Leitsatz (amtlich)
Zur Verfassungsmäßigkeit von § 176c RVO idF des KVEG.
Leitsatz (redaktionell)
Die Neuregelung des Beitrittsrechts durch die am 1.1.1982 in Kraft getretene Neufassung des § 176c RVO erfaßt auch Schwerbehinderte, deren Behinderung schon vor dem Inkrafttreten der Neuregelung festgestellt worden ist ("Altfälle").
Orientierungssatz
Verfassungsmäßigkeit des § 176c RVO nF - Anhörung Beteiligter:
1. Die Neufassung des § 176c RVO idF des KVEG verstößt nicht gegen die Art 3, 14, 20 GG. Anhörung Beteiligter:
2. § 24 des SGB 10 ist nicht verletzt, denn diese Vorschrift gilt nur bei einem Eingriff in bestehende Rechte. Ein solcher Tatbestand liegt nicht vor, wenn ein Recht nicht durch eine Verwaltungsentscheidung, sondern unmittelbar durch den Gesetzgeber aufgehoben oder eingeschränkt wird (vgl BSG vom 24.4.1985 9a RVs 11/84 = SozR 3870 § 58 Nr 1). Dies ist hier geschehen, denn das Beitrittsrecht entfiel mit dem 1.1.1982, ohne daß es dazu eines Verwaltungsverfahrens bedurfte.
Normenkette
RVO § 176c Fassung: 1981-12-22; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20, 14 Abs. 1; SGB 10 § 24 Abs. 1 Fassung: 1980-08-18
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger gem § 176c der Reichsversicherungsordnung (RVO) das Recht zusteht, der Beklagten als freiwillig versichertes Mitglied beizutreten.
Der Kläger (geboren 1969) ist Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH. Diese wurde durch das Versorgungsamt Münster mit Bescheid vom 21. Juni 1977 festgestellt. Seine Eltern sind Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen.
Mit Schreiben vom 27. März 1982 (eingegangen am 30. März 1982) wandte sich der Vater des Klägers an die Beklagte und bat um "Mitteilung", ob er sein schwerbehindertes Kind in der Allgemeinen Ortskrankenkasse versichern könne. Er wies darauf hin, daß das Kind noch schulpflichtig sei und später voraussichtlich keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben könne. Er selbst sei Beamter und daneben privat krankenversichert.
Die Beklagte bearbeitete dieses Schreiben am 31. März 1982. Sie bestätigte den Eingang und übersandte Anmeldeunterlagen. Der ausgefüllte Formularantrag ging am 14. April 1982 bei der Beklagten ein.
Die Beklagte wies die Anmeldung wegen Versäumung der Beitrittsfrist zurück (Bescheid vom 15. April 1982; Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1982).
Die hiergegen erhobene Klage hatte zunächst Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Münster vom 9. Mai 1983). Auf die Berufung der Beklagten wurde das erstinstanzliche Urteil jedoch aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen -LSG vom 17. Mai 1984).
Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß der Kläger die Frist für den Beitritt nicht eingehalten habe. Anzuwenden sei § 176c RVO idF des Krankenversicherungs-Ergänzungsgesetzes (KVEG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1578), das am 1. Januar 1982 in Kraft getreten sei. Die danach für die Beitrittserklärung einzuhaltende Frist von drei Monaten habe der Kläger nicht gewahrt. Zwar sei davon auszugehen, daß für alle Schwerbehinderten, deren Behinderung bereits vor dem 1. Januar 1982 festgestellt worden sei, die Dreimonatsfrist nicht ab Feststellung der Behinderung, sondern erst ab dem 1. Januar 1982 zu berechnen sei. Diese Frist sei am 31. März 1982 abgelaufen. Die Beitrittserklärung des Klägers sei jedoch erst am 14. April 1982 bei der Beklagten eingegangen. Das am 30. März 1982 eingegangene Schreiben des Vaters des Klägers habe keine Beitrittserklärung enthalten, sondern lediglich eine Bitte um Auskunft. Der Kläger sei auch nicht aufgrund eines Herstellungsanspruchs so zu stellen, als wenn er den Beitritt rechtzeitig erklärt hätte; denn die Beklagte habe durch sofortige Bearbeitung des Antrags alles getan, was von ihr verlangt werden konnte.
Daneben hat das LSG die Abweisung der Klage auch darauf gestützt, daß die erforderliche Vorversicherungszeit weder in der Person des Klägers noch in der Person seiner Eltern erfüllt gewesen sei und auch nicht die Voraussetzungen vorgelegen hätten, unter denen das Erfordernis einer Vorversicherungszeit entfalle. Letzteres treffe nur zu, wenn der Behinderte die Vorversicherungszeit wegen seiner Behinderung nicht habe erfüllen können. Der Kläger habe sie aber nicht wegen der Behinderung, sondern wegen seines jugendlichen Alters (bei Abgabe der Beitrittserklärung 13 Jahre) nicht erfüllen können.
Verfassungsrechtliche Bedenken hat das LSG nicht erkennen können. Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) sei nicht verletzt; denn Alt- und Neufälle würden hinsichtlich des Beitrittsrechts gleich behandelt. Ein Verstoß gegen Art 14 GG liege ebenfalls nicht vor, da das Beitrittsrecht nicht durch eigene Leistungen erworben, sondern vom Gesetzgeber aus fürsorgerischen Erwägungen eingeführt worden sei. Verletzt sei auch nicht der aus rechtsstaatlichen Gründen gebotene Vertrauensschutz; denn das Ziel, die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen durch Reduzierung kostenaufwendiger versicherungsfremder Risiken sicherzustellen, sei für das Allgemeinwohl von so überragender Bedeutung, daß im Vergleich hierzu das Vertrauen der schon anerkannten Schwerbehinderten auf einen unveränderten Fortbestand eines jederzeit ausübbaren Beitrittsrechts in den Hintergrund trete.
Mit der zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Bescheide der Beklagten seien schon deshalb aufzuheben, weil gegen die Anhörungspflicht nach § 40 Abs 2 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) verstoßen worden sei. Hinsichtlich der Fristwahrung stehe ihm ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zur Seite. Die Beklagte habe sich nach Eingang des Schreibens seines Vaters vom 27. März 1982 im Hinblick auf die am 31. März 1982 ablaufende Frist nicht mit einer schriftlichen Bearbeitung der Anfrage begnügen dürfen, sondern hätte ihn telefonisch über die Voraussetzungen des Beitritts belehren und auf den Fristablauf hinweisen müssen.
Hinsichtlich der nach § 176c RVO nF erforderlichen Vorversicherungszeit verstoße die Regelung in mehrfacher Hinsicht gegen das GG. Sie verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 GG) und den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG), weil es nunmehr für die Altfälle vom Zufall abhänge, ob die geforderte Vorversicherungszeit oder die Voraussetzungen, die sie entbehrlich machten, bis zum Ende der Antragsfrist vorlägen. Dies sei willkürlich. Auch werde das Sozialstaatsprinzip verletzt, weil er (der Kläger) nach Erreichen des 18. Lebensjahres keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz mehr genieße. Zwar verbleibe ihm auch dann eine Sicherheit aufgrund der Beihilfeansprüche seines Vaters. Die daneben bestehende Privatversicherung könne jedoch zu diesem Zeitpunkt gekündigt werden. Die Neuregelung verstoße ferner auch gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Gesetzesänderungen. Es liege hier eine echte Rückwirkung vor, dh ein Eingriff in einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt; denn die Neuregelung habe Schwerbehinderten wie ihm, dem Kläger, das bisher aufgrund einer festgestellten Schwerbehinderung zustehende Beitrittsrecht genommen, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, sich hierauf einzustellen. Selbst wenn man aber von einer sogenannten unechten Rückwirkung ausgehe, ergebe die erforderliche Abwägung, daß das Bedürfnis nach Schutz der Krankenkassen vor mißbräuchlicher Ausnutzung des § 176c RVO gering sei, dafür aber der Schaden im Krankenversicherungsschutz der Schwerbehinderten erheblich, weil diese keine Alternative hätten. Im übrigen habe das LSG gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen, indem es entgegen dem Gesetz eine Übergangsregelung hinsichtlich der Beitrittsfrist geschaffen habe. Folge man dem LSG insoweit nicht, so seien die Verfassungsverstöße allerdings noch deutlicher.
Der Kläger beantragt dem Sinne nach, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 9. Mai 1983 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Rüge unterlassener Anhörung des Klägers vor der Entscheidung der Beklagten ist nicht berechtigt. § 40 Abs 2 SchwbG (idF vom 8. Oktober 1979, BGBl I 1649 = § 43 Abs 2 idF vom 26. August 1986, BGBl I 1421) gilt nur für die im SchwbG geregelten Materien und ist deshalb bei Entscheidungen einer Krankenkasse über einen Beitritt nach § 176c RVO nicht anzuwenden.
§ 24 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) ist ebenfalls nicht verletzt, denn diese Vorschrift gilt nur bei einem Eingriff in bestehende Rechte. Ein solcher Tatbestand liegt nicht vor, wenn ein Recht nicht durch eine Verwaltungsentscheidung, sondern unmittelbar durch den Gesetzgeber aufgehoben oder eingeschränkt wird (vgl BSG SozR 3870 § 58 Nr 1). Dies ist hier geschehen, denn das Beitrittsrecht des Klägers entfiel mit dem 1. Januar 1982, ohne daß es dazu eines Verwaltungsverfahrens bedurfte.
Auch die - negative - Entscheidung der Beklagten über die Beitrittserklärung stellt keinen Eingriff in bestehende Rechte des Klägers dar, der eine Anhörung erforderte. Zwar könnte eine Anhörungspflicht erwogen werden, wenn die Grundvoraussetzungen für einen Beitritt erfüllt sind und dieser lediglich wegen Fristversäumnis abgelehnt wird. Es bedarf dazu indes keiner Auseinandersetzung mit der engeren Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 66, 184), das meint, eine vorherige Anhörung könne bei Ablehnung eines Erstantrags stets unterbleiben. Denn die genannten Bedingungen, unter denen eine Anhörungspflicht auch bei Ablehnung eines Beitritts bestehen könnte, lagen hier nicht vor, weil es beim Kläger unzweifelhaft an der Vorversicherungszeit oder einem ihr gleichgestellten Tatbestand fehlte.
Insoweit ist dem LSG zu folgen, wenn es das Urteil - als selbständigen Entscheidungsgrund - auch darauf stützt, daß die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Beitritts nicht gegeben waren. Weder der Kläger noch seine Eltern hatten nach den Feststellungen des LSG die nach § 176c RVO nF erforderliche Vorversicherungszeit (mindestens drei Jahre in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt) aufzuweisen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neufassung des § 176c RVO bestehen nicht, jedenfalls nicht, soweit die Vorschrift im Falle des Klägers anzuwenden ist.
Das LSG hat zunächst zu Recht entschieden, daß die Neuregelung nicht gegen Art 14 GG verstößt. Das Beitrittsrecht Schwerbehinderter basierte nach altem Recht nicht auf eigenen "Leistungen" der Berechtigten, sondern war eine rein fürsorgerische Maßnahme, die nach der vom LSG zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- (BVerfGE 22, 241, 253; 53, 257, 289, 291) keinen Eigentumsschutz genießt.
Auch ein für die vorliegende Entscheidung bedeutsamer Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verbietet es, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Der Gesetzgeber hat insoweit eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, deren Grenzen erst dann überschritten werden, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden läßt (BVerfGE 49, 260, 271; 61, 138, 147, st Rspr). Gründe, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, können sich dabei nicht nur aus dem materiellen Recht ergeben, sondern auch aus seiner Anwendung durch die Verwaltung, wie etwa die Notwendigkeit einer typisierenden Betrachtungsweise oder Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität. Das BVerfG hat indes, wenn eine Ungleichbehandlung aus derartigen Gründen hinnehmbar sein soll, gefordert, daß die eintretenden Härten oder Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und daß der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist; wesentlich ist ferner, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten zu beseitigen ist (BVerfGE 63, 119, 128; Urteil des Senats vom 17. Oktober 1986, 12 RK 15/86).
Der Kläger sieht eine willkürliche Ungleichbehandlung darin, daß es vom Zufall abhänge, ob die erforderlichen Beitrittsvoraussetzungen noch vor dem Ablauf der Antragsfrist erfüllt würden. Personen, die sie erst später erfüllten, seien bei sonst gleichem Schutzbedürfnis von der Vergünstigung des § 176c RVO ausgeschlossen. Dies trifft in der Tat zu, wird aber - soweit hier entscheidungserheblich - durch die mit der Änderung des § 176c RVO verfolgten Ziele des Gesetzgebers gerechtfertigt.
In der Regierungsbegründung zur Änderung des § 176c RVO durch das KVEG (BT-Drucks 9/845, S 12 rechts unten) heißt es dazu:
"Das uneingeschränkte Beitrittsrecht ist dadurch mißbraucht worden, daß der Beitritt dann erklärt wurde, wenn größere Krankheitskosten (Krankenhausbehandlung) zu erwarten oder entstanden waren. Das Beitrittsrecht wird deshalb an eine Vorversicherungszeit geknüpft, die jedoch dann entfällt, wenn wegen der Behinderung bisher keine Versicherungsmöglichkeit bestand."
Das hieraus erkennbare Ziel der Mißbrauchsabwehr wird allerdings nicht oder wenigstens nicht in erster Linie durch die - nach § 176c RVO nF erforderliche - Vorversicherungszeit erreicht, sondern dadurch, daß der Beitritt an eine kurze Frist geknüpft wird, die mit der Feststellung der Behinderung beginnt. Hierdurch wird weitgehend ausgeschlossen, daß der Behinderte mit dem Beitritt, der für ihn auch Beitragspflichten begründet, wartet, bis der Beitritt sich für ihn "lohnt".
Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich - zumindest, wenn man dem LSG folgt und auch für die Altfälle, dh für die Fälle, in denen die Schwerbehinderung vor dem 1. Januar 1982 festgestellt war, noch eine Dreimonatsfrist für den Beitritt annimmt. Es würde dann für alle Behinderten in gleicher Weise der Beitritt an diese Dreimonatsfrist gebunden. Inwieweit hier dem LSG zu folgen und auch für Altfälle im Wege der Lückenfüllung noch eine solche Beitrittsfrist zu eröffnen ist, die mit dem 1. Januar 1982 begann und mit dem 31. März 1982 endete, oder ob der Auffassung des Klägers beizutreten ist, daß dies die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes durch die Gerichte überschreiten würde, kann indes dahinstehen. Diese Frage ist für die vorliegende Entscheidung nicht von Bedeutung, da das Beitrittsrecht des Klägers in jedem Fall an der fehlenden Vorversicherungszeit scheitert.
Der Zweck dieser Vorversicherungszeit (und ihr gleichgestellter Tatbestände) ist - entgegen der Regierungsbegründung - weniger die Einschränkung von Mißbräuchen; denn eine Verschiebung des Beitritts auf einen für den Berechtigten besonders günstigen Zeitpunkt wäre auch bei Erfüllung der Vorversicherungszeit möglich. Mit der Forderung nach vorheriger Zurücklegung einer bestimmten Versicherungszeit vor dem Beitritt wird vielmehr vor allem der Kreis derjenigen, die Überhaupt Zugang zur Krankenversicherung haben sollen, enger gezogen. Der eigentliche Grund dieser Einschränkung liegt dementsprechend auch in der Entlastung der Krankenkassen durch Verringerung der Zahl der Beitrittsberechtigten. Hauptziel des KVEG war es, die Leistungsfähigkeit der Krankenkassen zu sichern (BT-Drucks aaO S 11 f). Zu diesem Zwecke wurde auch das Beitrittsrecht derjenigen eingeschränkt, die als Behinderte ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung darstellen. Dies ist aber nicht willkürlich geschehen, sondern aus beachtlichen Sachgründen. Das Beitrittsrecht nach § 176c RVO belastet nämlich die Krankenkassen nicht nur mit erheblichen Risiken, sondern betraf, solange der Beitritt keinerlei Vorversicherungszeit erforderte, außerdem häufig versicherungsfremde Personen.
Auch das Ausmaß der Einschränkung ist sachlich begründet. Vom Beitritt ausgeschlossen wurden nur Fälle, in denen weder der Behinderte selbst noch seine Eltern oder sein Ehegatte in den letzten fünf Jahren eine genügend enge (mindestens dreijährige) Beziehung zur gesetzlichen Krankenversicherung hatten; zudem wurde eine Härteklausel eingefügt für diejenigen, die diese Voraussetzungen lediglich wegen der Behinderung nicht erfüllen konnten. Die Einschränkung des nach § 176c RVO nF beitrittsberechtigten Personenkreises durch Einführung einer Vorversicherungszeit verstößt mithin nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 2 GG). Solche Bedenken könnten nur dann bestehen, wenn die Personen, denen der Beitritt nunmehr verschlossen bleibt, unzureichend gesichert wären. Das ist aber nicht der Fall. Für behinderte Kinder haben die versicherten Eltern einen Familienhilfeanspruch ohne Altersgrenze (§ 205 Abs 3 Satz 4 RVO). Bei einem Erlöschen des Anspruchs in der Person der Versicherten können die Kinder selber - unabhängig von § 176c RVO - der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitreten (§ 176b Abs 1 Nr 2 RVO). Sonstige Personen, die weder selbst noch über die Unterhaltspflichtigen in der Lage sind, Krankheitskosten zu tragen, haben nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Anspruch auf eine im wesentlichen gleichwertige Krankenhilfe und eine Eingliederungshilfe für Behinderte (§§ 27 Abs 1 Nrn 4 und 6, 37 und 39 ff BSHG). Der Kläger ist schon durch das Einkommen seiner Eltern und durch deren Anspruch auf Beihilfe als Beamte ausreichend gesichert.
Schließlich ist auch - soweit hier von Bedeutung - keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darin zu sehen, daß § 176c RVO nF durch die Kombination einer Beitrittsfrist mit einer Vorversicherungszeit den freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung noch weiter einschränkt und dadurch auch denjenigen den Beitritt verwehrt, die die Vorversicherungszeit erst nach Ablauf der mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beginnenden dreimonatigen Beitrittsfrist erfüllen oder die erst später an deren Erfüllung durch ihre Behinderung gehindert sind. Soweit es um die Erfüllung einer eigenen Vorversicherungszeit des Klägers oder um Vorversicherungszeiten seiner Eltern geht, ist der Kläger von einer Ungleichbehandlung nicht betroffen, da weder ersichtlich noch vorgetragen ist, daß die künftige Erfüllung dieser Voraussetzungen hier zu erwarten ist. Damit bleibt nur zu prüfen, ob ein Verfassungsverstoß darin liegt, daß dem Kläger durch die Fristsetzung auch ein späterer Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung verschlossen ist, obwohl er zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr durch sein Alter, sondern durch seine Behinderung gehindert sein könnte, die erforderliche Vorversicherungszeit von drei Jahren zu erfüllen.
Allerdings können nach der neuen Fassung des § 176c RVO auch Behinderte, die in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt nicht mindestens drei versichert waren und bei denen dies allein auf die Behinderung zurückzuführen war, bei denen also die Behinderung mindestens schon drei Jahre bestand und eine Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft dennoch erst nach Ablauf von drei Jahren getroffen wurde, der Versicherung freiwillig beitreten. Es dürfte sich dabei aber regelmäßig um Behinderte handeln, die unzureichend informiert oder betreut waren oder bei denen sich das Feststellungsverfahren besonders lange hingezogen hatte und deshalb erst verspätet eine Feststellung erfolgte. Wenn dem Gesetzgeber diese Tatbestände als schutzwürdig erschienen, so lag es im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, dem Rechnung zu tragen. Daraus kann jedoch nicht eine Verpflichtung hergeleitet werden, dann auch andere Behinderte, die bei Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft die Beitrittsvoraussetzungen noch nicht erfüllten, ebenfalls zum Beitritt zuzulassen. Der Gesetzgeber hatte abzuwägen zwischen dem sozialen Schutzbedürfnis bestimmter Personen auf der einen Seite und der Belastbarkeit der Krankenkassen, einer Mißbrauchsabwehr sowie Gesichtspunkten der Verwaltungspraktikabilität auf der anderen Seite. Der Gedanke der Mißbrauchsabwehr sprach für eine Bindung des Beitrittsrechts an eine kurze Frist in der ersten Phase nach Eintritt der Behinderung. Bei Ausdehnung der Beitrittsmöglichkeit auf Zeiten außerhalb dieser Frist hätten sich wieder zusätzliche Dispositionsmöglichkeiten ergeben; die Berechtigten wären dann nicht gezwungen gewesen, den Beitritt, wenn sie wünschten, zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erklären. Damit wäre für diesen (weiteren) Kreis von Personen eine Rechtslage geschaffen worden, die der Gesetzgeber gerade durch die Neufassung von § 176c RVO hatte verhindern wollen. Es wäre dann nämlich den von Geburt (oder von frühester Jugend) an Behinderten die Möglichkeit eröffnet worden, der Krankenversicherung erst zu einem späteren Zeitpunkt beizutreten, was den Entlastungseffekt entscheidend gemindert hätte.
Entgegen der Auffassung des Klägers liegt in den beanstandeten Änderungen schließlich auch keine nach rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art 20 Abs 1 GG) unzulässige Rückwirkung. Einen generellen Schutz des Vertrauens auf die Fortgeltung sozialrechtlicher Normen und der durch sie eröffneten Möglichkeiten gibt es nicht. Dies hat das BVerfG mehrfach, insbesondere im Zusammenhang mit Art 14 GG entschieden. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, die Begünstigten vor jeder Enttäuschung ihrer Erwartungen in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu bewahren; vielmehr müssen bei ihnen schon gewichtige Interessen hinzukommen, die den öffentlichen Interessen vorgehen (BVerfGE 63, 331). Eingeengt ist allerdings die Möglichkeit einer echten Rückwirkung von Gesetzen, dh von Regelungen, die in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreifen. Wann das der Fall ist, läßt sich nur im Einzelfall nach dem jeweils in Betracht kommenden gesetzlichen Tatbestand ermitteln (BVerfGE 30, 402 f mwN).
§ 176c RVO setzte nach altem Recht nur das Vorliegen einer Schwerbehinderung und die Erklärung des Beitritts voraus. Im Falle des Klägers war zwar die Feststellung der Schwerbehinderung noch unter dem alten Recht erfolgt, woraus ihm eine Berechtigung zum Beitritt nach § 176c RVO aF erwachsen war. Von dieser Berechtigung, einem Gestaltungsrecht, hatte er aber während der Geltung des § 176c RVO aF nicht Gebrauch gemacht, so daß dessen Tatbestand bei Inkrafttreten des neuen Rechts nicht in der Vergangenheit abgeschlossen vorlag.
Es kann sich beim Kläger danach allenfalls um eine sogenannte unechte Rückwirkung handeln. Sie kommt insbesondere dann in Betracht, wenn eine Dauerrechtsbeziehung, aus der bestimmte Leistungsansprüche oder sonstige Berechtigungen entstehen können, inhaltlich verändert wird. Selbst wenn hier - was dahingestellt bleiben kann - von einer unechten Rückwirkung des § 176c RVO nF auszugehen wäre, so fehlt es dennoch an einem Eingriff, der den Kläger in seinem Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung enttäuscht hätte und der auch nicht durch gewichtigere Interessen der Allgemeinheit zu rechtfertigen wäre. Ein solcher - verfassungsrechtlich unzulässiger - Eingriff setzt voraus, daß der Berechtigte in seinen Dispositionen durch die Neuregelung so empfindlich gestört wird, daß er in Zukunft wesentlich schlechter steht, und daß er dies hätte vermeiden können, wenn er rechtzeitig auf die Änderung vorbereitet oder eine entsprechende Übergangsregelung getroffen worden wäre. Der Kläger wird zwar durch die Änderung des § 176c RVO aF schlechter gestellt, und es mag auch sein, daß er einen späteren Beitritt, der ihm nunmehr verschlossen ist, in seine Pläne aufgenommen hatte. Es fehlt aber bereits an einer wesentlichen Benachteiligung des Klägers. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß er gegen die Krankheitsrisiken auch unabhängig von dem Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend gesichert ist. Für ihn bestand lediglich das Interesse, einen eigenen Krankenversicherungsanspruch zu erwerben und nicht von Unterhaltspflichtigen oder der Sozialhilfe abhängig zu sein. Wenn der Gesetzgeber dieses Bedürfnis für weniger schutzwürdig gehalten hat als das Bedürfnis nach einer - für das Wohl einer großen Zahl von Versicherten unabdingbaren - Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung, so kann dies nach Ansicht des Senats von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.
Auch im übrigen sind verfassungsrechtliche Bedenken nicht ersichtlich. Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen