Tenor
1) Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1959 wird aufgehoben, soweit es der Berufung des Klägers stattgegeben hat. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21. Januar 1958 wird in vollen Umfange zurückgewiesen.
2) Im übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.
3) Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine nach Art. 2 § 1 b des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes-(AnVNG) ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) unabänderlich (unwiderruflich) ist. Die Beklagte ist dieser Ansicht und hat deshalb den Beschluß vom 27. Mai 1957, durch den sie den Kläger wegen einer von ihm abgeschlossenen privaten Lebensversicherung von der Versicherungspflicht befreite, mit den Zusatz versehen:
„Sie (die Befreiung) gilt für jedes Beschäftigungsverhältnis und entfällt auch dann nicht mehr, wenn die Voraussetzungen, unter denen sie ergangen ist, sich ändern sollten”.
Die nach erfolglosem Widerspruch gegen den Zusatz erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Dortmund ab, weil der zusätzliche Ausspruch den Kläger nicht beschwere Beide Parteien legten Berufung ein. Der Kläger beantragte, den Zusatz aufzuheben und hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte bei Fortfall der Befreiungsvoraussetzungen nicht die Unabänderlichkeit der Befreiung einwenden dürfe. Die Beklagte beantragte, die Klage als unbegründet abzuweisen. Durch Urteil vom 20. Januar 1959 verwarf das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Berufung der Beklagten als unzulässig, weil sie durch das Prozeßurteil des SG nicht beschwert, infolge des Fristablaufs für eine weitere Anfechtungsklage vielmehr ebenso wie bei sachlicher Abweisung der Klage gestellt sei. Der Berufung des Klägers gab das LSG teilweise statt und hob den Befreiungsbescheid auf, soweit danach die Befreiung auch bei geänderten Voraussetzungen nicht entfallen sollte. In dieser Erklärung sah das LSG einen den Kläger beschwerenden Verwaltungsakt; durch den Ausspruch wolle nämlich die Beklagte den Kläger nicht bloß über die Rechtslage belehren oder auf ihr künftiges Verhalten vorbereiten, sondern schon jetzt bestimmen, daß die Fortdauer der Befreiung zu keiner Zeit mehr überprüft werde; sie bezeichne die Befreiung als endgültig sogar dann, wenn der Kläger später selbst den Wiedereintritt der Pflichtversicherung wünsche. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Befreiung jedoch nicht unabänderlich; denn nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes könne die Befreiung nur so lange Bestand haben, als die privaten Sicherungsmittel aufrecht erhalten würden; sei das nicht mehr der Fall, dann müsse die gesetzliche Versicherungspflicht wieder zum Zuge kommen.
Gegen das am 20. Februar 1959 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 4. März 1959 die vom LSG zugelassene Revision ein und begründete sie am 15. Mai 1959, nachdem die Frist hierfür verlängert worden war.
Sie beantragte,
Die Beklagte rügte als wesentlichen Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) die Verwerfung ihrer Berufung. In sachlicher Hinsicht hielt sie Art. 2 § 1 AnVNG für verletzt; diese Vorschrift sehe keinen Widerruf der Befreiung vor, die Befreiung sei deshalb unabänderlich.
Der Kläger beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist statthaft, sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Gleichwohl ist sie nur teilweise zulässig.
Nach dem Wortlaut ihres Revisionsantrags erstrebt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils ohne jede Einschränkung. Das LSG hat aber die Berufung des Klägers teilweise als unbegründet zurückgewiesen, es hat die Erklärung der Beklagten, die Befreiung gelte für jedes Beschäftigungsverhältnis, als rechtmäßig angesehen. Da die Beklagte hierdurch weder beschwert worden ist noch sich, wie ihr Vorbringen ergibt, beschwert fühlt, ist nicht anzunehmen, daß sie auch diesen Teil des Berufungsurteils anfechten will. Ihr Revisionsantrag ist daher zur weit gefaßt; nach ihrem richtig verstandenen Willen (§ 125 SGG) ist er dahin zu begrenzen, daß die Beklagte das Berufungsurteil angreift, soweit es der Berufung des Klägers (der Klage) stattgegeben und andererseits ihre Berufung als unzulässig verworfen hat.
Soweit sich die Beklagte danach auch gegen die Verwerfung ihrer Berufung wendet, ist ihre Revision unzulässig. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels gehört das Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches Bedürfnis hat die Revision zwar insoweit, als sie den der Klage stattgebenden Teil des Berufungsurteils angreift: damit ist aber noch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die gesamte Revision gegeben; dieses Bedürfnis ist für jedes Prozeßbegehren gesondert zu prüfen; der Beklagten muß daher auch für ihren Antrag, das Berufungsurteil in dem ihre Berufung verwerfenden Teil aufzuheben, ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite stehen; hieran fehlt es. Die Beklagte möchte über ihre Berufung sachlich entschieden haben; eine sachliche Entscheidung darüber ist aber nur möglich, wenn gleichzeitig über den Streitgegenstand der Klage entschieden wird. Über diesen Streitgegenstand hat aber das LSG, wenn auch auf die Berufung des Klägers, bereits in vollem Umfange entschieden. Soweit die Beklagte sich nur gegen die Verwerfung ihrer Berufung wendet, begehrt sie also weder eine sachliche Entscheidung über andere Fragen noch die Beseitigung eines Hindernisses, das ihren übrigen Revisionsanträgen entgegenstände. Für ein solch rein formales Prozeßziel ohne weiterreichende Bedeutung kann aber kein Rechtsschutz beansprucht werden. Dem Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten ist vielmehr genügt, wenn über ihren Antrag entschieden wird, das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es der Berufung des Klägers stattgegeben hat. Einer Entscheidung hierüber steht die Verwerfung ihrer eigenen Berufung durch Prozeßurteil nicht entgegen. Soweit, wie hier, ein Revisionskläger die Verwerfung seiner Berufung durch Prozeßurteil anficht, fehlt ihm also das Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Berufungsgericht auf die Berufung des Gegners über den ganzen Streitgegenstand der Klage sachlich entschieden hat.
Die Revision ist danach nur zulässig, soweit sie sich gegen den der Klage stattgebenden Teil des Berufungsurteils wendet. Insoweit muß das Rechtsmittel aber dazu führen, daß die Klage als unzulässig beurteilt wird. Bei einer zulässigen Revision ist von Amts wegen zunächst zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen vorliegen, die nicht verzichtbar sind (BSG 2, 225). Der Kläger hat in erster Linie eine Anfechtungs-(Aufhebungs-)klage erhoben. Diese ist nur zulässig, wenn die angefochtene Maßnahme einen Verwaltungsakt darstellt (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; BSG 10, 218). Hierzu genügt es aber nicht, daß die Maßnahme um die es sich handelt, mit einem Verwaltungsakt einhergeht, sie muß selbst die Merkmale des Verwaltungsakts erfüllen. Die Erklärung der Beklagten: „Die Befreiung entfällt auch dann nicht mehr, wenn die Voraussetzungen, unter denen sie ergangen ist, sich ändern sollten”, ist jedoch kein Verwaltungsakt; der gegenteiligen Würdigung des LSG kann der Senat nicht beipflichten; an die Auslegung dieser behördlichen Erklärung durch das Berufungsgericht und die ihr etwa zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen ist er nicht gebunden, da es sich bei dem Erfordernis des Verwaltungsaktes um eine unverzichtbare Prozeßvoraussetzung handelt (Peters-Sautter-Wolff § 163 Anm. 3).
Nach der herrschenden Auffassung ist unter einem Verwaltungsakt jede Maßnahme zu verstehen, die eine Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung trifft (BSG 12, 65, 67; 15, 13 f). Die Erklärung der Beklagten kann jedoch schon nicht als „Regelung”, d. h. als verbindliche Entscheidung öffentlich-rechtlicher Beziehungen oder Sachverhalte oder wenigstens als dazu bestimmte Maßnahme angesehen werden, dazu kommt ihr aber auch keine unmittelbare Rechtswirkung zu.
Ob aus einer behördlichen Maßnahme auf eine Regelung zu schließen ist, richtet sich nach den Auslegungsgrundsätzen, die für Willenserklärungen allgemein gelten (BSG 11, 248 f). Es kommt also darauf an, wie der Empfänger nach den Umständen des Einzelfalles die Erklärung bei verständiger Würdigung zu deuten hatte. In Betracht kommen dabei die Umstände vor und beim Ergehen der behördlichen Maßnahme und in gewissem Umfang auch solche, die ihr folgen.
Insofern ist zunächst schon darauf hinzuweisen, daß der Kläger bei der Beklagten nur die Befreiung von der Versicherungspflicht, nicht aber auch eine Stellungnahme zu den Folgen und Auswirkungen der Befreiung beantragt hatte. Für die Beklagte bestand demnach kein unmittelbarer Anlaß, zugleich mit dem Befreiungsbeschluß alle künftigen Beziehungen zwischen ihr und den Kläger zu regeln. Bedeutsam ist weiter die Fassung der in einem Formularbescheid enthaltenen Erklärung. Die Beklagte hat die Voraussetzungen, deren Wegfall die Befreiung nicht berühren soll, nur ganz abstrakt umschrieben und für die Rechtsfolge selbst die Worte gebraucht: „Die Befreiung entfällt nicht”, wobei dem ersten Anschein nach ein Wegfall kraft Gesetzes, außerdem wohl aber auch ein Wegfall kraft Widerrufs verneint werden sollte. Wie dem aber auch sei, jedenfalls läßt diese Fassung ihrer Erklärung einen Regelungswillen nicht deutlich werden, sie paßt mindestens genau so gut, wenn nicht eher und zwangloser, zur Äußerung einer Rechtsansicht. Hierfür spricht ferner der Zusammenhang, in dem die Erklärung steht. Sie gehört zum zweiten Absatz des Befreiungsbeschlusses. Im ersten Absatz wird der Kläger von der Versicherungspflicht vom 1. März 1957 an befreit, was ohne Zweifel eine klare Regelung ist. Der zweite Absatz lautet dann wie folgt:
„Nach Artikel 1 § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 3 § 7 des AnVNG wirkt die Befreiung vom 1. März 1957 an, da diese Bestimmung erst mit diesem Tage in Kraft getreten ist. Auf sie kann in Zukunft nicht mehr verzichtet werden. Sie gilt für jedes Beschäftigungsverhältnis und entfällt auch dann nicht mehr, wenn die Voraussetzungen, unter denen sie ergangen ist, sich ändern sollten”.
In diesem Absatz wird eine Regelung an keiner Stelle erkennbar; der erste Satz stellt sogar offensichtlich nur eine teilweise Begründung für die in Abs. 1 getroffene Regelung dar. Wenn anschließend in dem dritten Absatz des Befreiungsbeschlusses die Widerspruchsbelehrung folgt, beginnend mit den Worten – „Dieser Bescheid wird bindend, sofern nicht ….” – so hat dies keine Aussagekraft dafür, welche der vorangegangenen Erklärungen als Regelung zu gelten hat, d. h. zum „Verfügungssatz” des Bescheides zählt. Schließlich ist auch dem Widerspruchsbescheid vom 2. September 1957, welcher der Verwaltungsäußerung noch die Gestalt eines Verwaltungsakts hätte geben können (§ 95 SGG), die vermißte Regelung nicht zu entnehmen; denn in den Gründen dieses Bescheides hat die Widerspruchsstelle lediglich die „Auffassung” der Beklagten, „daß der Gesetzgeber weder Verzicht noch Widerruf bei der Befreiung gestatten wollte”, näher erläutert.
Bei zusammenfassender Würdigung ist daher festzustellen, daß die Beklagte mit ihrem Bescheid den Kläger auf seinen Antrag von der Versicherungspflicht befreit hat, die durch Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze eingetreten war. Darin hat sich die beantragte Regelung erschöpft; von da an bestanden zwischen den Beteiligten keine Rechtsbeziehungen mehr. Mit der Befreiung war das zwischen den Beteiligten begründete Rechtsverhältnis beendet. Ob die Beklagte ohne einen Antrag des Klägers darüber hinaus gleichwohl noch einen irgendwie zu bestimmenden künftigen Sachverhalt regeln konnte oder nicht, kann offen bleiben. Denn der Teil ihres Bescheides, um dessen rechtliche Bedeutung es hier geht, läßt nicht erkennen, daß die Beklagte einen bestimmten weiteren Sachverhalt noch regeln wollte und schon gar nicht, daß sie ihn tatsächlich mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung geregelt hätte. Die dem Befreiungsausspruch folgenden Sätze enthalten nur eine Begründung für die vorausgehende Regelung und vielleicht auch eine Erläuterung der Tragweite, die diese Regelung nach Meinung der Beklagten hat. Sie lassen aber nicht erkennen, daß und welche konkreten künftigen Sachverhalte durch sie geregelt werden sollten und geregelt worden sind. Damit stellen diese Sätze aber keinen Verwaltungsakt dar, der zu der beantragten und getroffenen Regelung – nämlich der Befreiung von der Versicherungspflicht – hinzuträte.
Es fehlt also an einem Verwaltungsakt, der Gegenstand der erhobenen Anfechtungsklage sein könnte. Die Klage ist somit unzulässig. Das LSG hätte sie deshalb nicht für zulässig halten dürfen. Damit wäre es allerdings für das Berufungsgericht notwendig geworden, über die hilfsweise erhobene Feststellungsklage zu entscheiden. Hierwegen braucht das Bundessozialgericht (BSG) den Rechtsstreit aber nicht an das LSG zurückzuverweisen, denn die Feststellungsklage ist entscheidungsreif, der Senat kann selbst über sie befinden.
Der Kläger hat festzustellen beantragt, „daß die Beklagte nicht berechtigt ist, für den Fall, daß die Voraussetzungen der Befreiung in Fortfall kommen, die Unabänderlichkeit der Befreiung einzuwenden”.
Die Feststellungsklage könnte sich allenfalls auf § 55 Abs. 1 Ziff. 1 SGG stützen; danach kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Es kann dahinstehen, ob der Kläger ein solches Interesse an der gewünschten Feststellung besitzt, da jedenfalls die übrigen Voraussetzungen der Feststellungsklage fehlen. Den Kläger geht es nicht darum, ein auf einem konkreten Sachverhalt beruhendes gegenwärtiges oder künftiges Rechtsverhältnis oder einzelne daraus abzuleitende Rechte oder rechtliche Beziehungen in ihrem Bestand oder Nichtbestand feststellen zu lassen, sondern nur darum, wie eine einzelne Rechtsfrage – die Widerruflichkeit einer Befreiung – zu beurteilen sei und wie die Beklagte infolgedessen irgendwelche nicht näher bestimmten künftigen Sachverhalte werde entscheiden müssen. Das kann aber nicht Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGG sein.
Die Klage ist daher unter jeden denkbaren Gesichtspunkt unzulässig. Das angefochtene Urteil, das die Klage als zulässig behandelt hat, mußte mithin aufgehoben werden, soweit es der Berufung des Klägers stattgegeben hat. Insoweit war das Urteil des SG zu bestätigen, das die Klage im Ergebnis zu Recht, wenn auch aus anderen Gründen, als unzulässig angesehen hat. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil war hiernach in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Senat hat gemäß § 193 Abs. 1 SGG die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Beklagten auferlegt. Die Kostenentscheidung richtet sich im sozialgerichtlichen Verfahren nach dem sachgemäßen richterlichen Ermessen, wobei der Ausgang des Verfahrens in der Regel die Kostenverteilung bestimmt. In vorliegenden Rechtsstreit hat der Senat es jedoch für angemessen erachtet, daß die Beklagte trotz Abweisung der Klage die Kosten des Klägers trägt. Der Senat hat dabei erwogen, daß einerseits der Kläger in Ergebnis die von ihm erstrebte Entscheidung erreicht hat, nämlich die Feststellung, daß der von ihm beanstandete Teil des Bescheids ohne rechtliche Wirkung sei, und daß andererseits der ganze Rechtsstreit nur dadurch möglich und notwendig geworden ist, daß die Beklagte den vom Kläger beanstandeten Teil ihres Bescheids vom Widerspruchsverfahren an als einen der Anfechtungsklage zugänglichen Verwaltungsakt dargestellt hat, obwohl er das gar nicht war.
Unterschriften
Schneider, Dr. Haug, Dr. Buss
Fundstellen