Leitsatz (amtlich)
Ist ein Antrag auf Hinterbliebenenrente der Invalidenversicherung bis zur Verkündung des BVG (1950-12-21) deshalb nicht gestellt worden, weil er infolge Zusammentreffens der - höheren - Hinterbliebenenrente nach der SVD 27 mit der Hinterbliebenenrente der Invalidenversicherung nur zur Bewilligung einer ruhenden Invalidenrente geführt hätte, so kann der Rentenbeginn jedenfalls dann nicht auf den in KrFristenablaufG § 2 S 1 bestimmten Zeitpunkt vorverlegt werden, wenn die Rente erst nach dem 1951-01-31 beantragt worden ist.
Normenkette
KrFrHemmSV/AVG § 2 S. 1 Fassung: 1952-11-13; RVO § 1286 Fassung: 1945-11-27; BVG; SVD 27
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgericht Schleswig vom 2. Dezember 1954 und des Sozialgerichts Schleswig vom 17. Mai 1954 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Vater der Kläger ist seit Dezember 1944 vermißt. Durch Beschluß des Amtsgerichts Plön vom 25. Mai 1948 wurde er für tot erklärt; als Zeitpunkt des Todes wurde der 23. Dezember 1944, 24,00 Uhr, festgestellt.
Am 16. November 1951 beantragten die Kläger bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA.) Waisenrente. Durch Bescheid vom 8. Januar 1953 bewilligte diese den Klägern vom Ablauf des Antragsmonats an die Waisenrente. Am 30. Juni 1953 beantragten die Kläger mit dem Hinweis auf den in der Todeserklärung festgestellten Todestag ihres Vaters, die Waisenrente nach dem Kriegsfristengesetz neu zu berechnen. Die beklagte LVA. lehnte dies mit Bescheid vom 10. September 1953 ab, da der Antrag nicht bis zum Ablauf des auf die rechtskräftige gerichtliche Todeserklärung folgenden Jahres gestellt worden sei.
Die gegen diesen Ablehnungsbescheid gerichtete Berufung ist mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Sozialgericht (SG.) Schleswig übergegangen. Durch Urteil vom 17. Mai 1954 hob das SG. den Bescheid der Beklagten vom 10. September 1953 auf und erklärte sie für verpflichtet, den Rentenbeginn in einem neuen Bescheid auf den 1. Januar 1945 festzusetzen. Die Berufung der beklagten LVA. gegen dieses Urteil blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts - LSG. - Schleswig vom 2. Dezember 1954).
Mit der - zugelassenen - Revision hat die beklagte LVA. beantragt,
das Urteil des LSG. Schleswig vom 2. Dezember 1954 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt unrichtige Anwendung des § 2 Kriegsfristengesetz ( KriegsfristenG ). Zu Unrecht habe das LSG. angenommen, es müsse der Beginn der Waisenrenten der Kläger auf den Ablauf des Sterbemonats des Vaters der Kläger vorverlegt werden, weil sie ihren Rentenantrag noch innerhalb der "Überlegungsfrist" von einem Jahr nach Verkündung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestellt hätten, die den Hinterbliebenen eines Kriegsgefallenen zugebilligt werden müsse. Ein solcher Rentenbeginn komme vielmehr nur in Frage, wenn die Hinterbliebenen die Rente bis zum Ablauf des Kalenderjahres beantragt hätten, das auf das Kalenderjahr folge, in dem die Rechtskraft der Todeserklärung eingetreten sei. Demnach hätte der Rentenbeginn im Falle der Kläger nur neu festgesetzt werden können, wenn diese ihren Rentenantrag spätestens bis Ende 1949 - nicht aber erst am 16. November 1951 - gestellt hätten.
Die Kläger haben beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II.
Die von den Klägern beantragte Vorverlegung des Rentenbeginns auf den Ablauf des Sterbemonats ihres Vaters (1. Januar 1945) ist entgegen der Annahme des LSG. nicht nach § 2 KriegsfristenG begründet. Von den verschiedenen Tatbeständen, die in der genannten Vorschrift zusammengefaßt sind, liegt die Alternative des § 2 Satz 3 KriegsfristenG schon deshalb nicht vor, weil diese das Vorliegen eines Bewilligungsbescheids im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KriegsfristenG (§ 4 Satz 1: 16. November 1952) voraussetzt, im vorliegenden Fall aber die Waisenrenten erstmals mit Bescheid vom 8. Januar 1953 bewilligt worden sind (vgl. BSG. Bd. 3 S. 72 und Bd. 5 S. 148). Auch § 2 Satz 4 KriegsfristenG entfällt, denn diese Vorschrift ist nur anwendbar, wenn ein Rentenantrag vor Inkrafttreten des KriegsfristenG entweder abgelehnt oder überhaupt nicht gestellt worden ist (vgl. hierzu BSG. Bd. 5 S. 57 [59 f.] und S. 148 [149 f.]). Beide Voraussetzungen treffen hier nicht zu.
Schließlich kann der Klageanspruch auch nicht auf § 2 Satz 1 KriegsfristenG gegründet werden. Die in dieser Vorschrift festgesetzte Antragsfrist war im vorliegenden Fall Ende 1949 abgelaufen. Das LSG. ist allerdings der Auffassung, den Berechtigten müsse eine Verlängerung der Antragsfrist zugestanden werden, wenn sie - wie auch im vorliegenden Fall - nach Nr. 11 Abs. II a der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 - SVD 27 - vom 2. Mai 1947 (ArbBl. f.d. Brit. Zone S. 155) nur die Hinterbliebenenrenten nach der SVD 27 - als "die höhere Rente" - erhalten konnten, ihre Waisenrenten aus der Invalidenversicherung hingegen, wenn beantragt und festgesetzt, geruht hätten und ein IV-Rentenantrag während der Geltungsdauer der SVD 27 somit zwecklos gewesen wäre. In der Tat ist nicht zu verkennen, daß der in § 2 Satz 4, 2. Alternative KriegsfristenG zum Ausdruck gekommene Grundgedanke, den Berechtigten solle die Unterlassung der Antragstellung nicht zum Nachteil gereichen, wenn ein Rentenantrag infolge des inzwischen eingetretenen Wegfalls der Voraussetzungen für die Rentengewährung nach damaligem Recht zwecklos gewesen wäre, über den unmittelbaren Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinaus Geltung hat (vgl. die Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts in BSG. Bd. 5 S. 148 [149], die in diesem Sinne von Billigkeitserwägungen spricht). Auch könnte erwogen werden, den ausdrücklich geregelten Fall, daß der Rentenantrag infolge Wegfalls der Voraussetzungen nicht gestellt wurde, dem in seinen Auswirkungen ähnlichen Fall gleichzustellen, daß die Rente wegen ihres sofort mit der Bewilligung eintretenden Ruhens nicht beantragt wurde (vgl. hierzu die Urteile des erkennenden Senats in Sozialrecht KriegsfristenG § 2 Bl. Aa 5 [Aa 6] Nr. 8 und RVO § 1545 Bl. Aa 2 [Aa 3 Rücks.] Nr. 2). Im Sinne dieses Gedankengangs wäre die Unterlassung der Antragstellung solange als unschädlich für die Rechtsfolge des § 2 Satz 1 KriegsfristenG anzusehen, als das "Hindernis" nicht behoben wäre, das einen Antrag auf Rentengewährung aussichtslos machte. Darüber hinaus müßte den Berechtigten nach Wegfall des "Hindernisses" noch eine angemessene Handlungsfrist zugestanden werden. Selbst wenn aber alle diese zweifelhaften Rechtsfragen zugunsten der Kläger zu beantworten wären, so kann § 2 Satz 1 KriegsfristenG doch in vorliegenden Fall nicht Anwendung finden; denn keinesfalls ist es entgegen der Annahme des LSG. gerechtfertigt, die den Berechtigten nach Wegfall des "Hindernisses" zur Verfügung stehende Handlungsfrist auf ein Jahr zu erstrecken. § 2 KriegsfristenG hat allein den Zweck, die Unbilligkeiten auszugleichen, die sich infolge unterschiedlicher Regelungen in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik bei spätem Eingang der Todesnachricht für Hinterbliebene ergaben; die Auswirkungen sonstiger, insbesondere auf Unkenntnis der Rechtslage zurückzuführender Säumnisse werden von dieser Vorschrift nicht berührt (vgl. BSG. Bd. 3 S. 72 [75 f.] und Urteil des BSG. vom 7. Juni 1956 - 4 RJ 192/55). So erklärt sich auch die in Abweichung von § 1286 RVO a.F. gewährte, ungewöhnlich lange Antragsfrist des § 2 KriegsfristenG - wie vor Erlaß dieser Vorschrift bereits die des § 22 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl. 1 S. 34) - nur aus der Rücksichtnahme auf die besonderen Umstände des Krieges und des kriegsbedingten Todes eines Versicherten. Hingegen fehlt diese Beziehung bei der Überlegungsfrist, die einem Berechtigten allenfalls nach Wegfall des Hindernisses der Aussichtslosigkeit der Antragstellung einzuräumen wäre. Nicht die Ungewißheit über den Kriegstod des Versicherten, sondern die Rechtslage, die bei richtiger Beurteilung einen Rentenantrag zwecklos erscheinen ließ, hat die Antragstellung verhindert. Deshalb könnten, wenn überhaupt, nur die Verzögerungen der Antragstellung als unschädlich für die Vorverlegung des Rentenbeginns angesehen werden, die die allgemein für Anträge geltende Regelung des § 1286 Abs. 1 RVO a.F. zuläßt. Im vorliegenden Fall reichte somit - bei entsprechender Anwendung des § 1286 Abs. 1 RVO a.F. - die Überlegungsfrist der Kläger nur bis zum 31. Januar 1951; denn das "Hindernis" war mit der Verkündung des BVG am 21. Dezember 1950 weggefallen. Da die Kläger ihren Rentenantrag erst am 16. November 1951 gestellt haben, kann ihre Rente somit nicht auf den Ablauf des Sterbemonats ihres Vaters vorverlegt werden.
Die Revision der beklagten LVA. ist somit begründet.
Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen