Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des AFG § 104

 

Orientierungssatz

Die Nichtberücksichtigung der Zeiten mit Bezug von Mutterschaftsgeld bei der Berechnung der Anwartschaftszeit (AFG § 104 in der bis zum 1979-06-30 geltenden Fassung) für den Anspruch auf Arbeitslosengeld verstößt weder gegen GG Art 3 Abs 1 noch GG Art 6 Abs 1 oder 4.

 

Normenkette

AFG § 104 Abs 1 S 2 Fassung: 1969-06-25, § 168 Abs 1 Fassung: 1969-06-25; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 4 Fassung: 1949-05-23; MuSchG § 13 Abs 2 Fassung: 1972-08-10

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.06.1978; Aktenzeichen L 3 Ar 119/78)

SG Mannheim (Entscheidung vom 23.11.1977; Aktenzeichen S 9 Ar 1555/76)

 

Tatbestand

I

Die Klägerin war vom 1. Juni 1970 bis zum 30. September 1974 bei der M I GmbH in H als Grafikerin beschäftigt. Vom 1. August bis zum 5. November 1973 arbeitete die Klägerin wegen einer Schwangerschaft - Geburt des Kindes am 10. September 1973 - nicht und bezog Mutterschaftsgeld. Vom 6. November 1973 an war sie nur noch 20 Stunden wöchentlich beschäftigt. Der Arbeitgeber zahlte aber gleichwohl weiterhin für sie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Am 3. März 1976 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg.) Das Arbeitsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Mai 1976 ab und wies den Widerspruch der Klägerin am 4. August 1976 zurück.

Mit der Klage macht die Klägerin geltend, vom 1. August 1973 bis zum 5. November 1973 sei die Beschäftigung aufgrund der Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes (MuSchG - idF des Gesetzes vom 10. August 1972 - BGBl I 1433) unterbrochen gewesen. Gleichzeitig habe sie ihren bezahlten Jahresurlaub genommen. Sie habe danach wegen der Betreuung ihres Kindes nur 20 Wochenstunden tätig sein können. Innerhalb der Rahmenfrist vom 3. März 1973 bis zum 2. März 1976 sei ihre Beschäftigung vom 3. März bis zum 5. November 1973 beitragspflichtig gewesen. Die Mutterschaftszeit könne nicht als Unterbrechung der beitragspflichtigen Beschäftigung angesehen werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) beantragte die Klägerin, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, ihr Alg ab Antrag zu gewähren. Das SG hat mit Urteil vom 23. November 1977 die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 21. Juni 1978 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ausgeführt, die Klägerin sei arbeitslos, habe sich arbeitslos gemeldet und Alg beantragt. Zu ihren Gunsten könne auch angenommen werden, daß sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Sie habe aber die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Innerhalb der Rahmenfrist vom 3. März 1973 bis zum 2. März 1976 habe sie nur bis zum 31. Juli 1973, also weniger als 26 Wochen, in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden. In der Zeit vom 1. August bis zum 5. November 1973 habe sie kein Entgelt vom Arbeitgeber erhalten. Angesichts der unsubstantiierten Behauptung der Klägerin, sie habe in dieser Zeit ihren bezahlten Jahresurlaub genommen, bestehe keine Veranlassung, beim Arbeitgeber zurückzufragen. Die Gewährung des tariflichen oder üblichen Urlaubs in dieser Zeit sei ausgeschlossen gewesen, da die Klägerin wegen der Schutzfristen nach dem MuSchG ohnehin nicht beschäftigt werden durfte. Wenn sie vom Arbeitgeber Geldleistungen erhalten haben sollte, könne es sich nur um eine Art Urlaubsabgeltung gehandelt haben. Eine solche Leistung würde jedoch nicht die Zeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung um die für die Höhe der Abgeltung maßgebenden Urlaubstage verlängern (vgl BSGE 13, 155). Die Gewährung von Mutterschaftsgeld stehe der Zahlung von Entgelt nicht gleich. Insoweit bestehe auch kein Anlaß für eine berichtigende Auslegung des § 104 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) aufgrund verfassungsrechtlicher Überlegungen. Vom 6. November 1973 an sei die Beschäftigung der Klägerin nur geringfügig und daher beitragsfrei gewesen.

Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung des Art 6 Abs 1 und 4 des Grundgesetzes (GG). Sie führt aus, die Mutterschaftszeit sei danach nicht als Unterbrechung der beitragspflichtigen Beschäftigung anzusehen. Im AFG sei zwar die Rahmenfrist für die Alg-Anwartschaft von zwei auf drei Jahre ausgedehnt worden. Damit sei aber die Einbuße infolge Nichtanrechnung der Mutterschaftszeit nicht sachgerecht ausgeglichen. Die Anwartschaftszeit habe sie wegen der Geburt ihres Sohnes und der daraus folgenden notwendigen mütterlichen Betreuung und Pflege nicht erfüllen können. Außerdem müsse das Gericht die bisher geübte Rechtspraxis im Auge behalten, denn dieser Fall falle gerade in die Zeit zwischen altem und neuem Recht. Die Klägerin habe deshalb darauf vertrauen können, daß die Mutterschaft weiterhin eine Vorzugsbehandlung genieße.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Juni 1978, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. November 1977 und die Bescheide vom 20. Mai 1976 und 4. August 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 3. März 1976 das gesetzliche Alg zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Fassung des § 104 Abs 1 Satz 2 AFG, "Zeiten einer Beschäftigung, für die kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, ... dienen nicht zur Erfüllung einer Anwartschaftszeit", gelte bereits seit dem 1. Juli 1969.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Mit zutreffender Begründung hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die Klage war abzuweisen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Die Berufung ist zulässig. Allerdings hatte die Klägerin mit der Klage sinngemäß Zahlung des Alg für die ihr nach dem Gesetz zustehende Dauer beantragt und in der Klageschrift ausdrücklich nur die Zeit vom 3. März 1973 bis zum 5. November 1973 als Zeit einer beitragspflichtigen Beschäftigung innerhalb der Rahmenfrist bezeichnet. Daraus hätte sich nach § 106 AFG ein Alg-Anspruch von 78 Tagen = 13 Wochen ergeben, der nicht berufungsfähig gewesen wäre (§ 144 Abs 1 Nr 2 SGG). Der Anspruch war aber nicht eindeutig auf Gewährung von Alg für 13 Wochen beschränkt. Spätestens aus dem Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz ergibt sich vielmehr, daß die Klägerin auch die Zeit vom 6. November 1973 bis zum 30. September 1974 als beitragspflichtige Beschäftigungszeit geltend machen wollte, so daß die Dauer des geltend gemachten Alg-Anspruchs jedenfalls 13 Wochen übersteigt.

Mit Recht ist das LSG zum Ergebnis gekommen, daß die Klägerin kein Alg beanspruchen kann, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt (§§ 100, 104 AFG). Die Klägerin hat nicht in der Rahmenfrist 26 Wochen oder 6 Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die dreijährige Rahmenfrist geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder nach § 105 als erfüllt gelten (§ 104 Abs 2 und 3 AFG). Da die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für das Alg mit Ausnahme der Anwartschaftszeit erstmals mit ihrer Arbeitslosmeldung und Antragstellung am 3. März 1976 erfüllt hat, ist die Rahmenfrist vom 3. März 1973 bis zum 2. März 1976 gelaufen. In dieser Rahmenfrist ist die Klägerin nur vom 3. März bis zum 31. Juli 1973 beitragspflichtig beschäftigt gewesen, also weniger als 26 Wochen oder sechs Monate.

In der Zeit vom 1. August bis zum 5. November 1973 hat keine beitragspflichtige Beschäftigung vorgelegen. Beitragspflichtig sind nach § 168 Abs 1 AFG Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, soweit sie nicht nach § 169 oder einer Rechtsverordnung nach § 173 Abs 1 beitragsfrei sind. Die Beitragspflicht setzt mithin die Zahlung von Arbeitsentgelt oder zumindest einen Anspruch darauf voraus. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin in der Zeit vom 1. August bis zum 5. November 1973 kein Arbeitsentgelt erhalten. Die vom LSG offengelassene "Urlaubsabgeltung" ist jedenfalls kein Entgelt für einen Urlaub während der Mutterschaftszeit, denn in dieser Zeit hätte die Klägerin keinen Urlaub nehmen können. Das Mutterschaftsgeld ist kein Entgelt in diesem Sinne (Schönefelder/Kranz/Wanka Komm zum AFG § 104 Anm 4). Bei den in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Frauen ist das Mutterschaftsgeld eine Versicherungsleistung, während es sich bei den Frauen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, um eine Sozialleistung zu Lasten des Bundes handelt, die in entsprechender Anwendung der Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewährt wird (§ 13 Abs 2 MuSchG). Nach § 200c RVO ruht das Mutterschaftsgeld, wenn und soweit Arbeitsentgelt gezahlt wird. Zum Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs 2 MuSchG zahlt der Arbeitgeber einen Zuschuß in Höhe der Differenz zwischen diesem Geld und dem Nettoarbeitsentgelt. Demgemäß kann kein Zweifel sein, daß das Mutterschaftsgeld selbst kein Arbeitsentgelt ist, wie es § 104 AFG für die Erfüllung der Anwartschaftszeit voraussetzt.

Die Zeiten der Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG stehen einer beitragspflichtigen Beschäftigung auch nicht gleich. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 107 AFG nicht erfüllt. Für eine Auslegung des § 104 AFG dahin, daß entgegen dem Wortlaut auch Zeiten der Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG berücksichtigt werden, ist kein Grund ersichtlich. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht gegen eine solche Auslegung. Im Regierungsentwurf des AFG (BT-Drucks V/2291) war vorgesehen, daß ua Zeiten mit Bezug von Wochengeld nach § 13 MuSchG auf die Anwartschaftszeit anzurechnen waren. Diese Sonderregelung ist nicht Gesetz geworden, weil sie der Bundestagsausschuß für Arbeit sozialpolitisch nicht für notwendig hielt (BT-Drucks V/4110 zu § 95 Abs 1).

Die Nichtberücksichtigung der Zeiten mit Bezug von Mutterschaftsgeld bei der Berechnung der Anwartschaftszeit verstößt weder gegen Art. 3 Abs 1 GG noch Art 6 Abs 1 oder 4 GG.

Nach Art 6 Abs 4 GG hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Die Bestimmung enthält nicht nur einen Programmsatz, sondern einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber, dessen Erfüllung nicht in seinem freien Belieben steht (BVerfGE 32, 273, 277). Indessen ist nach allgemeiner Meinung der Inhalt des aus Art 6 Abs 4 GG fließenden subjektiv öffentlichen Rechts im wesentlichen der Bestimmung durch den einfachen Gesetzgeber überlassen (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Band 1, Stand Mai 1969, Art 6 RdNr 11; BSG SozR Nr 6 zu § 13 MuSchG; BSGE 45, 114, 117). Die Zubilligung eines gesetzgeberischen Spielraumes entspricht im übrigen dem allgemeinen Grundsatz, daß der Staat bei der Verwirklichung von Schutzrechten und Fürsorgerechten in seiner Gestaltungsfreiheit nicht zu stark eingeengt werden soll (BVerfGE 11, 105, 126; 21, 1, 6; BVerfG Beschluß vom 23. April 1974 - 1 BvL 19/73 - SozR 7830 § 14 Nr 1). Die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit hat der Gesetzgeber in § 104 AFG hinsichtlich der Berücksichtigung von Mutterschaftszeiten nicht überschritten. Den Grund für die Nichtberücksichtigung der Mutterschaftszeiten bei der Berechnung der Anwartschaftszeit hat der Bundestagsausschuß für Arbeit (aaO) ausdrücklich genannt. Er hat nämlich die in § 85 Abs 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) auf zwei Jahre festgesetzte Rahmenfrist im AFG auf drei Jahre ausgedehnt. Dazu hat der Ausschuß ausgeführt, diese Verlängerung erleichtere die Erfüllung der Anwartschaftszeit. Dadurch würden - insbesondere nach längerer Krankheit - Härten vermieden. Mit § 104 AFG hat der Gesetzgeber also zwar die besondere Privilegierung der Mutterschaftszeit aufgehoben, dafür jedoch die Erfüllung der Anwartschaftszeit durch die Erweiterung der Rahmenfrist auf drei Jahre für alle Versicherten, also auch für die unter das MuSchG fallenden Frauen, erleichtert. Der tragende Gesichtspunkt für die Verlängerung der Rahmenfrist war allerdings wie sich auch aus dem Kurzprotokoll der 76. Sitzung des Bundestagsausschusses für Arbeit vom 16. Januar 1969 S 76/77 ergibt, nicht eine Verstärkung des Mutterschutzes, sondern der Schutz von Krankengeldbeziehern und Rentenantragstellern. Die Verlängerung wirkt sich aber auch voll zugunsten der Mütter aus, die in der langen Rahmenfrist ausreichend Gelegenheit haben, die Anwartschaftszeit vor und nach den Zeiten der Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG zu erfüllen.

Die Klägerin hat, wie sie angibt, wegen der Betreuung ihres Kindes keine Gelegenheit gehabt, die Anwartschaftszeit außerhalb der Zeiten mit Bezug von Mutterschaftsgeld zu erfüllen.

Dieses Zusammentreffen von Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld mit Zeiten der Betreuung des Kindes und die daraus sich ergebende besondere Belastung einer Mutter berücksichtigt die Vorschrift des § 104 AFG nicht. Indessen ist sie auch insoweit nicht verfassungswidrig. Es ist, wie dargelegt, kein Verstoß gegen das Gebot des Art 6 Abs 4 GG, wenn Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld nicht auf die Anwartschaftszeit angerechnet werden, denn die Mutter hat in der langen Rahmenfrist ausreichend Gelegenheit, die Anwartschaftszeit zu erfüllen. Allerdings mag diese Begründung nicht mehr ausreichen, wenn in die Rahmenfrist mehrere Zeiten mit Bezug von Mutterschaftsgeld fallen. Der Senat läßt dahingestellt, ob die Vorschrift des § 104 AFG verfassungswidrig ist, soweit sie solche Fälle unberücksichtigt läßt. Von ihnen unterscheidet sich jedenfalls der vorliegende Sachverhalt wesentlich. Der Anspruch der Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft gem Art 6 Abs 4 GG verlangt nicht zwingend eine Anrechnung von Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld auf die Anwartschaftszeit, wenn die Mutter nach dieser Zeit wegen der Betreuung des Kindes gehindert war, die Anwartschaftszeit in der Rahmenfrist zu erfüllen. Vielmehr liegt die Regelung des § 104 AFG auch insoweit im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Verwirklichung des Anspruchs aus Art 6 Abs 4 GG. Die Gründe, die eine Mutter veranlassen, nach Ablauf der Zeit mit Bezug von Mutterschaftsgeld keine beitragspflichtige Beschäftigung auszuüben, bedürfen insoweit nicht zwingend einer Berücksichtigung. Anders als während der durch das MuSchG privilegierten Zeiten bestehen nämlich danach keine Beschäftigungsverbote mehr. Es ist vielmehr der Mutter überlassen, ob sie wegen der Betreuung des Kindes ihre Arbeit aufgibt oder zeitlich eingeschränkt oder ob sie voll arbeitet. Wenn die Familie es auf sich nimmt, daß die Mutter eine beitragspflichtige Beschäftigung fortsetzt oder aufnimmt, muß die Mutter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen und kann demgemäß die Anwartschaftszeit erfüllen. Gerade im Hinblick auf diese Fälle ist es aber nicht geboten, von der Versichertengemeinschaft Leistungen zu verlangen, nur weil die Mutter sich nach dem Bezug von Mutterschaftsgeld entschließt, von der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung abzusehen. Sie löst sich damit aus dem Kreis der versicherten Personen, ohne durch ein Beschäftigungsverbot dazu gezwungen zu sein.

Der § 104 AFG verstößt hinsichtlich der hier fraglichen Regelung auch nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 GG. Allerdings wird durch die Regelung die schwangere Frau gegenüber einer Arbeitnehmerin, die nicht Mutter wird oder einem Mann benachteiligt. Sie hat es schwerer, die Anwartschaftszeit zu erfüllen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 13, 225, 228; 25, 371, 400) muß es jedoch grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen bleiben, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Daraus ergibt sich eine erhebliche Einschätzungsfreiheit und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, und zwar insbesondere bei rechtsgewährenden Regelungen (BVerfGE 11, 50, 60; 17, 210, 216; 23, 258, 264; 29, 51, 56; 36, 224, 235). Begünstigt er dabei einzelne Gruppen, dann verletzt er die Grenzen des Art 3 Abs 1 GG nicht, wenn sich aus dem Gegenstand der Regelung für Art der Differenzierung ein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt anführen läßt und wenn die besonderen Wertentscheidungen der Verfassung beachtet bleiben (BVerfGE 28, 324, 349; 29, 51, 56; 36, 230, 235). Die besonderen Wertentscheidungen des GG prägen den Gleichheitssatz nach bestimmten Richtungen hin aus. Sie schränken damit die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers ein, selbst zu bestimmen, was gleich und ungleich sein soll, indem sie Unterscheidungen verbieten, die dem in den Wertentscheidungen ausgedrückten Willen des Verfassungsgebers zuwiderlaufen würden, einem bestimmten Lebensbereich oder Lebensverhältnis seinen besonderen Schutz angedeihen zu lassen (BVerfGE 13, 290, 298 f; 17, 210, 217; 26, 321, 325; 36, 321, 330 f).

Die Bestimmung des § 104 AFG rechtfertigt sich, soweit sie Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld auch bei Zusammentreffen mit Zeiten der Betreuung des Kindes unberücksichtigt läßt, aus dem Versicherungsprinzip. Da der Schutzzweck des Art 6 Abs 4 GG durch die lange Rahmenfrist des § 104 Abs 3 AFG grundsätzlich gewahrt wird, steht insoweit die Regelung nicht im Widerspruch zu den Wertentscheidungen des GG.

Auch eine Gleichbehandlung der Mütter mit den in § 107 Nrn 1, 5 und 6 AFG genannten Personengruppen (Wehrdienstleistende oder Ersatzdienstleistende, Bezieher von Unterhaltsgeld und Übergangsgeld sowie Gefangene) ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Diesen Personengruppen ist gemein, daß entsprechend dem Versicherungsprinzip die Gleichstellung bestimmter Zeiten mit einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung grundsätzlich nur dann erfolgt, wenn der Betreffende in dieser Zeit beitragspflichtig war. Wenn diese Voraussetzung bei den Beziehern von Unterhaltsgeld (Uhg) nicht normiert ist, so bedeutet dies keine Abkehr vom Versicherungsprinzip. Es handelt sich vielmehr um eine sachlich begründete Ausnahme von der sonst für die Begründung des Alg-Anspruchs erforderlichen Beitragspflicht. Sie beruht darauf, daß die Teilnahme an einer nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßigen Maßnahme der beruflichen Bildung von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) selbst gefördert wird und die Teilnehmer deshalb nicht nachher wegen des Ausfalles von Zeiten der beitragspflichtigen Beschäftigung benachteiligt werden sollen.

Mit Recht hat das LSG schließlich ausgeführt, daß die Klägerin in der Zeit vom 5. November 1973 bis zum 30. September 1974 nicht beitragspflichtig beschäftigt war, denn sie hat in dieser Zeit nur eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt (§ 169 Nr 6 AFG). Geringfügig ist gem § 102 Abs 1 AFG eine Beschäftigung, die auf nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist. Nach den Feststellungen des LSG hat eine entsprechende vertragliche Beschränkung vorgelegen. Die tatsächliche Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und ihre Annahme durch die Beklagte ändert nichts am Fehlen der Beitragspflicht.

Die durch die Kindesbetreuung veranlaßte Beschränkung der Arbeitszeit ist nicht den in § 102 Abs 2 Nr 2 AFG genannten privilegierten Beschränkungen gleichzusetzen. Für Mütter mit kleinen Kindern nach der Zeit des Bezuges von Mutterschaftsgeld ist nämlich nicht durch Rechtsvorschriften oder behördliche Anordnungen eine Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich vorgeschrieben. Beschäftigungen mit derart beschränkter Arbeitszeit sind als vollschichtig zu behandeln, weil die Beschränkung der Arbeitszeit hier für den Arbeitnehmer und für den Arbeitgeber unabänderlich ist; demgegenüber ist im Fall der Klägerin die Arbeitszeit durch den Arbeitsvertrag beschränkbar geworden.

Der Anspruch der Klägerin ist schließlich nicht aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes begründet. Insoweit übersieht die Klägerin, daß die streitige Regelung des § 104 AFG im Zeitpunkt der Geburt ihres Kindes schon mehr als vier Jahre bestanden hatte. Der Sachverhalt fällt nicht in die Zeit zwischen dem alten Recht nach dem AVAVG und dem am 1. Juli 1969 in Kraft getretenen AFG.

Aus allen diesen Gründen ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654569

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