Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkung des Leistungsantrags. fiktive Nachversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Durch eine Beschränkung des Leistungsanspruchs auf die knappschaftliche RV nach RKG § 101 Abs 1 S 2 kann bei den knappschaftlichen Sonderleistungen (RKG §§ 45, 48 Abs 1 Nr 2, § 98a) nicht die Anrechnung einer Zeit als Ersatzzeit erreicht werden, für die die Nachversicherung in der AnV als durchgeführt gilt.
2. Zum Herstellungsanspruch bei Verletzung der Betreuungspflicht.
Orientierungssatz
1. Voraussetzung für eine Beschränkung des Leistungsantrags und eine sich daraus ergebende andere Zuordnung einer Ersatzzeit zu einem anderen Versicherungszweig ist, daß es sich um eine Rentenleistung handelt, die ihrer Art nach in mehreren Versicherungszweigen bekannt ist und im konkreten Fall in Betracht kommt.
2. Eine Dienstzeit im öffentlichen Dienst gilt so lange nicht als fiktive Nachversicherungszeit, wie die zuständige Verwaltungsstelle nicht die dienstrechtlichen Voraussetzungen durch Verwaltungsakt festgestellt hat.
Normenkette
RKG § 45 Fassung: 1957-05-21, § 48 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-05-21, § 50 Abs. 3 Fassung: 1972-10-16, § 98a Fassung: 1963-05-23, § 101 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1251 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16, § 1310 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-07-27; BGB § 839 Abs. 1; SGB 1 §§ 15, 14; AKG § 99
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 11.05.1978; Aktenzeichen L 2 Kn 36/76) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 21.01.1976; Aktenzeichen S 3 Kn 54/75) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Berechnung der Knappschaftsausgleichsleistung die Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit zu berücksichtigen ist.
Der im Jahre 1919 geborene Kläger war knappschaftlich versichert bevor er ab 2. November 1938 dem Reichsarbeitsdienst zunächst als Dienstpflichtiger und ab 1. April 1939 als Freiwilliger angehörte. Anschließend leistete er Kriegsdienst ab 18. Juni 1940 als Wehrpflichtiger und vom 18. Juni 1942 bis zum 8. Mai 1945 als Berufssoldat. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft war er ab Oktober 1947 wieder im Bergbau beschäftigt und knappschaftlich versichert.
Im Zusammenhang mit der Gewährung der Bergmannsrente beantragte der Kläger auf entsprechende Aufforderung der Beklagten vom 13. Mai 1970 hin, die Nachversicherung des freiwilligen Arbeitsdienstes und der Zeit als Berufssoldat durchzuführen. Aufgrund entsprechender Verwaltungsakte des Landesamtes für Besoldung und Versorgung in Nordrhein-Westfalen und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gilt die Nachversicherung der Zeit ab 1. April 1939 gem § 99 Allgemeines Kriegsfolgengesetz (AKG) und sodann die Zeit vom 18. Juni 1942 bis 8. Mai 1945 gem § 72 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) als in der Rentenversicherung der Angestellten durchgeführt. Die Beklagte berücksichtigte jedoch bei der Festsetzung der Bergmannsrente die Zeit vom 2. November 1938 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung, nachdem sie vorher beim Kläger angefragt hatte, ob er insoweit die Anrechnung als Nachversicherungszeit in der Angestelltenversicherung oder eine Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung wünsche. Ein später erteilter Berichtigungsbescheid wurde im Klageverfahren aufgehoben.
Am 5. August 1974 beantragte der Kläger, ihm die Knappschaftsausgleichsleistung zu gewähren. Diesem Begehren entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 1975 ab 1. Dezember 1974. Dabei rechnete sie die Zeit von 1939 bis 1945 nicht an. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1975).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Januar 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte verurteilt, die Zeit vom Beginn des 2. Weltkrieges bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit bei der Berechnung der Knappschaftsausgleichsleistung zu berücksichtigen. Durch die Beschränkung des Leistungsantrags auf die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung habe die Nachversicherung in der Angestelltenversicherung völlig außer Betracht zu bleiben. Die Voraussetzungen der §§ 50, 51 Reichsknappschaftsgesetz (RKG), auf die es allein ankomme, seien für die Zeit ab 1. September 1939, nicht dagegen schon ab 1. April 1939 erfüllt (Urteil vom 11. Mai 1978).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte, der Kläger habe den Leistungsantrag nicht beschränkt. Selbst wenn man aber von einer Beschränkung des Leistungsantrags ausgehe, könne die streitige Ersatzzeit nicht angerechnet werden, weil wegen der durchgeführten Nachversicherung die anschließend als Ersatzzeit in Betracht kommende Zeit der Rentenversicherung der Angestellten zugerechnet werden müsse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1978 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 21. Januar 1976 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet; denn sie hat die Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 bei der Berechnung der dem Kläger zustehenden Knappschaftsausgleichsleistung nach § 98a RKG zu berücksichtigen.
Das LSG ist zu diesem Ergebnis gelangt, weil der Kläger seinen Leistungsantrag vom 5. August 1974 beschränkt habe. Deshalb müsse die für den streitigen Zeitraum durchgeführte Nachversicherung in der Angestelltenversicherung außer Betracht bleiben und die begehrte Ersatzzeit falle in die knappschaftliche Rentenversicherung. Dieser Begründung des angefochtenen Urteils vermag der Senat nicht zuzustimmen.
§ 101 Abs 1 Satz 2 RKG räumt dem Versicherten insofern ein gewisses Gestaltungsrecht ein, als er den Leistungsantrag, der normalerweise für alle beteiligten Versicherungszweige gilt, ausdrücklich auf einzelne Versicherungszweige beschränken kann. Nach einer solchen Beschränkung haben zwar - wie der erkennende Senat mit Urteil vom 16. Januar 1979 (5 RKn 14/78) entschieden hat - die zu anderen Versicherungszweigen entrichteten Beiträge auch bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Anrechnung von Ersatzzeiten unberücksichtigt zu bleiben. Die Frage aber, ob ein Anspruch auf eine knappschaftliche Sonderleistung im Sinne der §§ 45, 48 Abs 1 Nr 2, 98a RKG durch eine Beschränkung nach § 101 Abs 1 Satz 2 RKG begründet oder erhöht werden kann, hat der Senat in jener Entscheidung ausdrücklich offen gelassen. Diese Frage ist indes zu verneinen.
Voraussetzung für eine Beschränkung des Leistungsantrags und eine sich daraus ergebende andere Zuordnung einer Ersatzzeit zu einem anderen Versicherungszweig ist, daß es sich um eine Rentenleistung handelt, die ihrer Art nach in mehreren Versicherungszweigen bekannt ist und im konkreten Fall in Betracht kommt. Anderenfalls ist eine Beschränkung schon begrifflich nicht möglich; denn eine Reduzierung der Versicherungszweige ist bei der ohnehin nur für einen einzigen Versicherungsträger bestehenden Leistungspflicht nicht denkbar. Um solche - selbst bei einem Wanderversicherten - nur aus seinen knappschaftlichen Versicherungszeiten zu gewährende Sonderleistungen handelt es sich bei der Knappschaftsausgleichsleistung (§ 98a RKG), der Bergmannsrente nach § 45 RKG und dem Knappschaftsruhegeld des § 48 Abs 1 Nr 2 RKG. Da es diese Leistungen in der Arbeiterrenten- und in der Angestelltenversicherung nicht gibt, kann es insoweit nicht zur Leistungsgewährung aus mehreren Versicherungszweigen kommen.
Da somit eine Beschränkung des Leistungsantrags bei der dem Kläger gewährten Knappschaftsausgleichsleistung ohne Rechtswirkung ist, kann die Nachversicherung in der Angestelltenversicherung, die hier für die Zeit vom 1. April 1939 bis 8. Mai 1945 als durchgeführt gilt, nicht außer Betracht bleiben. Vielmehr ist aufgrund der Nachversicherung in der Angestelltenversicherung davon auszugehen, daß die Voraussetzungen für eine Anrechnung der streitigen Zeit auf die Knappschaftsausgleichsleistung als Ersatzzeit nach der im Knappschaftsrecht bestehenden Sonderregelung des § 50 Abs 3 RKG nicht gegeben sind. Insoweit hat der erkennende Senat bereits durch die Urteile vom 25. September 1962 (BSGE 18, 42 = SozR Nr 1 zu § 50 RKG) und 25. August 1965 (SozR Nr 2 zu § 50 RKG) entschieden, daß eine Ersatzzeit nach § 50 Abs 3 Satz 1 RKG nicht angerechnet werden kann, wenn der letzte Beitrag vor Beginn der Ersatzzeit nicht zur knappschaftlichen Rentenversicherung, sondern zur Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten erbracht worden ist und des weiteren § 50 Abs 3 Satz 2 Buchst a RKG nur dann Platz greift, wenn die Zuordnung einer Ersatzzeit zu irgendeinem der Rentenversicherungszweige nach Satz 1 dieser Vorschrift nicht möglich ist. An dieser Rechtsprechung wird auch für den hier vorliegenden Fall, daß die Nachversicherung in einem anderen Rentenversicherungszweig vor Beginn der Ersatzzeit als durchgeführt gilt, festgehalten (ebenso bereits Urteil des Senats vom 24. Februar 1976, SozR 2600 § 45 Nr 11).
Kann nach alledem der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsauffassung nicht zugestimmt werden, so hat das LSG gleichwohl im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 zusätzlich bei der Berechnung der Knappschaftsausgleichsleistung zu berücksichtigen ist. Zwar folgt aus dem bindend gewordenen Bescheid der Beklagten über die Gewährung der Bergmannsrente, in dem diese Zeit rentensteigernd enthalten ist, noch nicht, daß dies auch bei der Berechnung der Knappschaftsausgleichsleistung zu geschehen hat. Die Beklagte hat es aber pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die mit der Nachversicherung für ihn verbundenen Nachteile zu unterrichten. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 25. April 1978 (SozR 2200 § 1290 Nr 11 mwN) dargelegt hat, wird spätestens mit dem Rentenantrag zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger ein Sozialrechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet. Für die Beklagte bestand deshalb Veranlassung, den Kläger auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zutage getreten sind, also ohne weiteres erkennbar geworden sind und zweckmäßigerweise von jedem vernünftigen Versicherten genutzt werden. Die Verletzung dieser Betreuungspflicht führt zum Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger sich pflichtgemäß verhalten hätte (vgl auch BSG Urteil vom 9. Mai 1979 - 9 RV 20/78 - und H. Bogs, sozialversicherungsrechtlicher Schadensausgleich im Staatshaftungssystem, in "Sozialrechtsprechung, Verantwortung für den sozialen Rechtsstaat" - Festschrift für das BSG - Bd 1 Seite 149 ff mwN).
Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 13. Mai 1970 aufgefordert, einen Antrag auf Nachversicherung gem § 99 AKG zu stellen. Für sie mußte aber im Hinblick auf die Entscheidungen des Senats vom 25. September 1962 und 25. August 1965 aaO erkennbar sein, daß sich damit die Rechtsposition des Klägers als bisher ausschließlich knappschaftlich Versicherten bezüglich der Ersatzzeit und deren Zuordnung zur knappschaftlichen Rentenversicherung verschlechtern würde. Eine Verpflichtung des Klägers, die Nachversicherung zu beantragen, bestand indes nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24. Februar 1976 in SozR 2600 § 45 Nr 11) handelt ein Versicherter, der einen solchen Antrag nicht stellt, nicht rechtsmißbräuchlich. Vielmehr steht es in seinem Ermessen, von der Möglichkeit des § 99 AKG Gebrauch zu machen. Eine Dienstzeit im öffentlichen Dienst gilt so lange nicht als fiktive Nachversicherungszeit, wie die zuständige Verwaltungsstelle nicht die dienstrechtlichen Voraussetzungen durch Verwaltungsakt festgestellt hat.
Wenn auch die Entscheidung des Senats vom 24. Februar 1976 erst nach der Aufforderung zur Nachversicherung vom 13. Mai 1970 ergangen ist, so hätte jedenfalls die Rechtsprechung zur Zuordnung der Ersatzzeit in den genannten Urteilen aus den Jahren 1962 und 1965 in Verbindung mit den höchstrichterlich noch nicht geklärten Fragen der Nachversicherung der Beklagten Veranlassung zu entsprechenden Hinweisen an den Kläger geben müssen. Da sie das vorwerfbar unterlassen und die Rechtsposition des Klägers dadurch verschlechtert hat, muß sie den ursächlich durch die Verletzung der Betreuungspflicht dem Kläger entstandenen Schaden ausgleichen. Er kann somit von der Beklagten die Herstellung des Zustandes verlangen, der bestehen würde, wenn sie sich pflichtgemäß verhalten hätte. Nach entsprechender Aufklärung hätte der Kläger aber bei sachgemäßer Wahrung seiner Interessen die Nachversicherung der Zeit ab 1. April 1939 nicht beantragt. Die Ersatzzeit ab Kriegsbeginn bis zum 8. Mai 1945 hätte ihm dann - mangels einer Vorversicherungszeit in der Angestelltenversicherung - in der knappschaftlichen Rentenversicherung angerechnet werden müssen, wie dies bereits bei der Bergmannsrente geschehen war. Die Verpflichtung der Beklagten, nunmehr bei der Knappschaftsausgleichsleistung ebenso zu verfahren, ergibt sich somit aus dem Herstellungsanspruch des Klägers wegen Verletzung der Betreuungspflicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1654437 |
BSGE, 211 |