Leitsatz (amtlich)
Eine Nachversicherung, die 1942 aufgrund des BeitragsnachentrichtungsV vom 1930-10 -04 /1932-02 -05 aufgeschoben worden ist, braucht - bei gleichgebliebenen tatsächlichen Verhältnissen - nach dem Inkrafttreten des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes oder der Nachversicherungsvorschriften des AnVNG noch nicht durchgeführt zu werden.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Fassung: 1961-04-25; BeitrNachentrV § 8 Fassung: 1930-10-04; AnVNG Art. 2 § 4 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Juli 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin will für die Zeit von Januar 1937 bis Juli 1943 in der Rentenversicherung nachversichert werden. Während dieser Zeit war sie als Angestellte tätig, und zwar bis Ende 1942 versicherungsfrei, weil ihr über eine Pensionskasse Anwartschaft auf Versorgungsleistungen in einem für die Versicherungsfreiheit hinreichenden Umfang gewährleistet war (§ 17 in Verbindung mit § 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF). Im Dezember 1942 heiratete sie einen versorgungsberechtigten Beamten. Dadurch schied sie aus der Pensionskasse aus; sie wurde wieder versicherungspflichtig. Eine Nachversicherung für die Zeit der Versicherungsfreiheit fand - unter Berufung auf § 8 der "Verordnung über die Nachentrichtung von Beiträgen für versicherungsfreie Personen" vom 4. Oktober 1930 in der Fassung der Verordnung vom 5. Februar 1932 (VO 4.10.30) - nicht statt. Die Ehe der Klägerin besteht noch. 1957 beantragte die Klägerin, die Nachversicherung nunmehr durchzuführen. Sie ist der Ansicht, daß die damaligen Hinderungsgründe für die Nachversicherung nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 nicht mehr beständen. Die Beklagte lehnte den Antrag jedoch ab. Sie vertritt die Auffassung, daß sich für die Klägerin die frühere Rechtslage weder durch den Grundsatz der Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 GG) noch durch die neuen Vorschriften über die Nachversicherung (§ 9 AVG nF; Art. 2 § 4 AnVNG) geändert habe.
Das Sozialgericht (SG) verpflichtete die Beklagte, die Nachversicherung vorzunehmen. Das Landessozialgericht (LSG) hob auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des SG auf und wies die Klage ab; es ließ die Revision zu.
Die Klägerin legte Revision ein und beantragte sinngemäß, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Sie meint, § 8 VO 4.10.30 widerspreche dem Art. 3 Abs. 2 GG und müsse deshalb als unwirksam angesehen werden; der Anspruch auf Nachversicherung folge dann aus § 9 AVG nF in Verbindung mit Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen. Sie stimmt in Ergebnis dem Urteil des LSG zu, gibt jedoch für dieses Ergebnis zum Teil andere, vom Berufungsurteil abweichende Gründe an.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat zur Zeit keinen Anspruch auf Nachversicherung.
Die Frage, ob die Klägerin nachzuversichern ist oder nicht, richtet sich nach dem Nachversicherungsrecht, das beim Ausscheiden der Klägerin aus der versicherungsfreien Beschäftigung, also im Dezember 1942, gegolten hat (BSG 1, 219). Das sind die Vorschriften in § 18 AVG aF in Verbindung mit § 8 VO 4.10.30. Die Änderungen, die das Recht der Nachversicherung rückwirkend für alle noch nicht durchgeführten Nachversicherungen durch die "Erste Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung" vom 17. März 1945 erfahren hat (vgl. Art. 5, 6, 25 dieser Verordnung), können unberücksichtigt bleiben, weil sie sich auf andere Sachverhalte "beziehen und daher für die Beurteilung des vorliegenden Streitfalls ohne Bedeutung sind; es braucht deshalb auch nicht darauf eingegangen zu werden, ob und wann diese Verordnung wirksam geworden ist (vgl. BSG 3, 161; 15, 65).
§ 18 AVG aF sah zu Gunsten der Klägerin, als sie in Dezember 1942 aus der versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung ausschied, eine Nachentrichtung von Beiträgen vor für die Zeit, in der sie sonst in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig gewesen wäre. Durch § 8 Abs. 1 VO 4.10.30 wurde die Nachentrichtung von Beiträgen jedoch aufgeschoben, weil die Klägerin aus der versicherungsfreien Beschäftigung wegen der Heirat mit einem Beamten ausschied. Die Beiträge sind erst nachzuentrichten, wenn die Ehe gelöst wird, ohne daß der Klägerin Versorgungsleistungen in einem bestimmten Umfang gewährt werden (§ 8 Abs. 2 VO 4.10.30). Das LSG schließt aus dem Gebrauch des Wortes "aufgeschoben" in Verbindung mit der Möglichkeit einer späteren Beitragsnachentrichtung, daß durch § 8 VO 4.10.30 ein Schwebezustand geschaffen sei, der erst mit der Auflösung der Ehe ohne eine hinreichende Versorgung der Ehefrau beendet werde; weil dieser Beendigungsgrund noch nicht eingetreten sei, könne die Klägerin zur Zeit noch keine Nachversicherung beanspruchen. Die Beklagte möchte - in Anlehnung an die Fassung des § 141 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) vom 26. Januar 1937 - den Begriff "aufgeschoben" in dem Sinn gedeutet wissen, daß unter den Voraussetzungen der umstrittenen Vorschrift eine Nachentrichtung von Beiträgen zu "unterbleiben" hatte, die Nachentrichtungspflicht aber bei einer Auflösung der Ehe möglicherweise "wiederaufleben" könne. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kann es dahingestellt bleiben, welcher Deutung der Vorzug gebührt. In jedem Fall steht diese Vorschrift dem derzeitigen Antrag der Klägerin auf Nachversicherung entgegen. Davon geht die Klägerin auch selbst aus, ist aber der Meinung, § 8 Abs. 1 VO 4.10.30 sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 GG unwirksam. Diese Möglichkeit ist jedoch für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ohne Belang.
Es kann nämlich ungeprüft bleiben, ob § 8 VO 4.10.30, durch den weibliche und männliche Versicherte unterschiedlich behandelt werden, mit den Grundsatz der Gleichberechtigung vereinbar ist; denn wenn ein Widerspruch zum GG angenommen werden sollte, würden sich daraus nur Folgerungen für Nachversicherungsfälle ergeben, die nach dem 31. März 1953 eingetreten sind (Art. 3 Abs. 2, 117 Abs. 1 GG). Der Nachversicherungsfall, der im vorliegenden Rechtsstreit zu beurteilen ist, ist aber schon 1942 eingetreten, mithin zu einer Zeit, als das GG noch nicht galt. Vorkonstitutionelle Gesetze waren und sind aber nicht an das GG gebunden (BVerfG 2, 124, 135). Das erst 1949 geschaffene GG wirkt nicht zurück; deshalb darf die Gleichberechtigung auch nicht auf frühere Zeiten zurückbezogen werden. Das Recht des GG regelt auch keine Sachverhalte neu, die schon vor seinen Inkrafttreten rechtlich abgeschlossen waren (BSG 7, 282, 284; Urteil des 1. Senats vom 29.3.1962 - 1 RA 188/56 -). Das ist aber im vorliegenden Fall so. Durch § 8 Abs. 1 VO 4.10.30 wurde 1942 für die Klägerin ein bestimmter rechtlicher Zustand geschaffen. Dieser Zustand, gleichgültig ob er mit dem LSG als Schwebezustand angesehen wird oder nicht, besteht noch unverändert fort. Er ist durch ein etwaiges Außerkrafttreten seiner Rechtsgrundlage, nämlich des § 8 Abs. 1 VO 4.10.30, am 1. April 1953 nicht berührt worden. Im Ergebnis mit Recht hat deshalb das LSG entschieden, daß eine evtl. Grundgesetzwidrigkeit des § 8 Abs. 1 VO 4.10.30 nach dem 31. März 1953 nicht zu einer Nachentrichtungspflicht von Beiträgen zu Gunsten der Klägerin führt. In die Geltungszeit des GG fällt allein der mögliche künftige Umstand, daß die Ehe der Klägerin aufgelöst wird. Dieser Sachverhalt ist aber bisher nicht eingetreten. Sollte das geschehen, wäre zu entscheiden, ob die weiteren Einschränkungen des § 8 Abs. 2 VO 4.10.30 trotz des GG fortbestehen oder nicht.
Auch das AnVNG stützt den Antrag der Klägerin nicht. Das neue Nachversicherungsrecht gilt für solche Fälle, die nach dem 28. Februar 1957 liegen (§ 9 AVG nF; Art. 2 § 4 Abs. 1, Art. 3 § 7 AnVNG). Die Ausnahmen, die von dieser Regel in Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG zugelassen werden, sind auf die Fälle beschränkt, die in dieser Vorschrift erschöpfend aufgezählt werden. Danach dürfen unterbliebene Nachversicherungen dann nachgeholt werden, wenn sie nach früheren Recht wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung, letzteres jedoch nur in Sinne der Sozialversicherungsanordnung Nr. 14 vom 19. Juli 1947, ausgeschlossen waren. Die Klägerin ist jedoch aus keinem dieser Gründe aus der Versicherungsfreiheit ausgeschieden. Die "Verordnung über die Durchführung der Nachversicherung in Härtefällen" (NHV) vom 28. Juli 1959 kann auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht angewandt werden, weil sich die NHV, wie Art. 2 § 4 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AnVNG ergibt, auf Nachversicherungen bezieht, die durch das DBG ausgeschlossen waren die Klägerin aber dem DBG nicht unterstanden hat (vgl.Jantz/Zweng. Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, S. 281). Im übrigen würde eine Anwendung der NHV auch erfordern, daß zuvor der frühere Dienstherr der Klägerin entschieden hätte ..., es liege ein Fall besonderer Härte vor (§ 1 NHV). Wie das LSG festgestellt hat, ist eine solche Entscheidung nicht ergangen.
Die Regelung in § 8 VO 4.10.30, die eine Nachversicherung für die Klägerin verhindert, ist zwar seit dem 1. März 1957 weggefallen (Art. 3 §§ 2, 7 AnVNG), die nachteiligen Folgen des durch diese Vorschrift früher geschaffenen Rechtszustandes sind jedoch nicht beseitigt worden (vgl. auch Zimmer, Bundesarbeitsblatt 1959 S. 518); sie können auch nicht über den Weg der Rechtsprechung behoben werden. Das Urteil des LSG erweist sich deshalb im Ergebnis als richtig. Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§§ 170 Abs. 1, 193 des Sozialgerichtsgesetzes).
Fundstellen