Leitsatz (amtlich)

1. Wer Revisionskläger ist, muß aus der Revisionsschrift hervorgehen oder aus den dem Revisionsgericht innerhalb der Revisionsfrist eingereichten Unterlagen eindeutig ersichtlich sein.

2. Der Hinterbliebenenrentenanspruch nach AVG § 42 S 1 (= RVO § 1265 S 1) setzt in den beiden ersten Alternativen einen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten voraus; Ansprüche gegen Dritte genügen nicht, selbst wenn sie unter Mitwirkung des Versicherten zur Unterhaltssicherung der Frau begründet worden sind.

3. Stellt sich die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegen den Versicherten als unzulässige Rechtsausübung dar, so besteht für ihn keine Pflicht zur Unterhaltsgewährung iS des AVG § 42 S 1 (= RVO § 1265 S 1), dies gilt auch dann, wenn die Verpflichtung eines Bürgen von den Einwänden gegen die Hauptschuld unberührt blieb.

 

Normenkette

AVG § 42 S 1 Alt 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 42 S 1 Alt 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S 1 Alt 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S 1 Alt 2 Fassung: 1957-02-23; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18, § 765 Fassung: 1896-08-18; SGG § 164 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.12.1978; Aktenzeichen L 8 An 147/76)

SG Köln (Entscheidung vom 05.05.1976; Aktenzeichen L 5 An 80/75)

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Klägerin Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) beanspruchen kann.

Die Ehe der Klägerin mit dem im März 1974 verstorbenen Versicherten wurde 1957 ohne Schuldausspruch geschieden. Dabei verpflichtete sich der Versicherte in einem gerichtlichen Vergleich (ua), an die Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 200,-- DM zu zahlen, die nach Wegfall der Unterhaltszahlung an die Tochter sich auf 250,-- DM erhöhen sollte. Der Versicherte verzichtete auf die Rechte aus § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Die Firma E. G, deren persönlich haftender Gesellschafter der Versicherte damals war, übernahm für die Verpflichtungen des Versicherten die selbstschuldnerische Bürgschaft.

Im Jahre 1958 heiratete der Versicherte die Beigeladene. Er schied im März 1970 als Gesellschafter aus der inzwischen in eine Kommanditgesellschaft umgewandelten Firma E. G aus und bezog ab März 1973 Rente wegen Berufsunfähigkeit, die allerdings wegen Pfändungen durch die Beigeladene ihm nur im pfändungsfreien Betrag ausgezahlt wurde. Die Klägerin erhielt zu dieser Zeit noch Zahlungen von der Firma G ; diese zahlte ihr als Bürge für die Zeit von zumindest Mai 1972 bis Dezember 1973 monatlich 250,-- DM an Unterhalt.

Nach dem Tode des Versicherten gewährte die Beklagte der Beigeladenen die Witwenrente. Den Rentenantrag der Klägerin lehnte sie mit der Begründung ab, der Versicherte sei ihr zur Zeit seines Todes mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig gewesen (Bescheid vom 27. März 1975).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 15. Mai 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ab Juni 1974 Hinterbliebenenrente nach dem verstorbenen Versicherten zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Versicherte sei ihr zur Zeit seines Todes nach der 2. Alternative des § 42 Satz 1 AVG (sonstiger Grund) zum Unterhalt verpflichtet gewesen; der Klägerin habe aufgrund des Vergleiches noch in dieser Zeit ein Unterhaltsanspruch von 250,-- DM monatlich zugestanden. Ob der Versicherte selbst trotz des Verzichtes auf die Rechte aus § 323 ZPO nach Treu und Glauben die Unterhaltsleistung deshalb habe verweigern können, weil sein eigener notdürftiger Unterhalt gefährdet gewesen war, könne dahinstehen. Denn der Unterhaltsanspruch sei durch die selbstschuldnerische Bürgschaft der Firma G gesichert gewesen. Sie habe den Weiterbestand des Unterhaltsanspruchs auch bei einem Unvermögen des Versicherten zur Unterhaltsleistung garantiert. Bei einer Bürgschaft bleibe auch wegen der Abhängigkeit von der Hauptschuld die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente erhalten.

Mit der ursprünglich unter falscher Beteiligtenangabe ("namens der Klägerin") erhobenen Revision rügt die Beigeladene eine Verletzung des § 42 AVG. Soweit die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch aus der Bürgschaft habe realisieren können, folge hieraus nur die Zahlungsfähigkeit der Firma G , nicht aber der Fortbestand der Hauptschuld. Im übrigen sei die Klägerin auf Unterhaltszahlungen ihres geschiedenen Mannes wegen eigenen Einkommens nicht angewiesen gewesen.

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beigeladenen als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

1. Die Revision ist zulässig. Zwar verlangt § 164 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Inhalt der Revisionsschrift ausdrücklich nur die Angabe des angefochtenen Urteils, gleichwohl muß aber außerdem aus der Revisionsschrift hervorgehen, wer Revisionskläger ist (vgl BFH, NJW 1977, 696); er muß bezeichnet, und zwar richtig bezeichnet sein. Dabei genügt es freilich, wenn die innerhalb der Revisionsfrist eingereichten Unterlagen dem Rechtsmittelgericht einen eindeutigen Schluß auf die Person des Rechtsmittelführers ermöglichen. Das war hier der Fall. In der Revisionsschrift war zwar irrig die Klägerin und nicht die Beigeladene als Revisionsklägerin bezeichnet; aus der beigefügten Ausfertigung des Berufungsurteils ergab sich jedoch, daß durch dieses nur die Beigeladene und nicht die Klägerin beschwert war. Damit kam nur die Beigeladene als Revisionskläger in Betracht.

2. In der Sache hat der Senat dem LSG jedoch nicht folgen können. Vielmehr war auf die Revision der Beigeladenen das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Nach § 42 Satz 1 AVG erhält eine geschiedene Frau Hinterbliebenenrente, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor dem Tode Unterhalt geleistet hat. Von diesen Alternativen kommt hier nur die 2. in Betracht. Das LSG hat sie als gegeben angesehen, aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen aber nicht als gegeben erachten dürfen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR Nr. 27 zu § 1265 RVO), der der Senat folgt, bildet ein Unterhaltsvergleich, in dem sich der Versicherte zur Unterhaltsleistung ungeachtet späterer Änderungen der Verhältnisse verpflichtet hat, keinen sonstigen Grund iS des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) = § 42 AVG, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes dem Unterhaltsanspruch den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- ) entgegenhalten konnte. Wenn sich die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs als unzulässige Rechtsausübung darstellt, besteht demnach für den Versicherten keine Pflicht zur Unterhaltsgewährung iS des § 1265 RVO = § 42 AVG. Dabei wird entsprechend der zivilgerichtlichen Rechtsprechung das Geltendmachen eines Unterhaltsanspruchs nach Treu und Glauben für unzulässig gehalten, wenn die Erfüllung des Unterhaltsvertrages die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährdet; dies gilt auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner auf seine Rechte aus § 323 ZPO verzichtet hat.

Die genannte Rechtsprechung hat freilich noch keinen Fall betroffen, in dem der Unterhaltsanspruch zugleich durch eine Bürgschaft abgesichert war. In diesem Fall ergeben sich zivilrechtlich unterschiedliche Folgen für Hauptschuldner und Bürgen. Dem Hauptschuldner bleibt bei Existenzgefährdung ungeachtet der Bürgschaft der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erhalten (RGZ 163, 91, 96); der Bürge kann sich dagegen auf die Existenzgefährdung des Schuldners nicht berufen (aaO S. 97 ff). Es kann also in diesem Falle die Abhängigkeit der Bürgschaft (Akzessorietät) von der Hauptschuld durchbrochen werden; dies ist rechtlich zulässig, wenn der Zweck des Bürgschaftsvertrages es erfordert, den Bürgen auch bei einem sich auf die Geltendmachung der Hauptschuld auswirkenden wirtschaftlichen Verfall des Schuldners einstehen zu lassen (RGRK, Vorbem. vor § 765 BGB, Anm. 5, § 767 BGB, Anm. 12 ff).

Die somit bestehende Möglichkeit, den Bürgen auf Unterhalt auch bei einem gegen die Hauptschuld zulässigen Einwand der unzulässigen Rechtsausübung in Anspruch zu nehmen, muß jedoch entgegen der Auffassung des LSG für die Anwendung des § 42 AVG ohne Bedeutung bleiben. § 42 AVG stellt allein auf die Verpflichtungen des Versicherten selbst und auf die insoweit in seiner Person zur Zeit seines Todes gegebenen Verhältnisse ab. Nach dem Wortlaut kommt es nur darauf an, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte, ob also zu dieser Zeit für ihn eine Pflicht zur Unterhaltsgewährung bestanden hat; auch die 3. Alternative hält nach ihrem Wortlaut allein Unterhaltszahlungen durch den Versicherten für maßgebend. Desweiteren ergeben Sinn und Zweck des § 42 Satz 1 AVG, nämlich die hier noch gewahrte Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente, daß Verpflichtungen eines Bürgen zur Zeit des Todes des Versicherten keine Hinterbliebenenrente auslösen können. Der Versicherungsträger stand nur in Rechtsbeziehungen zu dem Versicherten; er soll demzufolge eintreten für den Wegfall von Unterhaltspflichten, die dem Versicherten oblagen, und für den Ausfall von Unterhaltszahlungen, die der Versicherte geleistet hatte. Er hat dagegen nicht Verpflichtungen fortzuführen, die Dritte gegenüber der geschiedenen Frau eingegangen sind, selbst wenn diese Verpflichtungen unter Mitwirkung des Versicherten zur Unterhaltssicherung der Frau begründet worden sind (vgl SozR Nr 21 zu § 1265 RVO). Es besteht deshalb kein Anlaß, den Versicherungsträger für Ansprüche gegen einen Bürgen einstehen zu lassen.

Das LSG hätte somit nicht dahinstehen lassen dürfen, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes, dh im maßgebenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustand, eine Unterhaltsleistung (in dem für die Anwendung des § 42 AVG erforderlichen Umfang) nach Treu und Glauben wegen Gefährdung seines eigenen notdürftigen Unterhalts hätte verweigern können. Damit die insoweit unterbliebenen Feststellungen nachgeholt werden, war der Rechtsstreit unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 59

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