Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderungsansprüche der Versorgungsbehörde gegen den Lastenausgleichsfonds
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Berichtigungsbescheid der Versorgungsverwaltung mit dem ein Rentenbewilligungsbescheid als von Anfang unrichtig zurückgenommen wird und mit dem auch festgestellt wird, daß die auf den Träger des Lastenausgleichs übergeleitete und von diesem eingezogene Rentenforderung nicht bestanden hat, ist ein Verwaltungsakt mit mehreren Betroffenen. Nicht nur in die Rechtssphäre des "Versorgungsberechtigten" greift ein solcher Verwaltungsakt ein, sondern auch in die des Träger des Lastenausgleichs. Auch dieser ist danach Betroffener und damit zugleich Beteiligter iS des SGG § 77. Das bedeutet, daß er den Berichtigungsbescheid fristgerecht (SGG §§ 84 Abs 1, 66 Abs 2) anfechten muß, um den Eintritt der Bindungswirkung ihm gegenüber aufzuhalten.
Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist nicht von einem Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung gegen den (auf Grund eines Leistungsbescheids) Versorgungsberechtigten abhängig. Das BSG hat bereits dargelegt (vergleiche BSG 1962-09-07 9 RV 486/59 = BSGE 18, 12), daß KOVVfG § 47 Abs 2 nicht gilt, wenn die Leistung von einem Dritten auf Grund eines gesetzlichen Forderungsüberganges beansprucht wird. Dies hat auch in den Fällen des KOVVfG § 47 Abs 3 zu gelten.
2. Für den "öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch", mit dem die Kläger-Versorgungsbehörde Beiträge einer Elternrente zurückfordert, die er nach "Forderungsüberleitung" (für geleistete Unterhaltshilfe) an den Lastenausgleichsfonds gezahlt hat, ist der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Bei dem Anspruch, der hier geltend gemacht wird, handelt es sich um die "Kehrseite" des Anspruchs auf Versorgungsleistungen.
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03, § 66 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 84 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, Abs. 3 Fassung: 1960-06-27; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Versorgungsträger (Kläger) hat Elternrentennachzahlungen von 1016,- DM, welche an die Mutter eines (vermeintlich) Kriegsverschollenen auf Grund von Bewilligungsbescheiden nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 und § 52 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu zahlen gewesen wären, dem Träger des Soforthilfefonds bzw. Lastenausgleichs (Beklagten) ausbezahlt, weil dieser Unterhaltshilfe geleistet hatte. Als sich im Jahre 1962 herausstellte, daß der Sohn seit 1946 in München lebt, erließ das Versorgungsamt (VersorgA) einen "Berichtigungsbescheid" nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG). Es stellte darin fest, daß ein Anspruch auf Elternrente (wegen Verschollenheit des Sohnes) niemals bestanden habe; die Rentenleistungen seien zu Unrecht gewährt worden; ein Rückforderungsanspruch (gegenüber der Elternrentenempfängerin) werde nicht geltend gemacht. Der Kläger unterrichtete den Beklagten von dem Berichtigungsbescheid (1962) und forderte den an ihn gezahlten Betrag (der Elternrente) zurück, weil der "übergeleitete" Anspruch nicht bestanden habe. Der Beklagte lehnte die Rückforderung ab.
Mit der zum Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn - neben einem weiteren Betrag, der nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - 1016,- DM zu zahlen.
Der Beklagte ist der Auffassung, der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei unzulässig, weil es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung (KOV), sondern um eine nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zugewiesene Streitsache handele. Der Erstattungsanspruch des Klägers sei im übrigen auch unbegründet; wegen des Verzichts des Klägers auf Rückforderung der zu Unrecht gewährten Elternrente gegenüber der Leistungsempfängerin könnte auch der auf den Beklagten "übergeleitete" und von ihm eingezogene Rentenbetrag nicht zurückgefordert werden.
Das SG Münster hat mit Urteil vom 9. November 1966 die Klage abgewiesen; es hat zwar den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig, das Klagebegehren aber nicht für sachlich begründet gehalten. Da der Kläger einen Anspruch gegen die Leistungsempfängerin nicht habe, habe der Kläger auch keinen Rückforderungsanspruch gegen den Beklagten; das gelte auch für die Leistung, welche der Kläger unmittelbar an den Beklagten zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs des Beklagten geleistet habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 30. August 1968 den Beklagten verurteilt, dem Kläger 1.016,- DM zu zahlen. Es hat ausgeführt: Wegen des Anspruchs auf Erstattung der von der Versorgungsverwaltung an den Soforthilfefonds bzw. dessen Rechtsnachfolger (an den Ausgleichsfonds) gezahlten 1.016,- DM Rentennachzahlung sei der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit gegeben, weil die Forderung die Rückgewähr einer Leistung aus der KOV betreffe (§ 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Daran ändere auch § 315 LAG nichts; denn die Rückgewähr einer Leistung unterliege demselben Recht wie der Anspruch auf Leistung. Der Anspruch sei auch begründet, weil die Versorgungsverwaltung die Rentenbeträge an den Beklagten in der irrtümlichen Annahme geleistet habe, daß der Elternrentenempfängerin eine Rente wegen Verschollenheit ihres Sohnes zugestanden habe. Der Lastenausgleichsfonds habe die Nachzahlung ohne Rechtsgrund erlangt, so daß er verpflichtet sei, dem Kläger die erlangte Leistung von 1.016,- DM zurückzuzahlen. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch sei nicht von einem Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung gegen den Versorgungsberechtigten abhängig.
Der Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision, das LSG habe § 51 SGG verletzt, weil die geforderte Leistung nicht den Charakter einer Ausgleichsleistung im Sinne des § 290 Abs. 3 LAG verloren habe. Auch durch die Überleitung im Sinne des § 290 Abs. 3 LAG habe die geforderte Leistung nicht den Charakter einer Ausgleichsleistung nach dem LAG verloren. Für den Streit über die Ausgleichsleistung sei der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG vom 30. August 1968 und des SG vom 9. November 1966 die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die beigeladene Bundesrepublik beantragen,
Die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte habe den Betrag von 1.016,- DM zu Unrecht erhalten und sei deshalb zur Erstattung verpflichtet. Die Erstattungspflicht ergebe sich weder aus § 290 Abs. 3 LAG noch aus einer anderen Vorschrift des LAG, sondern daraus, daß die zurückgeforderten Leistungen Versorgungsleistungen seien und der Grund für die Bewilligung dieser Versorgungsleistungen weggefallen sei. Nach § 51 SGG sei der Sozialrechtsweg gegeben. Die Rechtmäßigkeit der Versorgungsleistungen könne nicht nach dem LAG beurteilt werden.
II
Die Revision des Beklagten ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); die Revision ist auch rechtzeitig und in gehöriger Form eingelegt worden (§ 164 SGG).
Streitig ist zunächst, ob wegen der Rückforderung von Leistungen der Versorgungsverwaltung gegen den Träger des Lastenausgleichs der Rechtsweg zu den Sozialgerichten offen steht. Nach § 51 Abs. 1 SGG entscheiden die Sozialgerichte über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten u. a. in Angelegenheiten der KOV. Über die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs bei gesetzlich übergeleiteten Ansprüchen hat das Bundessozialgericht (BSG), wie schon zutreffend das LSG ausgeführt hat, bereits wiederholt entschieden (BSG 3, 57; 13, 94). Danach läßt der Forderungsübergang die versorgungsrechtliche Natur des Anspruchs und der Leistung unberührt. Der Senat hat keine Bedenken, dieser Rechtsprechung auch für den umgekehrten Fall zu folgen, daß der Versorgungsträger die an den Träger des Lastenausgleichs zu Unrecht gewährten Leistungen zurückfordert. Das Erstattungsverhältnis ist nur die Umkehrung des Leistungsverhältnisses; diese Umkehrung des Leistungsverhältnisses führt dazu, daß Schuldner- und Gläubigerrollen sich vertauschen, ohne daß sich an der Rechtsnatur des Anspruchs etwas ändert (SozR VerwVG § 47 Nr. 23). Das LSG hat demnach die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu Recht bejaht.
Das LSG hat den Klageanspruch auch zutreffend für begründet gehalten, weil der Beklagte die "übergeleiteten" Rentenbeträge zu Unrecht erhalten habe. Die Frage, ob der Kläger in seinem auf § 41 VerwVG gestützten "Berichtigungsbescheid" vom 22. November 1962 die Rentenbewilligungsbescheide zu Recht als von Anfang an unrichtig zurückgenommen und festgestellt hat, daß ein Anspruch der Leistungsempfängerin auf eine Elternrente (wegen Verschollenheit ihres Sohnes, der seit 1946 in M lebt) niemals bestanden hat und daß deshalb die Versorgungsleistungen zu Unrecht gewährt worden sind, war nicht mehr zu prüfen. Der "Berichtigungsbescheid" des Klägers, mit dem auch festgestellt wird, daß die auf den Beklagten übergeleitete und von ihm eingezogene Rentenforderung nicht bestanden hat, ist ein Verwaltungsakt mit mehreren Betroffenen. Nicht nur in die Rechtssphäre der Leistungsempfängerin (der "Versorgungsberechtigten") greift dieser Verwaltungsakt ein, sondern auch in die des Beklagten, der damit den Rechtsfolgen ausgesetzt ist, die sich daraus ergeben, daß er eine (vermeintliche) Forderung auf sich übergeleitet und eingezogen hat, die als "nicht bestehend" festgestellt worden ist. Auch der Beklagte ist danach Betroffener und damit zugleich Beteiligter im Sinne des § 77 SGG (vgl. hierzu mit weiteren Hinweisen BSG 15, 118, 122; SozR Nr. 81 zu § 54 SGG und Nr. 52 zu § 77 SGG). Das bedeutet, daß er den Berichtigungsbescheid anfechten mußte, um den Eintritt der Bindungswirkung ihm gegenüber aufzuhalten. Dies hat der Beklagte innerhalb eines Jahres nach "Eröffnung" (1962) nicht getan (§§ 66 Abs. 2, 84 Abs. 1 SGG). Im übrigen hat der Beklagte auch im jetzigen Leistungsstreit nicht geltend gemacht, der Kläger habe die Rentenbewilligung zu Unrecht als von Anfang an unrichtig zurückgenommen. Das LSG ist daher im Ergebnis zutreffend von der Rechtmäßigkeit des "Berichtigungsbescheides" ausgegangen. Es hat aus der rückwirkenden Beseitigung der Leistungsbescheide zu Recht gefolgert, daß der Beklagte auch im Wege der Legalzession keinen Elternrentenanspruch erwerben konnte und folglich endgültig mit den Unterhaltshilfekosten hätte belastet werden müssen; der Kläger habe mithin dem Beklagten eine Geldleistung erbracht, für die kein Rechtsgrund bestehe. Das LSG hat auch den Einwand des Beklagten, die Rückforderung der auf ihn "übergeleiteten" Rentenbeträge sei deshalb unbegründet, weil der Kläger die der Leistungsempfängerin (unmittelbar) zu Unrecht gewährten Rentenleistungen nicht zurückgefordert habe, zu Recht als nicht durchgreifend erachtet. Der Kläger hat nicht, wie der Beklagte meint, auf die Rückforderung gegenüber der Leistungsempfängerin "verzichtet"; er hat vielmehr lediglich die Vorschrift des § 47 Abs. 3 VerwVG beachtet, nach der bei einem "Berichtigungsbescheid" gemäß § 41 VerwVG (Rücknahme von Bewilligungsbescheiden ex tunc) der Empfänger zu Unrecht gewährten Versorgungsleistungen grundsätzlich nicht zur Rückerstattung verpflichtet ist. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist jedoch nicht von einem Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung gegen den (auf Grund eines Leistungsbescheides) Versorgungsberechtigten abhängig. Das BSG hat bereits dargelegt (BSG 18, 12), daß die Vorschrift des § 47 Abs. 2 VerwVG nach ihrem Wortlaut und Sinngehalt nur die Fälle erfaßt, in denen eine Leistung unmittelbar von Versorgungsberechtigten oder -empfängern zurückgefordert wird, und mithin dann nicht gilt, wenn die Leistung von einem Dritten auf Grund eines gesetzlichen Forderungsübergangs beansprucht wird. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem LSG der Auffassung, daß dies auch in den Fällen des § 47 Abs. 3 VerwVG zu gelten hat, d. h. wenn bei einer "Berichtigung" nach § 41 VerwVG keine Rückerstattungspflicht des Versorgungsberechtigten besteht, weil kein Ausnahmetatbestand im Sinne des § 47 Abs. 3 Buchst. a und b VerwVG erfüllt ist. Die Vorschriften des § 47 Abs. 2 und 3 VerwVG, die den Grundsatz von Treu und Glauben im "Versorgungsverhältnis" insofern konkretisieren als sie die Rückerstattung zu Unrecht gewährter Versorgungsleistungen von besonderen in den Verhältnissen oder in dem Verhalten des Versorgungsberechtigten liegenden Voraussetzungen abhängig machen, normieren nur eine "Rechtswohltat" zu Gunsten des (durch Leistungsbescheide) Versorgungsberechtigten. Diese hat auf den Erstattungsanspruch, der dem Versorgungsträger dadurch erwachsen ist, daß der Lastenausgleichsträger "übergeleitete" Versorgungsleistungen zu Unrecht empfangen hat, keinen Einfluß.
Das LSG hat danach die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt. Die Revision des Beklagten ist danach unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG, weil die Beteiligten Behörden bzw. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.
Fundstellen