Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 26.04.1995; Aktenzeichen L 1 An 110/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgericht vom 26. April 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über ein Recht zur Nachzahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung.

Für die Klägerin, die im August 1955 heiratete, wurden in der Zeit von Mai 1952 bis Oktober 1956 für insgesamt 54 Monate Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Im November 1957 beantragte sie bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstmals die Beitragserstattung, weil sie nicht mehr berufstätig sei und für weniger als fünf Jahre Beiträge geleistet habe. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Januar 1958 ab; nach § 82 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) seien Beiträge unter bestimmten Voraussetzungen zu erstatten. Der Anspruch könne jedoch noch nicht geltend gemacht werden, weil seit dem Wegfall der Versicherungspflicht noch keine zwei Jahre verstrichen seien. Auf den erneuten, im September 1958 gestellten Antrag der Klägerin erstattete die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 1959 gemäß § 82 Abs. 1 AVG die Hälfte der geleisteten Beiträge.

Im Februar 1992 beantragte die Klägerin die Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen bei Heiratserstattung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 1992 und Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1992 ab. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 26. April 1995). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge gemäß § 282 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), weil ihr die Beiträge nicht „anläßlich der Eheschließung” erstattet worden seien.

Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung des § 282 SGB VI, der §§ 44 ff des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren (SGB X) und des Grundsatzes von Treu und Glauben. Wenn § 282 SGB VI eng auszulegen sei, müsse die Beklagte den Erstattungsbescheid vom 1. April 1959 zurücknehmen. Durch die Zurechnung von Kindererziehungszeiten hätten sich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse gegenüber der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstattung so erheblich geändert, daß sie, die Klägerin, so gestellt werden müsse, als ob die Beiträge seinerzeit nicht erstattet worden wären. Könne dieses Ergebnis nicht unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben oder in Anwendung der §§ 44 ff SGB X erreicht werden, habe der Gesetzgeber ein dem § 282 SGB VI ähnliches Nachzahlungsrecht vorsehen müssen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts vom 26. April 1995 und das Urteil des Sozialgerichts vom 7. Juli 1993 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. April 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1992 zu verpflichten, die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 19. Mai 1952 bis 15. Oktober 1956 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat mit Recht das klagabweisende Urteil des SG bestätigt. Die Klägerin ist nicht zur Nachzahlung berechtigt.

Nach § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, der durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 2261) mit Wirkung ab 1. Januar 1992 eingeführt worden ist (Art. 1, Art. 85 Abs. 1 RRG 1992), können Frauen Beiträge nachzahlen, denen anläßlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden sind. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens gehört nicht zu diesem Personenkreis, weil ihr Beiträge nicht i.S. dieser Vorschrift „anläßlich der Eheschließung” erstattet worden sind.

Zur Zeit der Beitragserstattung an die Klägerin im Jahre 1959 galt für die Beitragserstattung bei Heirat (im folgenden: Heiratserstattung) § 83 AVG i.d.F. des Art. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I 88; entspricht § 1304 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ i.d.F. des Art. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪ArVNG≫ vom 23. Februar 1957, BGBl. I 45). Nach dieser zum 1. Januar 1957 eingeführten Vorschrift waren einer Versicherten nach ihrer Heirat auf Antrag die Hälfte der nach der Währungsreform im Bundesgebiet und im Land Berlin entrichteten Beiträge bis zum Ende des Monats zu erstatten, in dem der Antrag gestellt wurde. Der Anspruch konnte nur binnen drei Jahren nach der Eheschließung geltend gemacht werden (§ 83 Abs. 2 AVG, § 1304 Abs. 2 RVO). Die Vorschrift galt gemäß Art. 2 § 27 AnVNG a.F. (Art. 2 § 28 ArVNG a.F.) jedoch nur für Eheschließungen nach Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 1957 (Art. 3 § 7 Satz 1 AnVNG, Art. 3 § 8 Satz 1 ArVNG). Der Klägerin stand nach dieser Regelung kein Anspruch auf Heiratserstattung zu, weil sie bereits im August 1955, also vor dem Stichtag, geheiratet hatte. Die Beklagte hat ihr daher die Beiträge auch nicht nach § 83 AVG erstattet. Die Beitragserstattung wurde vielmehr aufgrund der „allgemeinen Erstattungsregelung” des § 82 Abs. 1 AVG durchgeführt. Nach dieser ebenfalls zum 1. Januar 1957 eingeführten Vorschrift (vgl. auch § 1303 Abs. 1 RVO; heute § 210 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) war Versicherten auf Antrag die Hälfte der genannten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfallen war, ohne daß nach § 10 AVG (§ 1233 RVO) das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung bestand, weil innerhalb von zehn Jahren nicht während 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden waren. Voraussetzung für die Erstattung war ferner, daß seit dem Wegfall der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen waren und inzwischen nicht erneut eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden war. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für die Erstattung nach der allgemeinen Erstattungsregelung des § 82 Abs. 1 AVG (§ 1303 Abs. 1 RVO). Als sie ihre Versicherungspflichtige Beschäftigung im Oktober 1956 aufgab, waren für sie noch nicht für 60 Kalendermonate Pflichtbeiträge entrichtet. Außerdem hatte sie bis zur Beitragserstattung im April 1959 mehr als zwei Jahre keine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt.

Die Beitragserstattung nach der allgemeinen Erstattungsregelung (§ 82 Abs. 1 AVG, § 1303 Abs. 1 RVO) stand jedoch rechtlich in keinem Zusammenhang mit einer Heirat und galt für weibliche und männliche Versicherte gleichermaßen. Sie wurde allerdings rein tatsächlich auch von Frauen in Anspruch genommen, die sich nach ihrer Heirat Beiträge erstatten lassen wollten, wenn es für sie keine spezielle Heiratserstattung gab (so bei der Klägerin) oder sie die dafür geltende dreijährige Antragsfrist versäumt hatten (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 12. September 1995 – 12 RK 24/95 – und 12 RK 13/95, zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Beitragserstattungen waren jedoch rechtlich gesehen nicht von der Heirat abhängig und sind daher keine Beitragserstattungen „anläßlich der Eheschließung” i.S. des § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI. „Anläßlich der Eheschließung” in diesem Sinne sind Beiträge nur erstattet worden, wenn die Erstattung seinerzeit nach den früheren Heiratserstattungsvorschriften durchgeführt worden ist oder sie doch nach einer Heiratserstattungsregelung zulässig gewesen wäre. Für diese Auslegung des Gesetzes spricht die Entwicklung der Vorschriften zur Heiratserstattung sowie zur Nachentrichtung und Nachzahlung von Beiträgen wegen einer früheren Erstattung.

Eine Heiratserstattung sahen bereits § 30 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Juni 1889 (RGBl 97) und § 42 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 (RGBl 463) vor. Diese Regelungen wurden jedoch zum 1. Januar 1912 aufgehoben (Art. 2 Abs. 1, Art. 5 des Einführungsgesetzes zur RVO vom 19. Juli 1911, RGBl 839). Die RVO vom 19. Juli 1911 (RGBl 509) enthielt keine entsprechende Vorschrift. In der Angestelltenversicherung war die Heiratserstattung dagegen in § 62 des Versicherungsgesetzes für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl 989) und § 62 AVG i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. Mai 1924 (RGBl I 563) sowie mit Wirkung vom 1. Januar 1934 in § 47 AVG weiterhin vorgesehen (Art II Nr. 2, Art IV § 1 Abs. 1 der Verordnung vom 17. Mai 1934, RGBl I 419). Das Ausbaugesetz (AusbauG) vom 21. Dezember 1937 (RGBl I 1393) führte die Heiratserstattung zum 1. Januar 1938 auch in der Rentenversicherung der Arbeiter wieder ein. Die Heiratserstattungsregelung in § 1309 a RVO i.d.F. des § 28 AusbauG und des § 20 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des AusbauG vom 1. September 1938 (RGBl I 1142) galt für Eheschließungen, nach dem 31. Dezember 1937 (§ 120 AusbauG) und fand gemäß § 47 AVG i.d.F. des § 70 AusbauG in der Angestelltenversicherung entsprechende Anwendung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben diese Vorschriften lediglich in dem ehemaligen Land Baden und im Land Rheinland-Pfalz entweder unverändert (so in Baden) oder mit gewissen Änderungen (so in Rheinland-Pfalz, Art II des Gesetzes vom 5. September 1949, GVBl 438) in Kraft. Dagegen wurden sie in den Ländern der ehemaligen britischen Besatzungszone mit Wirkung vom 14. Oktober 1945 an suspendiert (Ziffer 5 der SVD Nr. 3 vom 14. Oktober 1945, ArbBl für die britische Zone 1947, 12). In den Ländern der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone wurden sie mit Wirkung vom 1. August 1947 an und im ehemaligen Land Württemberg-Hohenzollern vom 1. August 1948 an „bis auf weiteres” aufgehoben (§ 2 des Württemberg-Badischen Gesetzes Nr. 709 vom 31. Juli 1947, RegBl 77; § 2 des Bayerischen Gesetzes Nr. 68 vom 21. Juli 1947, GVBl 145; § 2 des Hessischen Gesetzes vom 15. Juli 1947, GVBl 44; § 2 des Bremischen Gesetzes vom 2. August 1947, GBl 167; § 2 des Gesetzes von Württemberg-Hohenzollern vom 6. August 1948, RegBl 111) und im Land Berlin mit Wirkung vom 1. April 1952 an endgültig außer Kraft gesetzt (§ 48 Nr. 3 des Rentenversicherungs-Überleitungsgesetzes vom 10. Juli 1952, GVBl 588).

§ 83 AVG i.d.F. des AnVNG (§ 1304 RVO i.d.F. des ArVNG) führte die Heiratserstattung zum 1. Januar 1957 zwar bundeseinheitlich für Eheschließungen ab diesem Zeitpunkt erneut ein. Sie wurde jedoch schon ab 1968 wieder beseitigt (Art. 1 § 2 Nr. 11, Art. 3 § 15 des Finanzänderungsgesetzes 1967 ≪FinÄndG 1967≫ vom 21. Dezember 1967 – BGBl. I 1259). Die Abschaffung von Heiratserstattungen für die Zukunft wurde alsbald um ein Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Vergangenheit ergänzt. Durch Art. 2 § 2 Nr. 6 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (3. RVÄndG) vom 28. Juli 1969 (BGBl. I 956) wurde mit Wirkung vom 1. August 1969 für die Frauen, die die Heiratserstattung in Anspruch genommen hatten, in Art. 2 § 27 AnVNG n.F. (Art. 2 § 28 ArVNG n.F.) ein außerordentliches Nachentrichtungsrecht eingeführt. Nach dieser Regelung konnten weibliche Versicherte, denen aufgrund der früheren Heiratserstattungsvorschriften Beiträge erstattet worden waren, auf Antrag für die Erstattungszeiträume Beiträge nachentrichten. Das Nachentrichtungsrecht war auf Versicherte beschränkt, die nach der Beitragserstattung während mindestens 24 Kalendermonaten Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet hatten und bei Antragstellung versicherungspflichtig beschäftigt waren. Die Beseitigung der Heiratserstattung durch das FinÄndG 1967 und die Einführung des Nachentrichtungsrechts durch das 3. RVÄndG hatten das gleiche Ziel, nämlich die Rechtsstellung der berufstätigen Frau in der Rentenversicherung zu verbessern. Es hatte sich gezeigt, daß viele Frauen nach der Eheschließung weiter arbeiteten oder in einem späteren Alter erneut eine Beschäftigung aufnahmen und dann durch die Erstattung der Versicherungsbeiträge auf lange Sicht erheblich benachteiligt wurden (vgl. die Begründung des RegEntwurfs zum FinÄndG 1967, BT-Drucks V/2149, 27 unter Nr. 12 und Schriftlicher Bericht des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik vom 25. Juni 1969 zur BT-Drucks V/4447, 7). Der Wegfall der Heiratserstattung für die Zukunft bildete die erste Teilmaßnahme, die Mängel in der sozialen Sicherung von Hausfrauen und früheren Hausfrauen auszugleichen. Die Regelung über die Nachentrichtung räumte dann Frauen, deren Altersversorgung infolge der früheren Erstattungsregelungen verkürzt war, ergänzend das Recht ein, die in der Vergangenheit entstandenen Beitragslücken durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zu schließen. Das Nachentrichtungsrecht stand somit nur Frauen zu, die von den früher gesetzlich zugelassenen Heiratserstattungen Gebrauch gemacht hatten (vgl. auch BSG SozR 5750 Art. 2 § 28 Nr. 4).

Diese Nachentrichtungsregelung (Art. 2 § 27 AnVNG n.F., Art. 2 § 28 ArVNG n.F.) ist durch Art. 83 Nrn 2 und 7 RRG 1992 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 aufgehoben worden. An ihre Stelle ist gleichzeitig § 282 SGB VI getreten, auf den die Klägerin ein Nachzahlungsrecht stützt. § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI macht die Nachzahlung zwar nicht mehr ausdrücklich von einer Beitragserstattung nach den früheren Heiratserstattungsvorschriften abhängig, sondern erstreckt sie nach seinem Wortlaut auf „Frauen, denen anläßlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden sind”. Mit dieser Neuregelung sollte jedoch – wie nach bisherigem Recht – nur die Möglichkeit eröffnet werden, die unerwünschten Versicherungslücken auszufüllen, die gerade durch Inanspruchnahme der früher gesetzlich zugelassenen Heiratserstattungen eingetreten sind (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 11/4124, 143 unter V.4. und 204 zu § 274). Unter Beitragserstattungen „anläßlich der Eheschließung” fallen daher sicher die früheren Heiratserstattungen selbst. Erfaßt werden auch Erstattungen, die der Rentenversicherungsträger in seinem Bewilligungsbescheid auf die allgemeine Erstattungsregelung (§ 82 Abs. 1 AVG, § 1303 Abs. 1 RVO) gestützt hat, die aber auch nach der Heiratserstattungsregelung zulässig gewesen wären. In diesen Fällen ist der Rechtsgrund der Erstattung austauschbar, da er als Begründung der Beitragserstattung nicht der Bindungswirkung (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) unterliegt.

Dagegen wird der Bereich der früheren Heiratserstattungen verlassen, wenn die Beiträge deswegen nach der allgemeinen Erstattungsregelung erstattet worden sind, weil das seinerzeit geltende Heiratserstattungsrecht eine Beitragserstattung nicht zuließ (vgl. § 83 Abs. 2 AVG, § 1304 Abs. 2 RVO; Art. 2 § 27 AnVNG a.F., Art. 2 § 28 ArVNG a.F.) oder es entsprechende Bestimmungen noch nicht oder nicht mehr gab. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht zwingend, daß das Nachzahlungsrecht über die Heiratserstattung hinaus auf die allgemeine Beitragserstattung ausgedehnt werden sollte. Die Überschrift des § 282 SGB VI „Nachzahlung bei Heiratserstattung” weist vielmehr auf den Zusammenhang des Nachzahlungsrechts mit den (früheren) Heiratserstattungen hin. Kriterien, nach denen die Beitragserstattung „anläßlich der Eheschließung” anders als nach den früheren Heiratserstattungen abgegrenzt werden könnte, finden sich im Gesetz nicht. Wenn der Gesetzgeber das Nachzahlungsrecht auf Beitragserstattungen nach anderen Vorschriften hätte erstrecken wollen, hätte eine gesetzliche Regelung zur Abgrenzung nahegelegen, da die Erstattungen weit zurückliegen und erhebliche Beweisschwierigkeiten auftreten können. Der Senat hatte in seinem Urteil vom 26. Juni 1985 (SozR 5750 Art. 2 § 28 Nr. 4 S 8) eine Möglichkeit angesprochen, den Kreis der Nachentrichtungsberechtigten zu erweitern, nämlich statt an die Rechtsgrundlage der Beitragserstattung an die Dreijahresfrist des § 83 Abs. 2 AVG (§ 1304 Abs. 2 RVO) anzuknüpfen. Im Hinblick auf die Suspendierung der Heiratserstattungsvorschriften im überwiegenden Teil der alten Bundesländer zwischen 1945 und 1956 wäre es auch denkbar gewesen, das Nachzahlungsrecht für Beitragserstattungen einzuräumen, die binnen drei Jahren nach Inkrafttreten der Heiratserstattungsregelung des § 83 AVG (§ 1304 RVO) am 1. Januar 1957 beantragt worden sind, wenn die Ehe vor diesem Zeitpunkt geschlossen wurde. Solche Abgrenzungen sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Hinzu kommt, daß § 282 Abs. 1 SGB VI als Ausnahmeregelung zu den allgemeinen Beitragsentrichtungsfristen (§ 197 SGB VI) eher eng auszulegen ist (vgl. zu früheren Nachentrichtungsrechten BSGE 47, 207, 208 = SozR 5750 Art. 2 § 51 a Nr. 24; BSG SozR 3-5750 Art. 2 § 52 a Nr. 1). Das gilt hier in besonderem Maße, weil auch für die Berechnung der Beiträge in § 282 Abs. 2 Satz 2 SGB VI eine von der allgemeinen Berechnungsvorschrift für nachzuzahlende Beiträge (§ 209 Abs. 2 SGB VI) abweichende, günstigere Regelung vorgesehen ist.

Das Nachzahlungsrecht ist auch nicht im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auf Beitragserstattungen nach der allgemeinen Erstattungsregelung zu erstrecken. Das gilt auch, wenn hiervon Frauen betroffen sind, die wie die Klägerin, zu keiner Zeit einen Anspruch auf Heiratserstattung hatten und aus diesem Grund von dem allgemeinen Erstattungsrecht Gebrauch gemacht haben. Diese Frauen, denen die Beiträge nach ihrer Heirat nach der allgemeinen Erstattungsregelung erstattet worden sind und auch nur nach dieser Regelung erstattet werden konnten, gehören zu der größeren Gruppe derjenigen (weiblichen und männlichen) Versicherten, für die nur diese allgemeinen Erstattungsvorschriften in Betracht kamen. Sie würden, wenn sie in das Nachzahlungsrecht aufgrund Heiratserstattung mit einbezogen würden, gegenüber den anderen Angehörigen dieser Gruppe bevorzugt. Offenbleiben kann, ob es im Rahmen der Zielsetzung des SGB VI, die familienbezogenen Elemente auszubauen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 11/4124, 142 f), befriedigender gewesen wäre, das Nachzahlungsrecht auf diese Frauen zu erstrecken – jedenfalls dann, wenn sie die Erstattung in zeitlichem Zusammenhang mit ihrer Eheschließung beantragt hatten. Eine solche Regelung ist jedoch nicht getroffen worden. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers hierzu bestand aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Er brauchte nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BVerfGE 71, 255, 271; 81, 156, 206 = SozR 3-4100 § 128 Nr. 1 S 18). Es genügt, wenn sich in bezug auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ein sachlich zureichender Grund anführen läßt (BVerfGE 89, 132, 142 = SozR 3-4100 § 186 c Nr. 1 S 5). Dieser ergibt sich hier aus dem Zweck der Nachzahlungsregelung, eine Korrektur gerade der früher gesetzlich zugelassenen Heiratserstattungen zu ermöglichen. Eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung kann entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus anderen Rechtsgrundsätzen, so dem Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitet werden. Insbesondere sind unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers hinzunehmen, solange dessen Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfG SozR 3-2500 § 53 Nr. 3). Von einer solchen Fehlentscheidung kann nicht ausgegangen werden. Frauen, denen in der Vergangenheit Beiträge nach der allgemeinen Erstattungsregelung des § 82 AVG erstattet worden sind, eröffnet nicht etwa nur das Nachzahlungsrecht des § 282 Abs. 1 SGB VI den Zugang zur Rentenversicherung. Sie sind vielmehr zur freiwilligen Versicherung berechtigt (§ 7 Abs. 1 SGB VI); nur unter dieser Voraussetzung könnte auch ein Nachzahlungsrecht bestehen (§ 209 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Damit haben sie das Recht, laufende Beiträge zu entrichten und Beitragszeiten zu erwerben, die auf die Wartezeit für einen Rentenanspruch anrechenbar sind (§§ 51, 55 SGB VI). Darüber hinaus begründen Kindererziehungszeiten nach dem seit 1. Januar 1992 geltenden Recht neben den Beitragszeiten (§ 56 Abs. 1 SGB VI) auch als Berücksichtigungszeiten rentenrechtliche Zeiten, die auf die Wartezeit nach § 51 Abs. 3 SGB VI und auf die Anwartschaftserhaltungszeiten für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. § 43 Abs. 3 Nr. 2 SGB VI) anzurechnen sind. Die Beschränkung des Nachzahlungsrechts gemäß § 282 Abs. 1 SGB VI auf Heiratserstattungen führt also nicht dazu, daß die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Personen wie die Klägerin „ins Leere” geht. Eine Ausdehnung der Regelung auf die Klägerin ist daher von Verfassungs wegen nicht geboten.

Dieses Nachzahlungsrecht steht der Klägerin, der die Beiträge nach der allgemeinen Erstattungsregelung erstattet worden sind, demnach nicht zu. Ihre Revision war insoweit zurückzuweisen.

Die Revision kann auch keinen Erfolg haben, soweit sie auf eine Verpflichtung der Beklagten gerichtet ist, den Erstattungsbescheid vom 1. April 1959 zurückzunehmen. Insoweit bestehen schon Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision, weil das LSG über diesen Streitgegenstand nicht entschieden und hierüber nicht einmal ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat. Im übrigen sieht der Senat für dieses Revisionsbegehren zur Zeit auch keine Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme, den Widerruf oder die Aufhebung des Bescheides nach den §§ 44 ff SGB X liegen nicht vor. Die Beitragserstattung war rechtmäßig (§ 82 AVG). Eine auf den Erstattungszeitpunkt (1. April 1959) zurückwirkende Rechtsänderung ist nicht eingetreten. Die Erstattung entspricht vielmehr dem seither geltenden Recht (§ 82 Abs. 1 AVG, § 1303 Abs. 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung; seit 1. Januar 1992 § 210 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1508653

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