Leitsatz (amtlich)

Hat eine KK für ein Heilverfahren, das von einem Rentenversicherungsträger wegen einer Berufskrankheit durchgeführt wurde, dem Rentenversicherungsträger gemäß RVO § 1239 S 4 (= AVG § 16 S 4) - teilweise - Ersatz zu leisten, so hat der Unfallversicherungsträger diese Aufwendungen der KK im Rahmen der RVO §§ 1505, 1507, 1509 aF ebenso zu erstatten als wenn sie das Heilverfahren selbst durchgeführt hätte.

 

Orientierungssatz

Die in den RAM-Abgrenzungserlassen (Krankenversicherung / Rentenversicherung) in den Jahren 1944 und 1945 getroffenen Regelungen waren keine Rechtsverordnungen, die Rechtsnormen enthielten.

 

Normenkette

RVO § 1509 Abs. 1 Fassung: 1925-07-14, § 1507 Nr. 2 Fassung: 1936-06-15, § 1505 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1936-06-15, § 1239 S. 4 Fassung: 1957-02-23; AVG § 16 S. 4 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. Juli 1962 und das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 1965 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1584,- DM zu zahlen.

Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Versicherte, J A, erkrankte am 28. März 1957 an Lungen-Tbc. Er bezog von der Klägerin vom 16. Juni 1957 bis 12. Juli 1957 und vom 10. November 1957 bis 30. März 1958 Krankengeld in Höhe von 13,20 DM täglich. In der Zeit vom 13. Juli 1957 bis zum 9. November 1957 gewährte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Versicherten ein Heilverfahren im Kreiskrankenhaus W in G Sie bat die Klägerin mit Schreiben vom 2. Juli 1957, dem Versicherten vom Aufnahmetag des Heilverfahrens bis zur Entlassung aus der stationären Behandlung ein Übergangsgeld von 16,30 DM für ihre (der BfA) Rechnung zu zahlen. Das satzungsgemäße Krankengeld der Klägerin sei hierauf anzurechnen.

Die Klägerin stellte der BfA für das verauslagte Übergangsgeld den Betrag von 1956,- DM in Rechnung, der von dieser auch erstattet wurde. Mit Schreiben vom 14. Juli 1958 teilte die BfA der Klägerin aber mit, daß die Begleichung irrtümlich erfolgt sei. Das Übergangsgeld habe nur insoweit angefordert werden können, als es das satzungsgemäße Krankengeld von 13,20 DM täglich überschritten habe. Das sei auch aus dem Zahlungsauftrag ersichtlich gewesen. Der Versicherte habe vor dem Sozialgericht (SG) Münster ein Verfahren gegen die BfA anhängig gemacht, weil er für die Zeit vom 13. Juli 1957 bis zum 9. November 1957 sowohl die volle Auszahlung des Übergangsgeldes, als auch die volle Auszahlung des Krankengeldes fordere. Sie (die BfA) sei damit einverstanden, daß von der Rückzahlung des zuviel überwiesenen Betrages von 1584.- DM zunächst abgesehen werde, bis das SG Münster entschieden habe. Außerdem wies die BfA darauf hin, daß die Beklagte das Leiden des Versicherten inzwischen als Berufskrankheit anerkannt habe und daher auch an diese Ersatzansprüche entstanden seien.

Die Klägerin antwortete der BfA mit Schreiben vom 24. Juli 1958, daß sie zunächst auf Grund der Anregung der BfA im Schreiben vom 14. Juli 1958 von einer Rücküberweisung der 1584,- DM absehe.

Auch als der Versicherte am 25. September 1959 die vor dem SG Münster erhobene und später auf das SG Gelsenkirchen übergegangene Klage gegen die BfA zurücknahm, erfolgte durch die Klägerin noch keine Rücküberweisung der 1584,- DM an die BfA.

Sowohl die Klägerin als auch die BfA meldeten Erstattungsansprüche bei der Beklagten an. Die Ablehnung von Erstattungsansprüchen der BfA begründete die Beklagte damit, daß sie durch das dem Versicherten von der BfA gewährte Heilverfahren nicht im Sinne des § 1524 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entlastet worden sei. Darauf wurde der Erstattungsanspruch von der BfA aufgegeben.

Den von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruch erkannte die Beklagte nur teilweise an. Sie verweigerte die Erstattung von Krankengeld während des von der BfA gewährten Heilverfahrens in der Zeit vom 13. Juli 1957 bis 9. November 1957 in der bereits genannten Höhe von 1584,- DM, weil nach § 1524 Abs. 2 RVO für den Träger der Unfallversicherung für diese Zeit die Verpflichtung zur Gewährung von Familien- und Tagegeld entfalle. Im übrigen habe die Klägerin auch deshalb keinen Anspruch auf Ersatz dieser Leistungen an den Träger der Unfallversicherung, weil nach den noch gültigen Abgrenzungserlassen des früheren Reichsarbeitsministers die Kosten für die stationäre Behandlung ausschließlich den Rentenversicherungsträgern zur Last fielen.

Die von der Klägerin auf Zahlung von 1584.- DM erhobene Klage hat das SG Düsseldorf mit Urteil vom 24. Juli 1962 abgewiesen. Die §§ 1501 bis 1513 RVO seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil der geltend gemachte Anspruch nicht durch eigenes Handeln der Klägerin, sondern durch das Handeln der BfA entstanden sei. Anwendbar seien lediglich die §§ 1522 bis 1526 RVO, in denen die Beziehungen zwischen den Trägern der Unfallversicherung und den Trägern der Rentenversicherung geregelt sei. Nach § 1524 RVO bestehe aber kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte, weil diese durch das durchgeführte Heilverfahren nicht entlastet worden sei.

Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 19. Januar 1965 zurückgewiesen: Selbst wenn man die Bedenken, die sich daraus ergäben, daß die Klägerin den als Ersatz geforderten Betrag der BfA noch gar nicht wieder zurückerstattet habe, zurückstelle, lasse sich das Klagebegehren nicht rechtfertigen. Die Beklagte habe nach § 1509 Abs. 1 RVO aF der Klägerin nur die Aufwendungen zu ersetzen, die nach den §§ 1505 und 1507 RVO aF zu Lasten der Beklagten gehen. Zu diesen Aufwendungen gehöre jedoch nicht die Ersatzleistung, die die Klägerin nach § 16 Satz 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) an die BfA zu erbringen habe. Es sei schon zweifelhaft, ob die §§ 1505 ff RVO aF auch anwendbar seien, wenn es sich um ein Heilverfahren handele, das nicht von der Klägerin selbst, sondern von einem Rentenversicherungsträger durchgeführt worden sei. Selbst wenn man aber die Anwendbarkeit auch in diesen Fällen bejahe, so scheitere der Anspruch daran, daß die Klägerin selbst keine "wiederkehrende Geldleistungen" i.S. des § 1505 Abs. 1 RVO aF erbracht habe. Sie habe lediglich im Auftrag der BfA das Übergangsgeld gezahlt, in dem nicht etwa das Krankengeld aus der Krankenversicherung enthalten gewesen sei. Außerdem stelle die Ersatzverpflichtung des § 16 Satz 4 AVG keine Aufwendung "für das Krankengeld aus der Krankenversicherung" i.S. des § 1507 Nr. 1 RVO aF dar. Es handele sich dabei vielmehr um eine Aufwendung besonderer Art, um ein aliud. Der Krankengeldanspruch des Versicherten ruhe. Die Klägerin habe sich nur an der Gewährung des Übergangsgeldes in der Höhe zu beteiligen, in der sie von der Krankengeldzahlung an den Versicherten freigestellt worden sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das ihr am 15. März 1965 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. April 1965 Revision eingelegt und sie innerhalb der Revisionsbegründungsfrist am 6. Mai 1965 begründet. Es sei zwar richtig, daß nach § 16 AVG für die Dauer der Gewährung von Heilbehandlung durch die BfA die Ansprüche des Versicherten gegen die Krankenkasse ruhten. Hierbei handele es sich aber um nachgiebiges Recht, das durch Vereinbarungen zwischen den Versicherungsträger gestaltet und ersetzt werden könne. Das sei durch das Tbc-Abkommen vom 26. Januar 1953 geschehen. Hiernach habe während des Heilverfahrens Krankengeld gezahlt werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

a) das angefochtene Urteil aufzuheben,

b) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Ersatz in Höhe von 1.584,- DM zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, daß der Versicherte während der Zeit des Heilverfahrens Übergangsgeld und kein Krankengeld erhalten habe.

Das Tbc-Abkommen könne ihr (der Beklagten) gegenüber keine Rechtswirkung erzeugen, denn sie sei an diesem Abkommen nicht beteiligt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

II.

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht ihr der geltend gemachte Anspruch zu.

Nach § 1509 Abs. 1 RVO aF, der auf den vorliegenden Fall noch anzuwenden ist, hat die Beklagte der Klägerin die Aufwendungen zu ersetzen, die nach den hier ebenfalls anzuwendenden §§ 1505 bis 1508 RVO aF zu ihren Lasten gehen. Nach § 1505 Abs. 1 RVO aF hat die Krankenkasse lediglich die Aufwendungen für Heilverfahren und für wiederkehrende Geldleistungen an den Versicherten während der ersten - hier nicht in Betracht kommenden - 45 Tage nach der Erkrankung zu tragen, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse auf Grund der Krankenversicherung zu leisten hat. Im übrigen - d.h. nach Ablauf der ersten 45 Tage nach der Erkrankung - fallen die Aufwendungen der Beklagten zur Last (§ 1505 Abs. 1 Satz 2 RVO aF). Der von der Klägerin an die BfA zu leistende Ersatz gehört zu den Aufwendungen, die zu Lasten der Beklagten gehen und die diese deshalb der Klägerin nach den §§ 1505 Abs. 1 Satz 2, 1507 Nr. 2, 1509 Abs. 1 RVO aF zu ersetzen hat (vgl. auch BSG, Urteil vom 24. August 1966 - 2 RU 148/63 - Breithaupt 1967 S. 391 f.). Die Beklagte muß diese nach den ersten 45 Tagen nach dem Auftreten der Erkrankung entstandene Aufwendung aus Anlaß der entschädigungspflichtigen Berufskrankheit des Versicherten der Klägerin erstatten.

Die Ersatzleistungen, die die Klägerin der BfA für das von dieser dem Versicherten gewährte Heilverfahren zu erbringen hat, sind im Rahmen der §§ 1505 ff RVO ebenso zu behandeln wie die Kosten einer von ihr selbst dem Versicherten gewährte Krankenhauspflege. Als Aufwendungen für ein Heilverfahren gelten nach § 1507 Nr. 2 RVO aF u.a. auch die Aufwendungen für Krankenhauspflege aus der Krankenversicherung. §§ 1505 ff RVO aF sind entsprechend anzuwenden, wenn, wie hier, die Krankenhauspflege nicht vom Krankenversicherungsträger selbst, sondern von einem dritten Leistungsverpflichteten, hier der BfA, gewährt wird, der seinerseits gesetzliche Ersatzansprüche gegen die Krankenkasse hat. Es ist unerheblich, ob ein Heilverfahren im Sinne dieser Vorschrift von der Krankenkasse selbst oder von einem dritten Leistungsverpflichteten, demgegenüber sie ersatzpflichtig ist, durchgeführt wird (vgl. RVA, Urteil vom 19. Oktober 1934 - IIa K.E. 59. 34 - EuM 36, 478, 480). Zu dieser Ersatzleistung gegenüber der BfA ist die Klägerin nach § 16 Satz 4 AVG (= § 1239 Satz 4 RVO) ebenso verpflichtet wie sie zur Gewährung von Krankenhilfe dem Versicherten gegenüber nach § 182 RVO ff verpflichtet gewesen wäre. Nach § 16 Satz 4 AVG hat die Klägerin der BfA für das von dieser durchgeführte Heilverfahren Ersatz zu leisten, soweit der Versicherte von der Klägerin Krankengeld zu beanspruchen gehabt hätte. Die Ansprüche des Versicherten gegen die Klägerin ruhen zwar nach § 16 Satz 3 AVG, doch wird hierdurch die Verpflichtung der Klägerin gegenüber der BfA zur Ersatzleistung nicht berührt, weil in § 16 Satz 4 AVG darauf abgestellt ist, ob der Versicherte gegen die Krankenkasse einen Krankengeldanspruch gehabt "hätte", d.h. einen Anspruch gehabt hätte, wenn das Ruhen dieses Anspruchs in Satz 3 nicht angeordnet wäre. Einen solchen Anspruch aber hätte der Versicherte nach § 182 RVO gegen die Klägerin gehabt.

Die Klägerin hat der BfA gegenüber die dieser nach § 16 Satz 4 AVG zustehenden Leistungen auch erbracht, wobei es ohne Bedeutung ist, daß dies dadurch geschehen ist, daß sie dem Versicherten im Auftrage und für Rechnung der BfA die von dieser dem Versicherten geschuldete Leistung aus der Rentenversicherung erbracht hat. Der Umstand, daß die BfA daraufhin der Klägerin später irrtümlich 1584.- DM zuviel überwiesen hat, ändert hieran nichts, zumal die BfA diesen irrtümlich zuviel überwiesenen Betrag zurückfordert und zurückfordern kann.

Die in den Abgrenzungserlassen des früheren Reichsarbeitsministers in den Jahren 1944 und 1945 getroffenen Regelungen sind für die hier zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung, denn diese Erlasse waren keine Rechtsverordnungen, die Rechtsnormen enthielten. Es handelte sich im wesentlichen um kriegsbedingte ministerielle Vereinfachungsanweisungen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 24. August 1966 - 2 RU 148/63 - in Breithaupt 1967 S. 391 und 392).

Die in der zwischen den Bundesverbänden der Krankenkassen und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger geschlossenen Vereinbarung über die Neuregelung der Zuständigkeit für die Tbc-Bekämpfung vom 26. Januar 1953 getroffenen Regelungen können den Ausgang dieses Rechtsstreits schon deshalb nicht beeinflussen, weil es sich bei der Beklagten um keinen Rentenversicherungsträger handelt.

Auf die Revision der Klägerin waren daher das Urteil des LSG sowie das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung des streitigen Betrages zu verurteilen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284716

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