Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

1. Die Entscheidung, ob und wie eine Nachversicherung durchzuführen ist, kann gegenüber dem Versicherten, dessen Arbeitgeber und dem zuständigen Rentenversicherungsträger nur einheitlich ergehen (vgl BSG 1960-02-10 1 RA 23/59 = BSGE 11, 278 f).

2. Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (vgl BSG 1980-12-10 7 RAr 51/79 = SozR 1500 § 75 Nr 33).

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; AnVNG Art 2 § 4 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art 2 § 3 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 20.11.1979; Aktenzeichen L 4 An 36/79)

SG Lübeck (Entscheidung vom 01.03.1979; Aktenzeichen S 4 An 62/77)

 

Tatbestand

Der Kläger ist mit Ablauf des Monats April 1949 auf eigenen Antrag aus dem Justizdienst des Landes Schleswig-Holstein ausgeschieden und für die Zeit vom 1. Mai 1943 bis zum 30. April 1949 unter Berücksichtigung kriegsbedingter Unterbrechungen nachversichert worden. Die Entgegennahme von Nachversicherungsbeiträgen für die vorangehende Zeit vom 1. Mai 1940 bis zum 30. April 1943 lehnte die Beklagte ab, da der Kläger damals als Inspektoranwärter kein Entgelt sondern einen Unterhaltszuschuß bezogen habe.

Die hiergegen erhobene Klage blieb vor dem Sozialgericht (SG) erfolglos; das Landessozialgericht (LSG) dagegen hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen, durch den die Nachversicherung der Zeit vom 1. Mai 1940 bis zum 30. April 1943 durchgeführt wird. Das LSG meint, da der Kläger vor dem 1. Januar 1957 freiwillig aus dem Staatsdienst ausgeschieden sei, sei Art 2 § 4 Abs 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) iVm § 9 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) maßgebend, so daß gem § 9 Abs 2 AVG auch Zeiten des Vorbereitungsdienstes ohne Rücksicht auf den Bezug von Entgelt nachzuversichern seien.

Die Beklagte beantragt mit der vom LSG zugelassenen Revision,

das Urteil des LSG aufzuheben und die

Berufung des Klägers gegen das Urteil

des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt Verletzung des Art 2 § 4 AnVNG. Diese Vorschrift habe lediglich den früheren Ausschluß der Nachversicherung bei freiwilligem oder unehrenhaftem Ausscheiden beseitigt, im übrigen aber daran festgehalten, daß die Nachversicherungspflicht nach dem Recht zur Zeit des Ausscheidens zu beurteilen sei. Nach § 1242a der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF sei aber ohnedies hier keine Nachversicherung in Betracht gekommen, da der Kläger unabhängig von seinem beamtenrechtlichen Status schon mangels Entgeltzahlung nicht versicherungspflichtig gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Das LSG hat nicht beachtet, daß die beantragte Durchführung der Nachversicherung ein Rechtsverhältnis betrifft, an dem der damalige Arbeitgeber des Klägers, das Land Schleswig-Holstein, derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2, 1. Fall des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Streitig ist ein Nachversicherungsverhältnis. Die Entscheidung, ob und wie eine Nachversicherung durchzuführen ist, kann gegenüber dem Versicherten, dessen Arbeitgeber und dem zuständigen Rentenversicherungsträger nur einheitlich ergehen (BSGE 11, 278 f). Ob der Arbeitgeber die Nachversicherungsbeiträge dem Versicherungsträger angeboten hat und (jedenfalls zZt) weiterhin zur Beitragsentrichtung bereit ist, ist für die Frage seiner Beiladung unerheblich. Die durch diese bewirkte Bindung an das gerichtliche Urteil (§ 141 Abs 1 SGG) verhindert im übrigen die Berufung auf die Nichtbeteiligung am gerichtlichen Verfahren im Falle einer späteren Rückforderung der Nachversicherungsbeiträge.

Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (BSG SozR 1500 § 75 Nrn 1, 21, 29, 33).

Das auf dem Verfahrensmangel beruhende Urteil des LSG muß demnach aufgehoben werden, ohne daß - mangels Beteiligung aller vom Verfahren Betroffenen - der Senat Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreits machen kann.

Die Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659335

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