Leitsatz (redaktionell)

Befreiung von der Krankenversicherung der Rentner nach §§ 173a und 534 Abs 1 RVO:

1. Für Rentner, die vom 1.1.1983 an weder Beiträge aus Versorgungsbezügen noch aus Arbeitseinkommen (§ 180 Abs 5 Nrn 2 und 3 RVO) zu entrichten hatten, bestand kein Recht auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner nach § 534 Abs 1 RVO.

2. Die seit dem 1.1.1983 durch den Wegfall der 52-Wochen-Klausel (hiernach stand Rentnern, die in den letzten fünf Jahren vor Rentenantragstellung mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren, kein Recht auf Befreiung von der KVdR zu) erleichterte Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner nach § 173a RVO gilt nur für die nach dem 31.12.1982 neu hinzukommenden versicherungspflichtigen Rentner.

 

Orientierungssatz

KVdR - Befreiung von der KVdR - Gleichheitssatz: 1.Mit der Beschränkung der (erleichterten) Befreiung nach § 173a RVO auf die ab 1.1.1983 neu hinzukommenden versicherungspflichtigen Rentner hat der Gesetzgeber keine Umstände außer acht gelassen, die zur Gleichbehandlung der "Altrentner" zwingen würden. Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG wird dadurch nicht verletzt.

 

Normenkette

RVO § 173a Abs. 1 Fassung: 1981-12-01; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 534 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.11.1984; Aktenzeichen L 16 Kr 66/84)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.02.1984; Aktenzeichen S 34 Kr 51/83)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu befreien ist.

Die Klägerin ist die Ehefrau eines Bundesbahnbeamten und als solche seit 1941 in der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten gegen Krankheit mitversichert. Seit 1974 ist sie außerdem im Sinne einer Restkostenversicherung privat krankenversichert. Wegen Bezugs einer Rente aus der Angestelltenversicherung ist sie seit dem 1. Januar 1977 versicherungspflichtig in der KVdR. Ihr Befreiungsantrag vom Januar 1977 war nach § 173a der Reichsversicherungsordnung in der bis 31. Dezember 1982 geltenden Fassung (RVO aF) bindend abgelehnt worden, weil sie während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrags mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war.

Am 16. August 1982 beantragte sie unter Hinweis auf § 534 RVO nF erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR mit Wirkung vom 1. Dezember 1982. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin habe ab 1. Januar 1983 keine Krankenversicherungsbeiträge von Versorgungsbezügen oder von Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit zu entrichten, so daß die in § 534 Abs 1 RVO geforderten Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht nicht vorlägen (Bescheid vom 9. Dezember 1982). Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 28. März 1983; Urteil des Sozialgerichts -SG- Düsseldorf vom 14. Februar 1984; Urteil des Landessozialgerichts -LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. November 1984). Das LSG hat eine Befreiungsmöglichkeit nach § 534 Abs 1 RVO verneint, weil die Klägerin nicht unter diese Vorschrift falle. Auch § 173a RVO in der ab 1. Januar 1983 geltenden Fassung sei nicht anwendbar. Aus den Motiven zum Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 ergebe sich, daß der Gesetzgeber die "Altrentner" bewußt von der Befreiungsmöglichkeit des § 173a RVO nF habe ausschließen wollen und deshalb die auf den Beginn der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse abstellende einmonatige Antragsfrist in Abs 2 der Vorschrift unverändert gelassen habe. Für die Schließung einer "planwidrigen" Gesetzeslücke sei daher kein Raum. Die Neuregelung unterliege auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und verstoße insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 des Grundgesetzes (GG). Die innere Rechtfertigung der geltenden Regelung und gleichzeitig der hinreichende rechtliche Grund für die unterschiedliche Behandlung der "Alt"- und "Neurentner" ergäben sich aus der historischen Entwicklung der KVdR.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, daß ihr entweder im Wege der Lückenfüllung die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht eingeräumt werden müsse oder daß von der Verfassungswidrigkeit der seit 1. Januar 1983 geltenden Neuregelung der Befreiungsvorschriften der §§ 173a und 534 RVO nF auszugehen sei. Daß die Befreiungsmöglichkeit nach § 173a RVO aF nicht bestanden habe, wenn der Rentenantragsteller in den letzten fünf Jahren "länger als" (richtig: mindestens) 52 Wochen pflichtversichert gewesen sei, könne nicht als eine Einschränkung der Befreiungsmöglichkeit nach sachlich vertretbaren Kriterien bezeichnet werden. Hier werde dem Zufall Tür und Tor geöffnet. Wäre sie ein Jahr später erwerbsunfähig geworden, hätte bereits ihrem ersten Befreiungsantrag stattgegeben werden müssen. Zum Zeitpunkt des zweiten Antrags habe eine uneingeschränkte Befreiungsmöglichkeit bestanden. Daß dies den Rentnern nicht eingeräumt worden sei, die wegen der seit 1977 verfassungsrechtlich bedenklich gewordenen "52-Wochen-Klausel" eine Befreiungsmöglichkeit nicht hatten wahrnehmen können, verletze den gesetzgeberischen Ermessensspielraum. Sachliche Rechtfertigungsgründe hierfür seien nicht erkennbar. Jedenfalls habe der Gesetzgeber mit der unterschiedlichen Behandlung der Alt- und Neurentner sowie der Rentner mit und ohne weitere Bezüge den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verletzt.

Die Klägerin beantragt, die Urteile des LSG und des SG abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1983 zu verurteilen, sie von der Krankenversicherungspflicht der Rentner zu befreien.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin von der Versicherungspflicht in der KVdR nicht befreit werden kann. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür liegen weder nach § 534 Abs 1 RVO noch nach der mit Wirkung vom 1. Januar 1983 geänderten Vorschrift des § 173a RVO vor.

Da die Klägerin weder Versorgungsbezüge noch Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit bezieht und demzufolge auch keine Beiträge hieraus zu entrichten hat, fällt sie nicht unter den Tatbestand des § 534 Abs 1 RVO. Eine Befreiung nach § 173a RVO kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil diese Vorschrift einen Antrag voraussetzt, der innerhalb eines Monats seit Beginn der Mitgliedschaft in der KVdR gestellt werden muß. Die Klägerin gehört aber schon seit 1977 der KVdR an. Aus der in der Neufassung des § 173a RVO beibehaltenen Antragsfrist hat das LSG zutreffend geschlossen, daß der Gesetzgeber die - gegenüber der bis 31. Dezember 1982 geltenden Fassung - durch den Wegfall der "52-Wochen-Klausel" erleichterte Befreiung bewußt auf die neu hinzukommenden Rentenbezieher beschränkt hat. Das ist auch mit hinreichender Deutlichkeit in den Gesetzesmaterialien zum RAG 1982 zum Ausdruck gekommen (BT-Drucks 9/458, S 30, 33; 9/884, S 55). Dem LSG ist deshalb beizupflichten, wenn es im Hinblick auf den erkennbaren Willen des Gesetzgebers in der Nichtausdehnung der Vorschrift auf die "Altrentner" keine Gesetzeslücke gesehen hat, die der Ergänzung durch die Rechtsprechung zugänglich sein könnte.

In Übereinstimmung mit dem LSG sieht der Senat in der von der Klägerin angegriffenen, weil erst ab 1. Dezember 1982 bzw 1. Januar 1983 bestehenden Möglichkeit zur Befreiung von der KVdR auch keinen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG wird dadurch nicht verletzt. Mit der Beschränkung der (erleichterten) Befreiung nach § 173a RVO auf die ab 1. Januar 1983 neu hinzukommenden versicherungspflichtigen Rentner hat der Gesetzgeber keine Umstände außer acht gelassen, die zur Gleichbehandlung der "Altrentner" zwingen würden. Er ist vielmehr im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit geblieben. Das ergibt sich aus der historischen Entwicklung der KVdR (vgl hierzu Hungenberg/Steffens, Krankenversicherung der Rentner, 3. Aufl, in "Fortbildung und Praxis" Bd 51, Asgard-Verlag 1983) und aus der Zusammenschau der jeweiligen Zugangs- und Befreiungsvorschriften:

Mit der Neufassung des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO durch das Gesetz über die KVdR vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) wurde der Zugang zur KVdR - abweichend von der bis dahin geltenden Regelung, die lediglich den Bezug der Rente verlangt hatte (§ 4 Abs 1 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941, RGBl I 443) - erschwert. Voraussetzung war nunmehr, daß die Rentner während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrags mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren. War dieses der Fall und trat deshalb die Pflichtmitgliedschaft in der KVdR ein, so gab es damals keine Möglichkeit, sich befreien zu lassen. Wer demnach eine Rente zu erwarten hatte, konnte und mußte sich darauf einstellen, daß er, falls er auch die genannte Vorversicherungszeit erfüllte, als Rentner in der KVdR pflichtversichert wurde. An diesen Rechtszustand knüpfte der Gesetzgeber an, als durch die Neufassung des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO durch das Finanzänderungsgesetz 1967 vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259) die Vorversicherungszeit als Voraussetzung für die KVdR wieder abgeschafft wurde. Bei dieser Gelegenheit hielt es der Gesetzgeber nunmehr jedoch für geboten, mit § 173a RVO (im folgenden § 173a RVO aF) eine Befreiungsmöglichkeit für die Personen zu eröffnen, bei denen eine Pflichtversicherung in der KVdR nach bisherigem Recht daran gescheitert wäre, daß die Vorversicherungszeit von 52 Wochen innerhalb der Rahmenfrist von fünf Jahren nicht erfüllt war; sie hatten sich in der Regel anderweitig (privat) krankenversichert und sollten diese Versicherung fortsetzen können. Demgegenüber sprachen sachliche Gründe dagegen, die Befreiung auch denen zu eröffnen, die die Vorversicherungszeit des früheren Rechts erfüllten: Sie hatten bisher schon keine Aussicht gehabt, die Versicherungspflicht zu vermeiden; es wäre sogar widersprüchlich gewesen, einerseits die Versicherungspflicht in der KVdR durch die Erleichterung des Zugangs auszudehnen, andererseits aber solchen Personen nunmehr erstmals einen Ausweg zu eröffnen, die ihn nach dem bisherigen Recht nicht hatten. Nach dieser Regelung ist früher auch der Klägerin die Befreiung verschlossen geblieben.

Mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) ist als Voraussetzung für die Pflichtmitgliedschaft in der KVdR erneut eine Vorversicherungszeit eingeführt worden; nunmehr muß seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, frühestens jedoch seit dem 1. Januar 1950, bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens die Hälfte dieser Zeit eine Mitgliedschaft bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden haben (§ 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nF). Da die Befreiungsregelung des § 173a RVO einstweilen unverändert blieb, stand eine Mitgliedschaft von 52 Wochen innerhalb der letzten fünf Jahre vor Rentenantragstellung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR auch jetzt entgegen. Ob dieses Befreiungshindernis, das noch aus der früher (vor 1968) erforderlichen Vorversicherungszeit herrührt, zu einer sachgerechten Unterscheidung zwischen denjenigen Rentnern führte, die die Halbbelegung neuen Rechts, nicht aber die 52 Wochen innerhalb der fünfjährigen Rahmenfrist erfüllt hatten und sich deshalb befreien lassen konnten, und den anderen Rentnern, die die 52 Wochen innerhalb der Rahmenfrist aufzuweisen hatten und nicht befreiungsberechtigt waren, braucht hier nicht entschieden zu werden. Immerhin waren die hiernach nicht Befreiungsberechtigten noch innerhalb der letzten fünf Jahre vor Rentenantragstellung für mindestens ein Jahr und damit in größerer zeitlicher Nähe zur KVdR der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden gewesen als die Befreiungsberechtigten. Jedenfalls waren auch nach der am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen Änderung des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO nur diejenigen Rentner zur Befreiung befugt, die erst jetzt versicherungspflichtig wurden und die Befreiung binnen eines Monats nach Beginn der Mitgliedschaft beantragt hatten. Daß hiernach die Rentner von der Befreiung ausgeschlossen blieben, die - wie die Klägerin - noch nach dem bisherigen Recht Pflichtmitglieder der KVdR geworden waren und sich nicht hatten befreien lassen können, entbehrte im Vergleich zu den befreiungsberechtigten Rentnern neuen Rechts nicht eines sachlichen Grundes: Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, daß die Rentner, die nach bisherigem Recht unausweichlich Mitglieder der KVdR geworden waren, sich hierauf dauerhaft eingerichtet hatten. Er brauchte nicht damit zu rechnen, jedenfalls aber darauf keine Rücksicht zu nehmen, daß dieser Personenkreis daneben noch eine private Versicherung abgeschlossen oder aufrechterhalten hatte.

Das gleiche gilt für die Neuregelung der KVdR vom 1. Januar 1983 an, mit der das bisherige Befreiungshindernis des § 173a Abs 1 Satz 2 RVO entfiel. Auch anläßlich dieser Änderung brauchte der Gesetzgeber nicht all den Rentnern die Befreiung zu ermöglichen, die früher an diesem Befreiungshindernis gescheitert waren.

Dem steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber die Übergangsvorschrift des § 534 RVO nicht auf die seit ihrem Inkrafttreten (1. Dezember 1982) hinzugekommenen KVdR-Pflichtversicherten beschränkt hat. Dieser neu geschaffenen Befreiungsvorschrift liegen andere Motive zugrunde. Den von ihr erfaßten Rentnern wurde vom 1. Januar 1983 an eine Beitragspflicht aufgebürdet, die über den Rentenzahlbetrag hinausging und entgegen der Systematik einer Pflichtversicherung weitere Einkünfte erfaßte, die weder die Mitgliedschaft noch die Versicherungspflicht in der KVdR begründen. Mit dieser systemüberschreitenden Änderung mußten die bereits vorhandenen Mitglieder der KVdR nicht rechnen. Das veranlaßte den Gesetzgeber, zur Wahrung des Vertrauensschutzes als Äquivalent für diesen Personenkreis eine befristete Austrittsmöglichkeit zu schaffen.

Nach alledem muß der Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR auch weiterhin versagt bleiben. Der Gesetzgeber hat zwar seine Vorstellungen über die Zugangsvoraussetzungen zur KVdR in der Vergangenheit mehrfach geändert und dabei auch mehrere Befreiungstatbestände geschaffen. Auch hat die Klägerin die Befreiung insgesamt gesehen nur knapp verfehlt. Dieses kann aber nicht dazu führen, ihren Ausschluß von der Befreiung als verfassungswidrig anzusehen. Denn die einzelnen Befreiungstatbestände waren - wenn auch nach unterschiedlichen Gesichtspunkten - jeweils sachgerecht abgegrenzt.

Die Revision der Klägerin kann sonach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662258

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