Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Rücknahme. Verwaltungsakt. intertemporales Verfahrensrecht. Verfügbarkeit. Student. Widerlegung der Vermutung
Orientierungssatz
1. § 152 Abs 2 AFG idF vom 21.12.1993 ist auch in den Fällen heranzuziehen, in denen sich die Rücknahme auf Leistungszeiträume bezieht, die vor ihrem Inkrafttreten am 1.1.1994 (Art 14 Abs 1 SKWPG 1) lagen (vgl BSG vom 18.9.1997 - 11 RAr 9/97 ).
2. Die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Rücknahme einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung richtet sich grundsätzlich nach der Rechtslage eines das Verwaltungsverfahren beendenden (Widerspruchs-)Bescheides.
3. Zur Widerlegung der Vermutung des § 103a Abs 1 AFG .
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 21.11.1995) |
SG Oldenburg (Urteil vom 05.10.1994) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. November 1995 abgeändert; die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 5. Oktober 1994 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheides.
Der 1960 geborene Kläger erwarb im Juni 1982 die Fachhochschulreife und war seit dem Wintersemester 1985/86 an der Hochschule Bremen, „Fachbereich Sozialwesen”, immatrikuliert. Die Diplomvorprüfung bestand er im Studiengang Sozialpädagogik/Sozialarbeit am 27. April 1987.
Seit Juli 1980 bezog der Kläger mit Unterbrechungen Arbeitslosengeld (Alg) bzw Arbeitslosenhilfe (Alhi). Im Juni 1985 hatte er erstmals angegeben, daß er ab Herbst 1985 an der Hochschule für Sozialpädagogik studieren werde. In den Folgeanträgen verneinte er die Frage, ob er Student sei. Nach einer Tätigkeit als Musiker in der Zeit von Juli 1990 bis 30. Juni 1992 stellte er im Juni 1992 den Antrag auf Bewilligung von Alg, das ihm die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 1992 zuerkannte. Die im Anschluß an den Bezug des Alg beantragte Alhi wurde ihm mit Bescheid vom 14. Juli 1993 für die Zeit vom 30. Juni 1993 bis 30. Juni 1994 bewilligt. In beiden Antragsformularen hatte der Kläger die Frage, ob er Student an einer Hochschule sei, wiederum verneint.
Anläßlich einer persönlichen Vorsprache im August 1993 teilte der Kläger mit, er habe während seiner Arbeitslosigkeit ein Studium aufgenommen, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Bei einem weiteren Beratungsgespräch gab er an, daß er Vorlesungen nicht regelmäßig besuche, nur ab und zu, für eine Stunde, um „reinzuschnuppern”. Am 5. November 1993 erklärte er, daß er das Studium zwecks Arbeitsaufnahme jederzeit abbrechen werde. Nach dem von ihm ausgefüllten Zusatzfragebogen betrug seine wöchentliche Studienzeit ohne Vor- und Nachbereitungszeit zwei Stunden.
Mit Bescheid vom 18. April 1994 hob die Beklagte den Bescheid vom 14. Juli 1993 über die Bewilligung von Alhi gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zeit ab 1. September 1993 auf, weil der Kläger als Student der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe und er die Vermutung des § 103a Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht widerlegt habe; er habe nicht dargelegt und nachgewiesen, daß sein Studium eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung zulasse; gleichzeitig forderte die Beklagte die in der Zeit vom 1. September 1993 bis 6. November 1993 erbrachten Leistungen in Höhe von 2.546,20 DM gemäß § 50 SGB X zurück.
Mit dem Widerspruch nahm der Kläger Bezug auf eine Bescheinigung der Hochschule, wonach das Studium im Fachbereich Sozialwesen auch mit weniger als den an sich vorgesehenen 20 (Semester)- Wochenstunden möglich sei; er machte ferner ua geltend, er sei nach seinem Leistungsvermögen und einer Studienzeit von wöchentlich zwei Stunden in der Lage, länger als kurzfristig einer Beschäftigung zu marktüblichen Bedingungen nachzugehen. Mit Bescheid vom 10. Mai 1994 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte ua aus: Unerheblich sei die theoretische Möglichkeit, das Studium auch mit einer geringeren wöchentlichen Stundenzahl durchzuführen. Nicht ausreichend sei auch, daß der Kläger bereit sei, im Falle der Vermittlung einer Arbeitsstelle sein Studium aufzugeben; im Hinblick auf § 152 Abs 3 AFG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung habe sie bei der Entscheidung Ermessen nicht ausüben müssen.
Das Sozialgericht Oldenburg (SG) hat durch Urteil vom 5. Oktober 1994 die Klage abgewiesen. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hat das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) den Kläger unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 103a AFG (BSGE 72, 206 ff = SozR 3-4100 § 103a Nr 1) zur Stellungnahme aufgefordert. Der Kläger hat ua erklärt: Zum Abschluß des Studiums müsse er noch zwei Leistungsscheine erwerben, an zwei Lehrveranstaltungen teilnehmen, die Diplomarbeit schreiben und das Anerkennungsjahr durchlaufen; eine Lehrveranstaltung in der Woche dauere 1,5 Stunden, die Vor- und Nacharbeitungszeiten variierten; sie würden insgesamt nicht mehr als drei Stunden pro Woche betragen; eine zwangsweise Exmatrikulation bei Übertretung der Regelstudienzeit gebe es nicht. Er sei in der Lage, im Rahmen einer Gesamtbelastung von 60 Wochenstunden (für Studium und Berufstätigkeit) eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben. Vorlesungsverzeichnisse seien für den fraglichen Zeitraum von der Hochschule nicht mehr zu erhalten.
Das LSG hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide abgeändert und aufgehoben, „soweit sie die Leistungskorrektur in der Zeit vom 1. September bis 6. November 1993 betreffen”; im übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 21. November 1995). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid vom 14. Juli 1993 sei rechtswidrig und daher gemäß § 45 SGB X für die Zeit ab 7. November 1993 zurückzunehmen gewesen. Zu Lasten des Klägers greife die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG ein, da er seit 1986 an der Hochschule immatrikuliert sei. Widerlegt habe er die Vermutung nach Abs 2 der Vorschrift nicht. Er habe nicht dargelegt und nachgewiesen, daß er neben einem ordnungsgemäßen Studium, für das 20 Wochenstunden benötigt würden, eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausüben könne. Er habe keine Vorlesungsverzeichnisse aus dem streitigen Zeitraum vorlegen können, aus „denen sich eine zeitliche Plazierung der Veranstaltungen” hätte ergeben können. Es sei mithin nicht feststellbar, daß er einer zumutbaren Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Ausbildungsgangs habe nachgehen können. Insoweit komme es neben der Dauer der wöchentlichen Arbeitsbelastung durch das Studium auch darauf an, inwieweit der Arbeitslose zu üblichen Arbeitszeiten und damit nicht nur zu den dem Studium angepaßten Zeiten in den Abend- oder Nachtstunden oder an Wochenenden für eine Beschäftigung zur Verfügung stehe. Soweit die Beklagte allerdings die bereits erbrachten Leistungen zurückfordere, habe ihre Entscheidung wegen fehlender Ermessenserwägungen keinen Bestand. § 152 Abs 2 AFG erfasse den Erstattungssachverhalt nicht, da das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S 2353) am 1. Januar 1994 in Kraft getreten sei und sich Wirkung nur für die Zukunft beigemessen habe.
Das BSG hat die Revision zugelassen, soweit das LSG die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 1. September 1993 bis 6. November 1993 sowie die Rückforderung der in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen aufgehoben hat.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 152 Abs 2 AFG in der Fassung des 1. SKWPG und trägt vor: Rechtsgrundlage der Überprüfung sei § 45 SGB X iVm § 152 AFG. Das LSG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG nicht widerlegt habe. Unzutreffend sei jedoch, daß sie, die Beklagte, verpflichtet gewesen sei, bei ihrer Entscheidung Ermessen auszuüben. Denn § 152 AFG nF finde auch auf Verfahren Anwendung, die bereits vor Inkrafttreten des 1. SKWPG am 1. Januar 1994 begonnen hätten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. November 1995 aufzuheben, soweit der Bescheid vom 18. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1994 abgeändert worden ist, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 5. Oktober 1994 in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor: Der die Alhi bewilligende Verwaltungsakt habe nicht aufgehoben werden dürfen, weil die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe. Darüber hinaus sei das LSG zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Bewilligung von Alhi rechtswidrig gewesen sei und er die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG nicht widerlegt habe. Er habe im Rahmen seiner Möglichkeiten dargelegt und nachgewiesen, daß er dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch unter Berücksichtigung seiner Immatrikulation zur Verfügung gestanden habe. Er betreibe „kein ordnungsgemäßes Studium an der Hochschule” und dürfe daher nicht verglichen werden mit denjenigen Studenten, die gemäß den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen studierten. Das LSG habe schließlich den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt; es sei verpflichtet gewesen, ihm aufzuzeigen, wie er seiner Darlegungs- und Beweisführungslast hätte nachkommen können. Letztlich verstoße die Rechtsprechung des BSG zu § 103a AFG (BSGE 72, 206 ff = SozR 3-4100 § 103a Nr 1 und SozR 3-4100 § 103a Nr 2) gegen Art 3 Grundgesetz (GG); insoweit nehme er Bezug auf die zu § 118a AFG aF ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Das Urteil des LSG ist abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG in vollem Umfang zurückzuweisen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, soweit er die Rücknahme der Bewilligung von Alhi im Bescheid vom 14. Juli 1993 für die Zeit vom 1. September bis 6. November 1993 und die Rückforderung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen betrifft. Nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der og Bescheid, soweit die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 7. November 1993 aufgehoben worden ist; insoweit ist das Urteil des LSG nach Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers rechtskräftig geworden.
Der Bescheid vom 18. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist – soweit er Gegenstand des Verfahrens ist – rechtmäßig; die Beklagte hat die Bewilligung von Alhi im Bescheid vom 14. Juli 1993 zu Recht für den streitigen Zeitraum zurückgenommen und auch zu Recht die insoweit erbrachten Leistungen zurückgefordert.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides und die Entziehung der Leistungen in dem og Umfang ist § 45 SGB X iVm § 152 Abs 2 idF des Art 1 Nr 50 des 1. SKWPG; danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, daß diese Voraussetzungen vorliegen: Der Bewilligungsbescheid der Beklagten war in dem streitigen Zeitraum rechtswidrig; denn der Kläger hatte keinen Anspruch auf den Bezug von Alhi, da er als Student iS von § 103a Abs 1 AFG der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden hat; die Vermutung, er könne daneben keine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausüben, hat er nicht widerlegt (§ 103a Abs 2 AFG). Auf Vertrauen kann sich der Kläger nicht berufen; verursacht wurde die rechtswidrige Bewilligung durch die vorsätzlich falsche Angabe des Klägers, er sei nicht Student. Durch die Rücknahme des Bescheides im og Umfang war die Beklagte auch berechtigt, die insoweit erbrachten Leistungen gemäß § 50 SGB X zurückzufordern.
1. Entgegen der Ansicht des LSG findet § 152 Abs 2 AFG nF, der bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X die Rücknahme einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung zwingend vorschreibt, in seinem Fall Anwendung. Wie das BSG bereits entschieden hat (vgl Urteil vom 18. September 1997 – 11 RAr 9/97 – mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen), ist die Vorschrift auch in den Fällen heranzuziehen, in denen sich die Rücknahme auf Leistungszeiträume bezieht, die vor ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 1994 (Art 14 Abs 1 des 1. SKWPG) lagen. Dies folgt mangels einer gesetzlichen Überleitungsregelung aus den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozeßrechts, wonach Änderungen des Verfahrensrechts – soweit nichts anderes vorgeschrieben – bei bereits anhängigen Verfahren zu beachten sind. § 152 Abs 2 AFG ist eine verfahrensrechtliche Vorschrift in diesem Sinne; sie regelt, unter welchen Voraussetzungen die Bindungswirkung von Verwaltungsakten (§ 77 SGG) und die Rechtskraft sozialgerichtlicher Urteile (§ 141 Abs 1 SGG) durchbrochen werden kann. Nicht berührt wird durch die Änderung die materielle Rechtslage, das Leistungsrecht, und damit die Fragen, ob dem Kläger Alhi während des streitigen Zeitraums zugestanden hat, und ob die weiteren Voraussetzungen für die Rücknahme bindender Leistungsbewilligungen, nämlich Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung und Verschulden des Leistungsempfängers nach § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X vorliegen. § 152 Abs 2 AFG erleichtert mithin durch den Wegfall einer Ermessensbetätigung die Herstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ausschließlich bei solchen Personen, die sich gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X nicht auf Vertrauen in die rechtswidrige Begünstigung berufen dürfen (Urteil vom 18. September 1997 – 11 RAr 9/97 – mwN). Die Rücknahme nach § 152 Abs 2 AFG nF ist somit unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X stets geboten (vgl hierzu auch BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 13 S 92f; BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 16f und Nr 8 S 23f). Da sich die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Rücknahme einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung grundsätzlich nach der Rechtslage eines das Verwaltungsverfahren beendenden (Widerspruchs-)Bescheides richtet, dieser hier am 10. Mai 1994, also nach Inkrafttreten der Vorschrift, ergangen ist, findet § 152 AFG nF mit der Folge Anwendung, daß die Beklagte bei Rücknahme des Bescheides vom 14. Juli 1993 entgegen der Auffassung des LSG Ermessen nicht auszuüben hatte.
2. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 14. Juli 1993 lagen auch im übrigen vor.
a) Zwar durfte die Beklagte die Rücknahme der Leistungsbewilligung für den streitigen Zeitraum nicht auf § 48 SGB X stützen. Denn nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei der Bewilligung vom 14. Juli 1993 handelte es sich zwar um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil durch ihn Alhi als eine laufende und regelmäßig wiederkehrende Leistung zuerkannt worden ist. Allerdings ist insoweit keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten. Denn der Bewilligungsbescheid war bereits bei seinem Erlaß rechtswidrig, da der Kläger an der Hochschule Bremen seit dem Wintersemester 1985/1986 immatrikuliert war und daher – wie noch weiter darzulegen ist – im Hinblick auf § 103a Abs 1 AFG idF des 8. AFG-Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987 (BGBl I S 2602) als Student der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand. Maßgebend für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides ist infolgedessen § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X. Daß sich die Beklagte irrigerweise auf § 48 SGB X berufen hat, ist unschädlich. Denn die SG'e haben die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Ein Rückgriff auf eine andere Rechtsgrundlage, die dieselbe Regelung rechtfertigt, ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht beeinträchtigt oder erschwert wird. Die Rechtsgrundlage für die Rücknahme konnte hier ausgewechselt werden, weil dieselbe Rechtsfolge eintritt und auch die Voraussetzungen dieser Rechtsfolge in § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X und § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 SGB X ähnlich geregelt sind und im Hinblick auf § 152 Abs 2 AFG nF gerade keine Ermessensentscheidung zu ergehen hatte (vgl zum Vorstehenden: Urteil vom 18. September 1997 – 11 RAr 9/97 – mwN).
b) Die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 1. September bis 6. November 1993 mit Bescheid vom 14. Juli 1993 war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG iVm mit den von ihm in Bezug genommenen Gerichts- und Verwaltungsakten auch rechtswidrig.
Anspruch auf Anschluß-Alhi hat nach § 134 Abs 1 Satz 1 AFG unter bestimmten weiteren Voraussetzungen, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt hat. Der Kläger war zwar arbeitslos, hatte sich auch arbeitslos gemeldet und hatte einen Antrag auf Alhi gestellt. Er stand jedoch in dem fraglichen Zeitraum der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.
Gemäß § 103 Abs 1 Nr 1 AFG idF des 8. AFG-ÄndG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine zumutbare, die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf. Nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG sind beitragspflichtig Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt sind, soweit sie nicht nach den §§ 169 bis 169c AFG beitragsfrei sind. Nach § 169b Satz 1 Nr 2 AFG sind beitragsfrei ua Arbeitnehmer, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule eine Beschäftigung ausüben. Die objektive Verfügbarkeit besteht bei Studenten mithin nur dann, wenn ihnen über eine nach § 169b AFG zu beurteilende Tätigkeit (als sog Werkstudent) hinaus eine beitragspflichtige Beschäftigung rechtlich und tatsächlich möglich ist.
aa) Hiervon kann bei dem Kläger jedoch in dem streitigen Zeitraum nicht ausgegangen werden. Zu seinen Lasten greift § 103a Abs 1 AFG ein; danach wird bei einem Studenten vermutet, daß er nur Beschäftigungen ausüben kann, die nach § 169b AFG beitragsfrei sind, es sei denn, er würde gemäß § 103a Abs 2 AFG darlegen und nachweisen, daß der Ausbildungsgang bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung zuläßt. Von dieser Pflicht ist der Kläger auch nicht etwa deshalb entbunden, weil nicht die erstmalige Bewilligung der Leistung, sondern die Rechtmäßigkeit der Rücknahme des Bewilligungsbescheides gemäß § 45 SGB X streitig ist. Zwar trägt die Beklagte grundsätzlich die Beweislast dafür, daß die Voraussetzungen der Rücknahme vorliegen, also der frühere Bescheid bei seinem Erlaß rechtswidrig war, so daß insoweit eine Darlegungs- und Beweisführungslast des Klägers entfallen könnte. Dies gilt jedoch im Falle einer Rechtswidrigkeit des Bescheides im Hinblick auf § 103a AFG jedenfalls dann nicht, wenn der Student – wie hier der Kläger – in dem Verfahren auf Bewilligung der Leistung sein Studium überhaupt verschwiegen hat und deshalb die Beklagte von vornherein keine Möglichkeit hatte, § 103a Abs 2 AFG bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.
bb) Der Kläger hat, nach wechselndem Vorbringen im Verwaltungsverfahren, vorgetragen, er studiere in der Woche zwei Stunden, die Vor- und Nacharbeit betrage nicht mehr als drei Stunden wöchentlich; für sein Diplom benötige er noch zwei Scheine und die Diplomarbeit; er sei in der Lage, bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von insgesamt 60 Stunden einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachzugehen. Mit diesem Vorbringen hat der Kläger seiner Darlegungslast (vgl BSGE 72, 206, 209 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1 und BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 2 S 14) nach § 103a Abs 2 AFG nicht genügt. Auszugehen ist zunächst im Rahmen einer bei der Regelung von Massenerscheinungen im Interesse einer effizienten Verwaltung zulässigen Typisierung und Pauschalierung (vgl BVerfGE 63, 255, 261 ff = SozR 4100 § 111 Nr 6), daß durch die Immatrikulation zwischen dem Studenten und der Hochschule ein Rechtsverhältnis entsteht, das die Vermutung begründet, der Student könne während seines Studiums keiner beitragspflichtigen Beschäftigung mehr nachgehen (vgl Urteil vom 24. Juli 1997 – 11 RAr 99/96 – mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies hat zur Folge, daß er so lange als der Arbeitsvermittlung nicht aktuell zur Verfügung stehend anzusehen ist, bis er die Vermutung gemäß § 103a Abs 2 AFG widerlegt hat. Nicht ausreichend ist – wovon der Kläger im Verwaltungsverfahren allerdings ua ausgegangen ist – zur Widerlegung, wenn der Student bereit sein sollte, bei einem entsprechenden Angebot eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen; denn der Arbeitsvermittlung steht derjenige nicht aktuell zur Verfügung, der erst eine Tätigkeit aufgeben und eine bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorhandene objektive Vermittelbarkeit herbeiführen muß (vgl BSGE 62, 166, 169 = SozR 4100 § 103 Nr 39 und Nr 46 S 127).
Die Widerlegung der Vermutung des Abs 1 aaO erfordert zunächst in einem ersten Schritt die Darlegung, daß nicht bereits die „vorgeschriebenen Anforderungen” in den einschlägigen Studien- und Prüfungsbestimmungen der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen. Um solche Anforderungen handelt es sich nur dann, wenn die Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen die Einhaltung einer bestimmten Studiendauer und/oder, für die jeweiligen Semester, die Belegung und den Besuch bestimmter Vorlesungen und Seminare oder einer bestimmten Wochenstundenzahl verbindlich vorschreiben (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 2 S 14f). Die in den Studien- und Prüfungsbestimmungen der Hochschule Bremen aufgeführten Ausbildungsbedingungen legen jedoch nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG weder die Semesterzahl noch den Besuch von Studienveranstaltungen im jeweiligen Semester verbindlich fest. Sie schließen also die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung nicht generell aus, da sie eben gerade keinen für die Studien verbindlichen Zeitaufwand iS des § 103a Abs 2 AFG vorschreiben. Es handelt sich vielmehr, sowohl was die vorgesehene Dauer des Studiums (sechs Semester) als auch die wöchentliche Stundenzahl (20) anbelangt, lediglich um Regelanforderungen, die nicht ausschließen, daß der Student sein Studium anders gestaltet. Infolgedessen hat der Kläger dargelegt (und nachgewiesen), daß nicht bereits die abstrakten Regelungen in den einschlägigen Studien- und Prüfungsbestimmungen der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen.
Dem zweiten Teil seiner Darlegungslast ist der Kläger jedoch nicht nachgekommen. Er hat nicht dargelegt, wie er sein Studium bei ordnungsgemäßer Erfüllung der og Anforderungen, also im Rahmen der zulässigen Erstreckung seines Studiums über die Regelanforderungen hinaus, gestaltet hätte, um daneben einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachgehen zu können (vgl BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 2 S 17; Urteil vom 17. Dezember 1997 – 11 RAr 25/97).
§ 103a Abs 2 AFG enthält – auch – eine Beweiserleichterung zugunsten der Verwaltung, die der praktischen Rechtsanwendung dient (vgl Urteil vom 24. Juli 1997 – 11 RAr 99/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Vermutung kann von dem Studenten daher nur durch konkrete, einfach überprüfbare und damit objektivierbare Tatsachen widerlegt werden. Nicht ausreichend ist etwa, weil durch die Verwaltung nicht nachprüfbar, wenn der Student pauschal angibt, durch das Studium nicht voll in Anspruch genommen worden zu sein, etwa weil er infolge hoher Begabung nicht ausgelastet sei (vgl BT-Drucks 11/800 S 20; BSGE 72, 206, 210 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1).
Der Kläger hätte mithin die von ihm beabsichtigte Studiengestaltung im einzelnen aufzeigen müssen, und zwar unter Angabe des jeweiligen Semesters sowie der Anzahl und insbesondere der zeitlichen Lage der vorgesehenen Unterrichtsstunden zuzüglich der zu berücksichtigenden Zeiten für Vor- und Nachbearbeitung, Wegezeiten und ggf Praktika. Daran fehlt es. Der Kläger hat vielmehr allein die theoretische Möglichkeit aufgezeigt, daß er bei der von ihm angegebenen Semesterstundenzahl eine beitragspflichtige Beschäftigung im Rahmen einer Gesamtbelastung von 60 Wochenstunden ausüben könne. Das reicht jedoch nicht aus, um feststellen zu können, ob und inwieweit der Kläger zu den üblichen Arbeitszeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes und damit nicht nur zu Zeiten zur Verfügung steht, die seinem Studium (einschließlich der erforderlichen Examensvorbereitungen) angepaßt sind (BSGE 72, 206 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1).
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang rügt, das LSG habe seine Hinweispflicht und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es nicht aufgezeigt habe, wie er seiner Darlegungs- und Beweisführungslast habe nachkommen können, fehlt es schon an einer ordnungsgemäß erhobenen Rüge (vgl zur sog Gegenrüge: Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 170 RdNrn 4, 4a mwN). Denn selbst wenn man unterstellt, das LSG habe eine derartige Hinweispflicht gehabt, fehlen jedenfalls Ausführungen des Klägers dazu, was genau er in diesem Fall zur Widerlegung der Vermutung noch vorgetragen hätte.
Entgegen der Auffassung des Klägers widerspricht die Auslegung des § 103a AFG auch nicht dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Denn es verbleibt jedem Studenten die Möglichkeit, durch konkrete Umstände darzulegen und nachzuweisen, daß er auch bei einem ordnungsgemäßen Studium noch in der Lage ist, einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachzugehen (vgl BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 2 S 15f). Das BVerfG hatte den früheren § 118a AFG lediglich deshalb als mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar erklärt, weil die Vorschrift Studenten generell vom Bezug von Alg ausgeschlossen hatte. Es hatte in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zulässig, daß an den Nachweis der Verfügbarkeit immatrikulierter Studenten iS einer widerlegbaren Vermutung strengere Anforderungen gestellt werden könnten als an andere Arbeitslose (vgl BVerfGE 74, 9 = SozR 4100 § 118a Nr 1).
Nach alledem hatte der Kläger, da er der Arbeitsvermittlung im streitigen Zeitraum iS von § 103a Abs 1 AFG nicht zur Verfügung stand, keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, so daß der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 1993 insoweit rechtswidrig war.
c) Die Beklagte war innerhalb der von ihr eingehaltenen Jahresfrist (§ 45 Abs 4 Satz 2 SGB X) auch berechtigt, diesen Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der Kläger kann sich auf den bei Rücknahme von Verwaltungsakten für die Vergangenheit grundsätzlich eingeräumten Vertrauensschutz (§ 45 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X) nicht berufen, da er vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat, die ursächlich für die Bewilligung der Alhi waren.
Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt, als er die klar formulierte Frage, ob er Student sei, in dem Antragsformular verneint hat. Angesichts der fortbestehenden Immatrikulation an der Hochschule, dem Besuch von Vorlesungen und der Absicht, das Studium mit der Diplomprüfung abzuschließen, steht fest, daß der Kläger wissentlich und willentlich falsche Angaben über seinen Status gemacht hat. Ob der Kläger erkannt hat oder hätte erkennen können, daß die Beklagte wegen dieser falschen Angaben ihm – rechtswidrig – Alhi bewilligen werde, kann dahinstehen. Denn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit beziehen sich allein auf die Angaben über seine Eigenschaft als Student, die ihm im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 60 Abs 1 Nr 1 1. Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) obliegen, nicht jedoch auf den Kausalzusammenhang zwischen diesen Angaben und der rechtswidrigen Bewilligung von Alhi (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16 S 41; Kasseler Komm – Steinwedel § 45 SGB X RdNr 38).
3. Die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der im Zeitraum 1. September 1993 bis 6. November 1993 rechtswidrig erbrachten Leistungen in Höhe – des von der Beklagten zutreffend berechneten Betrages – von 2.546,20 DM folgt aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach sind Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Leistungsbewilligung im Bescheid vom 14. Juli 1993 ist durch den Bescheid vom 18. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides auch für die Zeit vom 1. September bis 6. November 1993 zurückgenommen worden, so daß die für diese Zeit gewährte Alhi nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X vom Kläger zu erstatten ist. Unerheblich ist, daß auch in diesem Zusammenhang die Beklagte Ermessen nicht ausgeübt hat; es bedurfte keiner Ermessensausübung, weil die Rückforderung nach § 50 Abs 1 SGB X allein an den aufgehobenen Verwaltungsakt anknüpft. Evtl Härten kann die Verwaltung gemäß § 152 Abs 5 AFG begegnen (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 13 S 94).
Die Revision der Beklagten hat nach alledem Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen