Leitsatz (amtlich)
Ist der Anspruch des Klägers auf Unterhaltsgeld nach AFG § 44 Abs 2a (58 %) unstreitig und geht es bei der Berufung nur um den Anspruch auf höheres Unterhaltsgeld nach AFG § 44 Abs 2 (80 %), so betrifft die Berufung die Höhe der Leistung iS des SGG § 147.
Normenkette
SGG § 147 Fassung: 1958-06-25; AFG § 44 Abs 2 Fassung: 1975-12-18; AFG § 44 Abs 2a Fassung: 1975-12-18
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 29.03.1979; Aktenzeichen L 9 Al 256/77) |
SG München (Entscheidung vom 27.07.1977; Aktenzeichen S 5 Al 1060/76) |
Tatbestand
I
Der Kläger trat nach dem Erwerb der mittleren Reife und dem Besuch einer kaufmännischen Privatschule in den Bundesgrenzschutz ein und besuchte die Bundesgrenzschutzfachschule. Danach war er von Mitte Dezember 1968 bis Ende 1975 als Verkaufssachbearbeiter, Inkasso-Sachbearbeiter, Verkäufer im Außendienst und Versicherungsvermittler tätig und ab 1. Januar 1976 arbeitslos. Der Kläger ließ sich ab 1. April 1976 an der Bayerischen Fachschule für Datenverarbeitung zum Wirtschaftsinformatiker ausbilden. Dafür bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 1976 für die Zeit vom 1. April 1976 bis zum 15. März 1978 Unterhaltsgeld (Uhg) in Höhe von 58 vH des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts nach § 44 Abs 2a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Der Widerspruch, mit dem der Kläger Uhg in Höhe von 80 vH des Arbeitsentgelts verlangte, blieb erfolglos (Bescheid vom 21. September 1976).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 27. Juli 1977 in Abänderung des Bescheides vom 18. Mai 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 1976 verpflichtet, dem Kläger Uhg gem § 44 Abs 2 AFG zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) am 29. März 1979 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Berufungsausschließungsgrund des § 147 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- (Höhe der Leistung) liege nicht vor, weil es nicht um die rechnerische Höhe der Leistung, sondern um einen eigenständigen Anspruch gehe, der von der Erfüllung der in § 44 Abs 2 AFG genannten Voraussetzungen abhänge. Der Kläger habe keinen Anspruch auf das höhere Uhg. Zwar sei er arbeitslos gewesen; Voraussetzung für den Anspruch nach § 44 Abs 2 Nr 1 AFG sei jedoch weiter, daß dem Antragsteller in absehbarer Zeit kein Arbeitsplatz vermittelt werden könne, der mindestens einen der Facharbeiterprüfung, Gesellenprüfung oder Gehilfenprüfung entsprechenden Berufsabschluß oder eine vergleichbare Qualifikation verlange. Dies wäre aber beim Kläger möglich gewesen. Ihm hätte eine einem gelernten Kaufmannsgehilfen gleichwertige Stelle vermittelt werden können. Auch die Voraussetzungen des § 44 Abs 2 Nr 3 AFG lägen nicht vor. Der Kläger habe allerdings keinen beruflichen Abschluß gehabt, der mindestens der Facharbeiterprüfung, Gesellenprüfung oder Gehilfenprüfung entsprach. Er verfüge aber über eine einem beruflichen Abschluß gleichwertige Qualifikation, denn er sei auf Arbeitsplätzen tätig gewesen, die gewöhnlich nur von Arbeitnehmern mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung eingenommen werden.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 44 Abs 2 Nr 3 AFG.
Er beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. März 1979 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Juli 1977 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil ist nämlich unzulässig.
Die Zulässigkeit der Berufung hat das Bundessozialgericht (BSG) von Amts wegen zu prüfen. Sie ist zu verneinen, weil es sich um einen Höhenstreit iS des § 147 SGG handelt. Aufgrund des angefochtenen Bescheides bezieht der Kläger für die Zeit vom 1. April 1976 bis zum 15. März 1978 Uhg. Das SG hat die Beklagte zur Gewährung von Uhg nach einem höheren Vomhundertsatz des Arbeitsentgelts verurteilt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie betrifft daher die Höhe der Leistung.
Entgegen der Auffassung des LSG ist das vom Kläger begehrte Uhg nach § 44 Abs 2 AFG im Verhältnis zu dem ihm gewährten Uhg nach § 44 Abs 2a AFG keine eigenständige, sondern eine höhere Leistung. Die Eigenständigkeit ergibt sich nicht etwa schon daraus, daß der Anspruch auf das Uhg nach § 44 Abs 2 AFG von der Erfüllung besonderer, zusätzlicher Voraussetzungen abhängt. Entscheidend ist allein, ob die zusätzlichen Voraussetzungen die Höhe der Leistung betreffen oder ob sie den Charakter der Leistung verändern, so daß es in dem Rechtsstreit um eine von der tatsächlich gewährten verschiedene Leistung geht. Eine derartige Veränderung können die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen nur bewirken, wenn sie der "höheren" Leistung eine gegenüber der "Grund"-Leistung andere Zweckbestimmung geben.
Nach § 44 Abs 1 AFG wird Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit ganztätigem Unterricht ein Uhg gewährt. Diese Grundvoraussetzungen des Uhg-Anspruchs gelten seit Inkrafttreten des AFG und sind in den verschiedenen Fassungen des Gesetzes nicht geändert worden.
Nach § 44 Abs 2 AFG idF vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) bestand das Uhg aus dem Hauptbetrag und den Familienzuschlägen. Das BSG hat mehrfach entschieden, es stelle einen Streit um die Höhe der Leistung dar, wenn zwischen den Beteiligten streitig sei, ob überhaupt Familienzuschläge zum Arbeitslosengeld (Alg) zu berücksichtigen seien. Dazu hat das BSG ausgeführt, eine Höhenstreitigkeit liege nicht nur bei Streit über die Anwendung des richtigen "Rechenwerks" vor, sondern auch dann, wenn die Beteiligten darüber streiten, ob und gegebenenfalls welche Faktoren bei der Festsetzung der Leistung ihrer Höhe nach zu berücksichtigen sind (BSG SozR 1500 § 147 Nr 3). Die Familienzuschläge gem § 103 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF vom 23. Dezember 1956 (BGBl I 1018) seien Bestandteil der Arbeitslosenunterstützung; sie hätten akzessorischen Charakter und setzen den Anspruch auf die Hauptunterstützung voraus (BSG SozR SGG § 147 Nr 6). Die besonderen Voraussetzungen der Familienzuschläge nach § 89 des AVAVG idF vom 3. April 1957 (BGBl I 322) berührten nicht ihren Charakter als Zuschläge zum Hauptbetrag des Alg.
In § 44 Abs 2 Satz 2 AFG war geregelt, daß sich der Hauptbetrag nach dem Arbeitsentgelt nach Maßgabe der dem Gesetz beigefügten Tabelle richte. Bei dieser Regelung konnte es nicht zweifelhaft sein, daß es sich bei dem Uhg um eine einheitliche und nur nach der Höhe unterschiedliche Leistung handelte. Die Änderungen des AFG haben insoweit keine neue Rechtslage herbeigeführt. In § 44 Abs 2 AFG idF des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656) wurde bestimmt, das Uhg betrage 90 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112. Der auf den Anspruch des Klägers anzuwendende § 44 AFG idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des AFG und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) hat erstmals für Teilnehmer an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit ganztätigem Unterricht Uhg nach unterschiedlichen Vomhundertsätzen der Bemessungsgrundlage vorgesehen. Wie schon vorher bemißt sich das Uhg nach einem Vomhundertsatz des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG. Unter den Voraussetzungen des § 44 Abs 2 AFG beläuft sich dieser Satz auf 80 vH und gem § 44 Abs 2a AFG, auf 58 vH, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht erfüllt sind.
Das Uhg nach § 44 Abs 2 und das Uhg nach § 44 Abs 2a AFG haben keine unterschiedlichen Zwecke und sind im Verhältnis zueinander keine eigenständigen Leistungen. Schon durch die dargestellte historische Entwicklung wird dies nahegelegt. Danach war das Uhg stets eine einheitliche Leistung. Das HStruktG-AFG hat den Zweck des Uhg nicht geändert. Mit dem Uhg nach § 44 Abs 2 AFG wird der gleiche Zweck verfolgt wie mit dem Uhg nach § 44 Abs 2a AFG, wenn auch durch Leistungen in verschiedener Höhe. Das Uhg hat in beiden Fällen wie bisher Unterhaltsfunktion und Lohnersatzfunktion. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Differenzierung der Leistungen den Besonderheiten der einzelnen Gruppen, die von der Förderung erfaßt werden sollen, gerecht werden (BT- Drucks 7/4127 zu Art 20 II Nr 6a = S 50). Aus dieser Begründung ergibt sich nicht, daß das Uhg nach § 44 Abs 2 AFG eine andere und nicht nur eine höhere Leistung sein sollte. Wenn es dem Gesetzgeber darum ging, durch Gewährung des höheren Uhg die begünstigten Personengruppen in besonderem Maße zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen anzuregen, so handelt es sich dabei um eine hinter dem Gesetz stehende Absicht und nicht um eine Zweckbestimmung, die den Charakter der Leistung bestimmt. Der unmittelbare Zweck des Gesetzes ist die Gewährung einer höheren Leistung, so daß ein Höhenstreit iS des § 147 SGG gegeben ist.
Diese Entscheidung steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG. Auf die erwähnte Rechtsprechung zu den Familienzuschlägen wird hingewiesen. Zur vergleichbaren Vorschrift des § 148 Nr 4 SGG hat das BSG entschieden, ein Streit um die Höhe der Ausgleichsrente liege vor, wenn es darum gehe, ob ein Schwerbeschädigter, der Ausgleichsrente bezieht, Anspruch auf erhöhte Ausgleichsrente nach § 32 Abs 3 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF vom 7. August 1953 (BGBl I 866) habe (BSGE 8, 79, 80). Die Ausgleichsrente erhöhte sich nach § 32 Abs 3 Satz 1 BVG für die Ehefrau (den Ehemann) und für jedes von dem Beschädigten (der Beschädigten) unterhaltene Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres um 20,-- DM. Zum Berufungsausschluß in diesem Falle hat das BSG ausgeführt, der Geldbetrag, um den sich die Ausgleichsrente für einen Familienangehörigen erhöhe, habe keine selbständige Bedeutung neben der Ausgleichsrente, die nach § 32 Abs 1 BVG zu gewähren sei. Die Erhöhung nach Abs 3 sei nur ein Bestandteil der Ausgleichsrente. Bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 32 Abs 1 BVG könne jeder weitere Streit um die Ausgleichsrente nur ein Streit um die Höhe sein. Die Voraussetzungen, an welche die Erhöhung nach Abs 3 geknüpft sei, seien, auch wenn sie von gewissen sachlich rechtlichen Rechtsfragen abhingen, nur für die Höhe der Ausgleichsrente maßgebende Sachverhalte. Anders liegt es nach der Rechtsprechung des BSG im Verhältnis zwischen den einzelnen Kostenarten nach § 45 AFG. Der Senat hat die in § 45 AFG geregelte Kostenerstattung nicht als einheitlichen Anspruch angesehen, der von den einzelnen Kostengründen her nur der Höhe nach bestimmt werde und hat ausgeführt, in § 45 AFG seien eine Reihe einzelner Ansprüche zusammengefaßt geregelt, die gegenüber den anderen Ansprüchen im Rahmen des § 45 AFG selbständigen Charakter hätten. Deshalb sei ein Streit darüber, ob der Teilnehmer an einer von der Beklagten geförderten Bildungsmaßnahme Erstattung von Kosten für auswärtige Unterbringung und Verpflegung nach § 45 AFG verlangen könne, kein Höhenstreit (BSG SozR 4100 § 45 Nr 4). Das Uhg nach § 44 Abs 2 AFG hat hingegen gegenüber dem Uhg nach § 44 Abs 2a AFG nach Anspruchsvoraussetzungen und Zweckbestimmung keinen selbständigen Charakter.
Aus den oben dargelegten Gründen kann mithin im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG der Streit um das Uhg nach § 44 Abs 2 AFG bei unstreitigem Anspruch auf Uhg nach § 44 Abs 2a AFG nur als Höhenstreit iS des § 147 SGG angesehen werden. Die Revision des Klägers ist deshalb begründet.
Das LSG hätte nicht in der Sache entscheiden dürfen. Daher muß sein Urteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen