Leitsatz (redaktionell)
1. Nach BVG § 40a kommt es nicht auf den ursächlichen Zusammenhang des wirtschaftlichen Schadens der Witwe mit dem Tod ihres Ehemannes an; entscheidend ist vielmehr der durch die Schädigung verursachte Schaden, der sich aus dem Vergleich des Einkommens der Witwe mit dem mutmaßlichen Einkommen ihres Ehemannes ohne die Schädigung ergibt.
2. Eine Meisterprüfung ist nach DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 Abs 1 nur zu berücksichtigen, wenn sie als förderlich für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit angesehen werden kann.
Normenkette
BVG § 40a Fassung: 1964-02-21, § 30 Abs 3 u 4 DV § 5 Abs. 1 Fassung: 1964-07-30
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1967 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezieht Witwenversorgung aufgrund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach ihrem im Juli 1888 geborenen, im April 1951 an Lungentuberkulose verstorbenen Ehemann. Dieser hatte zwar keine Leistungen der Kriegsopferversorgung erhalten. Bei der Prüfung der Versorgungsansprüche der Klägerin war aber für die zum Tode führende tuberkulöse Erkrankung nach versorgungsärztlicher Auffassung ein ursächlicher Zusammenhang mit den besonders ungünstigen Lebensbedingungen im polnisch besetzten Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches als genügend nachgewiesen erachtet worden, weil diese Lebensbedingungen geeignet waren, eine Lungentuberkulose zu verschlimmern; deshalb war der Tod als Folge der Schädigung angesehen worden.
Im Juli 1964 beantragte die Klägerin die Gewährung von Schadensausgleich aufgrund des BVG in der Fassung des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) und gab an, ihr Ehemann sei seit dem Jahre 1919 in der väterlichen Wagenfabrik tätig gewesen und habe im Jahre 1926 die Meisterprüfung als Stellmacher und Wagenbauer gemacht; 1928 habe er wegen Rückgang des Betriebes die Wagenbaufirma aufgehoben und ein Handelsgeschäft mit Vertretungen für Farben, Lacke, Leime und chemische Baustoffe bis zur Vertreibung im Jahre 1945 geführt. Durch Bescheid vom 8. Februar 1966 gewährte die Verwaltung Schadensausgleich unter Zugrundelegung des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 7. Der Widerspruch, mit dem eine höhere Einstufung beantragt wurde, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1966), weil von dem Beruf als selbständiger Handelsvertreter auszugehen sei.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 3. Oktober 1966 den Beklagten unter Abänderung der Verwaltungsbescheide verurteilt, den Schadensausgleich der Klägerin unter Zugrundelegung des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 9 zu berechnen. Es hat ausgeführt, der Ehemann habe die Meisterprüfung als Stellmacher und Wagenbauer bestanden und neun Jahre lang, von 1919 bis 1928, das Gewerbe betrieben. Sein selbständiges Handelsgewerbe habe sich aus dem Handwerksbetrieb heraus entwickelt; er habe die Kenntnisse, die er im Handwerksbetrieb erworben habe, nutzbringend verwerten können.
Mit der Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, für den Schadensausgleich sei der Zeitpunkt des Todes des Ehemannes der Klägerin maßgebend. Damals sei er kein selbständiger Handelsvertreter gewesen. Die abgelegte Meisterprüfung als Stellmacher sei für den Betrieb des Handelsgeschäfts nicht förderlich gewesen. Durch Urteil vom 24. Mai 1967 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Nach dem BVG seien einem Beschädigten die Schäden zu ersetzen, die ihm durch die Schädigung entstanden seien. Dementsprechend habe das Versorgungsamt der Klägerin mit Recht Witwenrente gewährt und dabei anerkannt, daß der Tod ihres Ehemannes infolge einer durch die Ereignisse der Flucht entstandenen oder wesentlich verschlimmerten Lungentuberkulose als Schädigungsfolge eingetreten sei. Aus dem gleichen Gedanken heraus müsse bei der Feststellung des Schadensausgleichs von der Berufs- und Wirtschaftsgruppe ausgegangen werden, welcher der Verstorbene bei Eintritt des schädigenden Ereignisses, also der Vertreibung und Flucht aus der Heimatstadt O., angehört habe und deren Zugehörigkeit mindestens für die Dauer der Flucht bzw. die Austreibung aus Schlesien noch nicht beendet gewesen sei. Die im Stellmacher- und Wagenbauerberuf abgelegte Meisterprüfung sei zu berücksichtigen, weil die Führung eines Geschäfts mit Farben, Lacken, Leimen usw. sich organisch aus der früheren beruflichen Tätigkeit heraus entwickelt habe.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1967 und des SG Dortmund vom 3. Oktober 1966 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung materiellen und formellen Rechts, des § 40 a BVG, des § 5 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (DVO) und des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet.
Streitig ist für die Gewährung von Schadensausgleich die Frage, ob das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 oder A 9 zugrunde gelegt werden muß. Insoweit macht der Beklagte in erster Linie geltend, der Klägerin stehe ein Schadensausgleich an sich nicht zu, sie sei durch die Verwaltungsbescheide ungerechtfertigt begünstigt und könne auf keinen Fall höhere Leistungen verlangen als die Verwaltung mit der Berücksichtigung der Besoldungsgruppe A 7 festgesetzt habe. Dies ist rechtsirrig.
Zu Unrecht nimmt der Beklagte an, die Hinterbliebenenrente knüpfe ausschließlich an den Tod des Beschädigten an und solle für den Verlust des Ernährers entschädigen und nicht etwa für Verluste, welche der Ehemann selbst schon vor der Schädigung erlitten habe. In dieser Allgemeinheit treffen die Ausführungen nicht zu. Nach § 1 Abs. 5 BVG erhalten die Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung, wenn der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben ist. Die Hinterbliebenenversorgung besteht für die Witwe in der Grundrente (§ 40 BVG), dem Schadensausgleich (§ 40 a BVG) und der Ausgleichsrente (§ 41 BVG). Während Grundrente und Ausgleichsrente sich nur nach Merkmalen richten, welche in der Person der Witwe vorliegen, ist der Schadensausgleich des § 40 a BVG von Tatbestandsmerkmalen abhängig, welche in der Person des Beschädigten bestanden haben. Dies hat der Beklagte verkannt und sich zu Unrecht darauf bezogen, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tod des Beschädigten mit dem besonderen wirtschaftlichen Schaden bestehen müsse, welchen die Witwe erlitten hat. Dies traf nur für § 41 Abs. 3 BVG in der Fassung des 1. NOG zu. Nach dieser Vorschrift erhöhte sich die volle Ausgleichsrente der Witwe, wenn sie durch den Verlust ihres Ehemannes wirtschaftlich besonders betroffen war. Zu Unrecht glaubt der Beklagte, aus dieser Vorschrift einen leitenden Gedanken für die Hinterbliebenenversorgung überhaupt herleiten zu können. Vielmehr ist diese gesetzliche Regelung inzwischen durch das 2. NOG beseitigt worden. Die besondere wirtschaftliche Betroffenheit der Witwe wird nicht mehr durch die Erhöhung einer herkömmlichen Leistung, der Ausgleichsrente, berücksichtigt, sondern durch die neu eingeführte Leistung des Schadensausgleichs nach § 40 a BVG. Durch diese Änderung der Rechtslage ist nicht nur § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG überholt, sondern auch die Entscheidungen des Senats zu dieser Vorschrift (BSG SozR BVG § 41 Nr. 12). Deshalb kann bei der Beurteilung, ob die Witwe nach dem Tod ihres Ehemannes wirtschaftlich besonders geschädigt ist, nicht auf die frühere Rechtsprechung (BSG SozR BVG § 41 Nr. 11) zurückgegriffen werden. Die Erläuterungen von Wilke, Handkommentar zum BVG, 2. Aufl., S. 291, auf welche sich der Beklagte gestützt hat, gehen fehl.
Die Auffassung des Beklagten über die Notwendigkeit eines ursächlichen Zusammenhangs des wirtschaftlichen Schadens der Witwe mit dem Tod ihres Ehemannes steht mit dem Gesetz nicht im Einklang. Nach § 40 a BVG idF des 2. NOG erhält die Witwe einen Schadensausgleich, deren Einkommen mindestens 50,- DM geringer ist als die Hälfte des Einkommens, das der Ehemann ohne die Schädigung erzielt hätte. Mithin kommt es bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Schadens der Witwe nicht auf den Tod des Ehemannes der Klägerin an, sondern auf das mutmaßliche Einkommen ihres Ehemannes ohne die Schädigung. Wie das LSG zutreffend festgestellt hat, ist als Schädigung des Ehemannes die Verschlimmerung der Lungentuberkulose anzusehen, die durch schädigende Vorgänge infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten ist. Die hiergegen erhobenen Revisionsrügen einer Verletzung des § 128 SGG greifen nicht durch, weil das Berufungsgericht diese Feststellung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Berücksichtigung der früher abgegebenen ärztlichen Äußerungen fehlerfrei getroffen hat.
Nicht nur der Wortlaut des § 40 a BVG nF beweist, daß es für eine wirtschaftliche Schädigung der Witwe auf das mutmaßliche Einkommen des Ehemannes, das dieser ohne die Schädigung erzielt hätte, ankommt, sondern auch auf die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat bei der Beratung des 2. NOG vor dem Bundestag ausgeführt (Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Stenographische Berichte der 78. Sitzung, S. 3799):
In vielen Fällen sei die Hinterbliebenenversorgung infolge des frühzeitigen Todes des Mannes nicht ausreichend; es sei dringend erforderlich gewesen, sich dieser Fälle besonders anzunehmen; deshalb müsse eine von der Ausgleichsrente losgelöste Regelung getroffen werden; die Witwe dürfe zu dem Verlust ihres Mannes nicht auch noch den Verlust ihrer eigenen sozialen und wirtschaftlichen Stellung und der ihrer Kinder hinnehmen müssen.
Diese Absicht des Gesetzgebers hat im 2. NOG eindeutigen Ausdruck gefunden. Sie hat der Beklagte nicht berücksichtigt, so daß seine Ausführungen gegen das angefochtene Urteil nicht begründet sind. Vielmehr ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung von Schadensausgleich zu Recht von dem mutmaßlichen Einkommen ihres Ehemannes ausgegangen, das dieser ohne die Schädigung erzielt hätte.
Das Berufungsgericht hat als mutmaßliches Einkommen des Ehemannes i. S. des § 40 a Abs. 2 BVG idF des 2. NOG seine Stellung als selbständiger Handelsvertreter zugrunde gelegt. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Auffassung, der Ehemann habe diese Stellung durch die Vertreibung aus O eingebüßt; er sei in Bad S Helfer im Gaswerk gewesen und habe sich auch dadurch von seiner früheren Berufs- und Wirtschaftsgruppe gelöst. Auch dem kann nicht gefolgt werden. Durch die kriegerischen Verhältnisse und die Besetzung Schlesiens sind zwar die Klägerin und ihr Ehemann aus O vertrieben worden. Sie haben sich zunächst in Bad S aufgehalten, dort aber keine neue Existenz begründen wollen und können. Infolgedessen ist es im Hinblick auf die durch das Kriegsgeschehen in der Schwebe gehaltene wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeit nicht nur der Vertriebenen, sondern auch weiter Kreise der Bevölkerung unrichtig zu sagen, sie hätten Beruf und Berufsgruppe bereits mit dem kriegerischen Ereignis der Vertreibung verloren. Hiervon könnte erst dann die Rede sein, wenn die Betroffenen nach Abschluß der Kampfhandlungen und nach einer gewissen Normalisierung der Verhältnisse innerhalb der verschiedenen Besatzungszonen des ehemaligen Deutschen Reiches sich endgültig einem anderen Beruf zugewendet haben. Dies trifft vorliegend nicht zu. Vielmehr ist die Lungentuberkulose des Ehemannes der Klägerin noch in Bad Salzbrunn ausgebrochen bzw. ihre Verschlimmerung erkennbar geworden, was sich auch daraus ergibt, daß diese Erkrankung unmittelbar nach seinem Eintreffen in der britischen Zone in L ärztlich erkannt worden ist. Diese Lungentuberkulose hat das LSG zutreffend als Schädigungsfolge des Ehemannes der Klägerin angesehen. Schädigendes Ereignis ist nach dem Akteninhalt nicht nur die Flucht, sondern sind auch die ungünstigen Lebensverhältnisse in Bad S. Dieses Ereignis fällt zeitlich mit dem bereits oben erwähnten Schwebezustand für den Ehemann der Klägerin zusammen, währenddessen sich noch nicht sagen ließ, ob er - infolge der Vertreibung - seinen früheren Beruf als selbständiger Handelsvertreter verloren hätte und einer anderen Berufs- und Wirtschaftsgruppe zuzuordnen wäre. Im Hinblick hierauf - nämlich auf die zu der Zeit des Eintritts der Schädigung noch fortwirkende Prägung der Berufsstellung des Ehemannes der Klägerin durch den Beruf in O - ist das LSG entgegen der Ansicht der Revision zutreffend von diesem früheren Beruf des selbständigen Handelsvertreters ausgegangen.
Schließlich ist das angefochtene Urteil auch insoweit zutreffend, als es die Meisterprüfung im Wagenbauer- und Stellmachergewerbe für den Aufbau des Handelsgeschäfts in Farben, Lacken usw. als förderlich angesehen hat. Zu Unrecht geht insoweit die Revision von dem durch den Auszug aus dem Handelsregister vom Juni 1944 beschriebenen Arbeitsgebiet "Handelsvertretung in Farben, Lacken, Leimen und chemischen Baustoffen" aus. Das LSG hat ausdrücklich festgestellt, daß sich die Verhältnisse des Geschäfts nicht weiter aufklären lassen. Das bedeutet aber nach dem Grundsatz der objektiven Beweislosigkeit (BSG 6, 70 ff) im vorliegenden Falle nicht, daß von dieser Sparteneinteilung schon für das Jahr 1928 ausgegangen werden müßte. Auffällig ist, daß die Betätigung der Firma beginnt mit "Farben, Lacken, Leimen". Dies ist offenbar das Schwergewicht der Tätigkeit gewesen, hat sicherlich aber die Geschäftszweige bezeichnet, die zuerst bearbeitet worden und zu denen dann weitere hinzugekommen sind. Derartige Erwägungen konnte das LSG ohne Rechtsverstoß, insbesondere ohne Verstoß gegen § 128 SGG, aus der allgemeinen Erfahrung herleiten. Es brauchte auch nicht - entgegen der Ansicht der Revision - den Sachverhalt durch einen Gutachter einer Industrie- und Handelskammer weiter zu klären versuchen. Denn es genügt, daß die Meisterstellung für die Bereiche Farben, Lacke und Leime förderlich gewesen ist. Hinzu kommt nach der allgemeinen Erfahrung, daß chemische Baustoffe im Jahre 1928 noch bei weitem nicht die Bedeutung gehabt haben wie späterhin gegen Ende der dreißiger Jahre oder etwa während der Kriegsverhältnisse mit ihren Materialschwierigkeiten. Im Hinblick hierauf konnte das LSG es ohne Rechtsverstoß auf die Handelsvertretung in Farben und Lacken als Hauptsache abstellen, die Ausbildung als Meister im Wagenbauer- und Stellmachergewerbe für diesen Zweig des Handelsgewerbes als förderlich ansehen und demgemäß die Meisterstellung mit der Zuordnung zur Besoldungsgruppe A 9 berücksichtigen.
Da sonach die angefochtene Entscheidung der Tatsachen- und Rechtslage entspricht, ist die Revision nicht begründet und mußte nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen