Leitsatz (amtlich)

Eine in der SBZ gewährte Altersrente ist dem Altersruhegeld iS von AVG § 10 Abs 1 S 2 nicht gleichzuachten.

 

Normenkette

AVG § 10 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1233 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1248 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Dezember 1966 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen auch für solche Zeiten zulässig ist, in denen der Versicherten in der SBZ eine Altersrente gezahlt wurde.

Die im August 1890 geborene Klägerin bezog bis zum 31. Oktober 1964 in der SBZ eine Altersrente; im November 1964 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über und beantragte noch in demselben Monat Altersruhegeld. Nachdem die Beklagte die Klägerin darauf hingewiesen hatte, daß für die Erfüllung der Wartezeit von 180 Monaten noch sieben Beiträge fehlten, entrichtete die Klägerin zunächst im April 1965 vier und im Juli 1965 noch weitere drei freiwillige Beiträge für die Monate März bis September 1964. Daraufhin gewährte ihr die Beklagte Altersruhegeld vom 1. Juni 1965 an (Bescheid vom 3. November 1965).

Nach der Ansicht der Beklagten war die Klägerin als Bezieherin einer Vollrente bis zum 31. Oktober 1964 versicherungsfrei im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG); die nachentrichteten sieben Beiträge könnten deshalb erst für die Zeit von November 1964 bis Mai 1965 angerechnet werden, so daß das Altersruhegeld mit dem 1. Juni 1965 beginne. Demgegenüber beansprucht die Klägerin die Zahlung des Altersruhegeldes bereits vom 1. November 1964 an. Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) entschieden in ihrem Sinne. Das SG hatte die Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen.

Nach der Auffassung des LSG bezieht sich die Vorschrift des § 6 AVG eindeutig nur auf das Altersruhegeld nach bundesdeutschem Recht. Der Bezug eines ausländischen Altersruhegeldes könne Versicherungsfreiheit nur bewirken, wenn dies durch zwischenstaatliche Abkommen ausdrücklich bestimmt sei. Zwar handele es sich bei der SBZ gegenüber der Bundesrepublik nicht um "Ausland"; die Voraussetzungen für die Zahlung der Altersrente in der SBZ seien jedoch von denen nach bundesdeutschem Recht so verschieden, daß § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG auf diese Altersrente nicht entsprechend angewandt werden könne. Die Klägerin habe deshalb Anspruch auf Zahlung des Altersruhegeldes schon vom 1. November 1964 an. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 16. Dezember 1966).

Mit der frist- und formgerecht eingelegten Revision beantragte die Beklagte,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG. Allein diese Vorschrift sei maßgebend. Das Berufungsgericht habe die besonders gearteten Rechtsverhältnisse auf dem Gebiet der Sozialversicherung im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der SBZ nicht genügend beachtet. Die Altersrente nach sowjetzonalem Recht müsse wegen der weitgehend gleichartigen Voraussetzungen, die in der SBZ und im Bundesgebiet zur Gewährung der Altersrente bzw. des Altersruhegeldes führen, dem Begriff des Altersruhegeldes in § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG gleichgestellt werden. Die Klägerin habe sich daher erst ab November 1964 freiwillig weiterversichern können. Daraus ergebe sich, daß die sieben nachentrichteten Beiträge nur für die Folgezeit angerechnet werden dürften und das Altersruhegeld erst ab 1. Juni 1965 zu zahlen sei.

Die Klägerin ist vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die Beklagte das Altersruhegeld schon vom 1. November 1964 an zu gewähren hat.

Die Klägerin hatte zwar im November 1964, als sie das Altersruhegeld beantragte, noch nicht die gesetzliche Wartezeit von 180 Beitragsmonaten (§ 25 Abs. 4 AVG) erfüllt; sie hat aber die fehlenden sieben Monatsbeiträge nachentrichtet, und zwar für die Monate März bis einschließlich September 1964. Diese Nachentrichtung war nach § 140 Abs. 1 AVG i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 AVG zulässig.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG ist allerdings nach Erreichen der Altersgrenze für die Gewährung des Altersruhegeldes eine Weiterversicherung nur zulässig, wenn der Versicherte ein Altersruhegeld weder aus der Rentenversicherung der Arbeiter noch aus der Rentenversicherung der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung bezieht. Der Grund für diese Regelung liegt - wie es der 4. Senat des BSG zutreffend gekennzeichnet hat (BSG 18, 212, 213) - darin, daß mit der Gewährung des Altersruhegeldes das Versicherungsverhältnis für den Versicherten in aller Regel seinen endgültigen Abschluß gefunden hat; er soll nicht die Möglichkeit haben, durch weitere Beitragsleistungen die Höhe der eigenen Rente oder die seiner Angehörigen noch zu beeinflussen. Deshalb bestimmt das Gesetz in § 10 Abs. 1 Satz 2 und in § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG eine "Sperrwirkung" für weitere Beiträge (BSG 20, 48, 50). Es kommt demnach im Falle der Klägerin entscheidend darauf an, ob die Altersrente, die sie bis zum 31. Oktober 1964 in der SBZ bezogen hat, als Altersruhegeld im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG anzusehen ist.

Der Wortlaut dieser Vorschrift spricht gegen eine solche Annahme; er läßt deutlich genug erkennen, daß - ebenso wie bei § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG - nur ein Altersruhegeld in Betracht kommt, das vom Versicherungsträger der drei im Bundesgebiet bestehenden Rentenversicherungszweige gewährt worden ist, also eines der in §§ 1248 der Reichsversicherungsordnung (RVO), 25 AVG und 48 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) - jeweils in den Absätzen 1 bis 3 - genannten Altersruhegelder (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 6. Aufl. Bd. III S. 628 g). Das schließt allerdings nicht aus, daß - sofern dies in einem zwischenstaatlichen Abkommen ausdrücklich bestimmt sein sollte - auch der Bezug eines ausländischen Altersruhegeldes die gleiche Sperrwirkung hat. Die Beklagte verkennt dies nicht; sie meint jedoch, gerade weil die SBZ gegenüber der Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland anzusehen sei, sei es mit Rücksicht auf die zahlreichen Berührungspunkte auf sozialversicherungsrechtlichem Gebiet, insbesondere auch zwischen Altersrenten der SBZ und Altersruhegeldern der Bundesrepublik Deutschland, notwendig, diese beiden Leistungen gleichzustellen, so daß auch eine in der SBZ bezogene Altersrente jene Sperrwirkung auslöse. Dieser Auffassung kann der Senat nicht beitreten.

Zwar trifft es zu, daß die Systeme der sozialen Sicherung in beiden Teilen Deutschlands Berührungspunkte aufweisen.

Es ist auch richtig, daß der bundesdeutsche Versicherungsträger bei der Berechnung des Altersruhegeldes in der SBZ entrichtete Versicherungsbeiträge nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anzurechnen hat. Ferner wird in § 19 Abs. 3 FRG auch eine in der SBZ gewährte Altersrente als eine "dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" dem Altersruhegeld eines bundesdeutschen Versicherungsträgers gleichgestellt. Es überzeugt jedoch nicht, wenn die Beklagte meint, daraus sei der Grundgedanke einer allgemeinen Gleichstellung von Altersruhegeldern und Rentenbezugszeiten abzuleiten. Das hält der Senat nicht für zulässig. Bei § 19 Abs. 3 FRG handelt es sich um eine Sondervorschrift, welche allein die Anrechnung fremder Beitragszeiten im Sinne der §§ 15, 17 FRG betrifft. Der begrenzte Anwendungsbereich des § 19 Abs. 3 FRG auf den Fall des Zusammentreffens fremder Beiträge mit fremden - den bundesdeutschen entsprechenden - Rentenleistungen beschränkt sich auf das Fremdrentenrecht. Für eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift im Sozialversicherungsrecht schlechthin ist kein Raum, zumal ein notwendiger innerer Zusammenhang dieser Vorschrift mit § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG nicht zu erkennen ist. Andererseits schließt aber § 19 Abs. 3 FRG nicht aus, daß während des Bezuges auch einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung wirksam entrichtete bundesdeutsche Beiträge anzurechnen sind, solange kein bundesdeutscher Versicherungsträger ein Altersruhegeld bewilligt hat.

Für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits ist allein die Rechtslage maßgebend, die sich aus dem tatsächlichen Sachverhalt ergibt. Solange die Klägerin in der SBZ gewohnt hat, war sie von dem dort geltenden Sozialversicherungssystem erfaßt, das sich von dem im Bundesgebiet geltenden Recht organisatorisch und materiell-rechtlich unterscheidet. Die ihr in der SBZ gewährte Altersrente ist mit dem von einem bundesdeutschen Versicherungsträger gewährten Altersruhegeld nicht identisch. Entgegen der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG können daher diese beiden Leistungen auch nicht gleichgestellt werden. Darin liegt kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), weil es sich um verschiedene Sachverhalte handelt. Hätte der Gesetzgeber eine Gleichstellung des in § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG genannten Altersruhegeldes mit der in der SBZ bezogenen Altersrente gewollt, hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Der Wirksamkeit der nachgeholten Beitragsleistung steht somit nicht entgegen, daß die Klägerin bis zum 31. Oktober 1964 in der SBZ eine Altersrente bezogen hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG führt die zulässige Nachentrichtung von Beiträgen zu einer rückwirkenden Rentengewährung, sofern - wie hier - die Voraussetzungen auch von dem früheren Zeitpunkt an vorlagen (SozR Nr. 9 zu § 1290 RVO; BSG 18, 212). Die Klägerin hätte schon während des Bezugs der Altersrente in der SBZ Beiträge an die Beklagte entrichten dürfen. Die Vorinstanzen haben somit der Klägerin zu Recht das Altersruhegeld bereits vom 1. November 1964 an zugebilligt. Demzufolge muß die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 268

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