Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Oktober 1976 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die im Jahr 1923 geborene Klägerin, französische Staatsangehörige, lebt in Frankreich. Sie hat von 1941 bis 1947 in Deutschland und von 1959 bis 1973 in Frankreich als ungelernte Arbeiterin Versicherungszeiten zurückgelegt. Nach einem im Jahr 1973 erlittenen Verkehrsunfall kann sie nur noch leichte Tätigkeiten in trockenen und geheizten Räumen ohne Fließband-, Akkord- und Schichtarbeiten und ohne Zwangshaltung bis zu 6 Stunden täglich verrichten.
Ihren Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 1975 ab. Das Sozialgericht (SG) Speyer hat mit Urteil vom 15. April 1976 die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Oktober 1976 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, für die Zeit vom 1. September 1974 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Möglichkeiten, wie die Klägerin ihre Arbeitskraft noch verwerten könne, seien allenfalls theoretisch vorstellbar. Insbesondere könne das Zahlenverhältnis, das der Große Senat (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) im Entscheidungssatz 4 des Beschlusses vom 11. Dezember 1969 (BSGE 30, 167 und 192) zu ermitteln verlangt habe, nicht festgestellt werden.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des sachlichen Rechts. Sie führt aus: Für die im Ausland wohnenden Teilzeitarbeitskräfte (Versicherte) sei der gesamte Arbeitsmarkt des Bundesgebiets einschließlich West-Berlins maßgebend; dieser sei der Klägerin bei dem verbliebenen Leistungsvermögen nicht verschlossen. Im übrigen widerspreche das angefochtene Urteil den im Beschluß des GS des BSG vom 10. Dezember 1976 (GS 2/75 u. a. in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) aufgestellten Grundsätzen. Sie beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15. April 1976 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Für ihre Ausführungen wird auf den Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 10. Februar 1977 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist jedenfalls insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden mußte.
Das LSG hat seiner Entscheidung im wesentlichen die Entscheidungssätze 4 der Beschlüsse des GS des BSG von 1969 zugrunde gelegt. Diese für die Entscheidung des LSG maßgebliche Rechtsauffassung hat indes der GS des BSG in seinem neuen Beschluß vom 10. Dezember 1976 aufgegeben. Danach darf ein Versicherter in der Regel nur auf Teilzeitarbeitsplätze verwiesen werden, die er täglich von seiner Wohnung aus erreichen kann. Der Arbeitsmarkt ist ihm praktisch verschlossen, wenn ihm ein derartiger Arbeitsplatz weder vom Rentenversicherungsträger noch vom zuständigen Arbeitsamt innerhalb eines Jahres seit Stellung des Rentenantrages angeboten werden kann. Dazu hat der 1. Senat des BSG im Urteil vom 17. Mai 1977 – 1 RA 55/76 – ausgeführt: „Der GS hat im Beschluß vom 10. Dezember 1976 aaO die Beschränkung der Verweisung auf täglich vom Wohnort des Versicherten aus erreichbare Teilzeitarbeitsplätze damit begründet, daß einem in der Leistungsfälligkeit eingeschränkten Versicherten angesichts der bloßen Möglichkeit, nur einen Teillohn verdienen zu können, ein Umzug in der Regel nicht zuzumuten sei und die mit einem Wechsel des Wohnorts verbundenen Erschwernisse und Nachteile infolge der Aufgabe seiner persönlichen Bindungen für ihn zu schwerwiegend seien. Für derartige Zumutbarkeitsgründe bleibt indes bei Versicherten, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, kein Baum, weil sie einerseits keinen örtlichen Bezugspunkt im Bundesgebiet mehr haben, andererseits aber für sie bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit in jedem Fall die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland allein rechtserheblich sind. Die vom GS für die Beurteilung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit bei eingeschränktem Leistungsvermögen aufgestellten Grundsätze sind demnach auf die im Ausland wohnenden Versicherten sinngemäß dahin anzuwenden, daß für sie der Teilzeitarbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, wenn ihnen weder vom Rentenversicherungsträger noch von einem Arbeitsamt im gesamten Bundesgebiet ein für sie geeigneter Arbeitsplatz binnen Jahresfrist seit der Antragstellung hätte angeboten werden können, wenn sie im Bundesgebiet ihren Wohnsitz hätten. Aus Gründen der Praktikabilität hat der Senat allerdings keine Bedenken, wenn das LSG bei dieser Prüfung unter Einschaltung der Bundesanstalt einen Arbeitsamtsbezirk zugrunde legt, der für die Situation auf dem Teilzeitarbeitsmarkt im Bundesgebiet typisch ist, also in etwa durchschnittlichen Verhältnissen entspricht”.
Auch der erkennende Senat ist dieser Rechtsauffassung, wie er bereits vor der neuen Entscheidung des GS ausgeführt hat (SozR 2200 § 1246 Nr. 6). Ob allerdings bei im Ausland lebenden Versicherten, die bis kurz vor dem Rentenantrag längere Zeit hindurch im Bezirk eines einzigen deutschen Arbeitsamts beschäftigt gewesen waren, also zB bei zurückgekehrten Gastarbeitern, an Stelle des „durchschnittlichen” Arbeitsamtsbezirks der Bezirk des zuletzt zuständig gewesenen Arbeitsamts treten kann, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) steht der Entscheidung nicht entgegen. Insbesondere wird Art. 3 der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (ABl EG Nr. L 149/2 vom 5. Juli 1971) nicht verletzt. Die dort enthaltene Vorschrift der Gleichbehandlung aller Marktbürger verbietet nicht eine Rechtsprechung, die für alle im Ausland lebenden Versicherten, seien sie Bundesdeutsche, Marktbürger oder Angehörige nicht zur EWG gehörender Staaten, ein besonderes Verfahren zur Feststellung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorschreibt.
Da die sonach für die Frage der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin rechtserheblichen Feststellungen fehlen und vom LSG noch zu treffen sind, kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Das angefochtene Urteil muß deswegen aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Über die Kosten wird das Berufungsgericht entscheiden.
Fundstellen