Orientierungssatz
Anwendung von Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71:
"Zuständiger Mitgliedstaat" iS von Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 ist der Staat, in dem auf Grund der Beschäftigung des Arbeitnehmers die Arbeitslosenversicherung erfolgte. Das ist stets der Staat, in dem das Beschäftigungsverhältnis bestand. Daraus folgt zwingend, daß während der zuletzt vor der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beschäftigung "Beschäftigungsstaat" und "Wohnsitzstaat" nicht identisch sein dürfen, beide aber Mitgliedstaaten der EWG sein müssen (vgl EuGH 1977-02-17 76/76 = EuGHE 1977, 315).
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 71 Abs. 1 Buchst. b DBuchst ii
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.09.1982; Aktenzeichen L 12 Ar 209/80) |
SG Münster (Entscheidung vom 18.09.1980; Aktenzeichen S 2 Ar 44/79) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt anstelle der ihm ab 1. Oktober 1978 bewilligten Arbeitslosenhilfe (Alhi) Arbeitslosengeld (Alg).
Er war fast ausschließlich im Ausland beschäftigt. Von September 1970 bis Dezember 1971 arbeitete er in Belgien und den Niederlanden. Seine Ehefrau folgte ihm 1970/71 in die Niederlande, wo auch das zweite gemeinsame Kind zur Welt kam. Die bis dahin beibehaltene Ehewohnung in B wurde aufgegeben. Die Eheleute blieben jedoch zunächst unter der Adresse der Schwiegereltern des Klägers, und später der Kläger allein unter der Adresse eines Freundes polizeilich in Deutschland gemeldet. Während der letzten Jahre vor seiner Rückkehr nach Deutschland war der Kläger vom 25. März 1975 bis 15. März 1976, vom 16. Mai 1976 bis 20. Dezember 1976 und vom 28. März 1977 bis 31. Dezember 1977 bei der Fa. R.J.B.A. mit Sitz in DH (Niederlande) beschäftigt, wobei er in Abu Dhabi, in Oman und am Persischen Golf eingesetzt wurde. Er wohnte während dieser Zeiten zunächst im Hotel und dann auf einem Schiff, während die Ehefrau mit den Kindern bis 1978 in der ehelichen Wohnung in den Niederlanden blieb. Vom 1. Januar bis 30. September 1978, dem Ende seines Arbeitsverhältnisses, war der Kläger für die schweizerische Firma R.T. B AG ebenfalls am Persischen Golf tätig. Anschließend kehrte er Kläger in die Bundesrepublik zurück. Seine Ehefrau hatte schon einige Monate vorher die eheliche Wohnung in den Niederlanden aufgegeben und war mit den Kindern nach G gezogen, da dort der älteste Sohn die Möglichkeit hatte, die in den Niederlanden begonnene Schulausbildung von G aus in E (Niederlande) abzuschließen.
Nach seiner Rückkehr meldete sich der Kläger zum 1. Oktober 1978 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm lediglich Alhi. Den Antrag auf Alg lehnte sie mit der Begründung ab, der Kläger habe innerhalb der Rahmenfrist nicht mindestens 26 Wochen oder 6 Monate in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden. Die ausländischen Zeiten könnten nur berücksichtigt werden, wenn der Kläger wenigstens danach einen Tag beitragspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesen sei (Bescheid vom 29. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1979).
Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt (Urteil vom 18. September 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. September 1982). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Anwartschaftszeit nach § 104 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nicht erfüllt, da er die in die Rahmenfrist fallenden Beschäftigungen nicht im Geltungsbereich des AFG, sondern in den Niederlanden ausgeübt und während dieser Tätigkeiten nicht der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) unterlegen habe. Zwar bestimme Art 67 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71, daß der zuständige Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs vom Zurücklegen von Beschäftigungszeiten abhängig ist, die Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die der Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zurückgelegt hat, so zu behandeln habe, als handele es sich um nach eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegte Beschäftigungszeiten. Dies gelte jedoch nach Abs 3 des Art 67 EWG-VO 1408/71 nur unter der Voraussetzung, daß die betreffende Person unmittelbar zuvor auch Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt habe, nach denen die Leistung beantragt wurde. Eine Ausnahme von der zuletzt genannten Voraussetzung gelte nur für die in Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii genannten Fälle. Der Kläger sei zwar - wie gefordert - nicht Grenzgänger, er erfülle aber die übrigen Voraussetzungen des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii der Verordnung nicht. Die in Abs 1 Buchst b Ziff ii dieser Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale "in dessen Gebiet sie wohnen oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren", lägen nicht vor. Nach den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in seinem Urteil vom 17. Februar 1977 - Az: 76/76 - sei für die Auslegung dieser Vorschrift die Überlegung maßgebend, daß der Übergang der Kosten für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit vom Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung auf den Mitgliedstaat des Wohnortes nur für diejenigen Arbeitnehmer gerechtfertigt sei, die ungeachtet ihrer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat die engen Bindungen zu dem Mitgliedstaat beibehalten, in dem sie ihren Leistungsantrag stellen. Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii sei eingrenzend dahingehend auszulegen, daß Arbeitnehmer des "Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie wohnen", nur diejenigen sein könnten, die - obgleich in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt - weiterhin in dem zuständigen Staat gewohnt, dh in einem anderen als dem Staat ihrer Beschäftigung den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Interessen gehabt hätten. Für eine dahingehende Feststellung könne zwar die Tatsache, daß der Arbeitnehmer seine Familie in dem genannten Staat zurückgelassen habe, Indiz sein, dies allein genüge jedoch nicht. Verfüge nämlich ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat über einen festen Arbeitsplatz, so werde bereits vermutet, daß er dort wohne, auch wenn er seine Familie in einem anderen Staat zurückgelassen habe. Es seien deshalb nach dem Urteil des EuGH nicht nur die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch die Gründe, die ihn zu der Abwanderung bewogen hätten, sowie die Art seiner dort verrichteten Tätigkeit, soweit sich daraus für die speziellen Wohnanforderungen Erkenntnisse gewinnen ließen. Entscheidend für die Frage, ob der zuständige Staat für den Antragsteller auch vor der Antragstellung der Staat seines "Wohnens" gewesen sei, seien die Dauer und der Zweck seiner Abwesenheit, die in dem anderen Mitgliedstaat aufgenommene Beschäftigung sowie die "Verbleibabsichten" des Arbeitnehmers.
Dieser nur im Wege der Auslegung zu findende Inhalt der EuGH-Entscheidung zum Begriff des Wohnens im Sinne von Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii der Verordnung sei allerdings nicht frei von Divergenzen zu dem übrigen Text der Vorschrift. Nach Art 71 Abs 1 EWG-Verordnung 1408/71 werde nämlich für die Anwendung des gesamten Artikels vorausgesetzt, daß der Arbeitslose gerade während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet des anderen Staates "wohnte", dort also seinen Wohnort, dh den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl Art 1 Buchst 2 EWG-Verordnung 1408/71) gehabt habe. Andererseits solle nach den dargelegten Gründen des EuGH- Urteils der Arbeitnehmer, der einen Leistungsanspruch haben wolle, seinen Wohnort im zuständigen Mitgliedstaat, also außerhalb des Beschäftigungsstaates beibehalten haben. Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii enthalte auch noch die Merkmale "oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren"; der EuGH sehe in dieser Formulierung jedoch keine zweite Möglichkeit für eine Leistungsgewährung, sondern lediglich einen Hinweis, daß die im Urteil dargelegten Voraussetzungen des Wohnens im Gebiete des zuständigen Staates einen nicht gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nicht zwangsläufig ausschließen. An diese Auslegung sei das LSG gebunden und könne deshalb den in Rede stehenden Text lediglich als Zusatz ohne alternative Bedeutung auffassen. Maßgebend für ein Wohnen in einem anderen als dem Beschäftigungsstaat sei somit, daß der Kläger nicht nur seine Familie in dem genannten Staat zurückgelassen habe, sondern auch darüber hinaus besonders enge Beziehungen zu seinem Wohnstaat aufrechterhalten habe.
Diese Voraussetzungen müßten allerdings nur innerhalb der Rahmenfrist für den geltend gemachten Anspruch vorgelegen haben. Für das Erfordernis einer - möglicherweise Jahrzehnte währenden - Beibehaltung der Heimatwohnung von der ersten Auslandsbeschäftigung an ergäbe sich im Gesetz kein Anhalt. Im vorliegenden Falle könne diese Frage jedoch dahingestellt bleiben, da der Kläger weder seit seiner ersten Auslandsbeschäftigung noch während der Rahmenfrist der letzten drei Jahre die besonderen Voraussetzungen für das Wohnen in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beschäftigung erfüllt habe. Die mit seiner Ehefrau bis 1970/71 in innegehabte gemeinsame Wohnung sei aufgegeben und in die Niederlande verlegt worden. "Wohnsitzstaat" des Klägers seien seit 1971 die Niederlande gewesen, wo der Kläger seinen Familienmittelpunkt und seine eheliche Wohnung gehabt habe. Seine Ehefrau habe zwar im Einvernehmen mit dem Kläger im Laufe des Jahres 1978 die eheliche Wohnung nach verlegt und sich dort auch mit den Kindern aufgehalten, dieser Umstand reiche jedoch nicht aus, um die Ausnahmevorschrift des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii zu erfüllen. Der Kläger habe während dieser Zeit seinen festen Arbeitsplatz noch in den Niederlanden gehabt, so daß davon ausgegangen werden müsse, daß er auch weiterhin dort und nicht in der neugegründeten Ehewohnung den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse gehabt habe. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß mit dem Umzug von Frau und Kindern nach G auch er den Schwerpunkt seines gesellschaftlichen Lebens nach Deutschland verlagert und dort seine alltäglichen Bindungen gehabt habe. Da somit seine ausländischen Beschäftigungszeiten keine Berücksichtigung finden könnten, habe er die Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Alg nicht erfüllt.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 100 Abs 1, 104 Abs 1 AFG iVm Art 67 Abs 2, 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii der EWG-Verordnung 1408/71 durch das LSG.
Nach seiner Auffassung hat er die erforderliche Anwartschaftszeit durch seine Beschäftigungen in den Niederlanden erfüllt. Er hält die im oben genannten Urteil vom EuGH getroffene Auslegung des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii der EWG-Verordnung für falsch, da sie im Widerspruch zum übrigen Text der Bestimmung stehe. Selbst wenn aber der im Urteil des EuGH getroffenen Auslegung zum Begriff des "Wohnens" gefolgt werde und der Kläger hiernach im fraglichen Zeitraum nicht in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt haben sollte, so erfülle er die zweite Alternative des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii, da er in das Gebiet dieses Staates zurückgekehrt sei. Die vom EuGH vorgenommene Auslegung, nach dem die zweite Alternative (in das Gebiet dieses Staates zurückkehren) lediglich als Zusatz zur ersten Alternative (in dessen Gebiet sie wohnen) aufgefaßt werden müsse, richte sich gegen den eindeutigen Wortlaut des Gesetzestextes und sei "contra legem".
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. September 1982 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 18. September 1980 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet. Die bisher vom LSG getroffenen Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung nicht zu.
Nach § 100 Abs 1 AFG ist Voraussetzung für den Anspruch auf Alg, daß ua die Anwartschaftszeit erfüllt ist. Dies ist gemäß § 104 Abs 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung vor Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) der Fall, wenn der Antragsteller innerhalb der Rahmenfrist 26 Wochen oder 6 Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, wobei die Rahmenfrist im Grundsatz die drei vor dem Tag der Arbeitslosigkeit liegenden Jahre umfaßt (§ 104 Abs 2 und 3 AFG).
Ob diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen, vermag der Senat nach den vom LSG getroffenen Feststellungen nicht zu beurteilen. Der Kläger hat zwar innerhalb der hier vom 1. Oktober 1975 bis 30. September 1978 reichenden Rahmenfrist mehr als zwei Jahre gearbeitet, diese Beschäftigungen jedoch nicht im Geltungsbereich des AFG ausgeübt. Während dieser Zeit unterlag er auch nicht der Beitragspflicht zur BA. Berücksichtigung finden könnte jedoch möglicherweise seine letzte ausländische Beschäftigung zur Erfüllung der Anwartschaftszeit im Rahmen der Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 - EWG-VO 1408/71 - zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (AmtsBl der EG Nr L 149 vom 5. Juli 1971).
Nach Art 2 Abs 1 EWG-VO 1408/71 findet diese Verordnung auf Arbeitnehmer Anwendung, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind. Der Kläger ist als Deutscher Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EWG. Nach Art 67 Abs 1 der EWG-VO 1408/71 hat der Versicherungsträger, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs vom Zurücklegen von Versicherungszeiten abhängig ist, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten so zu berücksichtigen, als handele es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind. Für die Beschäftigungszeiten gilt dies jedoch nur unter der weiteren Voraussetzung, daß sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Nach Art 67 Abs 3 EWG-VO 1408/71 gilt dies grundsätzlich nur dann, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar zuvor auch nach den Rechtsvorschriften, nach denen er die Leistung beantragt hat, anrechnungsfähige Zeiten zurückgelegt hat. Hier wurden zwar Leistungen nach dem AFG, also nach deutschem Recht beantragt, der Kläger hat jedoch vor seiner Arbeitslosmeldung keine Beschäftigungszeiten in der Bundesrepublik zurückgelegt. Ein Leistungsbezug käme deshalb nur in Betracht, wenn er die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii der EWG-VO 1408/71 erfüllen würde (vgl Amtliche Begründung BT-Drucks V/197 vom 21. Januar 1966). Die Anwendung des Art 71 der EWG-VO 1408/71 setzt voraus, daß der Antragsteller während der letzten Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beschäftigung gewohnt hat. Art 71 Abs 1 lautet: "Für die Gewährung der Leistungen an einen Arbeitslosen, der während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaates wohnte, gilt folgendes ....". Der Begriff "zuständiger Staat" wird in Art 1 Buchst q der EWG-VO 1408/71 definiert. Darunter ist der Mitgliedstaat zu verstehen, in dessen Gebiet der Träger seinen Sitz hat. Zuständiger Träger ist nach Art 1 Buchst o (i) der Verordnung der Träger, bei dem die in Betracht kommende Person im Zeitpunkt des Antrages auf Leistungen versichert ist. "Zuständiger Mitgliedstaat" im Sinne von Art 71 Abs 1 EWG-VO 1408/71 ist deshalb der Staat, in dem auf Grund der Beschäftigung des Arbeitnehmers die Arbeitslosenversicherung erfolgte. Das ist stets der Staat, in dem das Beschäftigungsverhältnis bestand. Daraus folgt zwingend, daß während der zuletzt vor der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beschäftigung "Beschäftigungsstaat" und "Wohnsitzstaat" nicht identisch sein dürfen, beide aber Mitgliedstaaten der EWG sein müssen (vgl EuGH, Urteil vom 17. Februar 1977 - 76/76 - in EuGHE 1977, 315, 324 f = Dienstblatt -Rechtsprechung- der BA Band 13c Nr 2277a zu Art 71 EWG-VO 1408/71; vgl ferner Urteil vom 1. Dezember 1977 - 66/77 - in EuGHE 1977 II, 2311, 2319; EuGHE 1982-5, 1991 ff; amtliche Begründung - BT-Drucks V/197 - vom 21. September 1966).
In welchem Staat der Kläger seine letzte Beschäftigung ausgeübt hat, ist dem Urteil des LSG nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Während es auf Seite 3 feststellt, daß der Kläger während dieser Zeit für die Schweizer Firma R.T. B AG tätig war, geht es auf Seite 18 davon aus, daß der Kläger während derselben Zeit seinen festen Arbeitsplatz in den Niederlanden hatte. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Schweizer Firma ihren Sitz in den Niederlanden hatte. Hierzu hat das LSG nichts festgestellt. Hierauf könnte es jedoch ankommen. Wenn der Kläger zuletzt in der Schweiz gearbeitet hat, scheitert zwar ein Alg-Anspruch auf Grund der EWG-VO 1408/71 schon daran, daß er seine letzte Beschäftigung nicht in einem Mitgliedstaat der EWG ausgeübt hat. War der Kläger jedoch zuletzt in den Niederlanden beschäftigt, läßt sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht ausschließen, daß "Beschäftigungsstaat" und "Wohnsitzstaat" nicht identisch sind.
Art 1 Buchst h der EWG-VO bezeichnet als "Wohnort" den "Ort des gewöhnlichen Aufenthalts". Wie der EuGH in seinem Urteil vom 17. Februar 1977 - Az.: 76/76 - ausgeführt hat, wohnt ein Arbeitnehmer in dem Staatsgebiet, in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befindet. In diesem Zusammenhang sei der Umstand, daß der Arbeitnehmer seine Familie in einem anderen Staat zurückgelassen habe, höchstens ein I n d i z dafür, daß er dort seine Wohnung beibehalten habe, könne aber allein nicht ausreichen, um ein Wohnen in einem anderen Staat als dem der Beschäftigung anzunehmen, da bereits dann, wenn der Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat über einen festen Arbeitsplatz verfüge, vermutet werden müsse, daß er auch dort wohne. Es seien daher nicht nur die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch die Gründe, die ihn zur Abwanderung bewogen haben, sowie die Art seiner Tätigkeit. An die vom EuGH getroffene Auslegung ist der Senat gemäß Art 177 des EWG-Vertrages gebunden. Das Urteil des EuGH ist zwar zu den Begriffen "in dessen Gebiet sie wohnen oder in dessen Gebiet sie zurückkehren" in Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii ergangen, dasselbe muß jedoch für den Begriff "wohnen" in Abs 1 des Art 71 der EWG-Verordnung gelten.
Wenn es danach für eine Unterscheidung von "Beschäftigungsstaat" und "Wohnsitzstaat" nicht einmal ausreicht, daß der Arbeitnehmer sich zwecks Arbeitsaufnahme in einen Mitgliedstaat begibt und seine Familie in einem anderen Mitgliedstaat zurückläßt, so muß dies erst recht gelten, wenn die Familie dem Arbeitnehmer in das Beschäftigungsland nachfolgt, wie das hier der Fall war. Wie das LSG festgestellt hat, haben der Kläger und seine Ehefrau bereits 1970/71 ihre gemeinsame eheliche Wohnung in aufgegeben und ihren Wohnsitz in die Niederlande verlegt, wo der Kläger auch beschäftigt war. Der Auffassung des LSG, daß der Kläger nach der Rückkehr seiner Ehefrau und der Kinder nach Deutschland weiterhin in den Niederlanden gewohnt habe, kann allerdings auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden. Zu Unrecht meint das LSG, nach der Rechtsprechung des EuGH müßte dies schon wegen des festen Arbeitsplatzes des Klägers in den Niederlanden vermutet werden. Obwohl die gemeinsame eheliche Wohnung nach Deutschland verlegt wurde, gäbe es auch keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, daß mit dem Umzug von Frau und Kindern sich auch der Schwerpunkt seines gesellschaftlichen Lebens und der sonstigen alltäglichen Bindungen bereits nach Deutschland verlagert hätte. Das LSG übersieht, daß nach dem vorstehend aufgeführten Urteil des EuGH auch die Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers bei der Frage, ob vermutet werden kann, daß er dort wohnt, wo er seinen Arbeitsplatz hat, zu berücksichtigen ist. Der Kläger hat zwar möglicherweise zuletzt in den Niederlanden in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden; er ist jedoch im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses am Persischen Golf tätig gewesen. Die Art seiner Tätigkeit rechtfertigt also gerade nicht die Vermutung, daß er seinen Wohnort noch in dem Beschäftigungsstaat gehabt hat, nachdem dort die eheliche Wohnung aufgegeben worden war. Die Ausführungen des LSG, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß mit dem Umzug von Frau und Kindern nach G auch der Schwerpunkt des gesellschaftlichen Lebens des Klägers, seine sonstigen alltäglichen Bindungen und seine bürgerliche Verwurzelung bereits in der Bundesrepublik waren, ist zu allgemein gehalten, um den Schluß zu rechtfertigen, der Kläger habe während seiner letzten Beschäftigung seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnort) nicht in der Bundesrepublik gehabt. Das LSG wird daher, sofern feststeht, daß der letzte Arbeitgeber des Klägers seinen Sitz in den Niederlanden hatte, noch zu ermitteln haben, ob der Kläger während seiner letzten Beschäftigung seinen Wohnort in gehabt hat. Entscheidend dürfte ua sein, ab wann und zu welchem Zweck er sich tatsächlich in G aufgehalten hat und ob nicht ein anderer - außerhalb der Bundesrepublik liegender - Ort während dieser Zeit als Wohnsitz zu gelten hat.
Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe einen Wohnortwechsel in das Gebiet der Bundesrepublik während seines letzten Beschäftigungsverhältnisses vorgenommen und sollte dieses in den Niederlanden begründet worden sein, wäre in rechtlicher Hinsicht davon auszugehen, daß der Kläger die Voraussetzungen des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii EWG-VO 1408/71 erfüllt. Es spricht auch bei einer engen Auslegung nichts dagegen, daß die gemäß Art 71 Abs 1 erforderliche fehlende Identität zwischen Beschäftigungsstaat und Wohnsitzstaat nicht durch einen Wohnortwechsel vor Eintritt der Arbeitslosigkeit begründet werden kann. Auch der Beschluß Nr 94 der Verwaltungskommission für die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 24. Januar 1974 (Amtsblatt der EG Nr C 126 vom 17. Oktober 1974 S 22) steht dem nicht entgegen. Hiernach soll Art 71 Abs 1 Buchst b Ziff ii nur Saisonarbeitern und den in Art 14 Abs 1 Buchst b, c und d aufgeführten Arbeitnehmern zugute kommen. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 17. Februar 1977 ausgeführt hat, stellt dieser Beschluß zwar klar, daß die dort aufgeführten Arbeitnehmer, zu denen der Kläger nicht gehörte, zu dem begünstigten Personenkreis gehören. Es ist jedoch davon auszugehen, daß die dort vorgenommene Aufzählung nicht abschließend ist und daß andere Arbeitnehmer, die vergleichbare enge Beziehungen zu ihrem Aufenthaltsort haben, ausgeschlossen werden sollen.
Sollten die tatsächlichen Feststellungen des LSG ergeben, daß der letzte Arbeitgeber des Klägers seinen Sitz in der Schweiz hatte, hätte er keinen Anspruch nach Art 71 EWG-VO 1408/71. Er war dann nicht in einem Mitgliedstaat beschäftigt. Auch nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung vom 20. Oktober 1982 (BGBl II 1983, 579) kann ihm dann ein Anspruch auf Alg nicht zustehen. Das Abkommen ist am 1. Januar 1984 in Kraft getreten (Art 3 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung vom 1. September 1983 - BGBl II 1983, 578, und Bekanntgabe in BGBl II 1983, 796). Das folgt aus Art 20 Abs 1 Satz 1 des Abkommens. Hiernach begründet dieses keinen Anspruch auf Zahlung von Leistungen für die Zeit vor seinem Inkrafttreten. Der Kläger begehrt aber Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 13. März 1979. Zwar bestimmt Art 20 Abs 1 Satz 2 des Abkommens, daß Beschäftigungszeiten, die im anderen Vertragsstaat vor Inkrafttreten des Abkommens zurückgelegt worden sind, dennoch - soweit Art 7 oder 8 Anwendung finden - berücksichtigt werden, als ob das Abkommen bereits gegolten hätte. Dies betrifft aber nur die Anwartschaft, Anspruchsdauer und die Bemessung der Leistungen für Ansprüche nach dem Inkrafttreten des Abkommens und besagt nicht, daß Leistungen für die Zeit davor zu gewähren sind.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen