Leitsatz (amtlich)
Die Zuständigkeit der "Familienhilfekasse" (RVO § 257a Abs 1 S 3) fehlt vor Ablauf des Monats, in dem der Bescheid über die zeitlich unbegrenzte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugestellt wird, auch dann, wenn in dieser Zeit aufgrund des Bezuges einer Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit Anspruch auf Krankenpflege aus eigener Versicherung besteht.
Normenkette
RVO § 257a Abs. 1 S. 3 Fassung: 1969-07-27, § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1956-06-12
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. März 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) begehrt von der beklagten Betriebskrankenkasse (BKK) die Erstattung der Leistungen, welche sie in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 1975 an die im Dezember 1975 verstorbene ... D. (D.) erbracht hat.
D. war seit April 1973 als versicherungspflichtig Beschäftigte Mitglied der Klägerin. Von dieser bezog sie wegen ihrer im August 1973 eingetretenen und mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung ab 8. Oktober 1973 über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses - 29. November 1973 - hinaus bis zum 8. Mai 1974 Krankengeld. Für die Zeit vom 26. Februar bis zum 31. Dezember 1974 erhielt D. von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz Rente auf Zeit wegen Erwerbsunfähigkeit. Aufgrund eines im Oktober 1974 gestellten neuen Rentenantrags erkannte die LVA im Januar 1975 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als Dauerrente ab 1. Januar 1975 an. Daraufhin stellte die Klägerin die ab 1. Januar 1975 wiederaufgenommene Krankengeldzahlung an D. mit dem 26. März 1975 ein. Im April 1975 beantragte D. die Mitgliedschaft bei der BKK, der ihr Ehemann als Mitglied angehörte. Die BKK führte die Rentnerkrankenversicherung der D. ab 1. Mai 1975 durch. Sie weigerte sich, der Klägerin deren Aufwendungen für die Krankenhilfe - ohne Krankengeld - der D. in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 1975 zu erstatten.
Mit der Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, daß die Beklagte die Versicherung der D. bereits ab 1. Januar 1975 durchzuführen hatte, weshalb sie zu verurteilen sei, der Klägerin die Leistungen der Krankenhilfe - ohne Krankengeld - in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 1975 zu ersetzen. Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 1976). Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 2. März 1977).
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 311 Abs 1 Nr 2, 257a Abs 1 Satz 3 RVO.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 2. März 1977 und des SG Speyer vom 27. Juli 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin deren Aufwendungen für Krankenpflege für die verstorbene ... D. in Höhe von 3.976,43 DM für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 1975 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Der Erstattungsanspruch ist unbegründet. Der von der Klägerin aus § 316 RVO hergeleitete Erstattungsanspruch, der einen Zeitraum vor Inkrafttreten der Regelung des § 43 Abs 3 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB 1) betrifft, ist darauf gerichtet, wegen Erfüllung der Verpflichtung einer anderen Kasse von dieser unter dem Gesichtspunkt rechtsgrundloser Vermögensverschiebung Ersatz der Aufwendungen zu erlangen, die ihr als der früher zuständigen Krankenkasse deswegen entstanden seien, weil die Beklagte unter Verkennung ihrer Zuständigkeit ihre Leistungspflicht nicht erfüllt habe (vgl BSGE 26, 124, 125 mwN sowie zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch BSGE 42, 296, 300 mwN). Diese Ersatzpflicht der Beklagten zum Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung würde voraussetzen, daß D. in der streitigen Zeit Mitglied der Beklagten gewesen ist. Daran fehlt es jedoch.
Mitglied der Beklagten hätte D. in der genannten Zeit nur nach § 257a Abs 1 Satz 3 RVO werden können. Hier sieht das Gesetz für die Übergangszeit bis zum Ablauf des Monats, in dem der die Rente gewährende Bescheid zugestellt wird, ausnahmsweise als für die Rentnerkrankenversicherung eines Familienmitgliedes vorerst zuständig diejenige Kasse an, gegen die ohne die Krankenversicherung der Rentner für den Rentenbewerber Anspruch auf Familienkrankenpflege bestehen würde. Diese Regelung schließt jedoch die Annahme einer Mitgliedschaft der D. bei der Beklagten aus.
§ 257a Abs 1 RVO regelt die vorläufige Kassenzuständigkeit für die Rentenantragsteller. Sofern bei ihnen vor der Rentenantragstellung die Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse bestanden hat, bleibt diese Kasse grundsätzlich bis zur Entscheidung über den Rentenantrag zuständig. Eine andere Regelung ist nur für die Fälle vorgesehen, in denen ohne die Rentnerkrankenversicherung Anspruch auf Familienkrankenhilfe bestünde. Der Rentenbewerber muß, wenn die Rentnerkrankenversicherung hinweggedacht wird, wegen seines Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehegatten oder einem Elternteil nach § 205 RVO idF des Art 2 Nr 11 des Gesetzes vom 27. Juli 1969 (BGBl I S 946) und der Änderung hierzu vom 21. Dezember 1970 (BGBl I S 1770 und vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881) zum Kreis der Personen gehören, für die der Unterhaltspflichtige Anspruch auf Familienkrankenpflege hat.
Ob in diesem Sinne Anspruch auf Familienkrankenpflege bestehen würde, hängt von der sozialversicherungsrechtlichen Lage ab, die bis zum Rentenantrag und dem daraus folgenden Beginn der Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO bestanden hat und ohne sie fortbestehen würde. Bei D. hat vor Beginn der durch den erneuten Rentenantrag vom Oktober 1974 ausgelösten Rentnerkrankenversicherung diejenige des ersten zur Zeitrente führenden Rentenantrags bestanden. Diese Versicherung kann nach § 257a Abs 1 Satz 3 RVO nicht übergangen werden. Denn die Vorschrift trifft, wie bereits dargelegt, eine die Zeit vom Rentenantrag bis zur Entscheidung über den Rentenantrag umfassende, also eine vorläufige Zuständigkeitsregelung, in der die Zuständigkeit der "Familienhilfekasse" nur ausnahmsweise für den Fall vorgesehen ist, daß ein eigener Anspruch des Rentenbewerbers auf Krankenpflege zur Zeit der Rentenantragstellung nicht oder nicht mehr besteht. Jeder eigene Krankenpflegeanspruch geht mithin dem Anspruch auf Familienkrankenpflege vor und schließt die Zuständigkeit der "Familienhilfekasse" für die Rentnerkrankenversicherung aus. Das muß auch gelten, wenn der Anspruch auf Krankenpflege aus einer bei Stellung des beurteilungsmaßgeblichen Rentenantrages bereits bestehenden Rentnerkrankenversicherung herrührt. Denn die Worte "ohne die Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3" haben nur den Sinn, einen an sich bei Familienkrankenpflege durch den Rentenantrag zumindest vorläufig eintretenden Wechsel der Kassenzuständigkeit zunächst zu vermeiden. Dagegen ist es nicht der Zweck dieser Regelung, einen vorübergehenden Zuständigkeitswechsel zur "Familienhilfekasse" unter Ausschaltung einer durch Rentenbezug bereits gefestigten Zuständigkeit zu erzwingen, wenn ohnehin die Rückkehr zur bislang bestehenden Zuständigkeit nach Gewährung der Rente im Hinblick auf das bisherige Verhalten des Rentenantragstellers zu erwarten ist. Deshalb weicht nur die aus dem beurteilungsmaßgeblichen Rentenantrag nach dem Grundsatz des § 257a Abs 1 Satz 1 RVO folgende Zuständigkeit der Kasse der letzten Mitgliedschaft derjenigen der "Familienhilfekasse", nicht aber die auf einer bereits erfolgten Rentengewährung bestehende und vom Versicherten nicht nach § 257a Abs 3 letzter Satzteil RVO "abgewählte" Zuständigkeit, die mit einem eigenen Krankenpflegeanspruch einhergeht.
Bei D. ist aus diesen Gründen von der letzten Rentnerkrankenversicherung auszugehen, nämlich von der Rentnerkrankenversicherung aufgrund der Zeitrente. Daraus hatte D. den gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege, so daß ihr Ehemann für sie nach § 205 RVO keinen Anspruch auf Familienkrankenpflege hatte. Eine Mitgliedschaft der D. bei der Beklagten als Grundlage des Erstattungsanspruchs der Klägerin ist somit nach § 257a Abs 1 Satz 3 RVO nicht entstanden. Deshalb kommt es für die Entscheidung hier auf die Erwägungen, welche das LSG - gestützt auf BSGE 27, 66, 67 - mit demselben Ergebnis zum Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld nach dem Ende einer Zeitrente angestellt hat, nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen