Leitsatz (amtlich)
AVG § 42 S 2 (= RVO § 1265 S 2) idF des RVÄndG vom 1965-06-09 (BGBl 1 1965, 476) ist nicht anzuwenden, wenn eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten zur Zeit seines Todes wegen ausreichender Einkommens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Frau nicht bestanden hat.
Normenkette
AVG § 42 S. 2 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1265 S. 2 Fassung: 1965-06-09; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 8. März 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes Hans-Joachim G. Die Ehe mit dem Versicherten ist im Dezember 1933 aus dessen Alleinschuld geschieden worden. Der Versicherte ist im April 1957 verstorben.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) kamen der Versicherte, der in Pommern ein Gut besaß, ebenso die Klägerin im Jahre 1945 nach Westdeutschland. Der Versicherte war von 1950 an Kassierer in einer Großhandlung in Dortmund. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt rund 530 DM; außerdem bezog er eine Versorgungsrente von monatlich 33,- DM. Die Klägerin war als Provisionsvertreterin für eine Fabrik tätig. Sie hatte daraus ein steuerpflichtiges Einkommen in den Jahren 1955 = 14.380 DM, 1956 = 13.900 DM und 1957 = 9.400 DM; außerdem besaß sie zur Zeit des Todes des Versicherten ein Grundstück im Einheitswert von 9.000 DM und 10.000 DM Vermögen. Über ihre Beziehungen zu dem Versicherten seit der Scheidung trug die Klägerin in den Vorinstanzen vor, der Versicherte habe ihr bis 1945 monatlich 200 RM Unterhalt gezahlt; später habe er ihr jährlich mindestens dreimal je 50,- oder 100,- DM anläßlich ihrer Geschäftsreisen, die sie auch nach Dortmund führten, in bar gegeben oder überwiesen; das letzte Mal sei dies anfangs 1956 geschehen. Außerdem habe sie im Jahre 1956 vom Versicherten 300 DM erhalten. Über den Zeitpunkt dieser Zahlung gab sie einmal an: Anfang 1956, die Zahlung könne aber auch in das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten fallen; ein anderes Mal erwähnte sie, der Betrag sei im Sommer 1956 gezahlt worden.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil keine der Voraussetzungen des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erfüllt sei. Ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes habe weder nach dem Ehegesetz (EheG) noch aus sonstigen Gründen bestanden. Bei der Höhe ihres Einkommens sei die Klägerin nicht unterhaltsbedürftig gewesen. Auch die Voraussetzungen der tatsächlichen Unterhaltsleistung - wesentlicher Beitrag zum Unterhalt, gewisse Regelmäßigkeit der Zuwendungen während des letzten Jahres - seien nicht erfüllt (Bescheid vom 15. Oktober 1959).
Das Sozialgericht (SG) Bremen wies nach Anhörung mehrerer Zeugen die Klage ab (Urteil vom 28. September 1961). Das LSG Bremen wies die Berufung der Klägerin zurück: Eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach den §§ 58, 59 EheG habe nicht bestanden; eine Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen werde nicht behauptet. Für freiwillige Unterhaltsleistungen seien nur die dem Tode des Versicherten unmittelbar vorausgehenden zwölf Monate maßgeblich. Es bestünden Bedenken, als erwiesen anzusehen, daß der Versicherte den Betrag von 300 DM im Sommer 1956 an die Klägerin ausgehändigt habe, weil die Klägerin selbst dafür zunächst Anfang 1956 angegeben habe. Aber selbst wenn die 300 DM in der Zeit vom 14. April 1956 bis 13. April 1957 gezahlt worden seien, könne nicht festgestellt werden, daß es sich um eine Unterhaltszahlung gehandelt habe. Der Versicherte habe sein Arbeitseinkommen für seinen eigenen angemessenen Unterhalt benötigt. Die Bekundungen der Zeugen reichten nicht aus zum Nachweis, daß die Zahlung von 300 DM eine Unterhaltszahlung dargestellt habe; möglicherweise sei dieser Betrag ein Anteil der Klägerin an einer Entschädigung aus früherem Vermögen oder der Verwertung von Wertpapieren gewesen. Die Behauptung der Klägerin, Zahlungen von 50,- und 100,- DM seien für 1956 in dem Betrag von 300 DM zusammengefaßt worden, stehe im Widerspruch zu ihrer Erklärung, sie habe anfangs 1956 auf einer Geschäftsreise in Dortmund vom Versicherten wie jedes Mal Geld bekommen. Aber selbst wenn die 300 DM für die Lebensführung der Klägerin gegeben worden seien, würde diese einmalige Unterhaltszahlung für eine Rente noch nicht ausreichen. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 8. März 1962).
Die Klägerin legte Revision ein und beantragte,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 1959 aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente zu verurteilen.
Das LSG habe zu Unrecht nicht ermittelt, ob die 300 DM im Sommer 1956, also nach dem 14. April 1956 gezahlt worden seien; es hätte beim Arbeitgeber des Versicherten den Zeitpunkt der Auszahlung eines Vorschusses feststellen müssen. Ferner habe es nicht festgestellt, daß die 300 DM als Unterhalt gezahlt worden seien. Nachdem es Unterhaltsleistungen durch den Versicherten bis 1945 und Zahlungen von je 50,- bis 100,- DM viermal jährlich bis 1955 als wahr unterstellt habe, spreche dieses Verhalten des Versicherten dafür, daß auch die 300 DM zum Unterhalt bestimmt gewesen seien. Die Annahme, es habe sich um einen Anteil an einer Sondereinnahme gehandelt, sei ein Trugschluß und eine bloße Vermutung; darauf dürfte die Entscheidung nicht gestützt werden. Es sei nicht ausgeschlossen, daß das LSG bei Vermeidung dieser Fehler die Zahlung von 300 DM als Unterhalt festgestellt und damit zugunsten der Klägerin entschieden hätte. Eine einmalige Zahlung im Jahr könne als Unterhalt genügen, wenn statt vielen kleineren monatlichen Zahlungen ein Betrag oder mehrere größere Beträge in größeren Abständen gezahlt würden; maßgebend sei, ob die Zahlung Ausdruck der Absicht regelmäßiger Unterhaltsgewährung gewesen sei; auf diese Absicht habe aus dem früheren Verhalten des Versicherten geschlossen werden können.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. § 42 Satz 1 AVG (idF des Rentenversicherungsänderungsgesetzes - RentVÄndG - vom 9. Juni 1965 - BGBl I 476 -) ist nicht verletzt. Die Auffassung des LSG, der Versicherte habe zur Zeit seines Todes der Klägerin weder nach den Vorschriften des EheG noch aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten gehabt, ist nicht zu beanstanden. Nach den Vorschriften des EheG (§§ 58 ff) bestand eine Unterhaltspflicht des Versicherten deshalb nicht, weil die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten in der Lage war, aus den Einkünften ihrer Erwerbstätigkeit und aus den Erträgnissen ihres Vermögens den ihr zustehenden angemessenen Unterhalt selbst zu erzielen (vgl. BSG 5, 179). Für eine Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen besteht kein Anhalt. Diese Voraussetzungen für die Gewährung der Geschiedenen-Witwenrente scheiden daher aus. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen. Die Klägerin stützt das Rechtsmittel allein darauf, daß die in § 42 Satz 1 AVG an letzter Stelle genannte Voraussetzung vorgelegen habe. Indessen reicht der einmalige Betrag von 300 DM - auch wenn er, entsprechend dem Vortrag der Klägerin, innerhalb des maßgeblichen Jahreszeitraumes gegeben und für die Lebenshaltung der Klägerin bestimmt gewesen sein sollte - nicht aus, um sagen zu können, der Versicherte habe im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin Unterhalt im Sinne des Gesetzes geleistet.
Nach dem Vortrag der Klägerin sollte der Betrag von 300 DM für ein ganzes Jahr gedacht sein. Dies entspricht einem Monatsbetrag von 25,- DM. Mit Recht hat das LSG einen Betrag in dieser Höhe nicht als Unterhalt im Sinne der letzten Alternative des § 42 Satz 1 AVG (für 1956/57) angesehen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) schon wiederholt entschieden hat, stellt nicht jeder Betrag - auch wenn er zur Befriedigung von Lebensbedürfnissen der geschiedenen Frau gegeben wird - Unterhalt im Sinne von § 42 AVG dar, vielmehr scheiden geringfügige Beträge hier als Unterhalt aus (BSG 12, 278; 20, 252; 22, 44; BSG im SozR RVO § 1265 Aa 9 Nr. 9 und Urteile vom 23. Juni 1964 - 12/4 RJ 170/62 - und vom 27. Oktober 1965 - 12 RJ 338/62 und 12 RJ 18/63 -).
Der Begriff "Unterhalt leisten" im Sinne von § 42 AVG kann nicht alle Leistungen erfassen, die das bürgerliche Recht oder das EheG insgesamt als Unterhalt versteht. Eine Auslegung des Unterhaltsbegriffs in § 42 AVG, die schon jede kleinste Zahlung für die Lebensbedürfnisse des anderen als "Unterhalt" ansehen würde, ließe sich mit den weiteren Rechtsfolgen dieser Vorschrift nicht vereinbaren. Die Hinterbliebenenrente wird zwischen der Witwe und der geschiedenen Frau "aufgeteilt" (§ 45 Abs. 4 AVG). Die Rente der Witwe verringert sich, wenn auch ein Anspruch der geschiedenen Frau besteht. Da zu Lebzeiten des Versicherten der Unterhaltsanspruch der Ehefrau (jetzt Witwe) dem Anspruch der geschiedenen Frau im Rahmen des § 59 EheG vorging und die Witwe vor dem Tode des Versicherten im allgemeinen nicht selbst in der Weise für ihren künftigen Unterhalt sorgen konnte wie die geschiedene Frau, läßt sich die Beeinträchtigung ihrer Witwenversorgung nur rechtfertigen, wenn die geschiedene Frau wirtschaftlich ins Gewicht fallende Beträge zur Deckung ihres Lebensbedarfs beanspruchen konnte oder erhielt. Diese allgemeinen Erwägungen dürfen auch dann nicht außer Betracht bleiben, wenn im konkreten Fall eine Witwe nicht vorhanden ist. Aus diesen Gründen darf der Betrag, den die geschiedene Frau als Leistung des Mannes erhält, weder für sich betrachtet noch gemessen an den eigenen Einkünften der Frau so geringfügig sein, daß er bei ihrem Unterhaltsbedarf keine oder nur eine unbedeutende Rolle spielt. Die Unterhaltssituation der geschiedenen Frau muß durch den Wegfall der Leistungen des Mannes merklich beeinträchtigt sein. Zuwendungen, die für die Lebensführung der Frau unerheblich sind, stellen daher keinen Unterhalt im Sinne von § 42 AVG dar. Nach diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung z. B. Zuwendungen von monatlich 20,- DM (1958) für ungenügend erachtet (Urteil vom 21. Oktober 1965). Dagegen wurden 50,- DM monatlich (1955) nicht mehr als geringfügig angesehen (BSG 20, 252). In der Regel werden etwa 25 v. H. des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs eines Unterhaltsberechtigten zu fordern sein (BSG 22, 44).
Für den Mindestbedarf einer geschiedenen Frau können die Fürsorgerichtsätze bzw. die Regelsätze des Bundessozialhilfegesetzes mit den gesetzlich vorgesehenen Zuschlägen, einmaligen Leistungen und möglichen Hilfen für Sonderbedarf herangezogen werden. 1956 war der Fürsorgerichtsatz für Alleinstehende in Bremen 68,- DM; hinzu kamen ein Zuschlag für Alleinstehende sowie Beihilfen für Miete und für besondere größere Anschaffungen (BABl 1956, 309). Der Betrag von 25,- DM monatlich könnte zwar, für sich betrachtet, sonach 1/4 des Mindestbedarfs nahe - kommen. Bei der gebotenen Berücksichtigung der eigenen Einkünfte der Klägerin ist der Betrag jedoch nur geringfügig. Er fiel bei dem Einkommen der Klägerin von rund 13.900 DM im Jahre 1956 und 9.400 DM für 1957 nicht ins Gewicht (nach den Feststellungen des LSG beim Finanzamt war das Einkommen sogar noch höher), die Gestaltung ihres Lebenszuschnitts konnte er nicht beeinflussen. Der Unterschied zwischen dem Mindestbedarf und den konkreten Einkommensverhältnissen ist hier so groß, daß nicht mehr von einer Gewährung von Unterhalt im Sinne von § 42 AVG gesprochen werden kann.
Es bedarf somit keiner weiteren Ermittlungen zum Tatbestand. Eine Aufhebung des Urteils des LSG und die Zurückverweisung an dieses Gericht kommen daher nicht in Frage.
Die Klägerin kann die Hinterbliebenenrente auch nicht nach § 42 Satz 2 AVG beanspruchen. Diese durch das RentVÄndG vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) eingefügte Vorschrift bringt vom 1. Juli 1965 an eine Erleichterung der Anspruchsvoraussetzungen für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind (Art. 1 § 2 Nr. 25 und Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. b) und § 6 RentVÄndG); sie trifft jedoch auf die Klägerin nicht zu. Zwar hatte die Beklagte zur Zeit des Todes des Versicherten keine Witwenrente zu gewähren, weil der Versicherte nach den Feststellungen des LSG keine Witwe hinterließ. Es fehlt aber an der weiteren im Gesetz genannten Voraussetzung, daß "eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat". Wie schon oben ausgeführt ist, war der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten nicht wegen dessen Erwerbs- und Vermögensverhältnisse, sondern deshalb entfallen, weil die Einkünfte der Klägerin aus eigener Erwerbstätigkeit und aus eigenem Vermögen für ihren angemessenen Lebensunterhalt ausreichten und sie des Unterhalts durch den Versicherten nicht bedurfte (§ 58 EheG). Für diesen Fall gilt aber § 42 Satz 2 AVG schon nach seinem Wortlaut nicht. Auch der Sinn der Neuregelung verlangt nicht deren Ausdehnung auf jenen Fall. Dem Gesetzgeber mag bei der Schaffung der Vorschrift die Unbilligkeit vorgeschwebt haben, die für die geschiedene Frau dann vorliegt, wenn sie gegen den Versicherten in der Zeit vor seinem Tode z. B. wegen dessen Krankheit oder Arbeitslosigkeit oder weil er eine niedrige Rente bezog, keine Unterhaltsansprüche geltend machen konnte und aus diesem Grunde nunmehr nach seinem Tode nach § 42 Satz 1 AVG auch des Rentenanspruchs verlustig geht. In einem derartigen Fall soll ihr, wenn aus der Versicherung des Mannes keine Witwenrente zu gewähren ist, wenn es also nicht zu einer Minderung der Hinterbliebenenrente für die Witwe nach § 45 Abs. 4 AVG kommen kann, zur Vermeidung von Härten die Hinterbliebenenrente gewährt werden. Von ihrer Situation unterscheidet sich aber wesentlich die Situation der geschiedenen Frau, die beim Tode des Versicherten über ausreichende eigene Erwerbseinkünfte und Vermögenserträgnisse für ihren Lebensunterhalt verfügte; hier bildet die Versagung der Hinterbliebenenrente nicht annähernd die gleiche Härte wie in jenem Fall. Auch war dem Gesetzgeber bei der Schaffung der neuen Vorschrift die Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bekannt, die zu den Voraussetzungen für die Gewährung der Geschiedenen-Witwenrente ergangen war. Hätte er auch den Fall der fehlenden Unterhaltsbedürftigkeit der Frau in die Neuregelung einbeziehen wollen, so hätte er dies unschwer durch eine entsprechende Fassung der Vorschrift erreichen können. Da aber das Gesetz als Grund für das Nichtbestehen einer Unterhaltsverpflichtung ausdrücklich nur die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nennt, kann auch nur dieser Sachverhalt zu einem Rentenanspruch nach § 42 Satz 2 AVG führen. In Ermangelung dieser Voraussetzung kann sich die Klägerin also nicht auf die neu geschaffene Vorschrift berufen (wie hier: Pappai, BABl 1965, 602; a. M.: Zimmer, Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. 13 zu § 1265 RVO/§ 42 AVG).
Die Revision muß aus diesen Gründen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen