Orientierungssatz
Zur Frage, wann für in Arbeitsbereitschaft befindliche Beschäftigte Unfallversicherungsschutz besteht (hier: Zuschauen bei militärischen Vorführungen).
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Juni 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin zu 1) ist die - seit März 1965 wiederverheiratete - Witwe, die Kläger zu 2) und 3) sind die Waisen des Kraftfahrers M L (L.), der am 24. September 1957 eine tödliche Schußverletzung erlitt. Über die Geschehnisse, die zum Tod des L. führten, hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg folgendes festgestellt:
"L. war seit 1953 als Kraftfahrer bei einer Transporteinheit der Deutschen Dienstgruppenorganisation der französischen Kommandantur des Truppenübungsplatzes Heuberg tätig. Zugführer dieser im Lager Stetten a. k. M. stationierten Transporteinheit mit 30 Kraftfahrern war P B; ihr technischer Leiter (Garagenchef) war A G. Dessen Aufgabengebiet umfaßte die Aufsicht über die Kraftfahrzeuge und den Einsatz der Kraftfahrer gemäß den Befehlen des Zugführers.
Am 24.9.1957 waren auf der Schießbahn IV des Truppenübungsplatzes Vorführungen von Einheiten der (deutschen) 1. Luftlandedivision vorgesehen, und zwar u. a. von 10.30 bis 11.15 Uhr “Sprungvorführung mit anschl. Gefechtsübung„ sowie danach von 11.30 bis 12.30 Uhr “Schießen eines Fla.Zuges„.
Am Vormittag dieses Tages hatten 10 Kraftfahrer des Zuges B der Transporteinheit in ihrem Standort (Lager Stetten) Bereitschaftsdienst. Unter ihnen befanden sich die Kraftfahrer L. und K. K war um 08.00 Uhr mit einem Omnibus von einer Fahrt zurückgekehrt und hatte diesen anschließend gereinigt. In der Vesperpause gegen 09.30 Uhr wurde aus der Mitte der Kraftfahrer an G der Wunsch herangetragen, bei der geplanten Sprungvorführung zusehen zu dürfen. G setzte sich hierauf fernmündlich mit B in Verbindung. B erteilte mit dem Hinweis, daß die Fahrer für ihn jederzeit erreichbar sein müßten, die Erlaubnis, zur Stettener Höhe (etwa 500 m vom Nordtor des Lagers Stetten entfernt) zu fahren. Auf Vorschlag, wiederum aus der Mitte der Kraftfahrer, und Mitteilung des K, daß er fahren könne, erklärte sich G damit einverstanden, daß der Weg mit dessen Omnibus zurückgelegt werde.
Von den 10 Kraftfahrern des Zuges B blieb ein als Motorradfahrer eingeteilter Büroangestellter zurück, um evtl. Einsatzbefehle der Kommandantur zu übermitteln. G und die übrigen 9 Kraftfahrer sowie etwa 10 bis 15 weitere Personen aus dem Lager, die von der Fahrt zum Fallschirmspringen Kenntnis erlangt hatten, fuhren hiernach mit dem Omnibus zur Stettener Höhe.
Auf der Stettener Höhe angekommen, wies G den Fahrer K zunächst an, neben den dort befindlichen Bunker zu fahren. Von hier waren jedoch keine Vorbereitungen der Sprungvorführung zu sehen. Umherstehende Personen berichteten, daß die Vorführung auf der Schießbahn IV erfolgen werde. Aus der Mitte der Fahrzeuginsassen erfolgte hierauf der Zuruf, weiterzufahren. Nachdem sich G hierzu nicht äußerte, setzte K die Fahrt bis zu der rund 3 km entfernten Höhe "Roßkopf" fort. Dort stiegen die Fahrzeuginsassen aus. Auf den Hinweis des mitgefahrenen Dolmetschers B, daß nach dem Fallschirmspringen in Richtung Roßkopf geschossen werde, fuhr K im Einverständnis des Gegner und der übrigen Angehörigen des Zuges dem Omnibus auf der sogenannten Ringstraße weiter weg. Gegner und die übrigen Fahrer traten auf der Suche nach einem ihnen geeignet erscheinenden Beobachtungsplatz den weiteren Weg zu Fuß über die Ruine Roßkopf an. Von dort begaben sie sich auf den Kraftsberg (Höhe 890,6). Zu ihnen kam hier auch wieder K, der den Omnibus am Fuße des Kraftsberges geparkt hatte. Inzwischen war die geplante Sprungvorführung wegen der schlechten Witterungsverhältnisse abgesetzt worden. Auf dem Kraftsberg gerieten G und die 9 Kraftfahrer der Transporteinheit in das um 11.30 Uhr einsetzende Feuer des Fla. Zuges. L. erlitt hierbei einen Brustdurchschuß, an dessen Folgen er kurze Zeit später verstorben ist."
Die Entschädigungsansprüche der Kläger wurden vom Unfallversicherungsverband der badischen Gemeinden und Gemeindeverbände als Ausführungsbehörde für Unfallversicherung des Landes Baden-Württemberg für die Regierungsbezirke Nordbaden und Südbaden (LAfU) durch Bescheid vom 27. März 1958 abgelehnt. Im Verfahren über die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Konstanz - nachdem an Stelle der LAfU die jetzige Beklagte als Funktionsnachfolgerin in das Verfahren eingetreten war und den Ablehnungsbescheid bestätigt hatte - durch Urteil vom 24. Januar 1964 die Beklagte verpflichtet, den Klägern wegen des Unfalls vom 24. September 1957 Entschädigungsleistungen zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil vom 7. Juni 1966 (Breithaupt 1967, 109) die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte zur Gewährung der Hinterbliebenenrenten verurteilt wurde; im übrigen (hinsichtlich der Gewährung des Sterbegeldes) ist die Berufung als unzulässig verworfen worden.
Gegen das am 10. September 1966 zugestellte Urteil haben die Kläger die - vom LSG zugelassene - Revision am 16. September 1966 eingelegt und sie am 2. November 1966 folgendermaßen begründet: Das LSG habe Umfang und Wesen des Bereitschaftsdienstes verkannt. Der Grundsatz, daß eigenwirtschaftliche Betätigungen zur Lösung vom Betrieb führen, gelte für einen Bereitschaftsdienst nicht, wenn eine tatsächliche betriebsbezogene Bereitschaft bestehe und aus dem Verhalten des Arbeitnehmers nicht die Absicht herzuleiten sei, die Bereitschaft zur dienstlichen Tätigkeit als beendet zu betrachten, um nur persönlichen Interessen nachzugehen. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, bei der Weiterfahrt von der Stettener Höhe zum Roßkopf hätten alle Businsassen erkennen müssen, daß ihre Einsatzbereitschaft an dem entfernteren Zielpunkt nicht mehr gewährleistet war. Hierbei dürfe man es nicht allein auf das Erkenntnisvermögen des einzelnen Arbeitnehmers abstellen, vielmehr sei es bedeutsam, wenn ein unmittelbarer Vorgesetzter am Bereitschaftsdienst teilnehme und für die Beendigung der Bereitschaft Anordnungen erteile. Es sei nicht erwiesen, daß dem L. der Umfang der vom Zugführer B dem Garagenchef G erteilten Erlaubnis bekannt gewesen sei. Selbst wenn aber L. davon gewußt hätte, habe er wegen der Anwesenheit des Vorgesetzten G annehmen können, daß auch bei einer Weiterfahrt über das von B genannte Ziel hinaus weiterhin Bereitschaftsdienst bestand. G sei für den Einsatz der Fahrer zuständig gewesen, daher habe für alle Mitglieder der Fahrbereitschaft - solange sie sich außerhalb ihrer Arbeitsstätte in unmittelbarer Nähe des G aufhielten - die Aussicht bestanden, jederzeit von ihm Einsatzbefehle zu erhalten, was ja auch im Fall des K tatsächlich geschehen sei. Es sei also nur noch darauf angekommen, ob der Zugführer B den Garagenchef G noch erreichen konnte. Insoweit habe das LSG keine ausreichenden Feststellungen darüber getroffen, ob der am Standort zurückgebliebene Meldefahrer - falls ihm Zugführer B Befehle für den Garagenchef G übermittelt hätte - nicht doch ohne größere Schwierigkeiten und zeitraubende Umwege den veränderten Aufenthaltsort der Businsassen erreichen konnte. Schließlich habe das Zuschauen bei der militärischen Übung nur etwa 30 Minuten gedauert; angesichts dieser kurzen Zeitspanne hätten die Teilnehmer aber schon aus rein zeitlichen Gründen annehmen können, daß ihre dienstliche Bereitschaft nicht aufgehört habe. Die Kläger beantragen,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten - soweit zulässig - gegen das Urteil des SG Konstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Berufungsurteil für zutreffend und beantragt
Zurückweisung der Revision.
II
Die Revision der Kläger ist zulässig (§§ 162 Abs. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie hat jedoch keinen Erfolg.
Das LSG hat angenommen, L. und die anderen Businsassen seien am Kraftsberg, den sie zuletzt zwecks Beobachtung der militärischen Vorführungen aufgesucht hatten, für den im Lager Stetten verbliebenen Meldefahrer überhaupt nicht mehr oder allenfalls nur unter erheblichen Schwierigkeiten erreichbar gewesen. Dies durfte das LSG aus den von ihm festgestellten örtlichen Verhältnissen bedenkenfrei folgern. Die Revisionsrüge, das LSG habe nicht geprüft, ob eine Befehlsübermittlung dorthin nicht doch ohne größere Schwierigkeiten und zeitraubende Umwege möglich gewesen wäre, enthält keine ausreichend subtantiierten Angaben, welche die Auffassung des LSG widerlegen könnten.
Hiervon abgesehen ist der vom LSG festgestellte Sachverhalt unbestritten. Seiner sachlich-rechtlichen Beurteilung durch das LSG pflichtet der erkennende Senat bei.
Es trifft zwar zu, daß auch während eines Bereitschaftsdienstes - wie er bei manchen Beschäftigungsverhältnissen in kennzeichnender Weise vorkommt (vgl. etwa BSG 14, 197, 201) - für die in Arbeitsbereitschaft befindlichen Beschäftigten Unfallversicherungs(UV)schutz bestehen kann. Hiergegen bestehen um so weniger Bedenken, je enger der Beschäftigte während dieser Zeit mit seinem Arbeitsplatz verbunden bleibt. In Frage gestellt kann der UV-Schutz sein, wenn Arbeitnehmer während ihrer Dienstbereitschaft das Betriebsgelände verlassen und in der Nachbarschaft z. B. ein Schwimmbad oder eine Gaststätte aufsuchen; auch wenn sie hierbei stets in Rufweite ihres Betriebsvorgesetzten bleiben, geschieht doch eine solche Verlegung des Aufenthaltsortes nicht wegen, sondern trotz des Bereitschaftsdienstes; inwiefern der Weg, den ein Arbeitnehmer unter diesen Umständen auf dienstlichen Anruf hin vom frei gewählten Aufenthaltsort zur Arbeitsstätte zurücklegt, dann wieder dem UV-Schutz unterliegt, mag unerörtert bleiben.
Im vorliegenden Fall erhielten die Angehörigen der Fahrbereitschaft, die sich nicht im Einsatz befanden, die Erlaubnis, das Lager Stetten zu verlassen und sich einer vom gewöhnlichen Ort des Bereitschaftsdienstes hinwegführenden privaten Betätigung zu widmen, nämlich dem Zuschauen bei dem von der Bundeswehreinheit geplanten Fallschirmspringen. Wie es versicherungsrechtlich zu beurteilen wäre, wenn dieser Ausflug sich auf das zunächst in Aussicht genommene Ziel - die etwa 500 m vom Lagerbereich entfernte Stettener Höhe - beschränkt hätte, braucht nicht geprüft zu werden. Denn die Gruppe bewegte sich über das ursprüngliche Ziel noch weit hinaus und legte im Gelände des Truppenübungsplatzes eine Distanz von mehreren Kilometern zurück, bis sie endlich den Kraftsberg als geeigneten Standort für das Zuschauen erreichte. Angesichts dieser erheblichen und nachhaltigen Abwendung von der Arbeitsstätte mußte aber schließlich die - von der privaten Betätigung des Zuschauens zu trennende - Dienstbereitschaft für L. und seine Arbeitskollegen so weit in den Hintergrund treten, daß sie den während des Zuschauens erlittenen Unfall nicht mehr in den für den UV-Schutz erforderlichen rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zu bringen vermochte.
Daß sich der Garagenchef G dieser Exkursion angeschlossen hatte, war bei den obwaltenden Umständen nicht geeignet, die Beziehungen zur dienstlichen Tätigkeit aufrechtzuerhalten, zumal da auch er selbst - wie das LSG bedenkenfrei angenommen hat - im Gebiet des Kraftsberges von Einsatzbefehlen des Zugführers B nicht mehr ohne weiteres erreicht werden konnte; dies wiederum hatte zur Folge, daß G seinerseits in der gegebenen Situation kaum noch imstande gewesen sein dürfte, als unmittelbarer Vorgesetzter den in seiner Nähe befindlichen Kraftfahrern - abgesehen allenfalls von K, dessen Omnibus ja am Fuße des Kraftberges geparkt war - Fahrbefehle oder sonstige dienstliche Weisungen zu erteilen. Sollte L. - wie die Revision vorträgt - trotzdem immer noch geglaubt haben, sich in Dienstbereitschaft zu befinden, würde diese subjektive Vorstellung nicht ausreichen, um für den Unfallzeitpunkt einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit herzustellen.
Unter diesen Umständen läßt sich somit in Übereinstimmung mit dem LSG der Versicherungsschutz für den Unfall, dem L. zum Opfer fiel, nicht rechtfertigen. Die Revision der Kläger muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen