Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber ist berechtigt, Ansprüche der Arbeitnehmer auf Kurzarbeitergeld gegenüber der Bundesanstalt geltend zu machen (AVAVG § 188 Abs 2).
2. Die Mindestarbeitszeit von 8 Stunden (AVAVG § 120 Abs 2 Nr 3) kann nur "versäumt" werden, wenn überhaupt eine Arbeitszeit von dieser Dauer vereinbart oder betriebsüblich war.
Leitsatz (redaktionell)
Jedenfalls in Fällen, in denen der Arbeitgeber nicht eigene Ansprüche verfolgt, sondern in Wirklichkeit Ansprüche seiner Arbeitnehmer im Verfahren geltend macht, ist aus der Fassung des SGG § 166 Abs 2 zu folgern, daß Gewerkschaftsvertreter auch für Arbeitgeber auftreten können. Die Vorschrift bestimmt lediglich, daß als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG unter anderem Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften zugelassen sind, enthält also insoweit im Gegensatz zu ArbGG keine Einschränkung.
Normenkette
AVAVG § 120 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1957-04-03, § 188 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03; SGG § 166 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; ArbGG § 11 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30 . Juni 1961 wird zurückgewiesen .
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I .
Die Klägerin zeigte am 11 . Dezember 1958 dem Arbeitsamt (ArbA) an , sie werde vom 20 . Dezember 1958 an verkürzt arbeiten . Am 15. Januar 1959 beantragte sie Kurzarbeitergeld (Kug) für 40 Arbeitnehmer für die Doppelwoche vom 20 . Dezember 1958 bis 2 . Januar 1959 . Das ArbA lehnte lehnte den Antrag für sieben Arbeitnehmerinnen , nämlich
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durch Bescheid vom 12 . Februar 1959 ab , weil diese Arbeitnehmerinnen in der Doppelwoche nur 7 1/2 Stunden gearbeitet und damit die Mindestarbeitszeit von 8 Stunden (§ 120 Abs . 2 Nr . 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -) nicht erreicht hätten . In ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend , diese verheirateten Arbeiterinnen gingen jeweils statt um 12 Uhr bereits um 11 , 30 Uhr nach Hause , um das Mittagessen zu kochen; sie hätten aus diesem Grunde nur eine Arbeitszeit vom 7 1/2 Stunden gehabt . Da sie schon seit Jahren um diese Zeit die Arbeit beendeten , hätten sie nicht daran gedacht , daß hierdurch der Pflichttag nicht erfüllt werde. Der Widerspruch wurde am 19 . Februar 1959 zurückgewiesen. Auf die Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte dem Grunde nach , für die genannten 7 Arbeitnehmerinnen Kug zu gewähren; es ließ die Berufung zu. Das Landessozialgericht (LSG) wies durch Urteil vom 30. Juni 1961 die Klage ab. Es hatte die Arbeitnehmerinnen nicht beigeladen , da nach seiner Auffassung kein Fall notwendiger Beiladung (§ 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) vorlag. Den Anspruch auf Kug verneinte es , weil das in § 120 Abs . 2 Nr . 3 AVAVG aufgestellte Erfordernis einer Mindestarbeitszeit von 8 Stunden nicht erfüllt sei . Die Mindestdauer sei nicht unverschuldet versäumt worden , da eine Mindestarbeitszeit von 8 Stunden durch den Arbeitgeber überhaupt nicht festgelegt gewesen sei; die Arbeitszeit habe für jene Arbeiterinnen nur 7 1/2 Stunden betragen . Das LSG ließ die Revision zu .
Die Klägerin legte gegen das am 24 . Juli 1961 zugestellte Urteil am 2. August 1961 Revision ein und begründete sie im gleichen Schriftsatz .
Sie trägt vor , die Arbeiterinnen hätten die Mindestarbeitszeit von 8 Stunden unverschuldet versäumt . Um 11 , 30 Uhr sei das übliche Klingelzeichen ertönt , dieses habe aber auf einem Versehen des Arbeitgebers beruht . Auf das Klingelzeichen seien die betreffenden Arbeitnehmerinnen wie gewöhnlich zur Zubereitung des Mittagessens nach Hause gegangen . Eine unverschuldete Versäumnis liege auch vor , wenn die Mindestarbeitszeit infolge eines Versehens des Betriebes durch einzelne Arbeitnehmer nicht erreicht werden könne . Das LSG hätte diesen Vortrag der Klägerin entweder als richtig unterstellen oder darüber Beweis erheben müssen. Gehe man aber davon aus , daß das Klingelzeichen tatsächlich versehentlich ausgelöst worden sei , so hätten die Arbeitnehmerinnen die Mindestzeit unverschuldet versäumt.
Die Klägerin beantragt ,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30. Juni 1961 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Speyer vom 1 . Februar 1960 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt ,
die Revision zurückzuweisen .
II .
Die durch die Zulassung statthafte , auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet.
Zunächst bestehen keine Bedenken dagegen , daß die Klägerin im Revisionsverfahren , obwohl sie eine Arbeitgeberin ist , durch ein Mitglied bzw . einen Angestellten einer Gewerkschaft vertreten wird. Im Gegensatz zu § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes , wonach die Vertreter von Gewerkschaften vor den Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten nur für die Gewerkschaften , deren Verbände und Mitglieder auftreten können , enthält § 166 Abs . 2 SGG keine derartige Einschränkung . Er bestimmt lediglich , daß als Prozeßbevollmächtigte vor dem Bundessozialgericht (BSG) u . a. Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften zugelassen sind . Es kann dahinstehen , ob aus dieser Fassung des Gesetzes allgemein zu folgern ist , daß Gewerkschaftsvertreter auch für Arbeitgeber auftreten können . Jedenfalls ist diese Befugnis im vorliegenden Falle zu bejahen , in dem die Arbeitgeberin nicht eigene Ansprüche verfolgt , sondern in Wirklichkeit Ansprüche der Arbeitnehmer geltend macht , Denn in dem Rechtsstreit handelt es sich um Kug , das den Arbeitnehmern zusteht , aber - wie noch auszuführen sein wird - wegen der besonderen Regelung in § 188 AVAVG vom Arbeitgeber beim ArbA zu beantragen und bei Ablehnung weiter zu verfolgen ist . Ob die Arbeitnehmerinnen gemäß § 75 Abs. 2 SGG hätten beigeladen werden müssen , weil sie an dem Rechtsverhältnis als Dritte derart beteiligt waren , daß die Entscheidung auch Ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen konnte , darf offen bleiben. Denn auch wenn ein Fall notwendiger Beiladung vorliegen sollte , wäre die Unterlassung der Beiladung im Revisionsverfahren ohne Bedeutung , weil die Klägerin dies nicht gerügt , das BSG aber einen solchen Mangel nicht von Amts wegen zu berücksichtigen hat (BSG 1 , 158; 7 , 269) .
Die Klägerin ist als die Arbeitgeberin befugt , die Ansprüche auf Kug im sozialgerichtlichen Verfahren geltend zu machen , obwohl das Kug nicht ihr , sondern den Arbeitnehmerinnen zusteht . Nach § 188 Abs . 2 in Verbindung mit Abs. 1 AVAVG hat der Arbeitgeber den Antrag auf Kug beim ArbA zu stellen , er hat auch nach Abs. 3 dem ArbA die Voraussetzungen für die Gewährung nachzuweisen. Daraus ergibt sich zugleich die Befugnis , im Falle der Ablehnung des Antrags die Ansprüche im sozialgerichtlichen Verfahren weiterzuverfolgen (ebenso Draeger/Buchwitz/Schönefelder , AVAVG , § 188 Anm . 7) . Überdies ist die Arbeitgeberin durch die Ablehnung auch ihrerseits beschwert und auch deshalb gehalten , gegen sie vorzugehen , weil sie sich sonst unter Umständen gegenüber den Arbeitnehmerinnen regreßpflichtig machen würde .
Nach § 120 Abs . 2 Nr . 3 AVAVG ist Voraussetzung für die Gewährung von Kug u . a ., daß der Kurzarbeiter in der Doppelwoche wenigstens eine volle Arbeitsschicht , mindestens aber 8 Stunden , in der Arbeitsstätte beschäftigt wird; diese Voraussetzung gilt auch als erfüllt , wenn der Arbeitnehmer die Mindestarbeitszeit unverschuldet versäumt . Hierzu hat das LSG festgestellt , daß für die betreffenden Arbeiterinnen an dem damaligen Arbeitstag keine Mindestarbeitszeit von 8 Stunden festgelegt gewesen ist; vielmehr habe diese nur 7 1/2 Stunden betragen , weil die Arbeitszeit der verheirateten Arbeitnehmerinnen vormittags nicht um 12 Uhr , sondern schon um 11 , 30 Uhr zu Ende gewesen sei , wie sich aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin und aus den Bekundungen der Zeugin Schmitt ergebe . Gegen diese Feststellungen hat die Revision keine den Anforderungen der §§ 163 , 164 Abs . 2 SGG entsprechenden Rügen vorgebracht . Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das LSG seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Denn es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor , daß an dem Tag , an dem die Kurzarbeit geleistet wurde , eine Arbeitszeit von 8 Stunden unter Abweichung von der bisherigen langdauernden Handhabung von den betreffenden Frauen zu leisten war. Aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin , den Angaben des Firmeninhabers vor dem SG , den Bekundungen der Zeugin Schmitt und aus dem Anschlag am schwarzen Brett des Betriebes ergab sich vielmehr , daß für den betreffenden Tag die Arbeitszeit der Frauen die gleiche wie bisher war , nämlich 7 1/2 Stunden , und daß weder ausdrücklich noch stillschweigend insoweit eine Änderung eingetreten war . Das LSG hatte deshalb keinen Anlaß , weitere Ermittlungen anzustellen , sondern konnte , ohne gegen Verfahrensvorschriften zu verstoßen , feststellen , es sei nur eine Arbeitszeit von 7 1/2 Stunden am damaligen Tag von jenen Frauen zu leisten gewesen. Das BSG ist nach § 163 SGG an diese Feststellungen gebunden.
Damit ist die Voraussetzung des § 120 Abs. 2 Nr. 3 AVAVG , nämlich eine Mindestarbeitszeit von 8 Stunden , nicht erfüllt. Die Mindestarbeitszeit ist auch nicht ohne Verschulden versäumt worden . Denn die Anwendung dieser Vorschrift setzt begrifflich voraus , daß überhaupt eine Arbeitszeit von 8 Stunden nach den vertraglichen Bedingungen zu leisten war . Nur wenn eine solche vereinbart oder betriebsüblich gewesen wäre , hätte diese ohne Verschulden versäumt werden können , z . B . durch Zugverspätung , Vorladung bei Behörden , Erledigung dringender Familienangelegenheiten oder dergleichen. Da die Arbeitszeit der betreffenden Frauen immer 7 1/2 Stunden betrug und nicht durch eine Vereinbarung für den fraglichen Tag auf 8 Stunden verlängert worden war , konnte eine achtstündige Arbeitszeit nicht ohne Verschulden versäumt werden. Worauf es zurückzuführen ist , daß keine Arbeitszeit von 8 Stunden vereinbart wurde , ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Der Senat brauchte nicht zu der Frage Stellung zu nehmen , ob etwa dann die Mindestarbeitszeit von 8 Stunden unverschuldet versäumt ist und deshalb ein Anspruch auf Kug besteht , wenn die Versäumung auf einem Verschulden des Arbeitgebers beruht. Denn Voraussetzung wäre auch hier gewesen , daß überhaupt eine Mindestarbeitszeit von 8 Stunden zu leisten war. Entscheidend ist , daß dazu keine Verpflichtung bestand; die Arbeitnehmerinnen gingen wie üblich früher weg und hatten auch nicht die Absicht , 8 Stunden an dem betreffenden Tage zu arbeiten.
Da es somit an einer zwingenden Voraussetzung für die Gewährung von Kug fehlt , hat das LSG zu Recht die Klage abgewiesen. Die Revision ist daher zurückzuweisen .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen
Haufe-Index 2336694 |
BSGE, 65 |