Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Witwenbeihilfe. Bewilligungsbescheid. Anfechtungsbescheid. Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens. Fristwahrung
Orientierungssatz
Der als Grundlage für die Versorgung einer Witwe dienende Bewilligungsbescheid mit dem nach den bindenden Feststellungen des LSG fehlerhaften Verfügungssatz, der Tod des ersten Ehemannes sei Schädigungsfolge und Leistungsgrund im Sinne von KBLG BY Art 1 Abs 1, kann durch einen Neuregelungsbescheid aufgehoben, seine Bindungswirkung in vollem Umfange nach KOVVfG § 42 Abs 1 Nr 9 beseitigt werden, wenn hierbei die Fristen von KOVVfG § 43 Abs 1 S 2 und KOVVfG § 43 Abs 2 S 1 aF gewahrt werden, wonach die Verwaltungsbehörde 3 Monate nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes das erneute Prüfungsverfahren einzuleiten hat und bei seinem Beginn eine Frist von 5 Jahren seit Erlaß des anzufechtenden Bescheides nicht überschritten sein darf.
Mit Beseitigung der früheren Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Witwenrente entfällt auch die Voraussetzung für den nunmehr geltend gemachten Anspruch auf Witwenbeihilfe.
Normenkette
KOVVfG § 42 Abs. 1 Nr. 9, § 43 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1; BVG § 44; KBLG BY Art. 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 11.12.1964) |
SG Augsburg (Entscheidung vom 07.12.1960) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1964 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin war in erster Ehe mit dem Webermeister R F - i. f. mit F. bezeichnet - verheiratet, der als Soldat am 9. Januar 1945 im Reservelazarett L, Teillazarett U, gestorben ist.
Aus der Ehe der Klägerin mit F. sind zwei Töchter, darunter die Tochter G, geboren am 11. Oktober 1937, hervorgegangen.
Im Januar 1950 beantragte die Klägerin Gewährung von Witwen- und Waisenrente nach dem Bayerischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) und gab als Ursache für das Ableben ihres Ehemannes einen "Gehirnabszeß" an. Alsbald darauf, am 17. Juli 1950, verheiratete sie sich wieder.
In dem Auszug aus dem Krankenbuch des Reservelazaretts L, Teillazarett U, ist als Krankheitsbezeichnung für den verstorbenen F. eine "Mittelohreiterung" vermerkt; der Versorgungsarzt sah - ohne weitere Ausführungen - "den Tod sehr wahrscheinlich als Folge von DB" an. Die Versorgungsbehörde gewährte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 30. Januar 1951 eine Heiratsabfindung nach dem KBLG, mit Bescheid vom 19. April 1953 wurde - ebenfalls wieder nach dem KBLG - der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1950 Witwenrente bewilligt. Die Tochter G bezog zunächst Waisenrente nach dem KBLG, vom 1. Oktober 1950 bis 31. Oktober 1955 erhielt sie Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - (Bescheid vom 20. April 1953).
Nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes am 25. Oktober 1957 beantragte die Klägerin im November 1957 die Gewährung einer "Rente nach § 44 BVG" aus Anlaß des Todes ihres ersten Ehemannes. Auf Nachforschungen der Versorgungsbehörde gingen am 28. November 1957 vom Krankenbuchlager B das Gesundheitsbuch mit Einlagen, am 1. Februar 1958 vom Krankenbuchlager M die Lazarettpapiere des Verstorbenen ein. Danach hatte dieser schon vor dem Wehrdienst unter einer zu Rückfällen neigenden chronischen doppelseitigen Mittelohreiterung mit Durchlöcherung beider Trommelfelle gelitten. 1941 war er an einem Zwölffingerdarmgeschwür erkrankt gewesen. Vom 10. März bis 16. Juni 1944 war F. wegen Magenresektion im Reservelazarett Bad T und vom 17. August bis 25. Oktober 1944 wegen katarrhalischer Gelbsucht im Reserveteillazarett Krankenhaus Rotes Kreuz M und im Teillazarett W stationär behandelt worden. Am 6. Januar 1945 hatte der Facharzt Dr. D eine "Mittelohreiterung rechts, akute Mittelohrentzündung links und einen Trommelfellschnitt links" festgestellt. Am 8. Januar 1945 ist F. in das Reservelazarett L, Teillazarett U, aufgenommen worden und am 9. Januar 1945 dort an einem Hirnabszeß verstorben. Auf Grund eines HNO-Fachgutachtens und einer eingehenden versorgungsärztlichen Stellungnahme wurden daraufhin mit dem auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) gestützten Bescheid vom 19. Februar 1959 die Bescheide vom 30. Januar 1951, vom 19. April 1953 und 20. April 1953 aufgehoben, die früher gestellten Anträge auf Gewährung einer Heiratsabfindung sowie auf Witwen- und Waisenrente abgelehnt und festgestellt, daß der Tod des ersten Ehemannes der Klägerin keine Schädigungsfolge im Sinne des KBLG und des BVG sei. Eine Rückforderung der gezahlten Versorgungsbezüge wurde dabei nicht geltend gemacht, der Antrag auf Gewährung einer Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 3 BVG aF wurde jedoch abgelehnt, weil ein Anspruch auf Witwenrente niemals bestanden habe. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. April 1959).
Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat nach weiterer Aufklärung des medizinischen Sachverhalts die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 1960 abgewiesen.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 11. Dezember 1964 das Urteil des SG abgeändert; es hat den Bescheid vom 19. Februar 1959 hinsichtlich der Ziff. 3 (der Tod des F. sei keine Schädigungsfolge im Sinne des KBLG und des BVG) und im übrigen insoweit aufgehoben, als mit ihm über die Ansprüche der Klägerin auf Heiratsabfindung und Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1950 neu entschieden worden ist; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Das LSG hat dazu ausgeführt: Der Beklagte habe im Bescheid vom 19. Februar 1959 alle vorausgegangenen Bescheide aufgehoben. Dabei sei die Auffassung des SG, alle diese früheren Bescheide seien innerhalb der 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 VerwVG ergangen, rechtsirrig. Denn hinsichtlich des Bescheides vom 30. Januar 1951 (über die Gewährung einer Heiratsabfindung) sei die 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF am 3. Februar 1958 bereits abgelaufen gewesen. Der Beklagte habe diesen Bescheid vom 30. Januar 1951 deshalb nicht mehr nach § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG zurücknehmen können. Damit sei allerdings nicht auch der Ursachenzusammenhang des Todes des ersten Ehemannes mit einer Schädigung bindend festgestellt und der Beklagte nach dem Tode des zweiten Ehemannes zur Gewährung einer Witwenbeihilfe bzw. einer Witwenrente verpflichtet. Denn in dem Bescheid über die Gewährung der Heiratsabfindung nach dem KBLG sei - anders als in dem Bescheid vom 19. April 1953 (über die Gewährung von Witwen- und Waisenrente nach dem KBLG) - der Tod des F. nicht als Leistungsgrund im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG anerkannt worden. Hinsichtlich des Bescheides vom 19. April 1953 sei die Fünfjahresfrist zwar noch nicht abgelaufen gewesen.
Das VerwVG sei aber erst am 1. April 1955 in Kraft getreten. Der Beklagte habe daher den Bescheid vom 19. April 1953 nicht auf dieses Gesetz stützen können; es fehle für die Zeit vorher an einer ihr entsprechenden Vorschrift. Auch gebe es keinen Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts, der die Rücknahme eines vor dem 1. April 1955 ergangenen Bescheides wegen nachträglich aufgefundener Urkunden i. S. des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG rechtfertige. Der Beklagte bleibe daher an die im Bescheid vom 19. April 1953 getroffene Feststellung, der Tod des F. sei Leistungsgrund im Sinne des KBLG, gebunden. Über die Ansprüche der Klägerin auf Heiratsabfindung und Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1950 habe nicht neu entschieden werden dürfen. Trotzdem habe aber der Beklagte den im November 1957 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenbeihilfe zu Recht abgelehnt. Denn aus den im November 1957 und Februar 1958 eingegangenen Unterlagen ergebe sich, daß der Tod des ersten Ehemannes auf einem vordienstlichen Ohrenleiden beruhe und daß dabei keine Einflüsse des Wehrdienstes, auch nicht unsachgemäße militärärztliche Behandlungen mitgewirkt hätten. Der Beklagte hätte daher der Klägerin eine nach dem BVG laufende Witwenrente nach § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG mit Wirkung vom 1. April 1955 an entziehen können und müssen, wenn diese sich nicht wieder verheiratet hätte. Es würde daher eine ungerechtfertigte Besserstellung der Klägerin darstellen, wenn sie allein deshalb, weil der Bescheid vom 19. April 1953 nicht nach § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG habe beseitigt werden können, nach dem Tode des zweiten Ehemannes wiederum Witwenversorgung (Beihilfe bzw. Rente) beanspruchen könnte. Denn der Klägerin hätte, wenn sie sich nicht wieder verheiratet hätte, eine Witwenrente weiterhin nicht zugestanden. Diese wäre ihr auf jeden Fall mit Wirkung vom 1. April 1955 an entzogen worden. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG habe deshalb nur insoweit Erfolg haben können, als sie sich gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19. Februar 1959 gewandt habe. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihr am 14. Januar 1965 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 26. Januar 1965, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 27. Januar 1965, Revision eingelegt und diese begründet. Mit ihr rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 44 BVG aF und nF, 24 Abs. 2, 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG, 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt vor, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könne der Bescheid vom 19. Februar 1959 auch insoweit nicht als rechtmäßig angesehen werden, als damit die begehrte Witwenversorgung verweigert worden sei. Aus der insoweit zutreffenden Entscheidung des LSG ergebe sich, daß der Beklagte den Bescheid über die Gewährung von Witwenrente vom 19. April 1953 nicht nach § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG habe zurücknehmen können. Daraus folge die für die Beteiligten bindende und bindend gebliebene Feststellung, daß der Tod des ersten Ehemannes Schädigungsfolge im Sinne des KBLG und des BVG sei. Daraus ergebe sich aber auch ohne weiteres ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach § 44 BVG. Es müsse deshalb unbeachtlich bleiben, daß der Beklagte, wenn sie (die Klägerin) nicht wieder geheiratet und fortlaufend Witwenrente seit dem 1. Januar 1950 bezogen hätte, diese Rente unter Umständen vom 1. April 1955 an nach § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG hätte entziehen können. Gegen alle hypothetischen Überlegungen - zB über eine ggf. ungerechtfertigte Besserstellung der Klägerin - verdiene in jedem Falle das der Rechtssicherheit dienende Institut der Bindungswirkung von Bescheiden den Vorzug, auch wenn hierdurch in einem Einzelfalle scheinbar unberechtigte Vorteile entstehen sollten.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es die Berufung zurückgewiesen hat, und unter Abänderung des Urteils des SG Augsburg vom 7. Dezember 1960 sowie der Bescheide vom 19. Februar 1959 und 2. April 1959 den Beklagten zu verurteilen, ihr vom 1. November 1957 eine Witwenbeihilfe und vom 1. Juni 1960 an Witwenrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf die Schriftsätze der Klägerin vom 26. Januar 1965 und des Beklagten vom 15. März 1966 wird verwiesen.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und deshalb zulässig.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat zunächst zutreffend entschieden, daß der Beklagte mit seinem auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gestützten Anfechtungsbescheid vom 19. Februar 1959 über den am 30. Januar 1951 erteilten Bescheid - Gewährung einer Heiratsabfindung - nicht erneut zum Nachteil der Klägerin hat entscheiden dürfen. Zwar würden die im November 1957 und im Februar 1958 bei der Versorgungsbehörde eingegangenen Urkunden zur Frage der Gewährung einer Heiratsabfindung an die Klägerin im Januar 1951 eine andere Entscheidung, nämlich eine Verweigerung der Abfindung statt ihrer Gewährung, herbeigeführt haben, weil nach diesen Urkunden vom Tode des ersten Ehemannes als Schädigungsfolge nicht mehr die Rede sein konnte. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF durfte aber eine erneute Prüfung nach § 42 VerwVG nur eingeleitet werden, wenn vom Tage der Entscheidung an - bis zum Beginn der erneuten Nachprüfung - nicht mehr als fünf Jahre verstrichen waren. Diese fünf Jahre waren seit der Erteilung des Bescheides vom 30. Januar 1951 bei Beginn der Nachprüfung durch die Versorgungsbehörde zweifelsfrei verstrichen, so daß der Einhaltung der dreimonatigen Frist des § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 VerwVG aF durch die Versorgungsbehörde keine Bedeutung beigemessen werden kann. Daran hat, wie auch das LSG zutreffend entschieden hat, nichts geändert, daß durch Art. II § 6 des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) ua die Fristen des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 - statt bisher 3 Monate jetzt 6 Monate - geändert worden sind, und daß der Abs. 2 Satz 2 durch den Halbsatz ergänzt worden ist, die Frist von 5 Jahren beginne frühestens mit dem 1. Januar 1957. Denn durch diese Änderung sind am 2. Juli 1960 bereits abgelaufen gewesene Ausschlußfristen nicht verlängert worden (s. dazu BSG in SozR VerwVG § 43 Nr. 1 mit näherer Begründung). Der Bescheid vom 30. Januar 1951 konnte daher durch den Anfechtungsbescheid vom 19. Februar 1959 nicht aufgehoben werden; er ist bindend geworden und bindend geblieben. Diese Rechtsfolge steht jedoch zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Deshalb kann dahinstehen, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft oder nicht, mangels ausdrücklicher Anerkennung des Todes des ersten Ehemannes der Klägerin als Schädigungsfolge und damit als Leistungsgrund für die Gewährung der Heiratsabfindung im Bescheid vom 30. Januar 1951 erstrecke sich dessen Bindung (§ 24 Abs. 1 VerwVG, § 77 SGG) allein auf die Bewilligung der Abfindung und nicht auch auf die Voraussetzungen des Anspruchs auf Heiratsabfindung. Es kann um so mehr dahinstehen, als der Beklagte einen Rückforderungsanspruch hinsichtlich der an die Klägerin gezahlten Heiratsabfindung im Jahre 1951 nicht geltend gemacht hat.
Alleinige Grundlage für den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nach den Vorschriften des KBLG für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1950 ist nämlich, auch nach Auffassung der Beteiligten, die ausdrückliche - und für die Zukunft grundsätzlich bindend gewordene - Anerkennung des Todes des ersten Ehemannes als Schädigungsfolge im Bescheid vom 19. April 1953 gewesen. Deshalb war zu prüfen, ob dieser Bescheid durch den auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gestützten Anfechtungsbescheid des Beklagten vom 19. Februar 1959 mit der Wirkung hat aufgehoben werden können, daß der in ihm ua enthaltene Verfügungssatz über die - bindende - Anerkennung des Todes des ersten Ehemannes als Schädigungsfolge und als Leistungsgrund im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG zum Nachteil der Klägerin mit der Feststellung beseitigt wurde, der Tod sei nicht Schädigungsfolge und deshalb auch nicht Leistungsgrund im Sinne des KBLG gewesen.
