Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Erstattungsanspruch des unzuständigen gegen den zuständigen Sozialhilfeträger. Abgrenzung zwischen § 14 Abs 4 S 1 SGB 9 und § 105 Abs 1 S 1 SGB 10. örtliche Zuständigkeit. stationäre Leistung. Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung. Unterbringung außerhalb der Einrichtung. funktionale Zuordnung zur Einrichtung
Orientierungssatz
1. Hat ein Rehabilitationsträger einen Rehabilitationsantrag abgelehnt, mithin über einen Leistungsanspruch entschieden, ohne den Antrag weitergeleitet zu haben, ist er nach § 14 SGB 9 auch bei eigentlicher Unzuständigkeit für die Leistung zuständig geworden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn ein erneuter Rehabilitationsantrag, der den gleichen Anspruch betrifft, zu einem späteren Zeitpunkt an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet wurde.
2. Ein Erstattungsanspruch gegen den nach § 14 SGB 9 zuständigen Rehabilitationsträger richtet sich in diesen Fällen nicht nach § 14 Abs 4 S 1 SGB 9, sondern nach § 105 Abs 1 S 1 SGB 10.
3. § 98 Abs 4 SGB 12 ist nicht nur dann anzuwenden, wenn sich der Betroffene tatsächlich (körperlich) in einer Einrichtung nach § 98 Abs 4 SGB 12 aufhält. Ein Aufenthalt, der tatsächlich außerhalb einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung besteht, kann auch über die "funktionale Zuordnung" zu dieser Einrichtung angenommen werden (vgl BVerwG vom 6.4.1995 - 5 C 12/93 = BVerwGE 98, 132 = Buchholz 436.0 § 98 BSHG Nr 1).
Normenkette
SGB 9 § 14 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, S. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Sätze 1, 3; SGB 10 § 105 Abs. 1 S. 1; SGB 12 § 53; SGB 12 §§ 53ff; SGB 12 § 98 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 4, 5 S. 1; SGB 12 § 106 Abs. 2 Alt. 1; SGB 12 § 109; SGB 12 § 13; StGB § 64
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. März 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 19 123,16 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit ist die Erstattung von Kosten in Höhe von 19 123,16 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe, die die Klägerin in der Zeit vom 26.10.2006 bis 7.11.2007 zugunsten des Hilfeempfängers R D (D) erbracht hat.
D ist 1968 geboren und lebte vor März 2002 in H (früherer Landkreis S, ab 1.8.2011 in He umbenannt). Seit März 2002 befand er sich im Rahmen eines vom Landgericht (LG) V mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe angeordneten Maßregelvollzugs (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) nach dem Strafgesetzbuch (StGB) im Landeskrankenhaus B ( ; Landkreis R) sowie im Jahre 2005 in Einrichtungen der "B gGmbH" im Kreis S ; ab 20.2.2006 wurde er dann in einer Wohngemeinschaft der "h gGmbH" in Kiel betreut. Die Reststrafe hat das LG Stade unter Beendigung des Maßregelvollzugs mit der Auflage zur Bewährung ausgesetzt, in dieser Wohngemeinschaft zu verbleiben (Beschluss vom 9.10.2006). Einen bereits zuvor gestellten Antrag des D auf Übernahme der Betreuungskosten in dieser Wohngruppe (vom 24.7.2006) für die Zeit nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug hatte der Beklagte an die Klägerin weitergeleitet (Schreiben vom 1.8.2006). Die Klägerin bewilligte daraufhin ab 26.10.2006, dem Tag nach der Entlassung, bis 7.11.2007 Leistungen der Eingliederungshilfe (Bescheide vom 1.2.2007 und 31.5.2007), für die sie erfolglos Erstattungsansprüche beim Beklagten geltend machte (Schreiben vom 7.2. und 7.6.2007 sowie 12.10. und 26.11.2008; ablehnendes Schreiben des Beklagten vom 13.8.2007).
Die (am 29.12.2010 erhobene) Klage auf Kostenerstattung hatte in beiden Instanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Kiel vom 27.11.2012; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 12.3.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Beklagte sei der iS des § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) eigentlich zuständige Träger und habe der Klägerin, nachdem er den Antrag weitergeleitet habe, deshalb nach § 14 Abs 4 SGB IX die Kosten der Eingliederungshilfe zu erstatten. D habe vor dem Aufenthalt im Landeskrankenhaus, der nach § 98 Abs 4 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) wie eine stationäre Leistung behandelt werde, zuletzt in H seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Es könne dahinstehen, ob die Eingliederungshilfe im streitbefangenen Zeitraum (Betreutes-Wohnen) in ambulanter oder teilstationärer Form erfolgt sei. Bei Annahme einer ambulanten Betreuung ergäbe sich die Zuständigkeit des Beklagten als zuletzt vor Aufnahme in die Wohnform zuständigen Sozialhilfeträgers aus § 98 Abs 5 SGB XII. Bei Annahme einer teilstationären Leistung sei der für vollstationäre Leistungen vorgesehene § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII analog anwendbar. In beiden Fällen sei maßgeblich der letzte gewöhnliche Aufenthalt vor Beginn der Einrichtungskette.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 98 SGB XII. Für Einrichtungen der teilstationären Betreuung - wie vorliegend - sei § 98 Abs 2 iVm Abs 5 SGB XII nicht analog anwendbar; vielmehr komme § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII (tatsächlicher Aufenthalt) zur Anwendung. Dies führe zu einer örtlichen Zuständigkeit der Klägerin selbst, weil sich D im Stadtgebiet von Kiel tatsächlich aufgehalten habe.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist iS der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Bereits die Anspruchsnorm, auf die die Klägerin ihr Begehren stützen kann, steht nicht fest. Nach Aktenlage jedenfalls hat das LSG seiner Entscheidung zu Unrecht § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX zugrunde gelegt, der nur eingreift, wenn der (Erst-)Rehabilitationsantrag vom sog erstangegangenen Rehabilitationsträger fristgerecht (zwei Wochen nach Antragseingang) an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist. Aus der Leistungsakte ergibt sich jedoch, dass der Beklagte bereits am 15.2.2006 einen Antrag auf Leistungen in der Wohngemeinschaft der "h gGmbH" nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug abgelehnt hatte, mithin über denselben Leistungsanspruch bereits entschieden hat, ohne den Antrag weitergeleitet zu haben (vgl zur Anwendung des § 14 SGB IX bei einem Antrag auf "künftige" Leistungen BSG, Urteil vom 24.2.2016 - B 8 SO 18/14 R - RdNr 16 f). Unter diesen Voraussetzungen wäre der Beklagte selbst nach § 14 Abs 1 SGB IX auch bei eigentlicher Unzuständigkeit bereits vor der auf einen erneuten Antrag des D ergangenen Bewilligungsentscheidung der Klägerin (vom 26.10.2006) zuständig geworden; an dieser Zuständigkeit hätte sich nichts durch den erneuten Rehabilitationsantrag, der an die Klägerin weitergeleitet worden war, geändert.
Allerdings wäre unter diesen Voraussetzungen der Erstattungsanspruch nicht an § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX, sondern an § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zu messen, weil die Klägerin - ihre Rechtsansicht zugrunde gelegt - als unzuständiger Leistungsträger Leistungen erbracht hätte. Dem steht § 14 Abs 4 Satz 3 SGB IX nicht entgegen. Denn § 105 SGB X ist nach dieser Vorschrift nicht anzuwenden für (eigentlich) unzuständige Reha-Träger, die eine Leistung nach § 14 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB IX erbracht haben, also für diejenigen, die den Antrag nicht oder nicht innerhalb der gesetzlichen Frist weitergeleitet haben (vgl dazu BSG, Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 27/15 R - RdNr 18). Bei Anwendung des § 105 SGB X würde sich die Prüfung wegen der sich in jedem Fall aus § 14 SGB IX ergebenden (alleinigen) Zuständigkeit des Beklagten darauf beschränken, ob dem Erstattungsanspruch der Klägerin entgegengehalten werden müsste, ohne die Anwendung des § 14 SGB IX der eigentlich zuständige Leistungsträger gewesen zu sein ("dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est"), sowie ob die Klägerin den Erstattungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht hat und dieser nicht verjährt war (§§ 111, 113 SGB X). Zu § 111 SGB X hat das LSG jedoch zu Recht ausgeführt, dass der Erstattungsanspruch innerhalb der gesetzlichen Frist geltend gemacht worden ist; ebenso zutreffend sind die Ausführungen des LSG, dass der Anspruch noch nicht verjährt ist (§ 113 SGB X). Bei Anwendung des § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX wäre demgegenüber im Rahmen der Passivlegitimation des Beklagten dessen eigentliche sachliche und örtliche Zuständigkeit nach § 97 SGB XII (bis 31.12.2006 iVm § 100 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫) und § 98 SGB XII sowie den landesrechtlichen Regelungen zu prüfen, die auch die Möglichkeit der Heranziehung (§ 99 SGB XII) vorsehen.
Die (eigentliche) Zuständigkeit der Klägerin für die Leistungserbringung im streitbefangenen Zeitraum lässt sich jedoch mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen (§ 163 SGG) zu Inhalt, Ziel und Umfang der Maßnahme (in der streitbefangenen Zeit), aber auch zu den genauen Umständen der zuvor durchgeführten "Maßnahmen" nicht sicher ausschließen, sodass weder unter Beachtung des aktenmäßig erkennbaren noch nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt eine abschließende Entscheidung möglich ist. In der Folge orientiert sich jedoch die Entscheidung des Senats gleichwohl an den (noch) nicht vom LSG festgestellten, aktenmäßig aber erkennbaren Fakten, um eine kommentarartige Aufbereitung der Probleme zu vermeiden, die die wenig durchdachte und angesichts der Komplexität der aus ihr resultierenden Probleme inkonsistente gesetzliche Neuregelung (§ 98 Abs 5 SGB XII) geradezu provoziert, wie die Vielzahl der Rechtsstreitigkeiten zu dieser Norm zeigt.
Die sachliche Zuständigkeit für die Maßnahme richtet sich bis 31.12.2006 nach § 97 SGB XII iVm § 100 Abs 1 BSHG, ab 1.1.2007 allein nach § 97 SGB XII iVm dem schleswig-holsteinischen Landesrecht. Die örtliche Zuständigkeit der Klägerin für die durchgeführte Maßnahme beurteilt sich nach § 98 SGB XII (hier bis 31.12.2006 in der Fassung des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.3.2005 - BGBl I 818 - und danach in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670; die Neufassung ab 7.12.2006 diente nach der Gesetzesbegründung jedoch nur der Klarstellung dessen, was bereits zuvor gewollt und geregelt war - siehe dazu BSGE 109, 56 ff RdNr 17 mwN = SozR 4-3500 § 98 Nr 1).
Soweit hier einschlägig, trifft § 98 SGB XII die folgenden Regelungen: Nach Abs 1 Satz 1 bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich nach dem tatsächlichen Aufenthalt, Abs 2 stellt jedoch für stationäre (gemeint: vollstationäre) Leistungen - ggf im Rahmen einer Einrichtungskette - auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in eine, im Falle einer Einrichtungskette in die erste Einrichtung ab; dies gilt nach Abs 4 in gleicher Weise für Personen, die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten oder aufgehalten haben. Für Leistungen in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten, die nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII (Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) erbracht werden, ist demgegenüber der Sozialhilfeträger örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform (Wohnform des Betreuten-Wohnens an sich, nicht der Maßnahme) zuletzt zuständig war oder gewesen wäre.
Vor diesem normativen Hintergrund bedürfte es tatsächlicher Feststellungen des LSG zu der Maßnahme in der Zeit vom 26.10.2006 (nach Ende des Maßregelvollzugs) bis 7.11.2007. Bei einer - realistischerweise kaum annehmbaren - stationären Maßnahme (vgl dazu näher BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3) und dem durchgehenden Vorliegen der Voraussetzungen des § 98 Abs 4 SGB XII wäre der gewöhnliche Aufenthalt des D vor Beginn einer Einrichtungskette iS des § 98 Abs 2 SGB XII maßgebend. Eine eigene Zuständigkeit der Klägerin könnte sich nur ergeben, wenn D bereits vor dem 26.10.2006 während der Betreuung in der Wohngruppe ab 2.2.2006 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Kiel gehabt hätte. Ob dies der Fall war, bedürfte indes weiterer Feststellungen; denn § 98 Abs 4 SGB XII ordnet eine Anwendung des § 109 SGB XII an, der seinerseits einen Ausschluss des gewöhnlichen Aufenthalts für Zeiten des Aufenthalts in einer stationären Einrichtung oder einer Vollzugsanstalt aufgrund richterlich angeordneter Freiheitsentziehung ausschließt.
Unter einem Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen ist dabei nach Sinn und Zweck der Regelung nicht nur der Strafvollzug im engen Sinn, sondern - wie hier - auch der Maßregelvollzug im Rahmen der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu verstehen (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 98 RdNr 90 mwN, Stand März 2015; Söhngen in juris PraxisKommentar ≪jurisPK≫ SGB XII, 2. Aufl 2014, § 98 SGB XII RdNr 47 ff mwN). Entscheidend für die Anwendung des § 98 Abs 4 SGB XI ist dabei, dass der Aufenthalt dort auf einer entsprechenden richterlichen Anordnung beruht. Diese Voraussetzungen liegen jedenfalls für den Aufenthalt im Landeskrankenhaus B auf der Grundlage der Feststellungen des LSG vor, weil zugleich mit der Verurteilung durch das LG V eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist (§ 64 StGB). Unterbringungen iS des § 64 StGB, §§ 137, 138 Strafvollzugsgesetz (StvollzG) iVm den Vorschriften des niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes (NdsMvollzG) werden in psychiatrischen Krankenhäusern und Entziehungsanstalten als Einrichtungen des Landes vollzogen (§ 3 Abs 1 Satz 1 NdsMvollzG). Bei dem Landeskrankenhaus B (mittlerweile aufgegangen im Maßregelvollzugszentrum N) hat es sich um eine solche Einrichtung gehandelt. Ob davon jedoch die Zeit ab 2.2.2006 oder vorangegangene "Betreuungszeiten" im Kreis Schleswig-Flensburg erfasst werden, kann nicht eindeutig beurteilt werden.
Das LSG hat nur ausgeführt, D sei "anschließend" an den Aufenthalt im Landeskrankenhaus in verschiedenen Einrichtungen der "B gGmbH" untergebracht gewesen (nach Aktenlage ab 2005), ohne die Zeiten und weiteren Umstände dieser Aufenthalte aufzuklären. Soweit es offenbar davon ausgegangen ist, während der gesamten Zeit, die auf die Strafhaft anzurechnen war, also bis zur Entlassung im Oktober 2006, hätte D einen zuständigkeitsbegründenden gewöhnlichen Aufenthalt wegen § 98 Abs 4 SGB XII iVm § 109 SGB XII überhaupt nicht begründen können, ist diese Rechtsauffassung unzutreffend. Zwar ist § 98 Abs 4 SGB XII nicht nur dann anzuwenden, wenn sich der Betroffene tatsächlich (körperlich) in der Einrichtung nach § 98 Abs 4 SGB XII aufhält. Ein Aufenthalt, der tatsächlich außerhalb einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung besteht, kann auch über die "funktionale Zuordnung" zu dieser Einrichtung angenommen werden (BVerwGE 98, 132 ff zu einem Wechsel des Aufenthalts zwischen Haftanstalt und Krankenhaus). Diesem Verständnis entspricht die Rechtsprechung des Senats im Anwendungsbereich des § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII: Ist danach der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung beendet, steht die anschließende Unterbringung außerhalb der Einrichtung diesem Aufenthalt nur gleich, wenn durch die Einrichtung eine ständige Überwachung des Leistungsberechtigten erfolgt und der Einrichtung damit ein bestimmender Einfluss auf die Betreuung verbleibt (BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 23). Es muss weiterhin die "verantwortliche Trägerschaft" iS des Einrichtungsbegriffs des § 13 SGB XII bestehen. Für die Einrichtung zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung gilt nichts anderes; auch hier ist nach Sinn und Zweck der Regelung des § 98 Abs 4 SGB XII eine entsprechende Abgrenzung maßgeblich. Anhand dieser Kriterien wäre dann zu ermitteln, ob D sich durchgehend, insbesondere ab 2.2.2006, in einer stationären Entziehungseinrichtung iS des § 64 StGB befunden hat, auf die sich die Anordnung der Unterbringung durch das LG bezieht; dies ist bei einer - wie wohl hier - probeweisen Unterbringung in einer Einrichtung des Betreuten-Wohnens (im Rahmen eines gelockerten Maßregelvollzugs) jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen. Nur wenn der bestimmende Einfluss im bezeichneten Sinn nicht zu bejahen wäre, könnte sich bei Annahme einer stationären Maßnahme ab 26.10.2006 eine eigene (eigentliche) Zuständigkeit der Klägerin ergeben, weil D dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Kiel gehabt hätte - dabei wiederum unterstellt, die am 2.2.2006 begonnene Maßnahme war nicht stationär erbracht.
Sollte es sich demgegenüber bei der Maßnahme ab 26.10.2006 um eine teilstationäre Maßnahme gehandelt haben, was indes wenig realistisch ist (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3), wäre weder § 98 Abs 5 SGB XII noch § 98 Abs 2 iVm Abs 5 SGB XII analog (vgl dazu BSG aaO) anwendbar, sondern die Zuständigkeit der Klägerin würde sich nach Abs 1, also dem tatsächlichen Aufenthalt des D zu Beginn der Maßnahme in Kiel richten, sodass daraus eine örtliche Zuständigkeit der Klägerin resultieren würde.
Sollte es sich bei der Maßnahme ab 26.10.2006 um den Fall eines Ambulant-betreuten-Wohnens gehandelt haben (vgl dazu BSG aaO), käme § 98 Abs 5 SGB XII zur Anwendung. Ein Altfall des Betreuten-Wohnens, der bereits vor dem 1.1.2005 begonnen hat, mit der Folge der weiteren Anwendung der Zuständigkeitsregelungen des BSHG (vgl dazu BSG, Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R - RdNr 15 mwN) käme nur unter Berücksichtigung der Zeiten der Betreuung in den Einrichtungen der "Brücke Schleswig-Holstein" gGmbH in Betracht, bedürfte allerdings näherer Feststellungen. Der stationäre Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt unterfällt nach seiner Zielrichtung jedenfalls nicht dem Betreuten-Wohnen, und nach Aktenlage begannen die Betreuungszeiten in der gGmbH nicht vor dem 1.1.2005.
Im Rahmen des § 98 Abs 5 SGB XII wäre dann bei einem "Neufall" zu klären, wer vor dem 26.10.2006 zuständig gewesen wäre (vgl zu dieser hypothetischen Prüfung BSGE 109, 56 ff RdNr 17 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1); denn davor sind keinerlei Sozialhilfeleistungen erbracht worden. Darauf abzustellen wäre, ob die Klägerin für die ab 2.2.2006 erfolgte Betreuung in der Wohngruppe zuständig gewesen wäre, wenn Eingliederungshilfe hätte erbracht werden müssen. Da die örtliche Zuständigkeit für das Ambulant-betreute-Wohnen auch eine Zuständigkeit für alle sonstigen Sozialhilfeleistungen nach sich ziehen würde (vgl BSG, aaO, RdNr 13), bedarf es keiner Entscheidung darüber, wie bei einem Auseinanderfallen der hypothetischen örtlichen Zuständigkeiten zu entscheiden wäre. Die Zuständigkeit für hypothetische Eingliederungsleistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens läge aber wiederum keinesfalls bei der Klägerin, weil erneut auf die (hypothetische) Zuständigkeit vor dem 2.2.2006 abzustellen wäre (§ 98 Abs 5 SGB XII), insoweit jedoch jeglicher Anknüpfungspunkt zulasten der Klägerin fehlt.
Das LSG wird deshalb wohl zu einem Anspruch der Klägerin aus § 105 SGB X gelangen und dann über die Rechtmäßigkeit der Leistung dem Grunde und der Höhe nach zu befinden haben. Schließlich wird es wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X D zum Rechtsstreit beizuladen - eine andere Frage ist, ob eine fehlende Beiladung revisionsrechtlich beachtlich ist - und ggf über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz.
Fundstellen
FEVS 2017, 174 |
SGb 2016, 341 |
ZfF 2016, 235 |
info-also 2016, 283 |