Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenberechnung bei Verzug aus ehemaliger DDR vor dem 19.5.1990. Wiederaufleben einer weggefallenen Zusatzinvalidenrente
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rentenanspruch aufgrund im Gebiet der DDR zurückgelegter Versicherungszeiten besteht für Rentenbewerber, die die DDR vor dem 19.5.1990 verlassen haben, allein nach den Vorschriften des FRG.
2. Eine Zusatzinvalidenrente, die wegen Verlassens der DDR vor dem 19.5.1990 weggefallen war, lebt nicht wieder auf; ebensowenig sind die entsprechenden Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung zu erstatten.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SozPflVRV § 74 Abs. 1; WWSUG Art. 23 § 1 Abs. 2 S. 1; FZRV § 31 Abs. 1 S. 2, § 32 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. Mai 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die dem Kläger bis 31. März 1990 in der ehemaligen DDR gezahlte Zusatzrente aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) für den Zeitraum vom Beginn der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bis zum Jahresende 1991 weitergewähren oder die vom Kläger in diese Versicherung eingezahlten freiwilligen Beiträge erstatten muß.
Der 1945 geborene Kläger war nach seiner Umschulung im Jahre 1966 zum Elektromechaniker bis 1984 in seinem Umschulungsberuf versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er Lagerarbeiter und zuletzt vor seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Leiter der Materialwirtschaft der Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) „elektro” in E. … /DDR. Seit Oktober 1974 war er Mitglied der FZR.
Auf seinen im März 1988 gestellten Antrag gewährte ihm die staatliche Versicherung der DDR ab 1. Januar 1989 Invaliden- und Zusatzinvalidenrente aus der FZR. Am 8. März 1990 siedelte der Kläger von E. … in den Geltungsbereich der RVO über. Daraufhin stellte der staatliche Träger der Rentenversicherung in der DDR die Zahlung der Invaliden- und Zusatzinvalidenrente zum 31. März 1990 ein. Für die Zeit vom 8. März 1990 bis zum 31. Dezember 1996 gewährte ihm die BfA Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit in Anwendung der Vorschriften des FRG (Bescheide vom 5. Dezember 1990 und 30. August 1993).
Im Februar 1991 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Weitergewährung der Zusatzinvalidenrente zunächst ab 1. April 1990; diesen Antrag hat er im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 1995 auf die Zeit ab 18. Mai 1990 bis 31. Dezember 1991 begrenzt. Im Juni 1991 beantragte er bei der Beklagten hilfsweise die Erstattung der in die FZR eingezahlten Beiträge. Beide Anträge lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 12. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 1992 mangels entsprechender Rechtsgrundlage ab; überdies habe die BfA seinen über 600,00 M hinausgehenden Verdienst, für den FZR-Beiträge gezahlt worden seien, auch der Berechnung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugrunde gelegt.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Oldenburg vom 28. Mai 1993; Urteil des LSG Niedersachsen vom 31. Mai 1995). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte habe als Rechtsnachfolgerin der bis Ende 1991 die Aufgaben der Rentenversicherung im Beitrittsgebiet erfüllenden „Überleitungsanstalt-Sozialversicherung” (Überleitungsanstalt) weder Zusatzinvalidenrente für den Zeitraum vom 18. Mai 1990 bis Ende Dezember 1991 zu gewähren noch in die FZR eingezahlte Beiträge zu erstatten. Zwar habe die Überleitungsanstalt nach dem Einigungsvertrag (EinigVtr) die gegen die staatliche Versicherung der DDR bestehenden Ansprüche abzuwickeln gehabt; wegen seines Wohnsitzwechsels in das frühere Bundesgebiet vor dem 18. Mai 1990 habe der Kläger gemäß § 31 Abs 1 FZR-VO, §§ 20 Satz 1, 35 des am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen – Rentenangleichungsgesetz – (RAnglG) eine Zusatzrente ab diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr in Anspruch nehmen können. Der Verlust seines Rentenanspruches sei gemäß § 32 Satz 1 FZR-VO iVm der entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 74 Abs 1 der VO über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 (RentV-DDR) mit Ablauf des Monats März 1990 eingetreten. Eine Beitragserstattung hätten weder die FZR-VO noch das RAnglG vorgesehen.
Dem Hinweis der Beklagten (Schriftsatz vom 29. Juli 1993), daß ihre Zuständigkeit nicht mehr bestehe, ist das LSG nicht nachgegangen.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt – entgegen seiner anderslautenden Bezeichnung – die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor: Seine Position aus der FZR unterliege dem Eigentumsschutz des Art 14 GG. Der Wegfall der Zusatzrente stelle eine unzulässige Überschreitung durch gesetzgeberische Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dar.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen vom 31. Mai 1995 und SG Oldenburg vom 28. Mai 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente aus der FZR für die Zeit vom 18. Mai 1990 bis 31. Dezember 1991 zu gewähren,
hilfsweise,
die eingezahlten Beiträge zur FZR abzüglich der aus der FZR-Versicherung gewährten Leistungen zu erstatten.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil sachlich für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Überleitungsanstalt weder einen Anspruch auf Gewährung der Zusatzinvalidenrente aus der FZR für den Zeitraum vom 18. Mai 1990 bis Ende Dezember 1991 noch auf Erstattung in die FZR eingezahlter Beiträge hat. Offenlassen konnte der Senat, ob sich nach den Zuständigkeitsregeln des SGB VI (§§ 125, 126 Abs 1) seit dem 1. Januar 1992 die generelle und ausschließliche sachliche Zuständigkeit der dem Rechtsstreit beigeladenen BfA ergibt oder ob die Beklagte, die den Widerspruchsbescheid nach dem 31. Dezember 1991 erlassen hat, für die Erfüllung des klägerischen Anspruchs zuständig ist. Denn sowohl für einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte als auch für einen Anspruch gegen die Beigeladene fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Die prozessuale Stellung des Versicherungsträgers – Beklagte oder Beigeladene – ist dabei wegen der Urteilswirkung auch gegen die Beigeladene gemäß § 75 Abs 5 SGG rechtlich unerheblich.
Voraussetzung für die Zahlung von Zusatzrenten aus der FZR war gemäß § 31 Abs 1 Satz 2 FZR-VO, daß der Anspruchsberechtigte seinen ständigen Wohnsitz in der DDR hatte. Diesen ständigen Wohnsitz in E. … auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gab der Kläger mit Übersiedelung in das damalige Bundesgebiet am 8. März 1990 endgültig auf. Entsprechend stellte die staatliche Versicherung der DDR gemäß § 32 Satz 1 FZR-VO iVm § 74 Abs 1 RentV-DDR die Leistung mit Ablauf des Monats März 1990 ein. Ob es sich bei den „Bestätigungen” über die Leistungseinstellung vom 8. bzw 12. Juni 1990 um einen Aufhebungsbescheid zum Zusatzrentenbescheid vom 12. Januar 1989 handelt, hat das LSG zu Recht offengelassen, weil das Verordnungsrecht der DDR für den Wegfall des Anspruchs auf Zusatzrente gemäß § 32 Satz 1 FZR-VO, § 74 Abs 1 RentV-DDR kein förmliches Verfahren vorschrieb.
Eine Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist auch dem nach seiner Übersiedelung in das damalige Bundesgebiet erlassenen Recht nicht zu entnehmen. Insbesondere der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl II, S 537 ff – Unionsvertrag) und die dazu ergangenen Begleitgesetze erbrachten keine dem Kläger günstigere Rechtslage. Nach Kap IV Art 20 Abs 7 des Unionsvertrags erhalten nur Personen, die nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der einen Vertragspartei in das Gebiet der anderen Vertragspartei verlegt haben, von dem bisher zuständigen Rentenversicherungsträger ihre nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften berechnete Rente für die dort zurückgelegten Zeiten. Gleiches besagt § 20 Satz 1 RAnglG. Für Rentenbewerber, die – wie der Kläger – das Gebiet der DDR vor dem 19. Mai 1990 verlassen hatten, blieb es hingegen bei der Regelung, daß im Gebiet der DDR zurückgelegte Versicherungszeiten in Anwendung des FRG vom Sozialversicherungsträger der früheren Bundesrepublik Deutschland anzurechnen waren, Art 23 § 1 Abs 2 Satz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. Juni 1990, BGBl II 1990, 518 ff (Vertragsgesetz). Eine Wiederauflebensregelung bezüglich einer vor dem 18. Mai 1990 durch Verzug in die frühere Bundesrepublik weggefallenen Zusatzinvalidenrente enthält das Vertragsrecht nicht.
Schließlich ist – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – auch mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 keine Verpflichtung der Beklagten begründet worden, eingestellte Zusatzinvalidenrenten neu festzustellen. Vielmehr galten die einschlägigen rentenrechtlichen Vorschriften der DDR bis Ende 1991 – mit hier nicht entscheidungserheblichen Modifizierungen – gemäß Art 30 Abs 5 des EinigVtr und Anl II Kap VIII Sachgebiet H Abschn III bzw Sachgebiet F Abschn III Nrn 6 und 8 zum EinigVtr fort.
Auch soweit der Kläger einen unzumutbaren Eingriff in eine durch Art 14 Abs 1 GG geschützte eigentumsgleiche Position behauptet, hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß eine Grundrechtsverletzung nicht vorliegt. Zwar tragen Rentenansprüche und Rentenanwartschaften als vermögenswerte Güter die wesentlichen Merkmale verfassungsrechtlich geschützten Eigentums in sich, weil diese Ansprüche in der Regel auf eigenen Leistungen der Versicherten beruhen (vgl Beschlüsse des BVerfG vom 9. Juni 1975 – 1 BvR 2261, 2268/73 – BVerfGE 40, 65 ff, 83; vom 28. Februar 1990 – 1 BvL 17/77 ua – BVerfGE 53, 257).
Eigentumsähnliche Rechtspositionen des Klägers sind indes durch das Entfallen der Ansprüche auf Zusatzrente aus der FZR nicht tangiert. Wie der Senat in seinen Urteilen vom 17. Juli 1996 – 5/4 RA 21/94 – und 18. September 1996 – 5/4 RA 5/94 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) ausgeführt hat, hatte schon der Gesetzgeber der demokratisierten DDR in §§ 24, 25 RAnglG grundsätzlich vorgesehen, Zusatzrenten und Sozialpflichtversicherungs- sowie FZR-Renten durch eine einzige, neu festzusetzende Rente aus der Sozialpflichtversicherung zu ersetzen; die Überführung sollte im zweiten Halbjahr 1990 geschehen. Einzelheiten der Überführung der zusätzlichen Versorgungssysteme in die Rentenversicherung blieben nach der Regelungsermächtigung der § 29 RAnglG ministerieller Regelung vorbehalten. Zu einer entsprechenden Regelung ist es jedoch nicht mehr gekommen. Stattdessen regelte der EinigVtr in seiner Anl II Kap VIII Sachgebiet H Abschn III Nr 9 Buchst b die Überführung erworbener Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen in die Rentenversicherung zum 31. Dezember 1991. Durch diese „Systementscheidung” (vgl BSG Urteil vom 27. Januar 1993 – 4 RA 40/92 – BSGE 72, 50 = SozR 3-8570 § 10 Nr 1) sind der Sache nach alle Altersversorgungsansprüche – auch der FZR – ausschließlich durch eine einzige Rente aus der Rentenversicherung ersetzt worden. Diese – inzwischen durch Inkrafttreten des SGB VI vollzogene – Systementscheidung unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl Senatsurteile vom 18. September 1996 – 5/4 RA 5/94 – und vom 17. Juli 1996 – 5/4 RA 21/94 – mwN).
Führt schon die Überführung der FZR-Rentenansprüche in die gesetzliche Rentenversicherung nach dem SGB VI zu keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, kann es – unabhängig von der Frage, inwieweit unter Geltung des DDR-Rechts begründete Rentenanwartschaften dem Grundrechtsschutz nach Art 14 GG unterliegen können – erst recht zu keinen verfassungsrechtlichen Bedenken führen, wenn Leistungen aus der FZR einem Versicherten nicht erbracht worden sind, der die DDR bereits vor dem 18. Mai 1990 verlassen hat. Durch das Verlassen der DDR hat sich der Kläger unter den Schutz des Sozialversicherungsrechts der Bundesrepublik gestellt. Dies behandelte die DDR rentenversicherungsrechtlich nicht als Inland; in der DDR zurückgelegte Beitrags- und Beschäftigungszeiten wurden vielmehr nach dem bis zum 18. Mai 1990 anwendbaren FRG fiktiv wie im Inland zurückgelegte Beitragszeiten behandelt. Die Zeiten wurden nämlich – nach Tabellenwerten entsprechend der Anlage zum FRG – in sogenannte Fremdbeitragszeiten umgewertet. Dadurch wurden ua auch die 600,00 M im Monat übersteigenden Einkommen des Klägers, die in der FZR versichert waren, für die Feststellung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit des Klägers berücksichtigt.
Für den Anspruch des Klägers auf Erstattung der zur FZR geleisteten Beiträge fehlt es ebenfalls an einer Rechtsgrundlage. Weder die bei Antragseingang Ende Juni 1991 weiter geltende FZR-VO noch das RAnglG ermächtigten den Träger der Sozialversicherung der DDR, bei Wegfall von Zusatzrenten die zur FZR geleisteten Beiträge zu erstatten. Ebensowenig sind die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Überleitungsanstalt oder die Beigeladene als der die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährende Rentenversicherungsträger nach den einschlägigen Vorschriften des SGB VI zu einer Beitragserstattung ermächtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
AuA 1998, 398 |
SozR 3-8555 § 74, Nr.1 |