In den Fällen des § 42 VerwVG und damit auch im Falle des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG ist die Verwaltungsbehörde nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, "erneut zu entscheiden". Sie muß, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, den Versorgungsfall in vollem Umfang neu regeln und so prüfen, als ob ein Sachverhalt zum ersten Male ihrer Beurteilung unterläge; an frühere Bescheide - und ihre verschiedenen Feststellungen oder einzelnen Verfügungssätze - ist sie dabei, obwohl diese rechtsverbindlich geworden sind, nicht gebunden. Darüber hinaus bezieht sich die Verpflichtung zur Neuregelung nach § 42 VerwVG nicht nur auf die Zukunft; auch für die Vergangenheit muß "neu entschieden" werden. Die Neuregelung umfaßt somit auch die Rücknahme rechtswidriger Bescheide, soweit die Rücknahme Voraussetzung der Neuregelung ist. Die "Wiederaufnahme" des Verwaltungsverfahrens nach § 42 VerwVG ist im wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen abhängig wie die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeits- oder Restitutionsklage (§ 179 SGG, §§ 578 ff der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Verwaltungsbehörde, deren früheres Verfahren bestimmte im Gesetz aufgezählte Mängel enthält und deshalb zu einer fehlerhaften Entscheidung geführt hat, muß in einem neuen, von Mängeln freien Verfahren neu entscheiden und eine Neuregelung treffen, durch die das Rechtsverhältnis der Beteiligten mit der wahren Sach- und Rechtslage in Übereinstimmung gebracht und das Rechtsverhältnis ex tunc auf eine andere neue Grundlage gestellt wird.
Voraussetzung für die Anwendung des § 42 VerwVG ist jedoch immer, daß bei Erteilung eines auf diese Vorschrift gestützten Anfechtungsbescheides die Fristen des § 43 VerwVG noch nicht verstrichen sind: Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 VerwVG, der im Falle der Klägerin in der vor dem 2. Juli 1960 geltenden Fassung (aF) angewandt werden muß, hat die Verwaltungsbehörde bei Verfahren von Amts wegen innerhalb einer Frist von drei Monaten die erneute Prüfung einzuleiten, wobei (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VerwVG aF) diese Frist mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beginnt. Darüber hinaus darf bei Beginn der Prüfung von Amts wegen vom Tage der - anzufechtenden - Entscheidung an eine Frist von fünf Jahren nicht überschritten sein. An diese Fristen hat sich im Falle der Klägerin die Verwaltungsbehörde gehalten. Sie hat nach den Feststellungen des LSG am 3. Februar 1958 die erneute Prüfung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 VerwVG aF eingeleitet, nachdem sie durch Eingang der verschiedenen Urkunden i. S. des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG am 28. November 1957 und 1. Februar 1958 vom Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt, am 3. Februar 1958, waren aber auch noch keine 5 Jahre verstrichen, seitdem die hier in Frage stehende frühere Entscheidung vom 19. April 1953 ergangen und zugestellt worden war.
Nach allem hat danach das Berufungsgericht zutreffend entschieden, daß der Beklagte grundsätzlich nicht gehindert gewesen ist, einen Anfechtungsbescheid hinsichtlich des Bescheides vom 19. April 1953 und insbesondere auch hinsichtlich des in diesem enthaltenen Verfügungssatzes, daß der Tod des ersten Ehemannes der Klägerin Schädigungsfolge und Leistungsgrund i. S. des Art. 1 Abs. 1 KBLG sei, zu erlassen, mit ihm den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Anerkennung des Todes als Schädigungsfolge rückgängig zu machen. Dabei hat das Berufungsgericht auch die grundsätzliche ex tunc-Wirkung eines Anfechtungsbescheides nicht verkannt. Dagegen geht seine Auffassung fehl, der Beklagte habe den Anfechtungsbescheid vom 19. Februar 1959 mit der von ihm beabsichtigten Rückwirkung in die Vergangenheit deshalb nicht erlassen und insbesondere nicht auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG stützen können und dürfen, weil diese Verfahrensvorschrift erst am 1. April 1955 in Kraft getreten und daher auf Bescheide wie den vom 19. April 1953, die vor diesem Inkrafttreten ergangen seien, nicht angewendet werden könne. Wie bereits dargelegt, wirkt eine Neuregelung gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG regelmäßig auf den Zeitpunkt zurück, zu dem der fehlerhafte Bescheid erlassen worden ist. Dieser Zeitpunkt wäre im Falle der Klägerin der 19. April 1953. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. ua BSG 13, 232, 235; BSG in SozR VerwVG § 41 Nr. 9) kann eine Neuregelung nach der Vorschrift des § 42 VerwVG ebenso wie eine Berichtigung nach § 41 VerwVG jedoch im Hinblick darauf, daß das VerwVG erst mit Wirkung vom 1. April 1955 in Kraft getreten ist, nicht über den Zeitpunkt dieses Inkrafttretens hinaus in die Vergangenheit zurückwirken, weil eine Neuregelung nach den Vorschriften des VerwVG nur für den zeitlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes getroffen werden kann. Hiernach hat der Beklagte hinsichtlich des Bescheides vom 19. April 1953 nicht - wie von ihm beabsichtigt - die Neuregelung schon mit Wirkung vom 19. April 1953 an treffen können; die Neuregelung ist vielmehr erst vom 1. April 1955 an wirksam geworden. Für die Klägerin macht dies letztlich keinen Unterschied hinsichtlich ihres Revisionsbegehrens: Der als Grundlage für ihre Versorgung als Witwe - bis zu ihrer Wiederverheiratung - maßgeblich gewesene Bescheid vom 19. April 1953, mit dem nach den bindenden Feststellungen des LSG fehlerhaften Verfügungssatz, der Tod des ersten Ehemannes sei Schädigungsfolge und Leistungsgrund im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG, ist durch die Neuregelung mit Bescheid vom 19. Februar 1959 mit Wirkung vom 1. April 1955 an rechtswirksam aufgehoben, seine Bindungswirkung im vollen Umfange beseitigt worden. Die Klägerin wäre daher auch dann, wenn sie sich nicht wieder verheiratet hätte, rückwirkend vom 1. April 1955 an ihres Anspruchs auf Witwenrente (gemäß § 85 BVG nach den Vorschriften des BVG) in jedem Falle verlustig gegangen. Damit ist seit dem Erlaß des Anfechtungsbescheides vom 19. Februar 1959 nichts mehr vorhanden, auf das die Klägerin nach dem Ableben ihres zweiten Ehemannes einen Versorgungsanspruch aus Anlaß des Todes ihres ersten Ehemannes stützen könnte. Denn Versorgung kann nach § 44 BVG (Witwenbeihilfe in Höhe der Witwenrente bis zum 31. Mai 1960 nach § 44 Abs. 3 BVG aF, Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG idF des 1. NOG zum BVG vom 1. Juni 1960 an) nur dann gewährt werden, wenn aus der Zeit vor der Wiederverheiratung einer Witwe eine wirksame oder noch wirksame Rechtsgrundlage für die Gewährung von Witwenrente bestanden hat. Das ist bei der Klägerin wie dargelegt nicht der Fall. Die frühere Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Witwenrente in der Gestalt des Bescheides vom 19. April 1953 ist durch den Anfechtungsbescheid vom 19. Februar 1959 rückwirkend vom 1. April 1955 an auch für die Zukunft beseitigt worden. Das Berufungsgericht hat deshalb im Ergebnis zutreffend den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf "Rente nach § 44 BVG", d. h. auf Witwenbeihilfe in Höhe der Witwenrente für die Zeit vom 1. November 1957 bis 31. Mai 1960, auf Witwenrente für die Zeit vom 1. Juni 1960 an, verneint.
Aus den dargelegten Gründen konnte auch die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben; sie war wie geschehen als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Vorschrift des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen