Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Berechnung des ruhensfreien Teils der Rente aus der knappschaftlichen RV ist gemäß RKG § 75 Abs 2 S 3 (= RVO § 1278 Abs 2 S 3) die teilweise abgefundene Unfallrente als fortlaufend gedacht in fiktiv angepaßter Höhe zu berücksichtigen.
2. War bei der Ermittlung des Ruhensbetrages der abgefundene Teil der Unfallrente in unrichtiger Auslegung des RKG § 75 Abs 2 S 3 ohne anpassungsbedingte Erhöhungen berücksichtigt worden, so berechtigt die zutreffende Anwendung dieser Vorschrift für sich allein den Versicherungsträger nicht, den bindend festgesetzten ruhensfreien Teil der Versichertenrente auf den richtigen Betrag herabzusetzen (Bestätigung und Fortführung von BSG 1967-01-31 4 RJ 213/65 = BSGE 26, 98).
Normenkette
RKG § 75 Abs 2 S 3 Fassung: 1963-04-30; RVO § 1278 Abs 2 S 3 Fassung: 1963-04-30; RKG § 79 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1282 Fassung: 1957-02-23; RKG § 93 Abs 1 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1300 Fassung: 1957-02-23, § 579 Fassung: 1963-04-30, § 607 Fassung: 1963-04-30, § 609 Fassung: 1963-04-30; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; RAG 19 § 14 Abs 2 Fassung: 1976-06-03
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 05.10.1977; Aktenzeichen S 23 Kn 90/77) |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang die Knappschaftsrente des Klägers wegen des gleichzeitigen Bezugs einer teilweise abgefundenen Verletztenrente aus der Unfallversicherung ruht.
Der Kläger bezieht von der Beklagten Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit seit April 1972. Daneben gewährt ihm die Bergbau-Berufsgenossenschaft Verletztenrente in Höhe der Vollrente; diese Leistung ist im Jahre 1972 mit 25 vH des Jahresbetrages der Rente für die Dauer von 10 Jahren abgefunden worden (§§ 607 bis 612 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Das Zusammentreffen der beiden Renten hatte zur Folge, daß die Knappschaftsrente teilweise ruhte (§ 75 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-). Nach dem Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 1976 betrug der ruhensfreie Teil der Versichertenrente unter Berücksichtigung des 19. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) ab 1. Juli 1976 monatlich 1.784,80 DM.
Anläßlich der Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) in der Unfallversicherung zum 1. Januar 1977 berechnete die Beklagte die Knappschaftsrente unter Anwendung der Ruhensbestimmungen in § 75 RKG ab 1. Januar 1977 neu und erteilte hierüber einen Bescheid vom 4. Februar 1977. Während sie bei der Ermittlung des Ruhensbetrages bisher den abgefundenen Teil der Unfallrente stets ohne anpassungsbedingte Erhöhungen berücksichtigt hatte, legte sie nun erstmals die um den Kinderzuschuß verminderte Unfallrente in der Höhe zugrunde, wie sie sich bei fiktiver Anwendung der Anpassungsvorschriften auf den abgefundenen Rententeil ergab. Hierdurch ergab sich ein monatlicher Rentenzahlbetrag von 1.700, -- DM. Da die Beklagte für die Zeit von Januar bis März 1977 noch die frühere höhere Monatsrente ausgezahlt hatte, forderte sie zugleich den überzahlten Betrag von 254,40 DM zurück. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. April 1977).
Das Sozialgericht (SG) hat im Urteil vom 5. Oktober 1977 die Klage mit der Begründung abgewiesen, die fiktive Anpassung des abgefundenen Teils der Unfallrente im Rahmen der Ruhensberechnung entspreche dem eindeutigen Wortlaut des § 75 Abs 2 Satz 3 RKG. Der Kläger könne aus der bisherigen Übung der Beklagten kein Recht auf eine fortwährende gesetzwidrige Begünstigung ableiten.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit Zustimmung der Beklagten die von dem SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 75 RKG und trägt vor: Die Beklagte müsse ihm unter Beibehaltung des ursprünglich bei der Ruhensberechnung angewandten Verfahrens ab 1. Januar 1977 eine Monatsrente von 1.941,10 DM zahlen. Die Richtigkeit der neuerdings von der Beklagten benutzten Berechnungsweise folge nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 75 RKG. Der Wechsel der Berechnungsart bewirke eine ungerechtfertigte Benachteiligung und enttäusche sein Vertrauen in den Fortbestand der langjährig geübten Berechnungsweise.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Dortmund vom 5. Oktober 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Januar 1977 in der Höhe auszuzahlen, wie sie sich ohne Berücksichtigung fiktiver Anpassungen des abgefundenen Teils der Unfallrente bei der Feststellung des Ruhensbetrages ergibt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet, soweit der Kläger mit ihr die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt; im übrigen hat sie keinen Erfolg.
Die Beklagte hätte den ruhensfreien Betrag der Versichertenrente entsprechend dem Inhalt des angefochtenen Bescheides vom 4. Februar 1977 nur dann ändern und niedriger festsetzen dürfen, als dies in dem vorangegangenen, gem § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) rechtsverbindlich gewordenen Bescheid vom 2. Juli 1976 über die Auswirkungen des Ruhens geschehen war, wenn sie an diesen Bescheid nicht oder nicht mehr gebunden gewesen wäre. Eine solche Änderungsbefugnis stand ihr jedoch nicht zu; sie hat deshalb auch keinen Anspruch auf Rückzahlung zuviel geleisteter Erwerbsunfähigkeitsrente.
Nach bisher ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erstreckt sich die Bindungswirkung eines Bescheides allerdings lediglich auf den Verfügungssatz, zu dem im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung bisher regelmäßig nur der Ausspruch über Art, Dauer und Höhe der bewilligten Rente gerechnet worden ist(vgl Urteil des erkennenden Senats vom 31. Mai 1978 in SozR 1500 § 77 Nr 29; Beschluß des 1. Senats vom 28. Juni 1979 - 1 RA 109/76 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Gegen diese Eingrenzung der Bindungswirkung hat der Senat im genannten Urteil vom 31. Mai 1978 im einzelnen dargestellte und begründete Bedenken erhoben und eine Ausdehnung der Verbindlichkeit von Rentenbescheiden auf solche Elemente des Bescheides befürwortet, die - wie etwa die Feststellung von Versicherungszeiten - außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens gesondert durch einen der Bindung fähigen Verwaltungsakt geregelt werden können. In seinem Vorlagebeschluß vom 28. Juni 1979 hat der 1. Senat gleichfalls die Auffassung vertreten, die Bindungswirkung eines Rentenbescheides müsse sich auch auf die Anerkennung einer Ersatzzeit erstrecken. Die Frage des Umfangs der Bindung von Rentenbescheiden braucht hier jedoch nicht abschließend entschieden zu werden. Denn in der Rechtsprechung des BSG ist in bezug auf Bescheide über die Auswirkungen von Ruhensvorschriften anerkannt, daß sie selbständig der Bindung jedenfalls insoweit zugänglich sind, als sie einen Ausspruch darüber enthalten, daß eine mit einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung zusammentreffende Versichertenrente in bestimmter Höhe ruhensfrei sei(BSGE 26, 98, 100 = SozR Nr 10 zu § 1278 RVO mit Hinweisen auf die Rspr des RVA; BSG SozR Nr 3 zu § 1278 RVO und Nr 75 zu § 77 SGG). Die Eigenschaft dieses Ausspruchs als bindungsfähiger Verfügungssatz wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Bescheid bei Kenntnis der tatsächlichen Ruhensvoraussetzungen gegebenenfalls unter falscher Anwendung der Ruhensvorschriften zustande kommt. In einem derartigen Fall darf die Ruhensanordnung daher nicht allein deswegen geändert werden, weil sie der Rechtslage nicht entspricht (BSGE 26, 101). Insbesondere ergibt sich eine Befugnis der Beklagten, von ihrer bisherigen bindenden Feststellung des Zahlbetrages der Versichertenrente abzuweichen, nicht unter Heranziehung des ua dem § 138 SGG zugrunde liegenden Rechtsgedankens, wenn unterstellt wird, die bisherige Ruhensberechnung sei fehlerhaft gewesen. Denn die Zulässigkeit der Berichtigung von Bescheiden ungeachtet ihrer Bindungswirkung ist nach diesen Grundsätzen nur anzuerkennen, soweit es sich um Fehler im Ausdruck, nicht aber um solche in der Willensbildung handelt (BSG SozR Nr 81 zu § 77 SGG; Beschluß des 1. Senats vom 28. Juni 1979 - 1 RA 109/76 - mit zahlreichen weiteren Hinweisen). Eine unrichtige Rechtsauslegung kann daher nicht in entsprechender Anwendung des § 138 SGG korrigiert werden (BSG SozR Nr 1 zu § 3 des 1. RAG vom 21. Dezember 1958).
Schließlich findet sich im vorliegenden Fall die Rechtsgrundlage zur Herabsetzung des früher bindend festgestellten ruhensfreien Teils der Versichertenrente nicht in einer Befugnis der Beklagten zur Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die dieser Feststellung zugrunde gelegen haben. Zwar hängt der Umfang des vom Ruhen erfaßten Rentenanteils von der Höhe der zusammentreffenden Versicherungsleistungen ab und ist deshalb entsprechend neu festzustellen, wenn die den Ruhenstatbestand schaffenden Leistungsansprüche sich dem Betrag nach ändern. Von einem solchen Recht zur Neufeststellung geht ersichtlich die Bestimmung des § 79 Abs 1 RKG aus. Je nach Lage der Dinge kann es dabei auch zu einer Verringerung des früheren Rentenzahlbetrages kommen. Die Änderung in den maßgeblichen Verhältnissen gestattet eine Durchbrechung der Bindungswirkung aber nur zu dem Zweck, die bisher gültige Verwaltungsentscheidung den veränderten, die nachträgliche Rechtswidrigkeit des Bescheides herbeiführenden Umständen anzupassen. Sie bietet dem Versicherungsträger dagegen keine Handhabe, frühere Rechtsfehler gelegentlich der Neufeststellung zu berichtigen.
Indes beruht die Herabsetzung des Rentenzahlbetrages unter den bisher verbindlich festgestellten Wert allein auf einer solchen, durch die Änderung der Leistungsansprüche des Klägers nicht veranlaßten Fehlerkorrektur und ist deshalb rechtswidrig. Die Anhebung des für die Höhe der Verletztenrente maßgebenden JAV ab 1. Januar 1977 hat neben einer Erhöhung der Unfallrente weiterhin eine Steigerung des Höchstbetrages für beide Renten bewirkt, der gem § 75 Abs 1 Satz 1 RKG in der hier anzuwendenden Fassung vor Änderung durch das 21. RAG dem die Rentenbemessungsgrundlage übersteigenden vollen JAV entsprach. Bei jedem der unter den Beteiligten umstrittenen Verfahren zur Berechnung des Ruhensbetrages ist damit zugleich eine Steigerung des ruhensfreien Teils der Versichertenrente verbunden. Denn der Höchstbetrag (voller JAV) wächst bei einer Erhöhung des JAV stärker als die volle Verletztenrente (zwei Drittel des JAV gem § 581 Abs 1 Nr 1 RVO) mit der Folge, daß auch die Versichertenrente in größerem Umfang ruhensfrei wird. Wenn die Beklagte dennoch den Zahlbetrag niedriger als bisher beziffert hat, so beruht dies allein auf dem Übergang zu einer anderen Weise der Berechnung des ruhensfreien Teils der Knappschaftsrente. Da die Beklagte von Anfang an, dh seit der Rentengewährung im Jahre 1972 bei der Ermittlung des Ruhensbetrages den abgefundenen Teil der Unfallrente ohne anpassungsbedingte Erhöhungen berücksichtigt hatte, handelte es sich hierbei auch nicht um eine - erstmalige - fehlerhafte Anpassung nach dem 19. RAG, die gem § 14 Abs 2 dieses Gesetzes die Beklagte womöglich zu einer Berichtigung ihres Rentenanpassungsbescheides vom 2. Juli 1976 berechtigt hätte.
Nach alledem hat die Beklagte den Verfügungssatz dieses bindend gewordenen Bescheides in unzulässiger Weise zu Lasten des Klägers geändert. Hiernach besitzt die Beklagte auch nicht den geltend gemachten Rückforderungsanspruch gegen den Kläger, weil dieser aufgrund der bindenden Feststellung des Rentenzahlbetrags die empfangene Leistung nicht "zu Unrecht" erhalten hat (vgl BSGE 20, 223). Deshalb bedarf es keiner näheren Erörterung der im Ergebnis ebenfalls zu verneinenden Frage, ob im Falle einer zu Unrecht gezahlten Leistung die Voraussetzungen für die berechtigte Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs nach § 93 Abs 2 Satz 2 RKG erfüllt gewesen wären.
Der somit insgesamt rechtswidrige Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1977 konnte deshalb keinen Bestand haben und war in der Fassung des Widerspruchsbescheids aufzuheben.
Mit seinem Leistungsbegehren konnte der Kläger dagegen keinen Erfolg haben. die Beklagte ist nicht gehindert, in nach Auffassung des Senats zutreffender Anwendung der Ruhensregelung des § 75 Abs 2 Satz 3 RKG (= § 1278 Abs 2 Satz 3 RVO) einen Neufeststellungsbescheid wegen der Änderung der das Ruhen bewirkenden Leistungen unter Beibehaltung des bisherigen Zahlbetrages der Versichertenrente zu erteilen.
Dem steht die Bindung des früheren Bescheides über die Ruhenswirkungen nicht entgegen. Denn die rechtlichen Erwägungen, die dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, rechnen zu seiner nicht bindungsfähigen Begründung. Solange daher die Feststellung des Rentenzahlbetrages als das rechtliche Ergebnis dieser Erwägungen unangetastet bleibt, kann die Beklagte ohne Rücksicht auf ein früheres rechtsfehlerhaftes Vorgehen die gesetzmäßige Berechnungsart anwenden. Ohne Bedeutung sind hier die Gesichtspunkte, die von dem 1. Senat und dem erkennenden Senat für die Ausdehnung der Bindungswirkung auf solche Elemente des Bescheides angeführt worden sind, die - wie die Feststellung von Versicherungszeiten - auch außerhalb eines Leistungsfeststellungsverfahrens durch einen bindungsfähigen Verwaltungsakt geregelt werden können (vgl Beschluß vom 28. Juni 1979 und Urteil vom 31. Mai 1978 aaO); denn um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht.
Die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid erstmals angewandte Art der Ermittlung des Ruhensbetrages entspricht dem Gesetz, welches das Ruhen einer neben Unfallrente gezahlten Versichertenrente auch insoweit vorsieht, als anstelle der Verletztenrente eine Abfindung gezahlt worden ist (§ 75 Abs 2 Nr 1 RKG). Seit Einführung der Anpassung für Unfallrenten durch § 579 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Juli 1963 gilt aufgrund des entsprechend geänderten § 75 Abs 2 Satz 3 RKG die Verletztenrente, an deren Stelle die Abfindung gewährt worden ist, als fortlaufend. Diese Wendung macht deutlich, daß es die durch die Abfindung (teilweise) weggefallene Rente ist, die bei der Ruhensberechnung als fortlaufend behandelt werden soll. Dies hat aber zur Folge, daß die teilweise abgefundene Unfallrente so zu berücksichtigen ist, als hätte sie an den bisher erfolgten Rentenanpassungen teilgenommen.
Das bestätigt eine an Sinn und Zwecksetzung der Vorschrift orientierte Auslegung. Der Gesetzgeber will mit der in § 75 Abs 2 RKG getroffenen Regelung einem Verletzten, der die Entschädigungsgewährung aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Form der Rentenabfindung in Anspruch nimmt, keinen besonderen Vorteil bei der Anwendung der Ruhensvorschriften gewähren; er will ihn vielmehr grundsätzlich so behandelt wissen wie die Bezieher von Unfallrenten, denen die ihnen zustehende Leistung in vollem Umfange in laufenden Beträgen ausgezahlt wird.
Dem steht nicht entgegen, daß nach der Entscheidung des BSG vom 28. September 1971 (BSGE 33, 145) der Teil der Verletztenrente, an dessen Stelle die Abfindung tritt, während des Abfindungszeitraums nicht an Rentenanpassungen teilnimmt. Denn darin liegt - wie das BSG in dem genannten Urteil im einzelnen ausgeführt hat - keine Benachteiligung des Empfängers einer Abfindung, weil das ausschließlich zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundvermögens oder grundstücksgleicher Rechte zu verwendende Abfindungskapital (§§ 607, 610 RVO) regelmäßig eine mindestens dem Anstieg des allgemeinen Lohnniveaus entsprechende Wertsteigerung erfährt. Auch die Minderung des Zahlbetrages der Abfindung auf das Neunfache des der Abfindung zugrunde liegenden Rentenjahresbetrages (§ 609 Abs 2 Satz 2 RVO) bewirkt keine Verringerung des Entschädigungsaufwandes zum Nachteil des Verletzten: Vielmehr wird hierdurch nur der mit der vorzeitigen Auszahlung der Rente verbundene Zinsvorteil sowie das bei dem Versicherungsträger verbliebene Risiko des Wegfalls der Rente in etwa ausgeglichen (BSG aaO). Handelt es sich aber bei der Rentenkapitalisierung für einen Zehnjahreszeitraum nur um eine die laufende Auszahlung verdrängende besondere Form der Rentengewährung, so läßt sich ein Grund für eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle im Rahmen der Ruhensbestimmungen nicht erkennen. Daher muß auch nach Sinngehalt und Funktion des § 75 Abs 2 Satz 3 RKG das Gesetz so begriffen werden, daß für die Zwecke der Ruhensberechnung die teilweise abgefundene Unfallrente als fortlaufend gedacht und in fiktiv angepaßter Höhe berücksichtigt wird.
Ob § 75 Abs 2 Satz 3 RKG in dieser Auslegung auch in Fällen der Abfindung sogenannter kleiner Dauerrenten nach § 604 RVO gültig ist, kann allerdings zweifelhaft sein, weil eine solche Abfindung nicht an die Stelle einer Rentenzahlung für einen bestimmten Zeitraum tritt, wie § 75 Abs 2 Satz 3 RGK dem Wortlaut nach voraussetzt, sondern als endgültige Abfindung einen Ausgleich für den Wegfall der Rentenzahlung bieten soll. Der vorliegende Streitfall gibt jedoch keinen Anlaß, diese Frage abschließend zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1656773 |
BSGE, 296 |