Leitsatz (amtlich)
1. Ein Bescheid über die Wiedergewährung des Altersruhegeldes (RVO § 1290 Abs 3 S 3), der während eines Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit des früheren Bescheids über das - inzwischen wegen Aufnahme einer Beschäftigung weggefallene - Altersruhegeld ergeht, wird nach SGG § 96 Gegenstand des Verfahrens, wenn er aus den gleichen Gründen wie der frühere Bescheid angefochten wird.
2. Eine arbeitsunfähige 56-jährige Polsternäherin, die nach der "Aussteuerung" mit Krankengeld noch eine andere leichte Tätigkeit ausüben könnte, sich jedoch nicht um die Erlangung einer solchen bemüht, sondern Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit begehrt, hat die versicherungspflichtige Beschäftigung nicht "unterbrochen" (RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1), sondern - einstweilen - beendet, auch wenn sie später (hier: nach 3 Jahren) wieder eine Beschäftigung aufnimmt. Ihr steht deshalb für die Zeit nach Wegfall des Krankengeldes keine Ausfallzeit wegen AU zu (Fortführung von BSG 1978-02-28 4 RJ 65/76).
Normenkette
SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07, § 1290 Abs. 3 S. 3 Fassung: 1973-03-30
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 21.04.1977; Aktenzeichen V JBf 120/75) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 22.05.1975; Aktenzeichen 17 J 1116/74) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. April 1977 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung einer Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit (§ 1259 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Die Klägerin ist am 11. März 1912 geboren und nach einer kaufmännischen Lehre in verschiedenen Berufen tätig gewesen, seit 1960 als Näherin, zuletzt in einer Polsterei. Dort schied sie im November 1967 aus, nachdem sie am 6. November 1967 arbeitsunfähig geworden war; sie bezog - neben einer Witwenrente - Krankengeld bis zur "Aussteuerung" am 12. Februar 1969 (§ 183 Abs 2 RVO). Einen im Januar 1968 gestellten Rentenantrag wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit - die Klägerin hielt sich damals zu keinen Arbeiten mehr für fähig - lehnte die Beklagte ab, weil keine schwereren krankhaften Befunde vorlägen, so daß die Klägerin noch leichte altersübliche Frauenarbeiten verrichten könne. Die im anschließenden Klageverfahren gehörten ärztlichen Sachverständigen beurteilten das Leistungsvermögen der Klägerin ähnlich. Nach Anhörung eines weiteren Sachverständigen im Juli 1970 erkannte die Beklagte Berufsunfähigkeit seit dieser Zeit an und gewährte eine entsprechende Rente ab August 1970. Seit dem 21. Juli 1970 - mit dem Beginn einer neuen Rahmenfrist - erhielt die Klägerin wieder Krankengeld, das ihr bis zur erneuten "Aussteuerung" am 17. Januar 1972 gezahlt wurde. Einen im März 1971 gestellten Antrag auf Umwandlung der Berufs- in eine Erwerbsunfähigkeitsrente lehnte die Beklagte ab, weil die Sachverständigen noch eine leichte Tätigkeit halb bis unter vollschichtig für zumutbar hielten. Im Februar 1972 nahm die Klägerin eine Beschäftigung als Verkaufshilfe auf. Nach Aufgabe dieser Beschäftigung Ende März 1973 wandelte die Beklagte die Berufsunfähigkeitsrente ab April 1973 in ein vorzeitiges Altersruhegeld nach § 1248 Abs 3 RVO um (Bescheid vom 31. Juli 1973); dieses fiel Ende Juli 1975 - mit der Aufnahme einer neuen Beschäftigung als Verkaufshilfe - wieder weg, wurde jedoch ab April 1976 - nach Aufgabe der neuen Beschäftigung - wiedergewährt (Bescheid vom 27. August 1976).
Nachdem die Klägerin schon die Berechnung der Berufsunfähigkeitsrente beanstandet hatte, erhob sie auch gegen den Umwandlungsbescheid vom 31. Juli 1973 Klage, weil die Zeit vom 13. Februar 1969 bis zum 31. Januar 1972 nicht als Ausfallzeit berücksichtigt worden sei, obwohl während dieser Zeit ununterbrochen Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 22. Mai 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat die - am 8. Oktober 1975 eingelegte - Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen, da schon zum Zeitpunkt ihrer Einlegung das ab April 1973 bewilligte Altersruhegeld wieder weggefallen gewesen sei. Das LSG hat den während des Berufungsverfahrens ergangenen neuen Altersruhegeldbescheid vom 27. August 1976, in dem die streitige Zeit wiederum nicht als Ausfallzeit anerkannt war, nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für mitangefochten und für rechtmäßig gehalten und ausgeführt: Die Klägerin habe während der streitigen Zeit zwar nicht ihre frühere Beschäftigung als Polsternäherin, jedoch eine andere, ihr nach Treu und Glauben zumutbare Tätigkeit, zB als Sortiererin, Packerin, Buchhaltungshilfe oder Kassiererin vier bis sechs Stunden täglich ausüben können; sie sei deshalb nicht arbeitsunfähig im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO gewesen. Das gelte mangels eines Überbrückungstatbestandes auch für die Zeit des neuen Krankengeldbezuges ab 21. Juli 1970. Die Klägerin sei schließlich während der genannten Zeit nicht aus Rechtsgründen - etwa weil ihr der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen gewesen sei - erwerbsunfähig gewesen (Urteil vom 21. April 1977).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt; sie wendet sich gegen einen besonderen Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Rentenversicherung. Die Krankenkasse habe sie in einem Schreiben vom 27. Oktober 1972 auch für die streitige Zeit als arbeitsunfähig bezeichnet, damit habe sie ihre Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten "nachgewiesen".
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG Hamburg vom 21. April 1977 und den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1976 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Zeit vom 13. Februar 1969 bis zum 31. Januar 1972 als Ausfallzeit anzurechnen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, kann die streitige Zeit der Klägerin nicht als Ausfallzeit auf das vorzeitige Altersruhegeld angerechnet werden.
Das LSG hat die Berufung der Klägerin, die sich gegen den Umwandlungsbescheid vom 31. Juli 1973 und das ihn bestätigende Urteil des SG richtete, mit Recht als unzulässig verworfen; denn bei Einlegung der Berufung - am 8. Oktober 1975 - war das Altersruhegeld der Klägerin (§ 1248 Abs 3 RVO) infolge Aufnahme einer Beschäftigung am 1. August 1975 kraft Gesetzes (§ 1248 Abs 4 Satz 3 RVO) weggefallen, so daß die Berufung schon bei ihrer Einlegung "nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume" betraf (§ 146 SGG; vgl dazu zuletzt Urteil des Senats vom 28. Februar 1978 - 4 RJ 73/77). Trotz Unzulässigkeit der Berufung hat das LSG den während des Berufungsverfahrens ergangenen Folgebescheid vom 27. August 1976 über die Wiedergewährung des Altersruhegeldes ab April 1976 (§ 1290 Abs 3 Satz 3 RVO) zutreffend für mitangefochten gehalten (§ 96 Abs 1 SGG), obwohl er - wegen des zwischenzeitlichen Wegfalls des Altersruhegeldes - nicht unmittelbar an den früheren Bescheid anschließt. Da er jedoch das gleiche Versicherungsverhältnis und die gleiche Rentenart betrifft und von der Klägerin aus den gleichen Gründen wie der frühere Bescheid angefochten worden ist, erscheint seine Einbeziehung in den anhängigen Rechtsstreit im Interesse der Prozeßökonomie sinnvoll und geboten (vgl Meyer-Ladewig SGG § 96 Anm 5, 7 und 9 mwN, ferner SozR SGG § 96 Nr 19 und SozR 1500 § 96 Nr 2).
Der Bescheid vom 27. August 1976 ist rechtmäßig. Das gilt insbesondere für die - vom LSG gebilligte - Nichtberücksichtigung der streitigen Zeit als Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO. Nach dieser Vorschrift kann, wie der Senat im Urteil von 28. Februar 1978 (4 RJ 65/76) entschieden hat, eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit nur dann als Ausfallzeit angerechnet werden, wenn durch sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit "unterbrochen" worden ist. Der Begriff der Unterbrechung steht dabei in sprachlichem und sachlichem Gegensatz zu dem der Beendigung der Beschäftigung; von ihr unterscheidet sich eine Unterbrechung dadurch, daß sie ein ihrer Natur nach vorübergehender Zustand ist, der nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Leistungsvermögen des Versicherten und seiner Leistungsbereitschaft, die Erwartung begründet, daß dieser in absehbarer Zeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit fortsetzen wird, indem er entweder auf seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückkehrt oder eine andere, seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Arbeit aufnimmt. Nur wenn und solange eine solche Fortsetzungserwartung besteht, dauert auch die Unterbrechung an; sie endet daher, wenn für die Erwartung keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr vorliegen (vgl zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen Erwerbsunfähigkeit die Urteile des Bundessozialgerichts - BSG - in SozR 2200 § 1259 Nr 9, 10, 15 und 16). Dabei gilt nach der Rechtsprechung des BSG eine Beschäftigung oder Tätigkeit nur als "unterbrochen", nicht als beendet, solange dem arbeitsunfähigen Versicherten Krankengeld gezahlt wird (vgl BSGE 29, 77, 80 f; 32, 232, 234). Im übrigen, dh für die Zeit nach Wegfall des Krankengeldes trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit ("Aussteuerung"), ist dagegen jeweils zu prüfen, ob das Leistungsvermögen des arbeitsunfähigen Versicherten ausreicht, um eine Beschäftigung oder Tätigkeit in absehbarer Zeit fortzusetzen und, wenn dies der Fall ist, ob auch eine entsprechende Leistungsbereitschaft auf seiten des Versicherten bestanden hat. Dabei kann, insbesondere in zweifelhaften Fällen, mitberücksichtigt werden, wie sich das Arbeitsleben des Versicherten in der Folgezeit tatsächlich entwickelt hat (vgl auch SozR 2200 § 1259 Nr 9). Zunächst und in erster Linie ist jedoch - im Sinne einer vorausschauenden Betrachtung - von den Verhältnissen auszugehen, die bei Wegfall des Krankengeldes vorgelegen haben.
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat bei einem Versicherten, der im Alter von 64 Jahren mit dem Bezug von Krankengeld ausgesteuert, aber weiterhin arbeitsunfähig geblieben war, angenommen, er sei mit dem Wegfall des Krankengeldes endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden (was sich auch später bestätigt hatte); denn er habe sich ca. 10 Monate vor Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren offenbar nicht mehr auf Tätigkeiten außerhalb seines Berufs umstellen wollen, sondern sich mit dem Bezug von Sozialleistungen begnügt (so das genannte Urteil des Senats vom 28. Februar 1978 - 4 RJ 65/76).
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem früher entschiedenen insofern, als die Klägerin bei ihrer ersten Aussteuerung mit Krankengeld (12. Februar 1969) erst 56 Jahre alt war, mithin von der Erreichung der Altersgrenze für das vorzeitige Altersruhegeld (60 Jahre) noch verhältnismäßig weit entfernt war, außerdem dadurch, daß die Klägerin später - nach der zweiten Aussteuerung mit Krankengeld im Jahre 1972 - nochmals versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, also im Jahre 1969 nicht endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Alle Umstände des vorliegenden Falles sprechen jedoch dafür, daß sie damals - bei der ersten Aussteuerung mit Krankengeld - ihre versicherungspflichtige Beschäftigung einstweilen beendet, nicht nur "unterbrochen" hat. So hat sie schon kurz nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im November 1967 eine Antrag auf Gewährung von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente gestellt und darin erklärt, daß sie keine Arbeiten mehr verrichten könne. Diese Einschätzung ihres Leistungsvermögens ist zwar von den medizinischen Sachverständigen, die sie in den Jahren 1968 bis 1971 untersucht haben, nicht bestätigt worden; diese haben sie vielmehr - mit geringen Abweichungen im einzelnen - noch für fähig gehalten, leichte Tätigkeiten bis unter vollschichtig auszuüben. Daß diese Beurteilung richtig war, zeigt auch die spätere Wiederaufnahme einer Beschäftigung durch die Klägerin. Nach ihrem objektiven Leistungsvermögen war sie deshalb beim Wegfall des Krankengeldes im Februar 1969 nicht gehindert, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Wenn sie sich damals gleichwohl nicht darum bemüht hat, obwohl sie mit dem Wegfall des Krankengeldes einen wesentlichen Teil ihrer bisherigen wirtschaftlichen Lebensgrundlage verloren hatte, so läßt dies nur den Schluß zu, daß sie sich mit den ihr zustehenden Sozialleistungen - sie bezog schon damals eine Witwenrente und führte einen Rechtsstreit wegen Gewährung einer eigenen Versichertenrente - begnügen und eine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausüben wollte. Wenn sie diesen Entschluß später - nach der zweiten Aussteuerung mit Krankengeld im Jahre 1972 - aufgegeben und eine Beschäftigung aufgenommen hat (nachdem sie zunächst erfolglos versucht hatte, eine Umwandlung der Berufs- in eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu erreichen), so ändert dies nichts daran, daß sie im Februar 1969 - mit dem ersten Wegfall des Krankengeldes - ihre versicherungspflichtige Beschäftigung einstweilen beendet und nicht nur unterbrochen hat; denn nach ihrem damaligen Verhalten war eine Fortsetzung der versicherungspflichtigen Beschäftigung in absehbarer Zeit mangels einer entsprechenden Leistungsbereitschaft der Klägerin - trotz eines ausreichenden Leistungsvermögens - nicht zu erwarten. Damit endete die Unterbrechung der Beschäftigung, die für die Dauer des Krankengeldbezuges (bis zum 12. Februar 1969) bestanden hatte. War die Beschäftigung aber beendet, dann konnte auch die Wiedergewährung des Krankengeldes nach dem Beginn einer neuen Rahmenfrist (21. Juli 1970) die - bereits beendete - Beschäftigung nicht mehr unterbrechen. Die Beklagte und das LSG haben es deshalb im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die streitige Zeit als Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO zu berücksichtigen. Der Senat hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen und über die Kosten nach § 193 SGG entschieden.
Fundstellen