Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzesauslegung entgegen dem Wortlaut
Leitsatz (amtlich)
Beschäftigungen, nach denen der Arbeitslose Kurzarbeiterunterstützung erhalten hat, konnten bis zum 1959-11-30 Leistungsansprüche für die erweiterte Bezugsdauer des AVAVG § 87 Abs 2 nicht begründen.
Der Neufassung dieser Vorschrift durch das 2. ÄndG AVAVG vom 1959-12-07 (BGBl 1 705) hat der Gesetzgeber Rückwirkung nicht verliehen; sie ist auch im Auslegungswege für die Vergangenheit nicht anwendbar.
Orientierungssatz
1. Eine Vorschrift kann entsprechend dem gesetzlichen Grundgedanken auch gegen ihren Wortlaut ausgelegt und angewandt werden - es sei denn, das Erfordernis der Rechtssicherheit steht entscheidend dagegen -, wenn sie Fälle umfaßt oder Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber nicht erkannt oder bedacht worden sind und sonst vernünftigerweise nicht in dieser Weise geordnet sein würden.
2. Wesentliche Merkmale und Bedingungen für eine derart berichtigende, abändernde oder ergänzende Rechtsfindung.
Normenkette
AVAVG § 87 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03; AVAVGÄndG 2 Fassung: 1959-12-07; AVAVG § 87 Abs. 2 Fassung: 1959-12-07
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. November 1960 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger war von 1933 bis zum 31. Mai 1957 als Konstrukteur bei den Bayerischen Motorenwerken A. G. in M versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 16. bis zum 31. Januar 1957 bezog er Kurzarbeiterunterstützung (KU). Auf Arbeitslosmeldung hin bewilligte ihm die Beklagte vom 24. Juni 1957 an Arbeitslosengeld (Alg) für 156 Tage. Seinen. Antrag, diese Leistungen seiner vieljährigen Beschäftigung wegen für längere Dauer zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. November 1957 ab; der Kläger habe infolge des Bezugs von KU keinen Anspruch auf die erhöhte Bezugsdauer nach § 87 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. März 1958). Auf Klage hin hob das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf und verurteilte sie, dem Kläger Alg für weitere 78 Tage zu gewähren (Urteil vom 3. Juni 1958). § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG bestimme zwar, daß Beschäftigungen, nach denen der Arbeitslose ua Lohnausfallvergütung bezogen habe, nicht zur Erhöhung der Bezugsdauer führen. § 87 Abs. 4 AVAVG enthalte jedoch für das Kurzarbeitergeld (Kug), welches der früheren KU gleichzustellen sei, eine Ausnahmeregelung dergestalt, daß nur die Zeiten des Bezugs dieser Leistung unberücksichtigt bleiben müßten. Das Landessozialgericht (LSG) hob auf die Berufung der Beklagten hin diese Entscheidung auf und wies die Klage ab (Urteil vom 23. November 1960). Es verneinte einen Anspruch des Klägers auf Alg über 156 Tage hinaus. Maßgeblich sei der bis zum 1. Dezember 1959 geltende Wortlaut des § 87 Abs. 2 AVAVG idF des Gesetzes vom 3. April 1957 (BGBl I 321). Hiernach begründeten Beschäftigungen, nach denen der Arbeitslose Alg, Lohnausfallvergütung oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezogen habe, keinen Anspruch auf die erweiterte Bezugsdauer. Deshalb seien die Beschäftigungszeiten des Klägers vor dem Bezug der KU im Januar 1957 nicht anwartschaftsbegründend, obwohl sie einen Zeitraum von mehr als 52 Wochen umfaßten. § 87 Abs. 4 AVAVG stehe dem nicht entgegen. Wenn darin bestimmt sei, daß Zeiten, für die Kug bezogen wurde, keinen erhöhten Anspruch begründen, so stelle dies keine Ausnahme, sondern eine Ergänzung zu § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG dar. Der Abs. 2 aaO betreffe Zeiten, die der Kurzarbeit vorangehen, der Abs. 4 aaO Zeiten der Kurzarbeit selbst. Auch die Herausnahme der Lohnausfallvergütung aus der Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 rechtfertige keine andere Beurteilung, da dieses Gesetz erst am 1. Dezember 1959 in Kraft getreten und ihm keine Rückwirkung beigelegt sei. Revision wurde zugelassen.
II. Gegen das am 10. Februar 1961 zugestellte Urteil legte der Kläger am 15. Februar 1961 Revision ein und begründete diese - nach Fristverlängerung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - am 14. April 1961. Zwar sei es zutreffend, daß § 87 Abs. 4 und § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG in der vor dem 1. Dezember 1959 geltenden Fassung zwei verschiedene Tatbestände regelten und daß hiernach Beschäftigungen, die vor dem Bezug von KU oder Kug lagen, nicht anwartschaftsbegründend gewesen seien. Durch die Neufassung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG im Zweiten Änderungsgesetz sei jedoch nunmehr gewährleistet, daß Zeiten vor dem Bezug des Kug berücksichtigt werden. Diese Regelung sei getroffen worden, weil der Gesetzgeber erkannt habe, daß der ursprüngliche Wortlaut des Gesetzes zu unbilligen Härten führen mußte, insbesondere dann, wenn der Arbeitslose - wie im Falle des Klägers - nur kurze Zeit KU bezogen habe. Die Möglichkeit solcher Härtefälle auf Grund von § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG aF habe der Gesetzgeber bei Schaffung des Gesetzes vom 3. April 1957 offensichtlich übersehen; sonst hätte er sie von vornherein ausgeschlossen. Das ergebe sich vor allem daraus, daß die Korrektur bereits nach so kurzer Zeit erfolgt sei. Der Gesetzgeber habe sich also selbst berichtigt. Infolgedessen sei auch der Richter befugt, von der ursprünglichen Fassung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG im Sinne der späteren Änderung abzugehen. Es handele sich alsdann um eine der Fortentwicklung des Rechts dienende zulässige Auslegung einer Vorschrift, um dem Willen des Gesetzgebers zum Durchbruch zu verhelfen. Der Kläger verweist hierzu auf die Ausführungen von Enneccerus/Nipperdey im Allgemeinen Teil ihres Lehrbuchs zum Bürgerlichen Recht (§ 59).
Der Kläger beantragte,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 3. Juni 1958 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verneint unter Hinweis auf die ihrer Meinung nach eindeutige Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG in der vor dem 1. Dezember 1959 geltenden Fassung weiterhin einen Anspruch des Klägers auf Alg über 156 Tage hinaus und macht sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.
III. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 15. November 1957 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 1958. Damit wurde der Anspruch des Klägers auf Alg für die erweiterte Bezugsdauer des § 87 Abs. 2 AVAVG abgelehnt. Diese Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig; denn dem Kläger steht ein Alg-Anspruch nur für 156 Tage zu. Dieser erwächst daraus, daß er innerhalb der dem Tage der Arbeitslosmeldung (6. Juni 1957) vorhergehenden Rahmenfrist von zwei Jahren (§ 85 AVAVG) mehr als 52 Wochen versicherungspflichtig beschäftigt war (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 AVAVG). Darüber hinaus eröffnet zwar § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG für je weitere 52 Wochen versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung innerhalb der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung einen Anspruch für je weitere 78 Leistungstage. Dem Kläger steht jedoch, obzwar er die hier geforderte Beschäftigung nach Art und Umfang nachzuweisen vermag, diese erweiterte Bezugsdauer nicht zu, weil er vom 16. bis zum 31. Januar 1957 KU bezogen hat. § 87 Abs. 2 Satz 2 in der im Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. BSG 9, 240; BSG in SozR AVAVG § 85 Bl. Ba 5 Nr. 4) geltenden Fassung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 3. April 1957 (BGBl I 321) verwehrte die Heranziehung solcher Beschäftigungszeiten zur Anwartschaftsbegründung im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG, die vor dem Bezug der Lohnausfallvergütung liegen. Das Kurzarbeitergeld, vor dem 1. April 1957 Kurzarbeiterunterstützung genannt, ist, wie sich aus den Vorschriften der §§ 116 ff AVAVG ergibt, eine typische Leistungsart der Lohnausfallvergütung (vgl. Abschnitt D Lohnausfallvergütung, Unterabschnitt I Kurzarbeitergeld). Das hat zur Folge, daß die Beschäftigungszeiten des Klägers vor dem 16. Januar 1957, an dem seine mit KU begleitete Kurzarbeit einsetzte, einen Anspruch auf Alg nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG nicht auslösen. Diese Rechtswirkung wird durch § 87 Abs. 4 AVAVG nicht ausgeschlossen. Dem LSG ist beizupflichten, daß jene Vorschrift lediglich bestimmt, welchen Einfluß die Zeiten des Bezugs von Kug selber auf die Dauer des Alg-Anspruchs haben. § 87 Abs. 4 AVAVG berührt jedoch nicht die Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG, weil es sich dort um die Beschäftigungszeiten vor dem Kug-Bezug handelt. § 87 Abs. 4 AVAVG ändert also den Satz 2 des § 87 Abs. 2 AVAVG nicht, sondern ergänzt ihn, wie das LSG zutreffend dargelegt hat.
IV. Ferner ist vorliegend auch kein Raum für die vom Kläger angestrebte Auslegung des geltenden § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG im Sinne der späteren Neufassung durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705). Es ist richtig, daß der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Dezember 1959 an die Lohnausfallvergütung als Hindernis für die Anwartschaftsfähigkeit vorausgegangener Beschäftigungen beseitigt hat und daß dies geschah, um Härten zu vermeiden. Im Regierungsentwurf zum Zweiten Änderungsgesetz wird hierfür folgende Begründung gegeben (vgl. BT-Drucks. 1240, III. Wahlperiode, S. 12): "§ 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG sieht ua vor, daß Beschäftigungen, nach denen der Arbeitslose Lohnausfallvergütung bezogen hat, einen über 26 Wochen hinausgehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht begründen können. Diese Vorschrift hat dann zu Härten geführt, wenn der Arbeitslose Kurzarbeitergeld nur für verhältnismäßig kurze Zeit oder nur in geringer Höhe bezogen hat. Abs. 2 Satz 2 in der Fassung des Entwurfs sieht deshalb eine Beseitigung der einschränkenden Vorschrift vor".
Indessen rechtfertigen diese Motive für die nachfolgende Gesetzesänderung nicht bereits die vom Kläger geforderte Auslegung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG in der bis zum 30. November 1959 geltenden Fassung. Dies würde eine Auslegung gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes bedeuten. Eine abändernde Rechtsfindung, teilweise auch Restriktion genannt, ist zwar für bestimmte Rechtssituationen als legitime Aufgabe des Richters sowohl von der Rechtslehre als auch von der Rechtsprechung anerkannt, wenn und soweit der Grundsatz der Trennung der Gewalten (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes) dadurch nicht verletzt wird. Zutreffend verweist der Kläger hierzu auf die Ausführungen von Enneccerus/Nipperdey im Allgemeinen Teil ihres Lehrbuchs des Bürgerlichen Rechts 1959, 1. Halbbd. § 59. Dort (S. 346 ff) wird die Auffassung vertreten, daß eine Vorschrift entsprechend dem gesetzlichen Grundgedanken auch gegen ihren Wortlaut ausgelegt und angewandt werden kann - es sei denn, das Erfordernis der Rechtssicherheit stehe entscheidend dagegen -, wenn sie Fälle umfaßt oder Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber nicht erkannt oder bedacht worden sind und sonst vernünftigerweise nicht in dieser Weise geordnet sein würden. Rechtslehre (vgl. ua Larenz, Methodenlehre 1960, 264 ff; Engisch, Einführung in das juristische Denken 2. Aufl. 1959, 134 ff; Bender JZ 1957, 593 ff; Reinicke, NJW 1952, 1033 ff und NJW 1955, 1383 ff; Zimmermann, NJW 1956, 1262 ff) und Rechtsprechung (vgl. ua BGHZ 2, 194 ff, 3, 84 ff; 17, 266 ff; 18, 44 ff; BAG 2, 147 ff; 3, 159 ff; BAG, Großer Senat vom 16. März 1962 - GS 1/61 - in MdR 1962, 451; BFH vom 16. November 1950 in BStBl 1951 III 3 ff; BFH vom 16. April 1953 in BStBl 1953 III 166 ff, BFH vom 25. März 1954 in BStBl 1954 III 241 ff und BFH vom 15. Juli 1954 in BStBl 1954 III 251; sowie BSG 2, 164 ff; 6, 204 ff) haben jedoch für eine derart berichtigende, abändernde oder ergänzende Rechtsfindung wesentliche Merkmale und Bedingungen erarbeitet. Grundsätzlich ist Voraussetzung, daß entweder
a) die Verhältnisse seit Erlaß der Vorschrift sich in einer Weise geändert haben, die für den ursprünglichen Gesetzgeber nicht voraussehbar war, die er aber vernünftigerweise in die Regelung einbezogen oder nicht in dieser, sondern in einer anderen Weise geordnet hätte, wenn er sie damals erkannt hätte,
oder daß
b) der Gesetzgeber sich in einem Motivirrtum befunden hat, d. h. daß seine Voraussetzungen, die gerade zu der gewählten Fassung führten, fehlerhaft, insbesondere von einer unzutreffenden Würdigung rechtlicher oder tatsächlicher Gegebenheiten getragen waren,
oder schließlich
c) daß die Anwendung des Gesetzesbuchstabens zu offensichtlich sinnwidrigen Ergebnissen führt.
Die Übertragung dieser Grundsätze auf die Streitsache des Klägers ergibt keine Rechtfertigung dafür, den § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG in der vor dem 1. Dezember 1959 geltenden Fassung gegen seinen eindeutigen Wortlaut dahin auszulegen, daß Beschäftigungen, nach denen der Arbeitslose Lohnausfallvergütung bezogen hat, Leistungsansprüche für die erweiterte Bezugsdauer begründen. Eine Änderung der Verhältnisse scheidet aus, da nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt sich verändert oder neu ergeben hätte, dessen Kenntnis den Gesetzgeber bewogen haben könnte, die Lohnausfallvergütung von Anfang an aus der Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG herauszulassen. Die möglichen Härtefälle, die ihn später zur Änderung veranlaßt haben, sind keine Sachverhaltsänderungen, sondern Rechtsfolgen aus der Anwendung des Gesetzes; zudem waren sie von Anfang an erkennbar, beruhen somit nicht auf einer Wandlung tatsächlicher Gegebenheiten. Weiterhin kann diesbezüglich aber auch nicht von einem Motivirrtum des Gesetzgebers ausgegangen werden, wie es dem Kläger offenbar vorschwebt, also nicht davon, daß dieser sich über die möglichen Rechtsfolgen (Härtefolgen) der Regelung geirrt hätte. Dies erhellen insbesondere die Materialien zu dieser Vorschrift (vgl. BT-Drucks. 1274, II. Wahlperiode 1953, 126). Danach forderte § 99 Abs. 1 Satz 3 ff AVAVG in der vor dem 1. April 1957 geltenden Fassung als Voraussetzung für den Anspruch auf eine längere Bezugsdauer als 26 Wochen eine vorgängige ununterbrochene Beschäftigung bestimmten Umfangs. Hierin erblickte der Gesetzgeber eine Härte und eliminierte den Begriff der ununterbrochenen Beschäftigung mit der Neufassung des AVAVG vom 3. April 1957 aus dem Gesetz. Nach seinem Willen - dies ergibt sich ebenfalls unverkennbar aus der Gesetzesbegründung (aaO) - sollte aber nicht jede Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses für die Anwartschaftsfähigkeit von vorgängigen Beschäftigungszeiten unbeachtlich und unschädlich sein, sondern nur solche, die nicht zur Inanspruchnahme von typischen Leistungen des AVAVG führten. Zeiten des Bezugs von Alg, Lohnausfallvergütung oder Alhi hingegen sollten weiterhin die verlängerte Bezugsdauer ausschließen. Wenngleich also § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG idF des Gesetzes vom 3. April 1957 gegenüber der früheren Regelung des § 99 AVAVG aF eine Vergünstigung brachte, beabsichtigte der Gesetzgeber, dem für die Arbeitslosenversicherung kennzeichnenden modifizierten Versicherungsprinzip (vgl. BT-Drucks. 1274 II. Wahlperiode 1953, 78 ff) dadurch Rechnung zu tragen, daß er dem Arbeitslosen aus seiner Beschäftigung zwar die Grundstaffeln des Leistungsanspruchs (§ 87 Abs. 1 AVAVG) einräumte, die erweiterte Bezugsdauer nach § 87 Abs. 2 AVAVG, deren Sondercharakter überdies auch aus dem Erfordernis versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung erkennbar ist, jedoch nur dann zubilligte, wenn der Arbeitslose nicht bereits Versicherungsleistungen (Alg bzw. Lohnausfallvergütung) oder Alhi erhalten hatte. Auf Dauer und Umfang jener Leistungen war dabei grundsätzlich nicht abgestellt.
V. Dies erweist, daß der Gesetzgeber bewußt die Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG auch bezüglich der Lohnausfallvergütung getroffen hat. Sie ist zudem weder unsachlich noch sachfremd. Daher ist es nicht vertretbar, diesen Willen des Gesetzgebers, der im Wortlaut des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG unzweideutig zum Ausdruck kommt, zu übergehen und Beschäftigungen, nach denen Lohnausfallvergütung bezogen wurde, als anwartschaftsbegründend im Sinne von § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG zu behandeln. Ein hiervon abweichender gesetzgeberischer Wille ist für die Zeit vom 1. April 1957 bis zum 30. November 1959 auch nicht der danach eingeführten Neufassung des § 87 Abs. 2 Satz 2 durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 zu entnehmen. Wenn der Gesetzgeber damit nur einen früheren "Motivirrtum" hätte berichtigen, also eine ursprünglich bereits vorhandene Absicht hätte kundtun wollen, dann hätte er diese Neuregelung mit rückwirkender Kraft ausstatten können und müssen. Da es sich ausschließlich um eine Begünstigung des betreffenden Personenkreises handelt, wäre er hierzu ohne weiteres berechtigt gewesen (vgl. BSG in Breithaupt 1961, 661 mit weiteren Nachweisen). Das ist jedoch nicht geschehen. Dabei kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber es etwa nur aus Gründen der Rechtssicherheit für die Vergangenheit bei der alten Regelung belassen hat. Sein im Gesetz zum Ausdruck gekommener Wille ging jedenfalls eindeutig dahin, die Neufassung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG erst vom 1. Dezember 1959 an wirksam zu machen. Gegenüber einem derartig offenkundig geäußerten Willen ist eine rechtsändernde Auslegung des alten § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG nicht zulässig.
Schließlich ist auch nicht festzustellen, daß die vor dem 1. Dezember 1959 geltende Fassung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG zu offensichtlich sinnwidrigen Ergebnissen führen müßte. Wie bereits dargelegt, hatte jene Regelung ihren sachlich durchaus vertretbaren Grund in dem Schutzgedanken gegen eine übermäßige oder mehrfache Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Daß hie und da Härtefälle eintreten können, ist unvermeidbar; wenn es sich um allgemeine Maßnahmen zu Gunsten der Versichertengemeinschaft handelt. Derartige Situationen treten auch anderweit im Bereich der Sozialversicherung auf, falls der Leistungsanspruch in einem bestimmt geregelten Verhältnis zu den eigenen Leistungen oder zu einem speziellen Verhalten des Versicherten steht. Beispielsweise kann sich ebenfalls eine Härte daraus ergeben, daß ein Arbeitsloser allein deswegen keinen Anspruch auf die erweiterte Bezugsdauer erhält, weil seine früheren Beschäftigungen infolge kürzesten Alg- oder Alhi-Bezugs (und wenn es sich nur um einen einzigen Tag handelt) ihre Anwartschaftsfähigkeit verlieren. Alsdann ist aber ebensowenig eine Grundlage dafür gegeben, daß nunmehr eine rechtsändernde Auslegung der gesetzlichen Vorschrift Platz greifen müßte.
VI. Hat nach alledem der Gesetzgeber der Neufassung des § 87 Abs. 2 Satz 2 AVAVG durch das Zweite Änderungsgesetz Rückwirkung nicht verliehen und ist diese Neuregelung auch im Auslegungswege für die Vergangenheit nicht anwendbar, so konnten die Beschäftigungen des Klägers, nach denen er KU bezogen hat, bis zum 30. November 1959 Leistungsansprüche für die erweiterte Bezugsdauer nicht begründen. Mithin waren die Bescheide der Beklagten Rechtens.
Das Urteil des LSG war daher im Ergebnis zu bestätigen und die Revision des Klägers zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Bei der Klagabweisung wäre allerdings im Tenor der Bescheid der Beklagten vom 15. November 1957 zusätzlich "in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1958" anzuführen gewesen (§ 95 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen