Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch des Versicherten gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auf ärztliche Behandlung und Krankenhauspflege verwandelt sich mit dem Beginn der Behandlung und Krankenhauspflege grundsätzlich in den Anspruch auf Kostenübernahme. Der Anspruch verliert dadurch seinen öffentlich-rechtlichen Charakter nicht.
2. Über die Ansprüche auf Kostenübernahme und aus deren Zusage entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (teilweiser Anschluß an BSG 1981-01-14 3 RK 27/80 = BSGE 51, 108).
Normenkette
SGG § 51 Abs 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 182 Abs 1, § 182 Abs 2, § 184 Fassung: 1973-12-19, § 368d Abs 1, § 368d Abs 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 30.07.1980; Aktenzeichen L 11 Kr 27/79) |
SG Münster (Entscheidung vom 13.03.1979; Aktenzeichen S 14 Kr 19/78) |
Tatbestand
Der klagende Krankenhausträger begehrt von der beklagten Innungskrankenkasse die Übernahme von 1.049,75 DM Krankenhauskosten für die Behandlung des W L (L.) vom 14. bis zum 30. September 1977. Die Kostenübernahme hatte die Beklagte für diesen Zeitraum am 29. September 1977 zugesagt. Mit der Begründung, die Mitgliedschaft des L. habe am 31. August 1977 geendet, widerrief sie ihre Zusage am 11. Oktober 1977 und rechnete den schon beglichenen Betrag der Pflegekostenrechnung vom 6. Oktober 1977 im Dezember 1977 gegen andere Forderungen des Klägers auf.
Die auf Zahlung der zugesagten Krankenhauspflegekosten gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Münster durch Urteil vom 13. März 1979 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 30. Juli 1980 das Urteil des SG aufgehoben und den Rechtsstreit auf Antrag des Berufungsklägers an das Amtsgericht Bielefeld verwiesen, weil die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen dem Zivilrecht zuzurechnen seien.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Sozialrechtsweg stehe hier offen, weil die Beklagte aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, nämlich gemäß § 184 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe mit dem Kläger einen Vertrag zugunsten des L. geschlossen habe, der seiner Natur nach öffentlich-rechtlicher Art sei. Selbst wenn man diesen Vertrag aber als privatrechtlich ansehe, sei der Sozialrechtsweg deshalb gegeben, weil die Kostenzusage der Beklagten einen begünstigenden Verwaltungsakt darstelle, an den die Beklagte gebunden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Urteils des LSG für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 30. Juli 1980 die Beklagte zu verurteilen,
an den Kläger 1.049,75 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen;
hilfsweise,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Münster vom
13. März 1977 zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben; der Rechtsstreit ist an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Zu Recht beanstandet die Revision, das LSG habe durch Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Bielefeld § 51 Abs 1 SGG verletzt. Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ua über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Zu den Angelegenheiten der Sozialversicherung ist auch der Bereich der Krankenversicherung zu rechnen (vgl Peters-Sautter-Wolf, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: August 1981, § 51 Anm 10c auf Seite 123/13 und Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 51 RdNr 22). Um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Krankenversicherung handelt es sich hier.
Die Art einer Streitigkeit - öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich - bestimmt sich nach dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 4. Juni 1977 - GmS 2/73 - (BSGE 37, 292), wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Die Krankenversicherung als Teil der Sozialversicherung ist öffentlich-rechtlicher Natur. Das ergibt sich aus den §§ 4 und 21 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB 1). Aus der öffentlich-rechtlichen Organisation der Träger der Sozialversicherung in Gestalt von rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 29 der Gemeinsamen Vorschriften des Sozialgesetzbuches für die Sozialversicherung -SGB 4-) und aus der normativen Beschränkung ihrer Geschäfte und Mittel auf die Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen - öffentlich-rechtlichen - Aufgaben (§ 30 SGB 4) folgt, daß Ansprüche gegenüber einem Träger der Krankenversicherung wegen der öffentlich-rechtlichen Natur dieser Versicherung grundsätzlich nicht zu zivilrechtlichen Streitigkeiten, sondern zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung im Sinne von § 51 Abs 1 SGG zu rechnen sind.
Daran können die zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Ansprüche aus der Sozialversicherung dienenden Rechtsverhältnisse nichts ändern; insbesondere können sie nicht den Charakter dieser Ansprüche verwandeln. Wollte man letzteres annehmen, bliebe die ambulante Erfüllung des krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruchs mit Rücksicht auf die öffentlich-rechtliche Regelung des Kassenarztrechts öffentlich-rechtlich, während die stationäre Erfüllung des gleichen Behandlungsanspruchs mangels einer für die Krankenhäuser geltenden entsprechenden Regelung dem Anspruch zivilrechtlichen Charakter aufprägen würde. Dieser Erwägung kann zwar entgegengehalten werden, daß der Anspruch des Krankenhausträgers auf Begleichung der von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung kraft Gesetzes zu übernehmenden und deshalb hier zugesagten Krankenhauskosten nicht mit dem Anspruch des Versicherten gegen den Versicherungsträger auf stationäre Behandlung identisch ist. Damit kann jedoch nicht ausgeräumt werden, daß der Behandlungskostenanspruch, der beim Kassenarzt über das öffentlich-rechtliche Vertragswerk und die darin eingebundenen öffentlich-rechtlichen Verbände, beim Krankenhaus aber über zivilrechtliche Vereinbarungen mit dem Versicherungsträger abgewickelt wird, nichts anderes als die Verwertung des dem Versicherten gegen den Versicherungsträger zustehenden Anspruchs auf Behandlung ist.
Der Anspruch auf ausreichende und zweckmäßige Krankenpflege, sei sie nun ambulant (§ 183 Abs 1 RVO) oder stationär (§ 184 Abs 1 RVO), ist inhaltlich überwiegend ein Dienstleistungsanspruch. Er ist nicht auf Geldleistung gerichtet. Das ergibt sich aus dem Vergleich der in § 182 Abs 1 Nr 1 RVO aufgeführten Leistungen mit dem in Nr 2 dieser Bestimmung genannten Krankengeld. Aus der dem Versicherten gesetzlich eingeräumten freien Wahl des behandelnden Arztes (§ 368d Abs 1 Satz 1 RVO) sowie daraus, daß Kassenärzte und Vertragskrankenhäuser grundsätzlich nicht Einrichtungen der Träger der Krankenversicherung sind, folgt aber zwingend, daß sich der auf Behandlung gerichtete Anspruch des Versicherten bei Beginn der Behandlung regelmäßig in den Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten verwandelt. Dafür spricht auch, daß bei nicht notwendiger Inanspruchnahme eines nicht an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes oder eines anderen als des nächstgelegenen Vertragskrankenhauses der Versicherte die "Mehrkosten" zu tragen hat (§§ 184 Abs 2 Satz 2 und 368d Abs 2 RVO).
Verwandelt sich aber der Behandlungsanspruch des Versicherten gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei Beginn der Behandlung notwendigerweise in den Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten, so ändert sich sein öffentlich-rechtlicher Charakter dadurch nicht. Der Streit zwischen Krankenhausträger und Versicherungsträger um die Verpflichtung zur Übernahme der an die Stelle des Behandlungsanspruchs getretenen Behandlungskosten erweist sich deshalb als öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung, für die § 51 Abs 1 SGG den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Mit diesem Ergebnis stimmt der Senat mit dem Urteil des 3. Senats vom 14. Januar 1981 - RK 27/80 - (BSGE 51, 108) überein. Auf dieses Urteil wird zur Frage einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) verwiesen.
Das Urteil des LSG ist somit aufzuheben. Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche Weise die Behandlung des Versicherten gewährleistet ist (vgl Broß. SGb 1981, 549 ff) und ob sie auf einem zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse zu seinen Gunsten abgeschlossenen Vertrag (so die von BSGE 51, 108, 111 zitierte Literatur) oder auf einem zwischen Versichertem und Krankenhausträger geschlossenen Vertrag (so OLG Celle, VersR 1982 S 46) beruht, in dem der Versicherte dem Krankenhausträger seinen sich mit dem Beginn der Behandlung in einen Kostenübernahmeanspruch verwandelnden Behandlungsanspruch gegen die Krankenkasse abgetreten hat. Mangels verbindlicher Feststellungen des LSG zu anderen als den für die Beurteilung des Rechtsweges erforderlichen Tatsachen (vgl BSGE 9, 80, 85), insbesondere zu den Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Behandlungszeitraum, muß der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 SGG an das LSG zurückverwiesen werden.
Das LSG wird zu erwägen haben, daß in der Kostenzusage und deren Widerruf möglicherweise eine dem Begriff des Verwaltungsakts in § 31 des 10. Buches des SGB (SGB 10) zuzuordnende Verfügung des Versicherungsträgers über den öffentlich-rechtlichen Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung - und nach deren Beginn auf Kostenübernahme - liegt, die auf unmittelbare Rechtswirkung dem Versicherten gegenüber gerichtet ist, wenngleich sie jedenfalls ihm unmittelbar nicht in schriftlicher Form bekanntgegeben worden ist. Daraus könnten sich Folgerungen in Richtung auf die §§ 75 und 77 SGG sowie auf § 24 SGB 10 ergeben.
Die Entscheidung über die Kosten - auch des Revisionsverfahrens - bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen