Leitsatz (amtlich)
Die Aufnahme der vorbereitenden Arbeiten für ein Unternehmen als Anknüpfungspunkt für die Mitgliedschaft (§ 659 RVO) und den Unfallversicherungsschutz des Unternehmers (§§ 548, 543 RVO) setzt regelmäßig voraus, daß der künftige Unternehmer die Befugnis erworben hat, das Unternehmen auf der hierfür vorgesehenen Grund- oder Gebäudefläche zu betreiben.
Normenkette
RVO § 543 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 659 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
SG Mannheim (Entscheidung vom 29.08.1979; Aktenzeichen S 3 U 1297/77) |
Tatbestand
Streitig ist unter den Beteiligten der Anspruch des Klägers auf Entschädigung seines Autounfalls vom 12. Februar 1976.
Der Kläger ist als selbständiger Gastwirt und Pächter der Gaststätte "R-P-S" in M Mitglied der Beklagten. Sein Pachtvertrag läuft bis zum Jahre 1985. Am Vorabend des Unfalltages vereinbarte der Kläger mit seinem Bekannten H M in P fernmündlich, daß er am nächsten Tag dorthin kommen werde, um mit ihm und einigen seiner Bekannten über die Anpachtung einer Gaststätte in P zu verhandeln. In Betracht gezogen wurden dabei die Gaststätten "R S", "B G" und "B". Auf der Fahrt nach P kam der Kläger mit seinem Pkw im Bereich der Gemeinde W-B auf der B am 12. Februar 1976 gegen 10.20 Uhr ins Schleudern, überschlug sich und zog sich dabei eine Kompressionsfraktur des zwölften Brustwirbelkörpers zu.
Die Entschädigung des Unfalls lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. Februar 1977 ab: Die Suche nach einem neuen Pachtobjekt könne dem versicherten Unternehmen nicht zugerechnet werden, weil es damit nicht in ursächlichem Zusammenhang stehe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1977).
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat durch Urteil vom 29. August 1979 den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und als Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Februar 1976 festgestellt: "Unter keilförmiger Deformierung zur Ausheilung gekommener Kompressionsbruch des zwölften Brustwirbelkörpers mit abgeschlossenen Abstützungsvorgängen zum elften Brustwirbelkörper mit geringfügiger funktionell nicht relevanter Vermehrung der unfallunabhängig bestehenden Brustkyphose auf dem Boden abgelaufener jugendlicher Aufbaustörungen". Zugleich hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 12. Februar bis zum 28. Juni 1976 Übergangsgeld und für die Zeit vom 29. Juni 1976 bis zum 11. Februar 1977 eine Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente und für die Zeit vom 12. Februar 1977 bis zum 11. Februar 1978 eine Verletztenrente in Höhe von 10 vH der Vollrente zu gewähren.
Mit der zugelassenen und mit Zustimmung des Klägers eingelegten Sprungrevision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung der §§ 548 und 659 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Fahrt des Klägers nach P und die dort beabsichtigten Verhandlungen könnten nicht als Vorbereitung zur Eröffnung eines Betriebes gewertet werden, weil hierzu konkrete Vorbereitungshandlungen erforderlich seien. Der Kläger habe nur feststellen wollen, ob überhaupt eines der angebotenen Objekte für ihn in Betracht kam. Im Anschluß an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Juni 1967 (Sozialgerichtsbarkeit 1967 S 348), wonach die Arbeitsuche eines Arbeitnehmers nicht versichert sei, müsse auch die Suche des Unternehmers nach einem neuen Objekt als nicht versichert betrachtet werden. Andernfalls werde der Begriff der vorbereitenden Arbeiten für die Eröffnung eines Betriebes uferlos ausgeweitet und der satzungsgemäß versicherte Unternehmer besser gestellt als ein Arbeitnehmer.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Mannheim vom 29. August 1979
aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom
8. Februar 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22. Juni 1977 abzuweisen;
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des Urteils des SG
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses
Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist nicht vertreten.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Die vom Kläger beanspruchten, in § 547 RVO und § 22 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 1) im einzelnen aufgeführten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung setzen einen Arbeitsunfall voraus. Der Unfall des Klägers vom 12. Februar 1976 kann rechtlich jedoch nicht als Arbeitsunfall gewertet werden.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, daß hier allein ein Arbeitsunfall nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO in Betracht kommt. Arbeitsunfall ist danach ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Dieser gesetzliche Begriff des Arbeitsunfalls ist unscharf. Wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat (BSGE 48, 224, 225 = SozR 2200 § 548 Nr 45) wäre der Arbeitsunfall sachlich zutreffender als Unfall zu definieren, den ein Versicherter infolge einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit erleidet und der zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führt. Anspruchsmerkmal neben dem hier unstreitigen Unfallereignis ist also, daß der Kläger gegen das Unfallereignis in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war. Daran fehlt es jedoch.
Der Kläger macht geltend, er habe den Unfall bei einer Tätigkeit als Unternehmer erlitten; er sei dabei nach § 543 Abs 1 RVO versichert gewesen. Dies wäre richtig, wenn die zum Unfall führende Fahrt seiner Tätigkeit als selbständiger Unternehmer eines Gastwirtsbetriebes zuzurechnen wäre. Das trifft indes nicht zu. Die Tätigkeit des Gastwirts besteht regelmäßig darin, im Rahmen seines Unternehmens mit Kunden und Lieferanten Verträge über Speisen, Getränke und gegebenenfalls auch Beherbergung abzuschließen und zu erfüllen. Deshalb gehört es nicht ohne weiteres zu den Tätigkeiten des Unternehmers einer Gastwirtschaft, sich von diesem Unternehmen weg an andere Orte zu begeben. Solche Wege sind, sofern es sich nicht um das hier nicht in Betracht kommende Aufsuchen der eigenen Wohnung (§ 550 Abs 1 RVO) handelt, nur dann versichert, wenn sie wesentlich durch das Unternehmen bedingt sind. Dies sind die sogenannten Betriebswege, also die Wege, welche der laufende Betrieb erfordert. Da die gesetzliche Unfallversicherung seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 9. März 1943 (RBGl I S 107) nicht mehr auf den Betrieb - insbesondere auf seinen fachlichen Teil - begrenzt ist, sondern das Unternehmen auch in seinem kaufmännischen oder verwaltenden Teil erfaßt (vgl hierzu BSG SozR Nr 65 zu § 542 aF RVO und BSGE 31, 203, 205), sind über die eigentlichen Betriebswege hinaus auch solche Wege des Gastwirtschaftsunternehmers versichert, die wesentlich nicht durch den laufenden Betrieb, sondern durch Verwaltung und Gestaltung des Gastwirtsunternehmens bedingt sind. Dazu gehören, wie sich aus § 159 RVO ergibt, auch vorbereitende Arbeiten für das Unternehmen. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Mitgliedschaft des Unternehmers bei der sachlich zuständigen Berufsgenossenschaft und die Beitragspflicht (§ 740 f RVO) zu einem anderen - insbesondere zu einem früheren - Zeitpunkt beginnt, als der Versicherungsschutz. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kommt es demnach maßgeblich auf die Abgrenzung des Begriffs "Aufnahme der vorbereitenden Arbeiten für das Unternehmen" an.
Die Abgrenzung muß am Zweck der Unfallversicherung ausgerichtet sein, in Solidargemeinschaften die Unfallrisiken abzudecken, die als Schadensersatzforderungen bei Unfällen von Beschäftigten oder als Einkommensausfälle bei Unfällen der Unternehmer auftreten. Dabei darf einerseits die freie unternehmerische Tätigkeit nicht behindert werden; andererseits muß aber auch eine wirksame Kontrolle des versicherten Risikos durch die Unfallversicherungsträger gewährleistet sein.
Das BSG hat bereits im Urteil vom 29. Mai 1963 (SozR aaO) den Grundsatz aufgestellt, daß Tätigkeiten eines versicherten Unternehmers jedenfalls dann dem Unternehmen aufzurechnen sind, wenn das Vorhandensein des Unternehmens ein wesentlicher Anlaß für die Tätigkeit ist und diese auch für das Unternehmen Bedeutung hat. Erwägungen dieser Art könnten dafür sprechen, in den Versicherungsschutz auch alle für das künftige Unternehmen bedeutsamen und dadurch veranlaßten Tätigkeiten einzuschließen. Bei dieser Ausweitung des Begriffs der vorbereitenden Arbeiten wäre jedoch eine wirksame Kontrolle des versicherten Risikos praktisch nicht mehr möglich. Denn bei nahezu jedem Handeln des Unternehmers könnte behauptet werden, es habe sich dabei zumindest wesentlich mit um die Vorbereitung eines Unternehmens gehandelt. Dem wäre kaum mehr als der Verdacht einer Zweckbehauptung entgegenzusetzen. Die Grenzen des Versicherungsschutzes wären damit unkontrollierbar.
Der wesentliche Zusammenhang des zum Unfall führenden Handelns mit dem Unternehmen und die Bedeutung für dieses müssen deshalb so verstanden werden, daß sie vom Unfallversicherungsträger konkret nachprüfbar bleiben. Die Aufnahme der vorbereitenden Arbeiten für das Unternehmen erfordert aus diesem Grunde ein auf die Eröffnung eines bestimmten, örtlich und sachlich konkretisierbaren Unternehmens gerichtetes Handeln. Hierzu ist nach Auffassung des Senats in aller Regel erforderlich, daß die Verfügungsbefugnis über den Raum erlangt ist, in dem das Unternehmen eröffnet werden soll (vgl Lauterbach, Unfallversicherung Stand: April 1980, § 659 Anm 5; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Stand: August 1980, S 511 b). Denn erst wenn dies der Fall ist, kann der Zusammenhang einzelner Arbeiten oder Verrichtungen mit Vorbereitungen für die Eröffnung des Unternehmens verläßlich beurteilt werden. Das gilt auch für Reisen. Auch sie sind erst dann den vorbereitenden Arbeiten für die Eröffnung eines konkreten Unternehmens zurechenbar, wenn die Verfügungsbefugnis über den künftigen Platz oder Raum des Unternehmens durch Kauf, Pacht, Miete oder auf sonstige Weise erworben worden ist und somit konkret die Arbeiten zur Vorbereitung der Eröffnung des Unternehmens begonnen worden sind.
Diese Abgrenzung erachtet der Senat auch deshalb für sinnvoll, weil sie einem möglichst gleichwertigen Unfallversicherungsschutz für Unternehmer einerseits und Arbeitnehmer andererseits am nächsten kommt. Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß der Arbeitnehmer, wenn er aus eigenem Antrieb auf Arbeitsplatzsuche geht, grundsätzlich nicht im Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Der Ausschluß dieser Arbeitssuche von der gesetzlichen Unfallversicherung beruht, ebenso wie auch der Ausschluß des Weges zur Arbeitslosmeldung (vgl hierzu BSGE 25, 214; 36, 39), letzten Endes auf der Erwägung des Gesetzgebers, daß der Entschluß des Arbeitnehmers, Vorbereitungshandlungen für ein neues Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen, erst mit der Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt - und der sich daran sowie an den Anspruch auf Arbeitslosengeld knüpfenden Meldepflicht (§ 539 Abs 1 Nr 4 RVO) - hinreichend nachweisbar ist. Der Unternehmer, bei dem dieser Anknüpfungspunkt fehlt, setzt seinen der Arbeitslosmeldung des Arbeitnehmers in der Zielrichtung vergleichbaren Entschluß, ein Unternehmen an einem bestimmten Ort zu eröffnen, dann konkret nachweisbar ins Werk, wenn er vertraglich die Verfügungsbefugnis über die Grund- oder Gebäudefläche erwirbt, deren er zum Betrieb des von ihm auf diese Weise erkennbar vorbereiteten Unternehmens bedarf. In beiden Fällen kommt dadurch konkret und in hinreichend faßbarer Weise zum Ausdruck, daß nunmehr eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit als die bisherige zu Erwerbszwecken begonnen werden soll. Unter diesem Gesichtspunkt bewirken die genannten unterschiedlichen Anknüpfungspunkte eine sachgerecht-gleichmäßige Begrenzung des Unfallversicherungsschutzes bei Vorbereitungshandlungen zu Erwerbstätigkeiten der Arbeitnehmer und der Unternehmer.
Der Kläger hat den hier zu beurteilenden Unfall nach den vorstehend erläuterten Kriterien vor Beginn des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten. Das SG hat festgestellt, daß sich der Kläger im Unfallzeitpunkt deshalb auf der Fahrt von M nach P befand, weil er in P gemäß fernmündlicher Vereinbarung vom Vortage mit seinem Bekannten H M und anderen Bevollmächtigten über die Anpachtung einer der Gaststätten "R S", "B G" und "B" verhandeln wollte; er sei dabei nicht völlig unverbindlich nach P gefahren, um sich dort einmal nach irgendwelchen Objekten umzusehen, die für ihn in Frage kommen könnten, sondern habe mit mehreren Geschäftspartnern konkrete Verhandlungen über konkrete Pachtobjekte vorgehabt. Mit diesen gemäß § 163 SGG für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen ist die weitere Feststellung des SG vereinbar, der Pachtvertrag des Klägers für die von ihm betriebene Gaststätte in M laufe bis zum Jahre 1985. Denn dies machte es dem Kläger nicht unmöglich, eine der drei genannten Gaststätten in P zu pachten. Er konnte das nämlich entweder neben der laufenden Pacht in M tun oder aber nach Abschluß eines Pachtvertrages in P die einvernehmliche Auflösung des Pachtvertrages in M anstreben. Dem Kläger ist somit einzuräumen, daß er im Unfallzeitpunkt seine Erwägungen und Entschlüsse zur Eröffnung einer Gastwirtschaft in P bereits über das Stadium einer reinen Orientierung hinaus gefördert hatte. Er steuerte im Unfallzeitpunkt sogar auf eine Verhandlung zu, deren Ergebnis die Erlangung der Verfügungsbefugnis über eine Gastwirtschaft zur Eröffnung eines Gastwirtsunternehmens sein sollte. Es fehlte aber im Unfallzeitpunkt der konkrete Beginn der vorbereitenden Arbeiten zur Eröffnung eines solchen Unternehmens, weil der Kläger noch vom keinem der über die in Betracht gezogenen Gaststätten Verfügungsberechtigten die vertragliche Befugnis erlangt hatte, sein unternehmerisches Vorhaben in einer der in Aussicht genommenen Gastwirtschaften verwirklichen zu können. Er stand deshalb auf der Fahrt nach P nicht im Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1660441 |
BSGE, 253 |