Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
Bergbau-Berufsgenossenschaft, Bochum, Hunscheidtstraße 18, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit (BK).
Der am 23. April 1932 geborene Kläger war von 1947 bis 1989 bei den Zechenbahn- und Hafenbetrieben der B. (über Tage) beschäftigt und von 1951 bis 1975 als Rangierer bzw Rangierleiter eingesetzt. Seit 1970 wurden bei ihm wiederholt arthrotische Veränderungen beider Kniegelenke diagnostiziert. Ein Antrag vom Dezember 1986 auf Anerkennung dieser Arthrosen als BK wurde abgelehnt, weil sie keine BK nach § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) darstellten und auch nicht gemäß § 551 Abs 2 RVO wie eine BK entschädigt werden könnten.
Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen (Az.: S 18 BU 76/89) stellte der Kläger am 23. August 1989 den Antrag, ihm über das Vorliegen einer BK nach der Nr 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) einen Bescheid zu erteilen.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 1989 lehnte die Beklagte die Entschädigung eines Meniskusschadens als BK ab, weil beim Kläger keine BK der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO vorliege. Bisher seien keine eindeutigen Zeichen für eine berufsbedingte Meniskusschädigung (links) nachgewiesen worden. Im anschließenden Klageverfahren machte der Kläger geltend, die Meniskusschäden sowie arthrotischen Veränderungen der Kniegelenke seien nicht der anlagebedingten O-Bein-Stellung, sondern wesentlich seiner kniestrapazierenden Arbeit als Rangierer anzulasten. Während des Verfahrens wurde im Mai 1990 der rechte Innenmeniskus des Klägers ganz und der Außenmeniskus (rechts) teilweise reseziert. Die histologische Untersuchung ergab schwergradige degenerative Veränderungen und multiple Einrisse des rechten Innenmeniskus sowie eine mäßiggradige chronische fibrosierende Synovialitis des rechten Kniegelenkes.
Das SG hat die Klage abgewiesen und sich auf ein Gutachten des Chirurgen Prof. Dr. B. (H. ) gestützt; hiernach seien die Meniskusveränderungen des rechten Kniegelenkes infolge nicht berufsbedingter arthrotischer Veränderungen des rechten Kniegelenkes entstanden (Urteil vom 11. Januar 1991).
Das Landessozialgericht (LSG) hingegen hat die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Pathologen Prof. Dr. S. (G. ) sowie eines Gutachtens des Orthopäden Prof. Dr. R. (H. ) verurteilt, dem Kläger wegen einer BK der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO in der ab 1. April 1988 geltenden Fassung eine Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente für die Zeit vom 1. Januar 1990 bis zum 31. August 1990 zu gewähren (Urteil vom 14. April 1994). Ein Anspruch auf Entschädigung nach der BKVO bestehe nach der geltenden Übergangsvorschrift des Art 3 Abs 2 Satz 1 der Verordnung zur Änderung der BKVO vom 22. März 1988 (BKVO-ÄndV 1988) dann, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten sei. Als Versicherungsfall im Sinne dieser Übergangsvorschrift sei der Zeitpunkt zu sehen, der in § 551 Abs 3 Satz 2 RVO bestimmt sei. Im vorliegenden Fall sei dabei - weil für den Kläger günstiger - auf den Beginn der durch die Folgen des Meniskusschadens bedingten rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abzustellen. Eine solche habe nach dem Gutachten von Prof. Dr. R. seit der Diagnosestellung eines operationswürdigen Befundes am 15. Januar 1990 vorgelegen, wobei davon auszugehen sei, daß dieser Befund bereits am 1. Januar 1990 bestanden habe. Zwar habe der Kläger die kniebelastende Tätigkeit bereits im Jahre 1975 aufgegeben, und es bestehe nach dem Gutachten von Prof. Dr. R. die Möglichkeit, daß bereits zu diesem Zeitpunkt, wenn auch klinisch stumm, der Meniskus des Klägers degenerativ geschädigt gewesen sei. Dies schließe aber eine Entschädigung nicht aus. Auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei BK rechtssystematisch der Versicherungsfall von dem in § 551 Abs 3 Satz 2 RVO bestimmten Leistungsfall zu trennen sei, sei Art 3 Abs 2 Satz 1 BKVO-ÄndV 1988 dahingehend auszulegen, daß der Versicherungsfall erst dann eingetreten sei, wenn die Entschädigungsvoraussetzungen der BK erfüllt seien, dh der Leistungsfall eingetreten sei. Ansonsten wäre der Versicherungsfall bei BK häufig nicht exakt auszumachen; so insbesondere bei Meniskusschäden, die häufig über längere Zeit klinisch stumm bleiben könnten. Die am rechten Innen- und Außenmeniskus festgestellten Schäden seien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die kniebelastende Tätigkeit des Klägers von 1951 bis 1975 zurückzuführen. Es sei ausreichend, wenn die entschädigungspflichtige Meniskusschädigung mittelbar herbeigeführt worden sei. Für den Kausalzusammenhang zwischen den Meniskusschäden des Klägers und seiner kniebelastenden Tätigkeit spreche der Beweis des ersten Anscheins. Dieser werde weder dadurch erschüttert, daß der Meniskusschaden auf eine körpereigene Disposition zurückgeführt werden könne, noch durch das Intervall von 15 Jahren zwischen der Aufgabe der kniebelastenden Tätigkeit und der arthoskopischen Sicherung des Befundes eines Meniskusschadens.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Rückwirkungsklausel des Art 3 Abs 2 der BKVO-ÄndV 1988. Der Begriff "Versicherungsfall" in dieser Vorschrift sei nicht als "Leistungsfall" zu verstehen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. Juni 1993, SozR 3-2200 § 551 Nr 3). Zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles enthalte die angefochtene Entscheidung aber keine abschließenden Feststellungen. Außerdem habe das LSG die Grenzen des Anscheinsbeweises verkannt. Das Gericht unterstelle den Anscheinsbeweis tragende Erkenntnisse zum Kausalzusammenhang zwischen einer mindestens dreijährigen kniebelastenden Untertagetätigkeit und einem Meniskusschaden und übertrage diese auf die andersartigen Belastungsverhältnisse des Klägers. Selbst wenn im vorliegenden Fall ein Anscheinsbeweis möglich sei, so sei dieser hier doch entkräftet. Im übrigen habe das LSG unter Verstoß gegen die §§ 551 Abs 3 Satz 2, 580 Abs 4 RVO zu Unrecht die Rente am 1. Januar 1990 beginnen lassen, obwohl erst am 15. Januar 1990 ein operationswürdiger Befund festgestellt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1994 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11. Januar 1991 zurückzuweisen; |
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hilfsweise, das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. |
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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II
Die zulässige Revision der Beklagten ist iS einer Zurückverweisung begründet.
Dem LSG ist zwar dahingehend zuzustimmen, daß ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente nicht bereits an der Rückwirkungsklausel des Art 3 Abs 2 der BKVO-ÄndV 1988 scheitert. Denn zur Feststellung, ob der hiernach maßgebende "Versicherungsfall" nach dem 31. Dezember 1976 "eingetreten" ist, ist darauf abzustellen, ob - iS des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO - entweder der Beginn der Krankheit iS der Krankenversicherung, oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach diesem Zeitpunkt liegt (1). Hingegen genügen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zur Entscheidung darüber, daß beim Kläger der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Meniskusschaden des Klägers und seiner beruflichen Belastung besteht (2).
(1) Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSG vom 27. Juli 1989, SozR 2200 § 551 Nr 35) bei BKen der Versicherungsfall von dem in § 551 Abs 3 Satz 2 RVO bestimmten Leistungsfall zu unterscheiden. Nach dieser Vorschrift wird der Beginn und die Berechnung der Entschädigung alternativ durch zwei Ereignisse bestimmt, die von der BK hervorgerufen worden sein müssen, nämlich durch den Beginn der Krankheit iS der gesetzlichen Krankenversicherung oder durch den Beginn der MdE.
Dagegen umschreibt der Versicherungsfall nur das Versicherungswagnis und sagt nichts über die Voraussetzungen aus, die darüber hinaus für einen Anspruch auf Leistung aus der Versicherung erfüllt sein müssen. Bei einer BK ist der Versicherungsfall bei Eintritt eines Gesundheitsschadens dann gegeben, wenn alle Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 1 RVO iVm der Anl 1 zu BKVO erfüllt sind. Dabei werden unter einer Gesundheitsstörung schon Befunde verstanden, die einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand ausweisen, auch wenn noch keine Krankheit iS der Krankenversicherung vorliegt. Damit kann unter Versicherungsfall im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Ereignis im Leben des Versicherten verstanden werden, das bei seinem Eintritt spezifische Nachteile und Gefährdungen für den Versicherten mit sich bringt, gegen die die Versicherung Schutz gewähren soll (BSG aaO). Der Begriff Versicherungsfall umschreibt damit das versicherte Risiko auf Seiten des Versicherten bzw das Wagnis auf Seiten des Versicherungsträgers.
Der Eintritt des Versicherungsfalles muß also nicht mit Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die im Einzelfall in Betracht kommende Leistung zusammenfallen. Versicherungsfall und Leistungsfall sind demnach zu trennen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, Bd II, S 480o IV, Stand: 72. Nachtrag 1989; 490p, 490q, Stand: 58. Nachtrag 1982; Kasseler Komm - Ricke, § 551 RVO RdNr 8, Stand: 1994).
Entgegen der mit der Revision vertretenen Ansicht ist jedoch unter dem Begriff "Versicherungsfall" in der Rückwirkungsklausel des Art 3 Abs 2 BKVO-ÄndV 1988 der Leistungsfall gemäß § 551 Abs 3 Satz 2 RVO zu verstehen. Er entspricht damit nicht dem Begriff "Versicherungsfall" iS des Urteils des 2. Senats vom 27. Juli 1989 (BSG aaO). Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Übergangsvorschrift.
Sämtliche BKVOen ab der 3. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf BKen vom 16. Dezember 1936 (RGBl I, 1117 [3. BKVO]) enthielten entsprechende Übergangsvorschriften. Die Übergangsvorschrift des § 12 Satz 1 der 3. BKVO bezog unter erstmaliger Verwendung des Begriffs "Versicherungsfall" alle nach einem bestimmten Stichtag eingetretenen Versicherungsfälle in den Versicherungsschutz ein. Dabei wurde durch Klammerzusatz auf § 3 Abs 2 Satz 1 der 3. BKVO verwiesen. Hierin liegt eine eindeutige Legaldefinition des Begriffs "Versicherungsfall". Nach § 3 Abs 2 Satz 1 der 3. BKVO aber galt als Zeitpunkt des Unfalls der Beginn der Krankheit iS der Krankenversicherung oder, wenn dies für den Versicherten günstiger war, der Beginn der Erwerbsunfähigkeit iS der Unfallversicherung. Diese Regelung wurde wiederum durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30. April 1963 (BGBl I, 241 [UVNG]) als Satz 2 des § 551 Abs 3 RVO übernommen (vgl Lauterbach, Unfallversicherung, Anm 1 zu § 551 RVO). Die unterschiedliche Formulierung ("Beginn der Erwerbsunfähigkeit" ersetzt durch "Beginn der MdE") brachte keine inhaltliche Änderung, da § 559a Abs 1 RVO idF bis zum UVNG zwischen "völliger Erwerbsunfähigkeit" und "teilweiser Erwerbsunfähigkeit", die zum Bezug einer Teilrente berechtigte, unterschied (vgl auch BSG, Urteil vom 21. November 1958, BSGE 8, 245, 248 f).
Die Übergangsvorschriften der folgenden BKVOen (§ 5 Abs 2 der 4. BKVO vom 29. Januar 1943 [RGBl I, 85]; § 2 Abs 3 der 5. BKVO vom 26. Juli 1952 [BGBl I, 395]; § 4 Abs 2 der 6. BKVO vom 28. April 1961 [BGBl I, 505]; § 9 Abs 1 der 7. BKVO vom 20. Juni 1968 [BGBl I, 721]) bezogen sich weiterhin jeweils darauf, daß der "Versicherungsfall" nach einem bestimmten Stichtag eingetreten sein mußte, verzichteten jedoch auf die Legaldefinition dieses Begriffes durch Klammerzusatz. Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, daß damit eine Änderung beabsichtigt war, bestanden doch die 4. bis 6. BKVO lediglich in Ergänzungen der 3. BKVO, so daß deren § 12 Satz 1 sowie § 3 Abs 2 Satz 1 in Kraft blieben. Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, jeweils in der - bereits ausgesonderten - Fassung des 38. Nachtrags vom August 1972) weist darauf hin, daß die Rückwirkungsvorschrift der 6. BKVO den entsprechenden Vorschriften der 3., 4. und 5. BKVO im wesentlichen nachgebildet ist (aaO S 492b I) und versteht als "Versicherungsfall" iS dieser Vorschriften den Beginn der Krankheit iS der Krankenversicherung oder den Beginn der MdE iS der Unfallversicherung (aaO S 492w II, S 490 I). Auch das BSG hat den Begriff des "Versicherungsfalls" in der Rückwirkungsvorschrift des § 4 Abs 2 der 6. BKVO - unter Hinweis auf § 3 Abs 2 Satz 3 der 3. BKVO und § 551 Abs 3 Satz 2 RVO - in diesem Sinne verstanden und es für zulässig erachtet, als "günstiger" für den Versicherten auch den spätestmöglichen Zeitpunkt zu wählen, wenn sich erst hierdurch ein Leistungsanspruch rechtfertigen läßt (BSG vom 28. April 1967, BSGE 26, 230 = SozR Nr 2 zu § 551 RVO). Die 7. BKVO wiederum hatte lediglich zum Ziel, die BKVO den durch das UVNG geänderten Bestimmungen der RVO anzupassen und lehnte sich in ihrer Übergangsvorschrift (§ 9 Abs 1) an die entsprechende Regelung (§ 4 Abs 2) der 6. BKVO an (BR-Drucks 128/68, Begründung zur 7. BKVO, S 5).
Den Materialien zur BKVO-ÄndV 1988 ist nicht zu entnehmen, daß der Verordnungsgeber von dem damals geläufigen Inhalt des Begriffs "Versicherungsfall" abweichen wollte (BR-Drucks 33/88, Begründung S 9).
Demgegenüber hat der Verordnungsgeber der Entscheidung des BSG vom 27. Juli 1989 (BSG aaO) hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Leistungsfall und Versicherungsfall im BK-Recht (erstmals) mit der Rückwirkungsklausel in der Schlußvorschrift der Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 (BGBl I, 2343 - BKVO-ÄndV 1992) Rechnung getragen. Nach Abs 2 der Schlußvorschrift des Art 2 BKVO-ÄndV 1992 ist nur dann eine neue BK auf Antrag "anzuerkennen", wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist. Demgegenüber hatten die Rückwirkungsklauseln bis zu Art 3 Abs 2 der BKVO-ÄndV 1988 vom 22. März 1988 noch formuliert, daß eine neue BK auf Antrag "entschädigt" wird, wenn der Versicherungsfall nach dem jeweiligen Stichtag eingetreten ist (hierzu Eilebrecht, BG 1993, 187 f). Diese Neufassung der Rückwirkungsklausel steht im vorliegenden Fall (anders als in den Urteilen des 2. Senats vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 - und vom 19. Januar 1995 - 2 RU 13, 14 und 20/94 -) zwar nicht im Streit. Ihr kann jedoch entnommen werden, daß der Begriff des "Versicherungsfalls" bis zur hier einschlägigen Rückwirkungsklausel des Art 3 Abs 2 Satz 1 der BKVO-ÄndV 1988 nach wie vor durch § 551 Abs 3 Satz 2 RVO auszufüllen ist (ebenso Koch in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 2, § 35 RdNrn 23 ff - im Druck -).
Diese Auffassung steht schließlich nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des 2. Senats vom 30. Juli 1993 (BSGE 72, 303 = SozR 3-2200 § 551 Nr 3). Dort hatte sich der 2. Senat zwar mit der im vorliegenden Fall einschlägigen Rückwirkungsklausel des Art 3 Abs 2 Satz 1 der BKVO-ÄndV 1988 auseinanderzusetzen. Eine Differenzierung zwischen Versicherungs- und Leistungsfall war in dieser Entscheidung nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht notwendig, weil beide Ereignisse vor dem maßgebenden Stichtag (1. Januar 1977) eingetreten waren.
Auf dieser Grundlage aber erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der Rückwirkungsklausel des Art 3 Abs 2 Satz 1 BKVO-ÄndV 1988. Denn nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG liegt bei einem Meniskusschaden eine rentenberechtigende (s BSG vom 26. November 1987, SozR 2200 § 551 Nr 31) MdE (erst) vom Tage der Diagnose eines operationswürdigen Befundes vor. Dieser Zeitpunkt liegt im vorliegenden Fall nach dem maßgeblichen Stichtag des 31. Dezember 1976.
(2) Zu Unrecht ist das LSG jedoch davon ausgegangen, daß für den Kausalzusammenhang zwischen den Meniskusschäden des Klägers und seiner kniebelastenden Arbeit der Beweis des ersten Anscheins spreche.
Zwar hat die Rechtsprechung des BSG für die als Berufskrankheit anzuerkennenden Meniskusschäden in der Fassung der Nr 26 der Anlage zur 5. BKVO vom 26. Juli 1952 ("Meniskusschäden bei Bergleuten nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage") bzw der Nr 42 der Anlage zur 6. BKVO vom 28. April 1961 ("Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage" - dieser Wortlaut galt bis zum Inkrafttreten der hier maßgeblichen BKVO-ÄndV 1988 fort) die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis befürwortet. Ein Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen versicherter Tätigkeit und schädigender Einwirkung ist insoweit hiernach gegeben, wenn der Versicherte während seiner Untertagetätigkeit mindestens drei Jahre regelmäßig (a) irgendeine Tätigkeit in hokender, knieender oder liegender Körperhaltung verrichtet oder (b) in schräger Lage in niederen (geringmächtigen) Flözen gearbeitet hat (BSG, vom 21. November 1958, BSGE 8, 245, 247; ebenso BSG, vom 21. Februar 1980 - 5 RKnU 4/79 -, Meso B 240/79 S 563 [wenn aaO bei der 2. Aufführung dieser Beweisregel - S 563 unten - zwischen den Worten "in schräger Lage" und "in geringmächtigen Flözen" ein weiteres "oder" eingeschoben ist, so kann dies allenfalls als Versehen gewertet werden, da nichts dafür spricht, daß jenes Urteil die Beweisanforderungen mildern wollte]; diese Rechtsprechung wird vereinfachend dargestellt in den Urteilen vom 24. August 1978, SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1 S 2 und vom 27. November 1986, SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 S 2).
Das LSG hat auf dieser Grundlage für die Annahme der Anwendbarkeit der Grundsätze über den Anscheinsbeweis auch im vorliegenden Fall ausreichen lassen, daß - nach Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. - die Belastungen des Klägers als Rangierer "der Arbeit eines Bergmanns in geringmächtigen Flözen" hinsichtlich ihrer Kniebelastung "vergleichbar" seien. Diese Gleichstellung kann jedoch von vornherein keinen Anscheinsbeweis zum Meniskusschaden bei Rangiertätigkeiten begründen. Denn, wie oben ausgeführt, setzt die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises bei einem Meniskusschaden aufgrund eines Untertage-Einsatzes nicht lediglich eine Tätigkeit in niederen (geringmächtigen) Flözen voraus, sondern eine Arbeit "in schräger Lage in niederen (geringmächtigen) Flözen", enthält also eine zusätzliche, einschränkende, Voraussetzung. Daß die Belastung eines Rangierers auch insoweit gleichgestellt werden könne, hat das LSG nicht festgestellt.
Schon aus diesem Grunde aber erweist sich das Berufungsurteil als fehlerhaft. Denn seine Feststellungen vermögen eine Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht zu stützen.
Dabei kann der Senat offenlassen, ob - zB angesichts der zunehmenden Technisierung der Arbeit unter Tage (gegenüber den Zeiträumen 1919 - ca 1953 bzw auch 1947 - ca 1977, die das BSG in seinen Urteilen vom 21. November 1958 bzw 21. Februar 1980 zu beurteilen hatte) - der entsprechende Anscheinsbeweis auch auf die heute maßgeblichen Verhältnisse angewendet werden kann und sich daher überhaupt zur Erweiterung in der Weise eignet, daß man entsprechende berufliche Belastungen "gleichstellt". Gegen eine solche Vorgehensweise spricht auch, daß die BK Nr 2102 idF der BKVO-ÄndV 1988 nicht lediglich einen Entschädigungs-Tatbestand für Untertage- auf Übertage-Tätigkeiten ausgedehnt hat. Vielmehr haben sich mit dieser Neufassung der BK Nr 2102 die vom Verordnungsgeber vorausgesetzten typischen, als meniskusschädigend angesehenen Tätigkeiten erweitert: Es kommt nicht mehr allein auf Arbeiten in belasteter Dauerzwangshaltung an (statische Belastung - s die dem oben erläuterten Anscheinsbeweis zugrundeliegende Begründung zur 5. BKVO - BR-Drucks 194/52; Mehrtens/Valentin/Schönberger, Arbeitsunfall und BK, 5. Aufl 1993, S 595), sondern auch auf Kniebelastungen durch häufig wiederkehrende Bewegungsbeanspruchung (dynamische Belastung - s die Begründung zur BKVO-ÄndV 1988, BR-Drucks 33/88, S 5; Pressel, ASPMed 1988, 303, 304). Diese aber stehen beim Beruf eines Rangierers im Vordergrund (Pressel aaO).
Bei dieser Ausgangslage kann der Senat offenlassen, ob der Anscheinsbeweis für Meniskusschäden bei Untertage-Tätigkeit nach Inkrafttreten der BKVO-ÄndV 1988 noch anwendbar ist (hierzu Mehrtens/Valentin/Schönberger, Arbeitsunfall und BK, 5. Aufl 1993, S 598 f). Er braucht erst recht nicht auf die Einwände einzugehen, daß dieser bereits 1958, im Zeitpunkt seiner Begründung, auf unzureichender Grundlage beruht habe (so Bonnermann, SGb 1991, 90, 91).
Auch in anderer Hinsicht vermag der Senat keinen Erfahrungssatz aufzustellen, der die Anwendung der Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins ermöglichen könnte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, daß die Begründung zur BKVO-ÄndV 1988 (BR-Drucks 33/88, S 5) ua ausdrücklich "Rangierarbeiter" als Berufsgruppe für Tätigkeiten mit überdurchschnittlicher Kniebelastung nennt. Denn insofern fehlen nicht nur Feststellungen darüber, ob die Tätigkeit des Klägers bei den Zechenbahn-Betrieben jener entsprochen hat, die der Verordnungsgeber insoweit im Auge hatte. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob den zitierten Ausführungen in der Begründung der ÄndV im Sinne eines Erfahrungssatzes zu Belastung und Kausalität gefolgt werden kann, hat doch eine Untersuchung ergeben, daß Rangierer nicht häufiger an chronischen Meniskusschäden litten als zB Ladearbeiter (Pressel, Der chronische Meniskusschaden als BK, Druck: Bau-BG, Frankfurt am Main 1985, S 71 ff, 89, dort - S 61 ff - auch eingehende Ausführungen zur Kniebelastung von Rangierern).
Dann aber kann auch erst recht nicht allein aus dem Umstand, daß beim Kläger, wie vom LSG festgestellt, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr 2102 erfüllt sind, auf das Vorliegen eines Anscheinsbeweises zugunsten des ursächlichen Zusammenhangs seines Meniskusschadens mit der versicherten Tätigkeit geschlossen werden. Entsprechend hat bereits das BSG bei der BK "Meniskusschäden nach ... Tätigkeit unter Tage" für die Anwendung des Anscheinsbeweises nicht die reine Untertage-Tätigkeit genügen lassen, da insoweit vielfältige Einsatzmöglichkeiten ohne die insoweit vorausgesetzte statische Kniebelastung denkbar sind (Anschläger, Lokomotivfahrer). Auch dann, wenn - nach § 551 Abs 1 Satz 2 RVO idF des UVNG - in die BK-Liste nur solche Krankheiten aufgenommen werden dürfen, "die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind", kann dies nicht die Feststellung im Einzelfall ersetzen, daß der Versicherte diese Krankheit "bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten" erlitten hat (§ 1 BKVO). Die Prüfung der Kausalität darf jedoch nicht dazu führen, auf diesem Wege die Entscheidungen des Verordnungsgebers zu korrigieren, Meniskusschäden in die Liste der BKen aufzunehmen und sie nach Gewinnung ausreichend neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft auch auf Tätigkeiten über Tage zu erweitern. Denn die Aufnahme oder Nichtaufnahme von Krankheiten in die Liste der BKen unterliegt als Rechtsetzungsakt nur in begrenztem Rahmen der gerichtlichen Nachprüfung dahingehend, ob das Ermessen pflichtgemäß dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt worden ist. Mit der Aufnahme einer Krankheit in die BK-Liste wird die Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und die Erkrankung als solche für entschädigungswürdig befunden. Davon zu unterscheiden ist die Verursachung der Krankheit durch die gefährdende Tätigkeit im konkreten Einzelfall.
Zwar mag die Aufstellung von Erfahrungssätzen, die geeignet sind, einem Anscheinsbeweis zugrunde zu liegen, als Feststellung genereller Tatsachen ("legislative facts") auch in der Revisionsinstanz vorgenommen werden können (vgl Rauscher, SGb 1986, 45, 47 f sowie zB - jeweils zu Promille-Grenzen im Strafrecht -BGH vom 22. November 1990, BGHSt 37, 231, 234; BGH vom 28. Juni 1990, BGHSt 37, 89; BGH vom 9. Dezember 1966, BGHSt 21, 157, 159; zur Pflicht der Tatsacheninstanzen, vom Revisionsgericht aufgestellte technische Erfahrungssätze zu überprüfen: BGH vom 27. Oktober 1981, NJW 1982, 1049, 1050). Die hierfür erforderlichen Ermittlungen sind im vorliegenden Fall jedoch untunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dies gilt einerseits angesichts der geringen Höhe der streitigen Leistungen (Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente für neun Monate) und andererseits der Möglichkeit, den vorliegenden Fall bereits auf der Grundlage der Theorie der wesentlichen Bedingung zu lösen.
Dem Senat kann jedoch nicht die Überprüfung der Feststellungen des LSG dahingehend obliegen, ob diese auch ohne Zuhilfenahme des Anscheinsbeweises als Voraussetzung für die Anerkennung des Meniskusschadens am rechten Knie des Klägers - im Sinne des § 170 Abs 1 Satz 2 SGG - eine Entscheidung über die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs des Körperschadens mit der versicherten Tätigkeit ermöglichen. Denn hiervon ist das LSG gerade nicht ausgegangen; es würdigt vielmehr die weiteren, von den Sachverständigen als mögliche Ursachen des Meniskusschadens des Klägers diskutierten Umstände (arthrotische Veränderungen/O-Bein-Stellung) lediglich unter dem Gesichtspunkt, ob diese imstande sind, den Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern. Damit kann der Senat auch dahingestellt lassen, ob die Ausführungen von Prof. Dr. R. , die O-Bein-Stellung hätte genau diese Verschleißerscheinungen und Meniskusdegeneration verursachen können, wenn der Kläger nicht als Rangierer tätig gewesen wäre, mit dem LSG als "hypothetische Abläufe einbeziehende Sicht" angesehen werden können oder bei der Bewertung der Kausalität zu berücksichtigen sind.
Bei dieser Ausgangslage kann schließlich unentscheiden bleiben, ob das LSG bei seiner Annahme, bereits ab 1. Januar 1990 habe eine rentenberechtigende MdE von 20 vH vorgelegen, die von der Revision insoweit gerügten Vorschriften materiellen Rechts verletzt hat oder ob sich das LSG insoweit lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 128 SGG) bewegt hat.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen