Entscheidungsstichwort (Thema)
"Nahtlosigkeit". Anspruch auf Alhi
Orientierungssatz
Die "Nahtlosigkeitsregelung" des AFG § 103 Abs 2 ist auch bei der Alhi anwendbar. Im Rahmen des Anspruchs auf Alhi ist, obwohl die Berufsunfähigkeit nicht vom Rentenversicherungsträger festgestellt ist, zu prüfen ob ein Teilzeitarbeitsmarkt vorhanden ist (Festhaltung an BSG 1979-08-07 7 RAr 41/78).
Normenkette
AFG § 103 Abs 1 S 2 Halbs 2 Nr 1 Fassung: 1969-06-25, § 103 Abs 2 S 1 Fassung: 1969-06-25, § 103 Abs 2 S 2 Fassung: 1969-06-25, § 134 Abs 2 S 2 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 24.02.1978; Aktenzeichen L 1 Ar 1286/77) |
SG Kassel (Entscheidung vom 08.11.1977; Aktenzeichen S 5 Ar 196/76) |
Tatbestand
Der Kläger bezog Arbeitslosengeld (Alg) und im Anschluß daran ab 1. September 1975 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Mit Bescheid vom 3. Mai 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 1976 hob das Arbeitsamt die Entscheidung über die Bewilligung der Alhi auf, weil der Kläger wegen einer seelischen Behinderung der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stehe. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 8. November 1977 die Klage abgewiesen. Mit Urteil vom 24. Februar 1978 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In den Gründen ist ausgeführt, der Kläger sei vom Aufhebungszeitpunkt an (20. April 1976) wegen des Nervenleidens nicht mehr verfügbar gewesen. Die sogenannte Nahtlosigkeitsregelung sei auf die Alhi nicht entsprechend anzuwenden. Für Personen, die keinen Versicherungsschutz besäßen und von denen viele noch nie eine Beschäftigung ausgeübt hätten, müßten strengere Voraussetzungen gelten als beim Anspruch auf Alg. Die Gewährung der Alhi sei nur solange berechtigt, als die uneingeschränkte Vermittlungsfähigkeit vorliege.
Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und macht geltend, die Nahtlosigkeitsregelung gelte auch für die Alhi. Nach § 103 Abs 1 Satz 2 zweiter Halbs Nr 1 und Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm § 134 Abs 2 AFG gelte der Arbeitslose auch für den Anspruch auf Alhi nicht als berufsunfähig, solange der zuständige Rentenversicherungsträger (RV-Träger) eine entsprechende Entscheidung nicht getroffen habe. Ohne Entscheidung des RV-Trägers könnten die Voraussetzungen des § 134 Abs 2 Satz 2 AFG nicht festgestellt werden. Eine solche Entscheidung liege bisher nicht vor.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
vom 24. Februar 1978, das Urteil des Sozialgerichts
Kassel vom 8. November 1977 sowie den Bescheid
der Beklagten vom 3. Mai 1976 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1976 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend, nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (insbesondere Urteil vom 7. August 1979 - 7 RAr 41/78 -) sei beim Kläger von einer gesundheitlichen Leistungsfähigkeit auszugehen, wie sie mindestens bei demjenigen noch vorhanden ist, der nicht berufsunfähig ist. Deshalb sei beim Kläger im Rahmen des § 134 Abs 2 Satz 2 ein bis zur Grenze der Berufsunfähigkeit (BU) vermindertes Leistungsvermögen unter Annahme einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden zugrunde zu legen. Es stehe aber fest, daß ein entsprechender Teilzeitarbeitsmarkt nicht vorhanden sei.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Alhi hat, läßt sich auf Grund der bisher festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden.
Anspruch auf Alhi hat nach § 134 Abs 1 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet, Alhi beantragt und keinen Anspruch auf Alg hat. Ferner muß der Arbeitslose bedürftig sein und einen der Anwartschaftstatbestände des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG erfüllen.
Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf Alhi schon deshalb verneint, weil er zu keiner auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Tätigkeit fähig und damit nicht verfügbar sei. Da der RV-Träger jedoch hinsichtlich des Klägers noch keine BU festgestellt hat (§ 103 Abs 2 Satz 1 AFG), hat die Beklagte und hat auch das Gericht, das über den Anspruch auf Alhi zu entscheiden hat, von einer - gesundheitlichen Leistungsfähigkeit auszugehen, wie sie mindestens bei demjenigen noch vorhanden ist, der nicht berufsunfähig ist (§ 103 Abs 2 Satz 2 AFG, § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Insoweit ist die "Nahtlosigkeitsregelung" des § 103 Abs 2 AFG auch bei der Alhi anwendbar (§ 134 Abs 2 AFG). Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 7. August 1979 - 7 RAr 41/78 - entschieden. Er hält an der Rechtsprechung fest.
Für die Frage, ob der Arbeitslose iS des § 134 Abs 1 Nr 1 iVm § 103 Abs 1 Satz 1 AFG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, ist somit davon auszugehen, daß er noch in der Lage ist, halbschichtig tätig zu sein (BSG aaO). Wer nur mit Einschränkungen hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit imstande ist, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben, hat allerdings nach § 134 Abs 2 Satz 2 AFG keinen Anspruch auf Alhi. Wie der Senat entschieden hat (BSGE 44, 164, 170; Urteil vom 22. November 1977 - 7 RAr 53/75 -) hat diese Bestimmung die Bedeutung, daß für die Alhi die Verfügbarkeit nur gegeben ist, solange der Arbeitslose zwar nicht die volle, wohl aber eine arbeitsmarktübliche kürzere Arbeitszeit erbringen kann. Deshalb behält die Beklagte im Rahmen des Anspruchs auf Alhi, obwohl die BU nicht vom RV-Träger festgestellt ist, die Befugnis, darüber zu entscheiden, ob Arbeitsplätze dieser Art in nennenswertem Umfange vorhanden sind (BSG 7. August 1979 - 7 RAr 41/78 -).
Auf Grund seiner anderweitigen Rechtsauffassung hat das LSG keine Feststellungen darüber getroffen, ob ein entsprechender Teilzeitarbeitsmarkt vorhanden ist, der für den Kläger (bei Zugrundelegung einer sonst nicht eingeschränkten Fähigkeit zu mindestens halbschichtiger Arbeit) erreichbar ist. Diese Feststellungen wird das LSG nachholen müssen. In seinem abschließenden Urteil wird das LSG auch über die Kosten des Beschwerde- und Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen