Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrstufenschema. Angelernter. Beamtendiensttuer. qualitativer Wert des bisherigen Berufs. tarifliche Einstufung

 

Orientierungssatz

Bei der Prüfung der Frage, welche Qualität die letzte berufliche Tätigkeit (hier: als Hilfs-Weichenwärter) hatte, genügt die Bezugnahme allein auf die relativ hohe tarifliche Einstufung (hier: Lohngruppe IV des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn - LTV) nicht, wenn auch weniger qualitätsorientierte Merkmale der Berufstätigkeit vorhanden sind.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.05.1983; Aktenzeichen L 8 J 112/81)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 20.05.1981; Aktenzeichen S 8 J 69/80)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1924 geborene Kläger brach im März 1941 eine Gartenbaulehre ab und war bis April 1942 sowie nach Kriegsdienst und Gefangenschaft als Hilfsarbeiter beschäftigt. Ab Januar 1947 war er zunächst bei der Reichsbahn, später bei der Deutschen Bundesbahn als Bahnunterhaltungsarbeiter, Rangierarbeiter und zuletzt - bei Einstufung in Lohngruppe IV des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) - als Weichenwärter versicherungspflichtig tätig. Am 1. August 1956 wurde er als Weichenwärter-Anwärter von der Versicherungspflicht befreit und später ins Beamtenverhältnis übernommen. Zum 1. Oktober 1979 wurde er als Betriebshauptaufseher wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

Den im April 1979 gestellten Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne (Bescheid vom 21. Mai 1979 und Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1980).

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 20. Mai 1981). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat auf die Berufung des Klägers dieses Urteil aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Mai 1979 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 4. Mai 1983). Es hat ausgeführt: Bisheriger Beruf des Klägers sei die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung als Weichenwärter. Diese Tätigkeit sei aufgrund ihrer tariflichen Einstufung dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß die hohe tarifliche Einstufung nicht auf der Qualität der Berufstätigkeit beruhe; denn es handele sich um einen Beamtendienstposten, dessen Ausfüllung ein gesteigertes Maß an Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewußtsein verlange. Als Weichenwärter sei der Kläger nicht mehr einsatzfähig, weil er nur noch leichte, wechselschichtfreie Arbeiten bei einfacher Verantwortung verrichten könne. Er könne auch keine andere sozial zumutbare Tätigkeit mehr ausüben. Für einen Einsatz als Amtsgehilfe reiche zwar das verbliebene Leistungsvermögen aus, und die Tätigkeit sei auch, da in Lohngruppe V LTV eingestuft, sozial zumutbar; die Verweisbarkeit hierauf scheitere aber an dem insoweit verschlossenen Arbeitsmarkt. Es handle sich ausnahmslos um Beamtendienstposten, die derzeit keine Arbeiter oder Angestellten innehätten. Weitere Verweisungsmöglichkeiten seien weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen. Zwar enthalte die Lohngruppe V LTV noch eine Reihe von Tätigkeiten, die nicht Beamten vorbehalten seien; der Kläger verfüge aber über nur sehr begrenzte Kenntnisse und Fähigkeiten und sei nur noch einer einfachen Verantwortung gewachsen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor: Bei der Tätigkeit des Hilfsweichenwärters handle es sich um eine Beamtentätigkeit, die in der Anlage 1 des LTV im Abschnitt C aufgeführt sei und in der Regel von Beamten des einfachen Dienstes wahrgenommen werde. Stehe für eine solche Tätigkeit ein Beamter nicht zur Verfügung, so sehe der LTV bei der Beschäftigung eines Arbeiters als Schaffner die Lohngruppe IV für einen "Beamtendiensttuer" nur deshalb vor, weil die Verwendung eines Arbeiters auf einem Beamtendienstposten - also ein qualitätsfremdes Merkmal - besonders honoriert werden solle. Für die Tätigkeit eines (Hilfs)weichenwärters - heutige Bezeichnung: Betriebsaufseher (Ww) - sei keine Ausbildung im üblichen Sinn, sondern nur eine betriebliche Einweisung und Einarbeitung erforderlich. Die Verwendungsausbildung zum Weichenwärter, die vor dem erstmaligen Einsatz auf einem Beamtendienstposten durchgeführt werde, dauere einschließlich der vorbereitenden Beschäftigung von einem Monat als Bahnunterhaltungs- oder Rangierarbeiter insgesamt nur drei Monate; die Laufbahnausbildung zum Weichenwärter, die unabhängig von einer bereits abgelegten Verwendungsprüfung erst nach Aufnahme in die Beamtenlaufbahn erfolge, betrage ebenfalls drei Monate. Damit entspreche die Tätigkeit des Weichenwärters nur derjenigen eines angelernten Arbeiters im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könne der Kläger auf die Tätigkeit des Amtsgehilfen verwiesen werden; zum einen gehe die Rechtsprechung vom Vorhandensein einer hinreichenden Anzahl entsprechender Arbeitsplätze schon dann aus, wenn - wie hier - die Tätigkeit von einem Tarifvertrag erfaßt werden, zum anderen gebe es in der gesamten Bundesrepublik Deutschland weit mehr als 100 Arbeitsplätze, die für eine Verweisung in Betracht kämen. Darüber hinaus erscheine es widersprüchlich, wenn das LSG dem Kläger einerseits aufgrund der von ihm ausgeführten Beamtentätigkeit den Facharbeiterstatus zubillige, andererseits aber die Verweisung auf eine vom Tarifvertrag erfaßte Beamtentätigkeit ausschließe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. Mai 1981 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus: Nach ständiger Rechtsprechung des BSG erstrecke sich der Berufsschutz eines Facharbeiters nicht nur auf gelernte Arbeiter, sondern auch auf gleich hoch zu bewertende andere Tätigkeiten. Dies müsse auch für entsprechend hoch zu bewertende Beamtentätigkeiten gelten, die von Arbeitern verrichtet wurden. Für den Bundesbahnbetrieb gebe es noch keine Dienstleistungsfachkraft als staatlich anerkannten Ausbildungsberuf. Wichtig sei aber, daß für Jugendliche eine dreijährige Ausbildungszeit für den einfachen Dienst bei der Deutschen Bundesbahn vorgesehen sei. Eine Verweisbarkeit auf die Tätigkeit des Amtsgehilfen bestehe nicht, weil nach den bindenden Feststellungen des LSG kein Arbeitsplatz vorhanden sei, der für den Kläger in Betracht komme. Andere Verweisungstätigkeiten seien nicht ersichtlich.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Nach § 1246 Abs 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten beträgt. Nach Satz 2 der Vorschrift beurteilt sich dabei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach allen (objektiv) seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten, die ihm (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hiernach stehen die sogenannten Verweisungstätigkeiten in einer Wechselwirkung zum "bisherigen Beruf". Von diesem aus bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen. Deshalb muß er zunächst ermittelt und - da die Verweisbarkeit davon abhängt - nach den vorgenannten Kriterien bewertet, also sein qualitativer Wert festgestellt, werden (zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41). Hierzu hat die Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in verschiedene "Leitberufe" untergliedert, nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des "angelernten" und schließlich des ungelernten Arbeiters. Grundsätzlich darf der Versicherte nur auf die jeweils niedrigere Gruppe verwiesen werden. Denn das Gesetz sieht den Versicherten nicht schon dann als berufsunfähig an, wenn er den "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, sondern verlangt, daß er, ausgehend von diesem Beruf, einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann - sei es, daß es eine solche Tätigkeit (objektiv) nicht gibt, sei es, daß er (subjektiv) aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender (nicht ausreichender) Kenntnisse und Fähigkeiten eine solche Tätigkeit nicht zu verrichten vermag.

Zutreffend ist das Berufungsgericht von der letzten vor der Befreiung von der Versicherungspflicht ausgeübten Tätigkeit des (Hilfs-)Weichenwärters als dem bisherigen Beruf des Klägers ausgegangen. Dem steht nicht entgegen, daß zwischen dem Ende dieser versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem (behaupteten) Eintritt des Versicherungsfalles ein längerer Zeitraum liegt (vgl BSG aaO Nr 66 und ständige Rechtsprechung).

Als festgestellt und, da hiergegen von der Beklagten keine Revisionsgründe vorgebracht worden sind, für den Senat bindend (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) gilt aufgrund der Ausführungen des LSG, daß der Kläger als Weichenwärter nicht mehr einsatzfähig ist. Es kommt daher, wie dargelegt, auf den qualitativen Wert dieses bisherigen Berufs an, um von dem gewonnenen Ergebnis aus den Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeiten abstecken und anschließend untersuchen zu können, ob der Kläger den Anforderungen eines solchen Verweisungsberufes gesundheitlich sowie von seinem Können und Wissen her gewachsen ist.

Der Kläger hat keine berufliche Ausbildung durchlaufen, die dem Leitbild des Facharbeiters entspricht. Dabei geht es hier nicht darum, daß im Falle eines an sich vorgesehenen "herkömmlichen" Ausbildungswegs dieser nicht beschritten, also eine Facharbeitertätigkeit ohne die hierfür vorgeschriebene Ausbildung ausgeübt worden wäre: In einem solchen Fall hat die Rechtsprechung gleichwohl die berufliche Tätigkeit dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet, wenn dieser Beruf seiner Qualität nach dem eines Facharbeiters entsprach und nicht nur vorübergehend "vollwertig" ausgeübt worden ist. Sie hat aber gleichzeitig betont, es sei dann im Interesse einer klaren und sachgerechten Abgrenzung geboten, eingehend zu prüfen, ob die abweichend vom "normalen" Ausbildungsweg erlangte berufliche Position tatsächlich in voller Breite derjenigen des vergleichbaren Versicherten bzw Facharbeiters entspricht, der die üblichen Stadien der Entwicklung durchlaufen hat. Neben der tariflichen Einstufung und Entlohnung sei zu verlangen, daß der Versicherte nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Leistung erbringe, sondern auch über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten verfüge, die in seiner Berufsgruppe im allgemeinen erwartet werden. In diesem Sinne müsse eine "Wettbewerbsfähigkeit" im Vergleich zu anderen Versicherten derselben Berufsgruppe bestehen (erkennender Senat in SozR 2200 § 1246 Nr 53 S 163; dem folgend der 1. Senat aaO Nrn 68, 70; ebenso 5b Senat, Urteil vom 29. Oktober 1985 - 5b/1 RJ 14/84 S 6, 7).

Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß der bisherige Beruf des Klägers generell keine Ausbildungszeit von etwa drei Jahren voraussetzt, wie sie regelmäßig beim Facharbeiter - mindestens - vorgeschrieben ist (vgl Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, hgg vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Stand: 1. Juli 1984, S 16 ff). In einem derartigen Fall gestaltet sich die Einordnung in das Mehrstufenschema besonders schwierig. Zur Erleichterung einer zutreffenden - tatsächlichen - Einordnung in eine der Gruppen des Schemas hat die Rechtsprechung des BSG die Heranziehung von Tarifverträgen zugelassen. Es hat sich dazu berechtigt gesehen, weil seiner Ansicht nach die Tarifpartner als die "unmittelbar am Arbeitsleben beteiligten Bevölkerungskreise" durch die Tarifverträge - trotz aller im Einzelfall möglichen Mängel - noch relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vornehmen, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas entspricht. Denn auch die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner berücksichtigen bei der tariflichen Einstufung die Qualität des Berufs aufgrund seiner positiv zu bewertenden Anforderungen und Merkmale (vgl BSGE 41, 129, 133 = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR 2200 § 1246 Nr 29). Damit ist den Versicherungsträgern und Gerichten bei der auf tatsächlichem Gebiet liegenden Ermittlung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand gegeben worden (vgl Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84).

Hieran knüpft das Berufungsgericht an, wenn es ausführt, der Beruf des Weichenwärters sei in Lohngruppe IV des LTV für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn eingeordnet; danach müsse, da die Lohngruppen I bis IV für "Handwerker und gleichgestellte Facharbeiter" vorgesehen seien, der Kläger dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet werden. Eine "qualitätsfremde" Einstufung hat das LSG mit der Begründung verneint, daß der Weichenwärter einen Dienst verrichte, der im Regelfall einem Beamten vorbehalten sei; Beamtentätigkeiten aber setzten ein gesteigertes Maß an Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewußtsein voraus.

Diese Bewertung und Würdigung vermag indessen nicht zu überzeugen. Zunächst fehlen nähere Feststellungen, welche Tätigkeiten die erwähnte Tarifgruppe IV insgesamt erfaßt. Die Wiedergabe der Überschrift über vier Gruppen (I bis IV) kann nicht genügen, weil die Bezeichnung "Facharbeiter" in Tarifverträgen häufig einen grundlegend anderen Inhalt hat als nach dem Mehrstufenschema in der Rechtsprechung des BSG. Weiter könnte von Bedeutung sein, ob die Gruppe IV des LTV eine Mischlohngruppe insofern ist, als sie im Sinne des Mehrstufenschemas sowohl Facharbeiter wie auch angelernte Arbeiter umfaßt. Aufschlußreich wäre ferner, ob Facharbeiter, die in der Regel eine Regelausbildungszeit etwa von drei Jahren zurückgelegt haben, in die Lohngruppe IV nur für eine begrenzte, relativ kurze Zeit eingestuft werden.

Abgesehen davon mag zwar die Ausfüllung eines Beamtendienstpostens durchaus nicht "qualitätsfremd" sein, andererseits kann sie aber nach der Auffassung des Senats - im Einzelfall - "qualitätsneutral" sein. Denn der Beamtenstatus erlaubt, bezogen auf die im konkreten Fall verrichtete Tätigkeit, noch keine umfassende qualitative Bewertung; er kann deshalb allein die Kriterien des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO weder ersetzen noch auch nur entscheidend ergänzen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch in der Revisionsinstanz auf die besondere Struktur des LTV für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn hingewiesen: Während in der Anlage 1, Abschnitt B des LTV die "Lohngruppe für Arbeitertätigkeiten" angesprochen sei, beziehe sich der Abschnitt C, unter den der Kläger gefallen sei, auf "Lohngruppen für Beamtentätigkeiten". Trifft der Einwand der Revision zu, der LTV sehe bei einer vorübergehenden Beschäftigung eines Arbeiters im Weichenwärterdienst die Lohngruppe IV für einen "Beamtendiensttuer" nur deshalb vor, weil die Verwendung eines Arbeiters auf einem Beamtendienstposten "aus Personalführungsgründen besonders honoriert werden sollte", so könnten in der Tat qualitätsfremde Gesichtspunkte für die relativ hohe tarifliche Einstufung maßgebend gewesen sein.

Nun hat demgegenüber das Berufungsgericht auf die erhebliche Verantwortung, die einem Weichenwärter obliege, sowie auf das von ihm verlangte gesteigerte Maß an Zuverlässigkeit, das von ihm verlangt werde, hingewiesen. Es sind dies Kriterien, die unter die "besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit" zu subsumieren sein mögen. Zu berücksichtigen ist aber insoweit auch, daß die Rechtsprechung die Merkmale der Vertrauensstellung und/oder besonderen Verantwortung besonders häufig dann herangezogen hat, wenn es darum ging, einen Facharbeiter auch auf "besonders herausgehobene ungelernte" Tätigkeiten, jedenfalls aber solche Tätigkeiten ohne regelrechte Berufsausbildung zu verweisen, die tariflich wie Anlerntätigkeiten eingestuft sind (vgl etwa BSGE 41, 129, 134 = SozR 2200 § 1246 Nr 11 sowie Nrn 17, 21, 23, 25, 29). Im übrigen ist zu beachten, daß für eine Beamtentätigkeit des einfachen Dienstes durchaus die Zugangsvoraussetzungen regelmäßig gesetzlich festgelegt sind: Hauptschulabschluß (oder ein gleichwertiger Bildungsstand), danach ein Vorbereitungsdienst von sechs Monaten (vgl Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84 S 11). Nach dem Vortrag der Beklagten tritt im konkreten Fall die Verwendungsausbildung zum Weichenwärter hinzu, die insgesamt nur drei Monate dauert und sogar eine vorbereitende Beschäftigung von einem Monat als Bahnunterhaltungs- oder Rangierarbeiter einschließt.

Übereinstimmend damit geht auch das angefochtene Urteil von einer "relativ kurzen Ausbildung" und von einem "unter Umständen sehr begrenzten Kreis der zu fordernden Kenntnisse und Fähigkeiten" aus. Wenn das LSG dennoch die relativ hohe tarifliche Einstufung für die Zuordnung des Klägers zum Facharbeiterberuf hat ausschlaggebend sein lassen, so berücksichtigt es nicht genügend, daß die BSG-Rechtsprechung "den tarifbezogenen Maßstab niemals als ein Allheilmittel angesehen hat, sondern als ein ... soziologisches Hilfsmittel, das - neben denkbaren anderen - zur Ausfüllung eines rechtlich vorgegebenen Rahmens dient" (Burger in "100 Jahre sozialgerichtliche Rechtsprechung", Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Band XXVI S 93, 97). Dieser rechtliche Rahmen - § 1246 Abs 2 Satz 1 und 2 RVO - stellt aber klar auf die "Kenntnisse und Fähigkeiten", auf "die Dauer und den Umfang der Ausbildung" des Versicherten (im bisherigen Beruf) und - besonders wichtig - auf die "besonderen Anforderungen" der bisherigen Berufstätigkeit ab, insgesamt also auf die positive Kennzeichnung durch qualitative Merkmale des bisherigen Berufs.

Dies bedeutet, daß der Kläger - sofern weitere Ermittlungen und Feststellungen des LSG nicht zu neuen Erkenntnissen führen - eher in die Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar hier - insoweit im Hinblick auf seine Vertrauensstellung, besondere Verantwortung und die tarifliche Einstufung - dem oberen Bereich zuzuordnen sein dürfte mit der Folge, daß eine Verweisbarkeit auf ganz einfache Tätigkeiten der Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten ausscheidet (vgl das vorerwähnte Urteil des erkennenden Senats vom 28. November 1985, S 12, 13).

Auch die Feststellungen zum Kreis der möglichen Verweisungstätigkeiten reichen nicht aus. Das LSG hat - aus seiner Sicht konsequent - (ebenso wie beim bisherigen Beruf) bei der Beurteilung der Verweisungstätigkeiten auf die tarifliche Einstufung abgehoben und demzufolge ausgeführt, der Kläger sei nicht nur gesundheitlich in der Lage, die körperlich leichte und nur einfache Verantwortung erfordernde Tätigkeit des Amtsgehilfen auszuüben; diese Tätigkeit sei ihm auch zumutbar, da sie in Lohngruppe V LTV, also lediglich eine Gruppe niedriger als die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers, eingestuft sei. Es hat die Verweisung hierauf lediglich wegen des insoweit - für Nichtbeamte - verschlossenen Arbeitsmarktes verneint. Indessen hätte das LSG an diesem Punkt nicht Halt machen dürfen, sondern untersuchen müssen, ob es eine etwa dem Amtsgehilfen entsprechende Tätigkeit in einem anderen Tarifbereich als dem der Deutschen Bundesbahn, so beispielsweise nach dem Tarifvertrag für die Arbeiter der Länder, gibt (zur Zulässigkeit der Verweisung auf berufsfremde Tätigkeiten vgl BSGE 41, 129, 135 f = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR aaO Nr 23).

Erst wenn die hiernach noch erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen getroffen sind, kann das LSG, je nachdem, ob es eine dem Kläger zumutbare und für ihn geeignete Verweisungstätigkeit findet, über das Vorliegen von Berufsunfähigkeit entscheiden.

In der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung wird auch über die außergerichtlichen Kosten zu befinden sein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663825

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