Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei Wolgadeutschen als Kolchosemitgliedern in der UdSSR
Leitsatz (amtlich)
Mitglieder einer Kolchose in der UdSSR waren 1948 nicht iS der FRG §§ 5 und 6 gegen Arbeitsunfall versichert.
Normenkette
FRG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a Fassung: 1960-02-25, Buchst. b Fassung: 1960-02-25, § 6 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. Oktober 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über einen Unfallrentenanspruch der Klägerin nach dem Fremdrentengesetz (FRG).
Die 1905 geborene Klägerin wurde als Wolgadeutsche zu Beginn des Krieges mit ihren Kindern in das Dorf T. (UdSSR) verbracht und als landwirtschaftliche Arbeiterin in der Kolchose "P." eingesetzt. Sie hatte im Keller Erzeugnisse zu lagern und zu verarbeiten. Dabei ist sie Ende Dezember 1948 auf der Treppe ausgerutscht und hinuntergestürzt. Dadurch ist die rechte Schulter nicht mehr frei beweglich. Nach dem Gutachten der Orthopädischen Klinik K. vom 17. Juli 1973 ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen der Unfallfolgen um 50vH gemindert. In der Sowjetunion hat die Klägerin keine Unfallrente bezogen.
Die Klägerin wurde im Mai 1967 in die Bundesrepublik umgesiedelt. Sie besitzt einen Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge A.
Mit Bescheid vom 3. November 1967 lehnte die Beklagte einen Unfallentschädigungsanspruch ab, weil nach sowjetischem Recht ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe, so daß die Voraussetzungen des § 5 FRG nicht gegeben seien.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) von dem Institut für Ostrecht M. eV eine Auskunft vom 3. Juni 1969 eingeholt, den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1967 aufgehoben und diese verurteilt, die Folgen des Unfalls der Klägerin von Dezember 1948 zu entschädigen (Urteil vom 4. Dezember 1969).
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ua vorgetragen, sie habe nach dem Unfall 1948 keine körperlichen landwirtschaftlichen Arbeiten mehr zu leisten brauchen, sondern sei als Wärterin eingesetzt gewesen. Ab 1958 habe sie nicht mehr zu arbeiten brauchen und habe von dem gelebt, was ihre beiden Kinder erarbeitet hätten. Sie habe nun von der Kolchose weder Naturalien noch irgendeine Unterstützung erhalten. Sie sei kein Kolchosmitglied gewesen, ob sie es hätte werden können, wisse sie nicht. Ebenso wie die übrigen dort lebenden fünf Wolgadeutschen habe sie nie einen solchen Antrag gestellt. Es sei ihr nicht bekannt, daß nach Unfällen bei der Arbeit besondere Leistungen an Kolchosangehörige geleistet worden seien.
Das Landessozialgericht (LSG) hat am 31. Oktober 1973 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ua ausgeführt, es sei zwar erwiesen, daß die Klägerin im Dezember 1948 den geschilderten Unfall in der Kolchose bei Arbeiten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses iS von § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten habe und durch die Unfallfolgen seit 1967 in ihrer Erwerbsfähigkeit um 50vH gemindert sei. Ein Unfallrentenanspruch nach dem FRG bestehe jedoch nicht, weil sie im Zeitpunkt des Unfalls weder bei einem deutschen noch bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) versichert gewesen sei. Als gesetzliche UV iS von § 6 FRG reiche es zwar aus, daß die gesetzliche UV im Herkunftsland ein dem deutschen im Grundsatz vergleichbares soziales Sicherungssystem sei. Für Kolchosangehörige habe es nach der Mustersatzung von 1935 Kolchosunterstützungsfonds gegeben, aus denen jedoch Leistungen für durch Arbeitsunfall in ihrer Arbeitsfähigkeit geminderte Verletzte nicht vorgesehen gewesen seien. Die Folgerung des Instituts für Ostrecht, es habe "eine Art gesetzlicher Unfallversicherung" bestanden, stehe den vorausgegangenen Ausführungen über die Unterstützungsfonds der Kolchosen und der Feststellung, zu der deutschen UV ließen sich kaum Parallelen ziehen, entgegen. Wenn die Hilfsfonds der Kolchosen auch möglicherweise als ein System der sozialen Sicherheit iS von § 15 Abs 2 FRG angesehen werden könnten, so könne in ihnen - jedenfalls für das hier maßgebende Jahr 1948 - keinesfalls die Trägerschaft einer UV erblickt werden. Dies gelte auch für die 1958 verabschiedete Mustersatzung. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Klägerin als Wolgadeutsche bei den Arbeiten, die sie für den Kolchos geleistet habe, im Unterschied zu den Kolchosmitgliedern gegen Unfall versichert gewesen sei. Die Klägerin sei nur in der Wahl ihres Aufenthalts und ihrer Beschäftigung unfrei gewesen, habe im übrigen aber ähnlich wie die Kolchosmitglieder gelebt und gearbeitet. Als russische Staatsangehörige sei sie in den Kolchos wie ein Mitglied auf Dauer eingegliedert gewesen. In der Sozialversicherung hätten ihr daher keine weiteren Ansprüche zugestanden als den Kolchosmitgliedern. Im Gegensatz zu in der Kolchose beschäftigten Traktoristen und Maschinenführern, die in bar entlohnt wurden und im Krankheitsfalle Geldleistungen erhielten, hätten ihr ebensowenig wie den Kolchosmitgliedern besondere soziale Leistungen zugestanden. Ihre Versorgung im Falle einer Erwerbsminderung sei ohne Rücksicht auf deren Grund ausschließlich durch Naturalien erfolgt, die der Kolchose entstammten und die sie oder ihre Kinder erarbeitet hätten.
Ein Anspruch der Klägerin lasse sich auch nicht aus § 5 Abs 1 Nr 2 Buchst b FRG herleiten. Die Klägerin sei nicht lediglich infolge von Kriegsauswirkungen nicht ordnungsgemäß gegen Unfall versichert gewesen. Eine diskriminierende Behandlung sei insoweit unter den gegebenen Umständen gar nicht möglich gewesen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Nachdem der Senat das Armenrechtsgesuch der Klägerin mit dem ihr am 2. Mai 1974 zugestellten Beschluß vom 23. April 1974 abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 10. Mai 1974 durch ihren Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt und diese formgerecht am 28. Mai 1974 begründet. Sie trägt ua vor, das LSG habe insbesondere die §§ 4 bis 7 FRG verletzt. Nach dem Gutachten des Instituts für Ostrecht habe jeder Bürger der UdSSR grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Versorgung bei Arbeitsunfähigkeit, Krankheit oder Invalidität (Verfassung der UdSSR von 1936). Weiterhin ergebe das Gutachten, daß die Klägerin auf jeden Fall einen Rechtsanspruch auf Unterstützung gehabt habe, entweder als Kolchosmitglied aus dem Unterstützungsfonds der Kolchose oder als Arbeiterin aus der staatlichen Sozialversicherung. Das LSG habe diese Schlußfolgerungen nicht anerkannt, weil sie mit den vorausgehenden Ausführungen des Gutachtens nicht übereinstimmten. Diese Unklarheiten hätten durch Rückfrage bei dem Institut aufgeklärt werden müssen, wogegen sich das LSG mit eigenen Betrachtungen, die jedoch nur Mutmaßungen und gedankliche Erwägungen seien, begnügt habe. Insoweit liege ein Verstoß gegen §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vor. Es sei widerspruchsvoll und verstoße gegen Denkgesetze, wenn das LSG einerseits davon ausgehe, daß das soziale Sicherungssystem der UdSSR den Erfordernissen, die das deutsche Fremdrentenrecht an eine Institution der gesetzlichen Rentenversicherung stelle, entspreche, andererseits aber einen Unfallversicherungsschutz verneine. Wenn das LSG Art 120 der Verfassung der UdSSR nicht für zutreffend erachte, so hätte es sich damit eingehend auseinandersetzen müssen, aus welchen Gründen diese Bestimmung auf die Klägerin nicht zutreffen solle. Es hätte auf die Bestimmungen in der Sowjetunion näher eingehen müssen und sich nicht mit dem Zitieren zweitrangigen Schrifttums begnügen dürfen. Damit habe es das Ergebnis des Gutachtens des Instituts für Ostrecht in sein Gegenteil verkehrt. Es hätte außerdem feststellen müssen, welcher Sowjetrepublik die Klägerin angehört habe und welche Bestimmungen dort gelten. Im übrigen befinde sich die Auskunft der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts (BSG) nicht bei den Akten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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1. |
ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist zu gewähren, |
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2. |
das Urteil des Hessischen LSG vom 31. Oktober 1973 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Kassel vom 4. Dezember 1969 zurückzuweisen, |
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht keine Ausführungen zur Sache.
Der Senat hat eine weitere Auskunft des Instituts für Ostrecht vom 30. April 1975 eingeholt, die den Beteiligten zur Kenntnis übersandt wurde.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zwar verspätet eingelegt und begründet worden. Die Klägerin trifft jedoch daran kein Verschulden, denn sie hat erst durch den Beschluß des Senats vom 23. April 1974 erfahren, daß ihr fristgerecht gestelltes Armenrechtsgesuch wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse abgelehnt worden ist, und sie hat innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses formgerecht Revision eingelegt und diese auch form- und frist*-gerecht begründet. Ihr war daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen des § 164 Abs 1 SGG zu gewähren (§ 67 Abs 1 und 2 SGG).
Die durch Zulassung statthafte Revision ist jedoch unbegründet. Zutreffend hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigung der Folgen des Unfalls abgelehnt, den sie als Wolgadeutsche im Dezember 1948 bei einer Beschäftigung in einer Kolchose der UdSSR erlitten hat.
Nach den nicht angegriffenen, für das Revisionsgericht bindenden (§ 163 SGG) und im übrigen auch unstreitigen Feststellungen des LSG liegen die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls im Sinne der §§ 539 Abs 1 Nr 1, 548 RVO vor, dessen Folgen die Klägerin um 50vH in ihrer Erwerbsfähigkeit mindern. Da sich der Unfall jedoch in der UdSSR, dh außerhalb des Geltungsbereichs der RVO und des FRG idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-*-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I, 93) ereignet hat, bestimmen sich die Ansprüche der Klägerin als Heimatvertriebener nach diesem Gesetz (§ 1 FRG), und weil es sich um eine Unfallentschädigung handelt, insbesondere nach den §§ 5 bis 13 FRG.
§ 5 Abs 1 FRG setzt voraus, daß der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls entweder bei einem deutschen (Nr 1) oder bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen UV (Nr 2a) versichert war oder sich der Unfall nach dem 30. Juni 1944 in einem Gebiet ereignet hat, aus dem der Berechtigte vertrieben ist und der Verletzte, weil eine ordnungsgemäß geregelte UV nicht durchgeführt worden ist, nicht versichert war (Nr 2b).
Ein Anspruch der Klägerin nach § 5 Abs 1 Nr 1 FRG scheidet schon deshalb aus, weil eine Versicherung bei einem deutschen Unfallversicherungsträger 1948 in der UdSSR nicht bestanden haben kann. Das LSG hat aber auch verfahrensfehlerfrei und ohne Rechtsirrtum entschieden, daß die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 2a und 2b bei der Klägerin nicht vorliegen. Schon das Fremdrenten- und Auslandsrenten*-gesetz vom 7. August 1953 (BGBl I 848) - FAG - knüpfte einen Fremdrentenanspruch an das Bestehen einer Versicherung im Herkunftsland und unterschied zwischen gesetzlicher UV und gesetzlicher Rentenversicherung (§§ 1 Abs 1 Nrn 1 und 2; 4, 5, 7, 8). Diese dem deutschen Sozialversicherungsrecht entsprechende scharfe Trennung zwischen den genannten Versicherungsarten ist im FRG deutlicher gemacht worden. Sie rechtfertigt sich aus dem Gedanken, daß Unfallversicherung und Rentenversicherung von zwei völlig verschiedenen Tatbeständen ausgehen (Linthe in BABl 1960, 341). Beide Versicherungen sind daher auch im FRG in getrennten Abschnitten (II und III) geregelt, und das Gesetz gibt für den Begriff der gesetzlichen Unfall- bzw Renten*-versicherung jeweils eine unterschiedliche eigene Definition. Nach § 6 FRG gelten als gesetzliche UV auf Gesetz beruhende Versicherungen gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten oder eines dieser Wagnisse, während nach § 15 Abs 2 FRG als gesetzliche Rentenversicherung jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen ist, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrerer dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern. Daraus ist klar ersichtlich, daß ebenso wie nach der RVO auch die Unfall- und Renten*-ansprüche aus dem FRG von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig sind, und zwar nicht nur hinsichtlich der Art und der Höhe der Leistungen, sondern auch hinsichtlich der Art der Versicherung im Herkunftsland. So wie es nicht ausreicht, daß ein im Herkunftsland verwirklichter Tatbestand nach deutschem Sozialversicherungsrecht einen Anspruch ausgelöst hätte, wenn er im Geltungsbereich des FRG eingetreten wäre (vgl ua BSG 21, 144ff), erfordert ein Unfallentschädigungsanspruch nach dem FRG die Zugehörigkeit des Versicherten im Zeitpunkt des Unfalls zu einem der gesetzlichen UV der RVO vergleichbaren sozialen Sicherungssystem (BSG 9, 24, 26; 16, 140, 143). Eine Sicherung gegen Krankheit und Verlust bzw Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit, unabhängig von der Ursache, erfüllt daher nicht die Voraussetzungen einer gesetzlichen UV iS des FRG, denn ein solches Sicherungssystem kann allenfalls mit der Kranken- oder Renten*-versicherung der RVO, nicht aber mit der UV verglichen werden, die grundsätzlich von einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit als haftungsbegründendem Tatbestand ausgeht und deren Leistungen, gegebenenfalls neben denen aus der Rentenversicherung, soweit diese nicht teilweise ruhen (§§ 1278 RVO, 55 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -), gewährt werden.
Danach war die Klägerin, als sie im Dezember 1948 verunglückte, nicht bei einem Träger der gesetzlichen UV versichert. Zwar hat nach Art 120 der Verfassung der UdSSR von 1936 jeder Bürger grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Versorgung bei Arbeitsunfähigkeit, Krankheit oder Invalidität (vgl Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 3. Juni 1969 Seite 6). Nach dem oben Gesagten folgt daraus aber entgegen der Auffassung der Revision nicht, daß für jeden Sowjetbürger ein der RVO vergleichbarer Unfallversicherungsschutz besteht. Die soziale Sicherung von Kolchosangehörigen war in Satzungen bzw Statuten der einzelnen Kolchosen geregelt, die anhand von Mustersatzungen bzw Statuten, zusammengestellt von der Mitgliederversammlung, angenommen und von den örtlich zuständigen Verwaltungsorganen bestätigt wurden. Solche Mustersatzungen wurden zunächst 1932, dann 1935 herausgegeben (Gutachten 1969 S 3, 5), und schließlich wurde das Gesetz über Renten und Unterstützungen von Kolchosmitgliedern vom 15. Juli 1964 und die Verordnung des Ministerrats der UdSSR über die staatliche Rentenversorgung und Sozialversicherung der Kolchosvorsitzenden, Spezialisten und Mechanisatoren der Kolchosen vom 20. Juli 1964 erlassen (vgl Bilinsky in Jahrbuch für Ostrecht 1969, 2. Halbjahresheft, S 129, 157, 158). Maßgebend für den Anspruch der Klägerin ist der Rechtszustand im Jahre 1948, also die Regelung der Sozialversicherung in Kolchosen nach der Mustersatzung des Jahres 1935. Die Rechte aus Art 120 der Verfassung der UdSSR wurden danach den Kolchosangehörigen durch die Bildung von Kassen der gegenseitigen Hilfe und später Unterstützungsfonds aus Mitteln der Kolchosen gewährleistet (Gutachten 1969 S 4). Art 11 der Mustersatzung von 1935 schreibt in diesem Zusammenhang vor: "Aus der Ernte und den Viehzuchteinnahmen wird ... c) aufgrund der Entscheidung der Mitgliederversammlung ein Unterstützungsfonds für Invaliden, Greise, vorübergehend Arbeitsunfähige, bedürftige Familienangehörige der Soldaten der Roten Armee, Kinderkrippen und verwaiste Kinder, insgesamt in der Höhe nicht über 2% des Wertes der Globalproduktion gebildet" (Gutachten 1969 S 5).
Es liegen nach dem Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 30. April 1975 - S 2 - keine Anhaltspunkte dafür vor, daß in der Satzung der Kolchose "P.", in der die Klägerin tätig war, insoweit von der Mustersatzung grundsätzlich abweichende Regelungen getroffen waren, die den dort Tätigen zusätzliche Ansprüche bei Arbeitsunfällen gaben, welche den Regelungen der UV nach der RVO vergleichbar sind. Deshalb mußte sich das LSG nicht gedrängt fühlen, festzustellen, welcher Sowjetrepublik die Klägerin angehört hatte, zumal sich auf Bl 87 der LSG-Akten eine entsprechende Bescheinigung (in Ablichtung) befindet. Derartige zusätzliche Ansprüche hätten im übrigen auch den Grundsätzen der Mustersatzung, die Gesetzeskraft hatte, widersprochen; sie wären als unerlaubte Abänderung von den Mustersatzungsvorschriften rechtswidrig gewesen (vgl Gutachten 1975 S 3).
Gleichgültig ob die Klägerin dieselben Ansprüche gegen die Hilfskasse bzw den Unterstützungsfonds ihrer Kolchose hatte wie vollwertige Mitglieder oder ob sie diesen gegenüber sogar benachteiligt war, hatte sie 1948 insoweit keinen Anspruch aus einem der UV der RVO vergleichbaren Versicherungssystem innerhalb der Kolchose. Das Institut für Ostrecht (Gutachten 1969 S 5) führt insoweit in diesem Zusammenhang zutreffend aus, daß sich zwischen dem 1948 in den Kolchosen der UdSSR bestehenden Sozialversicherungssystem und der deutschen UV "kaum Parallelen ziehen" lassen. Wenn es dagegen annimmt, es habe "eine Art gesetzlicher Unfallversicherung" bestanden, so offenbar deshalb, weil es davon ausgeht, die Klägerin habe auf jeden Fall einen Anspruch auf Unterstützung gehabt. Ein solcher Anspruch mag zwar faktisch einen gewissen Schutz gegen den Verlust der Arbeitsfähigkeit darstellen. Da er aber losgelöst von der Ursache der Arbeitsunfähigkeit - oder der verminderten Arbeitsfähigkeit - und damit unabhängig von einem Unfallereignis besteht, stellt er keinen Anspruch aus einer gesetzlichen UV iS von § 5 Nr 2a iVm § 6 FRG dar.
Das LSG hat, was von der Revision nicht angegriffen wird, festgestellt, die Klägerin sei "wie" ein Mitglied auf Dauer in die Kolchose eingegliedert gewesen, dh faktisch wie ein Mitglied behandelt worden (vgl Gutachten 1969 S 2/3). Soweit darin eine tatsächliche Feststellung liegt, ist sie für den Senat bindend (§ 163 SGG). Sie entspricht auch den tatsächlichen Gegebenheiten anhand der eigenen Darstellung der Klägerin iVm der Auskunft des Instituts für Ostrecht vom 3. Juni 1969. Einer Rückfrage bei diesem Institut bedurfte es insoweit nicht. Eine Überschreitung des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung ist ebenfalls nicht erkennbar. Abgesehen davon, daß ein logischer Denkfehler von der Revision nicht substantiiert gerügt wird (vgl BSG in SozR Nr 47 zu § 164 SGG), ist die Feststellung des LSG auch durchaus folgerichtig. Einer weiteren Aufklärung tatsächlicher Umstände bedurfte es ebenfalls nicht. Die Revision hat - außer der bereits erörterten Frage der zuständigen Sowjetrepublik und der Rückfrage beim Institut - nicht vorgetragen, zu welchen weiteren tatsächlichen Ermittlungen iS von § 103 SGG das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen (vgl BSG 2, 84, 87; SozR Nrn 7 und 40 zu § 103 SGG). In Wahrheit greift die Revision im wesentlichen die rechtliche Würdigung des LSG an. Diese ist jedoch nicht zu beanstanden. Nach dem oben Gesagten waren Kolchosmitglieder im Jahre 1948 in der UdSSR gegen Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten iS von § 6 FRG nicht versichert. Wurde die Klägerin jedoch "wie" ein Mitglied der Kolchose behandelt, so hatte sie zumindest keine weitergehenden Ansprüche auf Sozialleistungen, wei sie sich für die ordentlichen Mitglieder aus Art 11 der Mustersatzung von 1935 ergaben. Ob dagegen für andere Beschäftigte in der UdSSR, die der allgemeinen Sozialversicherung angehörten (zB Agronomen, Buchhalter, Traktoristen usw - vgl Gutachten 1969 S 3 - ), eine der gesetzlichen Unfallversicherung der RVO vergleichbare Versicherung bestand, worauf die Auskunft des Instituts für Ostrecht vom 30. April 1975 möglicherweise hindeuten könnte (S 4 unten), ist für den Anspruch der Klägerin nach dem FRG nicht maßgebend. Ihr standen derartige Ansprüche ebensowenig zu wie den ordentlichen Mitgliedern der Kolchose.
Dem steht nicht entgegen, daß das BSG in einer früheren, die Rentenversicherung betreffende Entscheidung (4 RJ 457/66 vom 1. Dezember 1966 - vgl ZfS 1967, 245ff -) zu dem Ergebnis gelangt ist, das soziale Sicherungssystem in der UdSSR entspreche den Erfordernissen, die das deutsche Fremdrentenrecht an eine Institution der gesetzlichen Rentenversicherung stelle (aaO S 247 - vgl auch BSG 6, 263 -). Abgesehen davon, daß das Vorliegen dieser Voraussetzungen in der genannten Entscheidung - für die Zeit vor dem 15. Juli 1964 - bei Kolchosbauern grundsätzlich verneint wurde, unterscheiden sich, wie oben ausgeführt, die Renten- und die Unfall*-versicherung der RVO in wesentlichen Punkten, was auch das FRG berücksichtigt. Es ist daher nicht widersprüchlich, wenn das LSG einen Unfallentschädigungsanspruch der Klägerin verneint hat. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Klägerin Staatsbürgerin der UdSSR gewesen ist oder nicht. Denn aus Art 120 der Verfassung der UdSSR ist ein dem Recht der RVO vergleichbarer Unfallversicherungsschutz im vorliegenden Fall nicht herzuleiten. Wie oben dargelegt, waren den Mitgliedern der Kolchosen in der UdSSR die in Art 120 der Verfassung der UdSSR garantierten sozialen Sicherungen nur nach Maßgabe des Art 11 der Mustersatzung von 1935 gewährleistet.
Schließlich rechtfertigt sich der geltend gemachte Anspruch auch nicht aus § 5 Abs 1 Nr 2b FRG. Für die Klägerin bestand zur Unfallzeit nicht deshalb kein UV-Schutz gegen Arbeitsunfälle, weil eine ordnungsgemäß geregelte UV nicht durchgeführt worden ist, sondern deshalb, weil in der UdSSR für sie und für alle mit ihr vergleichbaren Personen ein Unfallversicherungsschutz überhaupt nicht bestand. "Nicht durchgeführt" iS von § 5 Abs 1 Nr 2b FRG ist eine UV im Herkunftsland nur dann, wenn infolge der Kriegsereignisse schlechthin oder nur zeitweise keine UV bestanden hat oder die UV trotz ihres Bestehens etwa aus Gründen der Diskriminierung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (BSG in SozR Nr 8 zu § 5 FRG). Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Ihre Beschäftigung in der Kolchose begründete nach den für Kolchosangehörige allgemein und grundsätzlich geltenden Regelungen keinen Unfallversicherungsschutz iS von § 6 FRG (vgl dazu das weiter oben Ausgeführte).
Inwieweit die Auskunft der Dokumentationsstelle des BSG vom 4. Dezember 1972 für das Verfahren des LSG eine wesentliche Rolle gespielt hat, wird von der Revision nicht dargetan. Das LSG hat sein Urteil jedenfalls nicht auf diese Auskunft gestützt und daher keine Beweisergebnisse verwertet, zu denen die Klägerin nicht Stellung nehmen konnte (§ 128 Abs 2 SGG). Offenbar hat die Dokumentationsstelle dem LSG Angaben über dort festgehaltene einschlägige Rechtsprechung und Literatur gemacht, die das LSG, soweit es sie verwertet hat, in der angefochtenen Entscheidung zitiert hat.
Da das Verfahren des LSG somit weder an gerügten wesentlichen Verfahrensmängeln leidet noch die Entscheidung aus sachlich-rechtlichen Gründen zu beanstanden ist, mußte die Revision zurückgewiesen werden.
Fundstellen