagte rügt, die Entscheidung beruhe auf einer Verletzung materiellen (§ 86 Abs. 1 BVG) und formellen (§§ 103, 157 SGG) Rechts. Das Berufungsgericht habe § 86 Abs. 1 BVG unrichtig angewandt, der Entscheidung liege die unzutreffende Auffassung zugrunde, Rechtsgrundlage eines etwaigen Rückforderungsanspruchs sei § 12 Abs. 4 KBLG. Diese Auslegung sei unzutreffend, denn die Rückforderung bestimme sich nach dem Inkrafttreten des VerwVG lediglich nach § 47 dieses Gesetzes.
Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
Voraussetzung jedes Rückforderungsanspruches ist, daß eine Überzahlung vorliegt. Die im Streit stehenden Versorgungsbezüge sind dann überzahlt, wenn sie nach der rückwirkenden Feststellung auf Grund des BVG nicht zustanden und ihre Zahlung auch durch die Übergangsregelung des § 86 Abs. 1 Satz 3 nicht gedeckt war. Das ist vorliegend der Fall.
Nach den Vorschriften des BVG stand der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. Mai 1952 unstreitig Elternrente nicht zu, da die Einkommensgrenze des § 51 Abs. 2 BVG von monatlich 70,-- DM bzw. 85,-- DM (vom 1. April 1952 an) durch das sonstige Einkommen der Klägerin überschritten war.
Die gewährten Bezüge standen aber auch nach der in § 86 Abs. 1 Satz 3 BVG getroffenen Übergangsregelung nicht zu. Zwar bestimmt § 86 Abs. 1 Satz 3 BVG, daß, falls die nach dem BVG festgestellten Bezüge niedriger als die bisher gewährten Bezüge sind oder die Rente ganz wegfällt, die Minderung oder Entziehung erst mit Ablauf des Monats eintritt, der auf die Zustellung des Bescheides folgt. Diese Vorschrift ist aber nicht dahin zu verstehen, daß in allen Fällen, in denen gemäß § 86 Abs. 1 BVG auf der Grundlage des bisherigen Rechts Versorgungsbezüge tatsächlich gewährt worden sind, eine Minderung oder Entziehung erst für die Zukunft erfolgen kann und somit eine Rückforderung in jedem Falle ausgeschlossen ist. Satz 3 ist Bestandteil der in § 86 Abs. 1 BVG getroffenen Übergangsregelung. Mit ihr sollen Härten, die durch die Umstellung der Versorgung auf eine neue gesetzliche Grundlage entstehen können, verhindert und gemildert werden. Jedoch besteht kein Grund, die Übergangsregelung auch in den Fällen anzuwenden, in denen der Wegfall einer Rente nur auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse beruht und unabhängig von der gesetzlichen Neuregelung auch nach dem bisherigen Recht eingetreten wäre (vgl. OVA. Düsseldorf in ZfS. 1952 S. 234 mit zutreffendem Hinweis auf die Rechtspr. des RVGer. zu § 93 RVG erster Fassung; Bayer. LVA. in ZfS. 1952 S. 172 m. Anm. v. Schieckel; Bayer. LSG. in Bayer. ABl. 1957 S. B 95; Kraus in ZfS. 1951 S. 205; Schieckel, Bundesversorgungsgesetz, 2. Aufl. § 86 Anm. 1 und 2; a.M.: Wende in ZfS. 1952 S. 15 [17]; vgl. auch BMA., Erl. v. 24.4.1951 - IV b 1 - 660/51 - in BVBl. 1951 S. 48). Dies würde zudem eine ungerechtfertigte Bevorzugung gegenüber den Versorgungsberechtigten bedeuten, bei denen der Wegfall einer Rente oder deren Minderung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zeitlich nicht mit der Neuregelung des Versorgungsrechts zusammenfällt. Im übrigen widerspräche eine solche Auslegung auch dem Charakter des § 86 Abs. 1 BVG als einer eng auszulegenden Ausnahmevorschrift. Der Wegfall der Rente bei der Klägerin steht aber in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung. Auch nach den Vorschriften des KBLG hätte die Klägerin nach der Erhöhung ihrer übrigen Rentenbezüge keine Rente mehr erhalten können. Der Grund für den Wegfall der Elternrente liegt lediglich in der Erhöhung der Übrigen Rentenbezüge aus der Invaliden- und der Unfallversicherung, die schon vor Inkrafttreten des BVG erfolgte. Die Versorgungsverwaltung hat deshalb anläßlich der Feststellung der Rente nach dem BVG auch zu Recht den § 86 Abs. 1 Satz 3 BVG nicht angewandt. Da somit der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. Mai 1952 Elternrente nach dem BVG nicht zustand und deshalb die Rente mit Bescheid vom 13. Februar 1953 auch für die zurückliegende, unter den Geltungsbereich des BVG fallende Zeit zu Recht entzogen worden ist, ist die Rente insoweit überzahlt und zu Unrecht empfangen worden.
Ob dieser zu Unrecht gezahlte Betrag zurückgefordert werden kann oder nicht, bestimmt sich nicht - wie das LSG. angenommen hat - nach § 12 Abs. 4 KBLG, sondern allein nach § 47 des VerwVG. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 30. August 1956 entschieden hat (vgl. BSG. 3 S. 234), ergreifen die Vorschriften des § 47 Abs. 1 und 2 VerwVG alle am Tage des Inkrafttretens des Gesetzes anhängigen Rückforderungsfälle (vgl. auch BSG. 6 S. 11 [15]). Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Nach § 47 Abs. 2 VerwVG kann, soweit die Überzahlung von Versorgungsbezügen auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruht, der zu Unrecht gezahlte Betrag nur zurückgefordert werden, wenn der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden, oder wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Da das LSG. von einer anderen Rechtslage ausgegangen ist (§ 12 Abs. 4 KBLG), hat es nicht die Feststellungen getroffen, die notwendig sind, um über das Vorliegen oder Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen zu entscheiden. Das Revisionsgericht selbst kann die erforderlichen Feststellungen nicht treffen, deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob der von dem Beklagten gerügte Verfahrensmangel vorliegt oder nicht. Die Rüge mangelhafter Sachaufklärung bezieht sich auf die Feststellung des Berufungsgerichts, der Klägerin sei nicht nachzuweisen, daß sie die Erhöhung der Invaliden- und der Unfallrente absichtlich verschwiegen habe. Da die Revision schon durch Zulassung statthaft ist und auch aus den angeführten Gründen Erfolg hat, da ferner die vom LSG. zu treffende Entscheidung allein nach der Vorschrift des § 47 Abs. 2 VerwVG zu erfolgen hat, erübrigt sich ein Eingehen auf die erhobene Verfahrensrüge (vgl. auch Urteil des 1. Senats vom 18.11.1958 - 1 RA 197/56 -).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen