Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch. Wegfall des Krankengeldanspruchs infolge Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe?
Orientierungssatz
Die Mitgliedschaft bei der Krankenkasse endet nicht durch die Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe nach AFG § 40 aF. Die Berufsausbildungsbeihilfe ist keine Leistung, die - wie etwa das Unterhaltsgeld im Falle der beruflichen Fortbildung - zu einer neuen Kassenzuständigkeit führen kann. Sie ist auch keine Leistung, die die Beendigung der Kassenmitgliedschaft begründen könnte. Das wäre nur der Fall, wenn der Krankengeldanspruch infolge des Bezugs von Berufsausbildungsbeihilfe weggefallen wäre.
Normenkette
RVO § 183 Abs 1 S 2 Fassung: 1961-07-12, § 183 Abs 2 S 1 Fassung: 1961-07-12, § 311 S 1; RAMErl 1943-11-02 Abschn 1 Nr 6; AFG § 40 Abs 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 205 Abs 1 S 1, § 165a Nr 2 Fassung: 1945-03-17
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 01.03.1978; Aktenzeichen L 4 Kr 49/75) |
SG München (Entscheidung vom 14.03.1975; Aktenzeichen S 18 Kr 128/73) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. März 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Beigeladenen zu 2) und 3) die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten aufgrund eines Erstattungsanspruchs der Klägerin darum, ob der Querschnittsgelähmte O D (Beigeladener zu 2 = D.) in der Zeit seiner beruflichen Ausbildung nach der Querschnittslähmung bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) des Ausbildungsorts (Beigeladene zu 1) oder bei der AOK seines früheren Ausbildungsorts (Beklagte) als Mitglied versichert war oder ob für ihn im Wege der Familienhilfe Leistungen von der klagenden Betriebskrankenkasse zu erbringen waren.
D. war seit dem 1. September 1969 als Elektromechanikerlehrling Pflichtmitglied der Beklagten. Am 18. November 1970 erlitt er eine Querschnittlähmung. Die Beklagte trug die Kosten der Krankenhauspflege bis zum 9. Juni 1971. Anschließend zahlte sie Krankengeld. Sie stellte die Krankengeldzahlung aber ein, weil D. vom 30. September 1971 an Berufsausbildungsbeihilfe nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes in der bis zum Haushaltsstrukturgesetz vom 18. Dezember 1975 geltenden Fassung (AFG aF) - BGBl I 3113 - bezog. Die Berufsausbildung im Berufsausbildungswerk der Beigeladenen zu 3) wurde im Bezirk der Beigeladenen zu 1) durchgeführt. Beiträge sind nicht gezahlt worden.
Für die Zeit vom 12. Januar bis zum 6. November 1972 erbrachte die Versicherung des Vaters des D. - die Klägerin - Sachleistungen in Höhe von 1.650,69 DM, die sie von der Beklagten, hilfsweise von der Beigeladenen zu 1) ersetzt verlangt.
Das Sozialgericht (SG) München hat die Beigeladene zu 1) zur Erstattung verurteilt, weil die Berufsausbildung bei der Beigeladenen zu 3) aufgrund eines Ausbildungsverhältnisses nach 165a der Reichsversicherungsordnung (RVO) durchgeführt worden sei. Die Klage gegen die Beklagte hat es abgewiesen (Urteil vom 14. März 1975).
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 1.650,69 DM zu erstatten (Urteil vom 1. März 1978). D. sei nicht Mitglied der Beklagten zu 1) geworden. Die Beklagte habe zu Unrecht die Krankengeldzahlung eingestellt. Der Beigeladene zu 2) sei nach § 311 RVO (in der bis zum 30. September 1974 geltenden Fassung) Mitglied der Beklagten geblieben. Diese sei leistungspflichtig gewesen und deshalb ersatzpflichtig.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 165a RVO . Sie meint, D. sei während seiner Ausbildung bei der Beigeladenen zu 3) Mitglied der Beigeladenen zu 1) gewesen.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG vom 1. März 1978 aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des SG vom 14. März 1975 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des SG zu bestätigen.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet ( § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch zu. Dieser Anspruch stützt sich auf die allgemeinen Grundsätze über den öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch. Hiernach hat der öffentlich-rechtliche Leistungsträger die Leistungen zu erstatten, die er dadurch erspart hat, daß ein nichtzuständiger öffentlich-rechtlicher Leistungsträger in der irrtümlichen Annahme seiner Zuständigkeit geleistet hat. Sind, wie hier, keine Geld- sondern Sachleistungen erbracht worden, richtet sich der Anspruch auf den Geldwert dieser Sachleistungen. Sind, was hier auch der Fall ist, die Sachleistungen an den Versicherten für ein mitversichertes Familienmitglied erbracht worden, so richtet sich der Anspruch gegen den Leistungsträger, der dem Familienmitglied unmittelbar Leistungen zu erbringen hatte (vgl auch die entsprechende Regelung des § 1531 Satz 2 RVO ).
Die Klägerin hat in der Zeit vom 12. Januar 1972 bis zum 6. November 1972 zu Unrecht Leistungen für D. erbracht. Stattdessen war die Beklagte verpflichtet, diese Leistungen zu erbringen.
Nach § 205 Abs 1 Satz 1 RVO (idF des 2. Krankenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1970 - BGBl I 1770 -) erhalten Versicherte für unterhaltsberechtigte Kinder Krankenhilfe, wenn diese sich gewöhnlich im Inland aufhalten und nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben. D. hatte anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege. Dieser gesetzliche Anspruch richtete sich gegen die Beklagte: D. ist als Arbeiter ( § 165 Abs 1 Nr 1 RVO ) - dazu gehören auch Lehrlinge (vgl § 165a Nr 2 RVO ) - versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten gewesen. Durch seinen Unfall war dieses Beschäftigungsverhältnis beendet. Damit endete aber seine Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht. Denn solange der Anspruch auf Krankengeld besteht, bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten. Das galt auch schon, bevor § 311 RVO durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) neu gefaßt war (vgl Abschn I Ziff 6a) des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2.November 1943 - AN S. 485). Da nach § 183 Abs 2 Satz 1 RVO wegen derselben Krankheit Krankengeld für 78 Wochen gewährt wird, hatte der Beigeladene zu 2) Anspruch auf Krankengeld bis Mitte Mai 1972. Dann endete die Mitgliedschaft bei der Beklagten. Dem Beigeladenen zu 2) verblieb aber noch ein weiteres halbes Jahr ( § 183 Abs 1 Satz 2 RVO ) Anspruch auf Krankenpflege (ohne Krankengeld). Auch dieser - sogenannte nachgehende - Anspruch ist ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch nach § 205 Abs 1 Satz 1 RVO (vgl BSGE 25, 222 und Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juli 1979 - 8b/3 RK 70/78 ).
Ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch gegen die Beklagte nach § 205 Abs 1 Satz 1 RVO wäre dann nicht zu begründen, wenn besondere Ereignisse eingetreten wären, die die Mitgliedschaft bei der Beklagten kraft Krankengeldanspruchs vorzeitig beendet hätte. Das ist aber nicht der Fall. In Betracht kommen drei Beendigungsgründe:
Der Übertritt zu der Beigeladenen zu 1) durch die Begründung eines neuen Versicherungsverhältnisses nach § 165a Nr 2 RVO , der Wegfall des Krankengeldanspruchs durch die Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe und die Beendigung der Mitgliedschaft durch bindend gewordenen Verwaltungsakt. Die Voraussetzungen für diese denkbaren Beendigungsgründe fehlen jedoch.
Das LSG hat zutreffend in der Ausbildung des D. im Berufsförderungswerk der Beigeladenen zu 3) keine solche als "Lehrling" im Sinne des § 165a Nr 2 RVO gesehen. Es hat festgestellt, daß die Ausbildung "nicht im betrieblichen Rahmen, sondern durch eine eigentümliche, auf die Erfordernisse der beruflichen Eingliederung Behinderter zugeschnittene schulähnliche Einrichtung" durchgeführt worden ist. An diese Feststellung ist der Senat nach § 163 SGG gebunden. Die Darlegungen der Revisionsklägerin gegen die Nichtanwendung des § 165a Nr 2 RVO richten sich zwar möglicherweise gegen diese Feststellung; sie enthalten aber keine Verfahrensrüge. Denn es ist weder eine Verfahrensvorschrift angegeben worden, die verletzt sein könnte, noch sind Tatsachen geschildert worden, aus denen sich eindeutig ergibt, welche Verfahrensvorschrift gemeint sein könnte. Die Versicherung des D. bei der Beigeladenen zu 1) wäre nach den Feststellungen des LSG allenfalls eine solche nach § 165 Absatz 1 Nr 2a Buchst b oder Nr 4 RVO . Diese Vorschriften waren damals aber noch nicht in Kraft (vgl § 21 Nr 1a RehaAnglG und Art 2 Nr 1a Gesetz vom 7. Mai 1975 - BGBl I 1061).
Die Mitgliedschaft bei der Beklagten hat auch nicht durch die Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 40 AFG aF geendet. Die Berufsausbildungsbeihilfe ist keine Leistung, die - wie etwa das Unterhaltsgeld im Falle der beruflichen Fortbildung ( §§ 44 , 155 , 159 AFG ) - zu einer neuen Kassenzuständigkeit führen kann. Sie ist auch keine Leistung, die die Beendigung der Kassenmitgliedschaft begründen könnte. Das wäre nur der Fall, wenn der Krankengeldanspruch infolge des Bezugs von Berufsausbildungsbeihilfe weggefallen wäre. Dafür fehlt aber eine gesetzliche Grundlage. Eine solche hat selbst die Beklagte nicht anführen können.
Die Mitgliedschaft bei der Beklagten ist auch nicht durch Verwaltungsakt beendet worden. Als Verwaltungsakt könnte das Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober 1971 an den Vater des D. in Betracht kommen. In diesem Schreiben kann aber kein Verwaltungsakt gesehen werden, weil es keine Regelung trifft, sondern nur Rechtsauskünfte gibt. Das Schreiben regelt weder die Mitgliedschaft unmittelbar noch den Anspruch auf Krankengeld (zur Regelung des Krankengeldanspruchs durch Verwaltungsakt vgl BSG SozR 2200 § 183 Nr 19). In dem Schreiben wird lediglich darauf hingewiesen, daß die Zahlung von Krankengeld eingestellt worden sei und deshalb die Mitgliedschaft geendet habe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen