Leitsatz (amtlich)
Der Rentenversicherungsträger ist nicht verpflichtet, dem Sozialhilfeträger aus Rentennachzahlungen sogenannte Weihnachtsbeihilfen zu erstatten.
Leitsatz (redaktionell)
Soll- und Kann-Leistungen der Sozialhilfe sind nicht schlechthin von dem Ersatzanspruch nach §§ 1531 ff RVO ausgeschlossen.
Normenkette
RVO § 1531 S. 1 Fassung: 1931-06-05, § 1536; BSHG § 3 Abs. 1, § 21 Abs. 2
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. September 1973 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. November 1972 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat den Beigeladenen die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
Es ist umstritten, ob die Beklagte dem Kläger die Weihnachtsbeihilfen zu erstatten hat, die dieser den Beigeladenen zu Weihnachten 1971 gewährte (§§ 1531, 1536 Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die Beigeladene zu 1) hatte im Oktober 1971 Witwenrente beantragt. Sie erhielt vom Kläger laufend Sozialhilfe und eine Weihnachtsbeihilfe von 85,-- DM. Nachdem die Beklagte am 30. Dezember 1971 Rente von August 1971 an bewilligt hatte, beanspruchte der Kläger von der Beklagten ua die Erstattung eines Teilbetrages von 80,50 DM der Weihnachtsbeihilfe.
Der Beigeladene zu 2) hatte im Oktober 1971 Versichertenrente beantragt. Er erhielt November 1971 vom Kläger laufend Sozialhilfe und eine Weihnachtsbeihilfe von 115,-- DM. Als die Beklagte im April 1972 rückwirkend Rente von November 1971 an bewilligte, verlangte der Kläger von der Beklagten auch die Erstattung der Weihnachtsbeihilfe.
Die Beklagte hat die Erstattung der Weihnachtsbeihilfen abgelehnt, weil diese keine den Renten gleichartige Leistungen seien.
Der Kläger meint unter Hinweis auf § 11 Abs. 1 und § 21 Abs. 1 und 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), die Weihnachtsbeihilfen seien Leistungen zur Abgeltung des besonderen Aufwandes im Weihnachtsmonat.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Erstattung verpflichtet (Urteil vom 8. November 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 13. September 1973).
Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die Weihnachtsbeihilfen der Sozialhilfe seien den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gleichartige Leistungen. Sie seien als übliche Mehrleistungen der Sozialhilfeträger anzusehen. Sie seien erstattungsfähig im Sinne des § 1531 RVO, weil sie den Regelleistungen der §§ 22, 23 BSHG zuzuordnen seien. Es handele sich um regelmäßig wiederkehrende, nicht unerwartet erforderlich werdende Zahlungen zum allgemeinen Lebensbedarf. Sie seien in erster Linie als Mittel zur Deckung eines auftretenden Unterhaltsmehrbedarfs aufzufassen. Sie sollten ermöglichen, daß sich der Hilfeempfänger zum Weihnachtsfest etwas über den Mindestbedarf an Unterhalt Hinausgehendes leisten könne.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt die Verletzung der §§ 1531, 1536 RVO bei den Weihnachtsbeihilfen handele es sich um einmalige Sonderzuwendungen, die nur dem Sozialhilferecht wesenseigen seien, sie seien den Rentenleistungen nicht gleichartig.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet. Mit der Zahlung der Weihnachtsbeihilfen hat der Kläger die Beigeladenen nicht "nach gesetzlicher Pflicht" im Sinne des § 1531 RVO unterstützt. Er kann deshalb von der Beklagten keinen Ersatz beanspruchen.
Nach §§ 1531, 1536 RVO kann der Sozialhilfeträger, der einen Hilfsbedürftigen nach gesetzlicher Pflicht unterstützt, Ersatz aus dessen Rente beanspruchen. Er unterstützt einen Hilfsbedürftigen dann nach gesetzlicher Pflicht, wenn er nach dem BSHG einzugreifen hat. Dabei sind die im BSHG vorgesehen Soll- und Kann-Leistungen, die der Sozialhilfeträger jeweils nach pflichtgemäßem Ermessen zu, erbringen hat, nicht schlechthin ausgeschlossen. Der für die Beurteilung, ob eine Leistung "nach gesetzlicher Pflicht" erbracht ist, wesentliche Grundsatz des BSHG besagt, daß sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfsbedürftigen, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen richten (§ 3 Abs. 1 BSHG). Die Beachtung dieses Grundsatzes bei Hilfeleistungen gibt den entscheidenden Anhalt dafür, ob eine Hilfeleistung "nach gesetzlicher Pflicht" im Sinne des § 1531 RVO erbracht ist.
Im vorliegenden Fall fehlt es bei der Gewährung der Weihnachtsbeihilfen an der Berücksichtigung des individuellen Bedarfs im konkreten Einzelfall. Der laufende Bedarf zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts kann nach dem Stand der Lebenshaltungskosten festgestellt und die dafür erforderlichen Hilfeleistungen können nach Regelsätzen gewährt werden (§§ 12, 22, 23 BSHG). Bei Hilfeleistungen, die darüber hinausgehen, tritt aber der Grundsatz der individuellen Bemessung der Sozialhilfe in den Vordergrund. Er kommt besonders bei einmaligen Leistungen zum Ausdruck (§ 21 BSHG). Die Weihnachtsbeihilfen können nicht zu den individuellen Leistungen nach dem BSHG gerechnet werden; denn sie sind nicht auf das Bedürfnis im konkreten Einzelfall abgestellt. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Voraussetzungen der Weihnachtsbeihilfen jeweils in Ministerialerlassen geregelt werden und daß ein wesentlich größerer Personenkreis bedacht wird als die Empfänger laufender Leistungen nach dem BSHG. Die Weihnachtsbeihilfen werden pauschal von bestimmten Einkommensverhältnissen abhängig gemacht. Diese pauschalierte Hilfeleistung stimmt mit dem Grundsatz der Individualisierung nicht überein; sie ist deshalb nicht Gegenstand einer gesetzlichen Pflicht im Sinne des § 1531 RVO.
Die Rechtsprechung hat schon vor dem Inkrafttreten des BSHG Weihnachtsbeihilfen nicht als Leistungen der Fürsorge nach gesetzlicher Pflicht angesehen, weil sie nicht zum notwendigen Lebensbedarf im Sinne des § 6 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGr) gehörten. Dieser werde vielmehr durch die Zahlung einer Unterstützung in Höhe der Richtsätze sowie durch laufende Beihilfen (§ 11 a RGr) oder, soweit im Einzelfall ein Bedarf festgestellt sei, der eine von den Richtsätzen abweichende Bemessung des Lebensunterhalts erfordere, durch Leistungen nach Maßgabe dieses Bedarfs gedeckt (OVerwG Lüneburg E 16, 321). Weihnachtsbeihilfen sollten aber gerade über diesen Bedarf hinaus zusätzliche Ausgaben ermöglichen (OVerwG Lüneburg in Fürsorgerechtliche Entscheidungen 1, 310; 2, 255; Hessischer VerwGH in Fürsorgerechtliche Entscheidungen 5, 165).
Der Auffassung der Beklagten, die Weihnachtsbeihilfen seien aus dem Grunde nicht zu erstatten, weil sie und die Renten keine gleichartigen Leistungen seien, wird nicht zuzustimmen sein. Unterstützungen sind den Renten gleichartig, wenn sie wie die Rente aus der Rentenversicherung in irgendeiner Art dem Lebensunterhalt dienen. Eine Einheit des Leistungsgrundes wie beim Ersatz aus Leistungen der Krankenkasse oder der gesetzlichen Unfallversicherung nach §§ 1532, 1534 RVO wird bei § 1556 RVO nicht verlangt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 970 i, k, l).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1650084 |
BSGE, 183 |