Entscheidungsstichwort (Thema)
"Zur Zeit des Todes des Versicherten"
Leitsatz (amtlich)
Die letzte Alternative im RVO § 1265, "wenn er im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat", bezieht sich auf Unterhaltsleistungen, die der Versicherte seiner früheren Ehefrau freiwillig gewährt hat.
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Prüfung der Verhältnisse, wie sie "zur Zeit des Todes" des Versicherten bestanden haben, sind nicht nur die Verhältnisse im Todesmonat selbst zu berücksichtigen. Ausfälle in den Unterhaltsleistungen etwa bis zu 1 Jahr sind als unwesentlich anzusehen; dabei kann die Jahresfrist jedoch nur als loser Anhalt dienen.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 27. November 1958 wird aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. Mai 1958 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin erstrebt Hinterbliebenenrente als geschiedene Frau. Ihr früherer Ehemann hat der Rentenversicherung der Angestellten angehört. Bei seinem Tode im Juni 1954 war die Versicherung geordnet.
Die Ehe wurde 1949 geschieden; der Versicherte war allein schuldig. 1948 wurde der Versicherte, der bereits damals von seiner Frau getrennt lebte, zu einer Unterhaltsrente an die Klägerin von 45.- DM monatlich verurteilt (Urteil des Landgerichts Schwerin vom 21.10.1948). Dieses Urteil wurde unter Abwägung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin und des Versicherten mit Wirkung von August 1953 an aufgehoben (Urteil des Kreisgerichts Grevesmühlen vom 5.10.1953). Bis dahin, also bis einschließlich Juli 1953, hat der Versicherte Unterhalt geleistet.
Die Beklagte lehnte 1955 einen Rentenantrag der Klägerin ab, weil nach ihrer Ansicht die nach dem damals geltenden Recht erforderliche Voraussetzung für die Gewährung einer Rente an die geschiedene Frau, nämlich eine auf dem Ehegesetz beruhende Unterhaltspflicht des Versicherten z.Zt. seines Todes (§ 28 AVG a.F., § 1256 Abs. 4 RVO a.F.), nicht erfüllt war. Dieser Bescheid wurde bindend.
Im Mai 1957 wiederholte die Klägerin ihren Rentenantrag. Sie begründete ihn nunmehr - gestützt auf das inzwischen in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten vom 23. Februar 1957 (AnVNG) - damit, daß ihr der Versicherte noch im letzten Jahr vor seinem Tode, nämlich im Juli 1953, Unterhalt geleistet habe; diese Tatsache reiche nach dem neuen, ihr günstigeren Recht (§ 42 AVG n.F.) zur Rentengewährung aus. Der Antrag bei der Beklagten und die nachfolgende Klage beim Sozialgericht (SG) Lübeck blieben ohne Erfolg (Bescheid vom 5.12.1957, Urteil vom 27.5.1958). Dagegen verpflichtete das Landessozialgericht (LSG) Schleswig die Beklagte, der Klägerin von Mai 1957 an Hinterbliebenenrente zu gewähren. Das Gericht ging davon aus, daß der Versicherte der Klägerin bei seinem Tode keinen Unterhalt mehr zu leisten hatte. Wohl habe er aber noch im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet, wenn auch nur einmal und nur im ersten Monat des dem Tode vorhergehenden Jahres. Mit dieser Zahlung seien die Rentenvoraussetzungen erfüllt. Nach dem Wortlaut des § 42 AVG n.F. komme es auf die Häufigkeit der Unterhaltsleistungen durch den Versicherten im letzten Jahr vor dessen Tode nicht an; auch eine einmalige Unterhaltsleistung genüge, um den gesetzlichen Tatbestand zu erfüllen. Das LSG ließ die Revision zu (Urteil vom 27.11.1958).
Die Beklagte legte gegen das ihr am 19. Januar 1959 zugestellte Urteil des LSG am 6. Februar 1959 Revision ein mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Sie begründete die Revision am 18. März 1959 mit der Rüge, das Berufungsgericht habe § 42 AVG n.F. unrichtig ausgelegt; zur Gewährung einer Rente an die frühere Frau reiche es nicht aus, wenn der Versicherte innerhalb des Jahreszeitraumes irgendwann einmal Unterhalt geleistet habe; der Jahreszeitraum müsse vielmehr kontinuierlich, zumindest jedoch überwiegend mit Unterhaltsleistungen gedeckt sein.
Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die Klägerin beansprucht in diesem Rechtsstreit Rente nur für Zeiten nach dem Inkrafttreten des AnVNG. Die Beklagte hat ihr trotz des bindend gewordenen Ablehnungsbescheids aus dem Jahre 1955 mit Recht 1957 einen neuen Bescheid erteilt und den Rechtsweg eröffnet, weil sie nach dem Inkrafttreten des AnVNG auf einen entsprechenden Antrag hin verpflichtet war zu prüfen, ob die Vorschriften des neuen Rechts gegenüber dem früheren ein für die Klägerin günstigeres Ergebnis gestatten (Art. 2 §§ 43, 18 AnVNG). Das tun sie jedoch nicht.
Die geschiedene Frau eines Versicherten hat nach dessen Tode, falls die Wartezeit erfüllt ist oder als erfüllt gilt, dann einen Anspruch auf Rente, wenn entweder ihr der Versicherte z.Zt. seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (§ 42 AVG n.F.). Nach dieser Vorschrift gibt es zwei Alternativen, einer geschiedenen Frau Hinterbliebenenrente gewähren zu können, wobei bei der ersten wiederum zwei Möglichkeiten unterschieden werden. Im Schrifttum (vgl. Niemann, Die Sozialversicherung, 1960 S. 133) wird in diesem Zusammenhang wohl deshalb von drei Alternativen gesprochen, was jedoch nach der Wortfassung des Gesetzes und seinem Inhalt ungenau erscheint. Die erste Alternative beruht auf der bis zur Zeit des Todes hin wirksamen Pflicht des Versicherten zur Unterhaltsleistung gegenüber der geschiedenen Frau. Durch die sprachliche Zusammenfassung der Unterhaltspflicht "aus sonstigen Gründen" mit der "nach den Vorschriften des Ehegesetzes" kann der Grund für die jeweilige Unterhaltspflicht sowohl in den Vorschriften des Ehegesetzes als auch in anderen gesetzlichen und außergesetzlichen Rechtsgrundlagen (vgl. z.B. BSG 8 S. 24; 11 S. 99) liegen. Wesentlich für die erste Alternative ist jedenfalls eine Unterhaltspflicht. Die beiden dafür im Gesetz genannten Möglichkeiten, nämlich "Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes" und "Unterhalt ... aus sonstigen Gründen" ergänzen einander und umfassen zusammen die Unterhaltsverpflichtungen. Auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung kommt es hierbei nicht an, es genügt, wenn der Versicherte "Unterhalt ... zu leisten hatte". Die zweite Alternative ist dagegen auf eine tatsächliche Unterhaltsgewährung durch den Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode abgestellt. Weil nun bereits die Unterhaltsleistungen, die auf einer Unterhaltspflicht beruhen, von der ersten Alternative erfaßt sind, bleiben für die zweite Alternative sinnvoll nur die - im Rechtssinn - freiwilligen Unterhaltsleistungen übrig. Durch die zweite Alternative soll der ohne Unterhaltsverpflichtung freiwillig gewährte Unterhalt berücksichtigt werden. Sie kann dann zum Zuge kommen, wenn die erste nicht gegeben ist, und scheidet aus, wenn die Unterhaltsleistungen in Erfüllung einer Rechtspflicht erbracht wurden (im Ergebnis ebenso: BSG 5, S. 179, 185; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl. S. 688 f.; Niemann, Die Sozialversicherung, 1960 S. 133). Die beiden Alternativen unterscheiden sich weiter dadurch, daß die erste eine Pflicht zur Unterhaltsleistung "zur Zeit des Todes" des Versicherten voraussetzt, während die zweite die freiwillige Unterhaltsleistung "im letzten Jahr vor seinem Tode" verlangt. Unter der "Zeit des Todes" ist wohl grundsätzlich ein engerer Zeitraum zu verstehen als der des "Jahres vor dem Tode", doch ist sie nicht auf den Todesmonat beschränkt und kann, wie der Senat schon früher ausgeführt hat (BSG 3 S. 197, 200), in Ausnahmefällen auch eine Zeitspanne bis zu einem Jahr umfassen.
Nach der Feststellung des LSG hat der Versicherte der Klägerin zuletzt für Juli 1953 Unterhalt geleistet. Zu dieser Zahlung war er verpflichtet; das Urteil des Kreisgerichts Grevesmühlen von Oktober 1953 bestätigt für Juli 1953 ausdrücklich eine Unterhaltspflicht, deren Rechtsgrundlage in dem - damals auch in der sowjetischen Besatzungszone geltenden - Ehegesetz von 1946 zu suchen ist, wenn dieses Gesetz in dem Urteil auch nicht ausdrücklich zitiert wird. Der Versicherte ist mit dieser letzten Zahlung nur seiner Verpflichtung nachgekommen. Seine Leistung ist also nicht freiwillig erfolgt, wie es die zweite Alternative des § 42 AVG n.F. verlangt. Wegen der fehlenden Freiwilligkeit kann die Klägerin einen Rentenanspruch auf diesen Teil der Vorschrift des § 42 AVG n.F. nicht stützen. Es braucht deshalb in diesem Rechtsstreit nicht geprüft und entschieden zu werden, ob zur Rentengewährung auf Grund der zweiten Alternative des § 42 AVG n.F., wie das LSG meint, eine einmalige Unterhaltsleistung in dem Jahreszeitraum ausreicht oder ob, wie die Beklagte vorträgt, das Jahr vor dem Tode des Versicherten kontinuierlich oder wenigstens überwiegend mit Unterhaltszahlungen gedeckt sein muß.
Die erste Alternative des § 42 kann, wie schon das LSG ausgeführt hat und wogegen die Beteiligten keine Einwendungen erhoben haben, deswegen nicht zu Gunsten der Klägerin angewendet werden, weil für den Versicherten z.Zt. seines Todes der Klägerin gegenüber keine Verpflichtung mehr zur Leistung von Unterhalt vorlag; das Unterhaltsurteil war auch aus diesem Grunde aufgehoben worden, und zwar bereits mit Wirkung von August 1953 an. Im Juni 1954 bestand daher keine Unterhaltspflicht mehr. Bei der Prüfung der Verhältnisse, wie sie "zur Zeit des Todes" des Versicherten bestanden haben, sind nun nicht nur die Verhältnisse im Todesmonat selbst zu berücksichtigen. Je nach der Lage des Einzelfalls dürfen bei Unterbrechungen und Verzögerungen in den Unterhaltsleistungen Ausfälle etwa bis zu einem Jahr als unwesentlich angesehen werden (BSG 3, S.197, 200). Dabei kann diese Jahresfrist jedoch nur als loser Anhalt dienen. Hatten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten schon längere Zeit vor seinem Tode verschlechtert und die der geschiedenen Frau in der Weise gefestigt, daß der Versicherte künftig für jede Unterhaltsleistung ausfiel, und war seine Lage bis zu seinem Tode unverändert geblieben, dann kann im Hinblick auf unterbliebene Unterhaltsleistungen nicht mehr von nur vorübergehenden Unterbrechungen und Verzögerungen, die ihrer Natur nach irgendwie zeitlich beschränkt sind, gesprochen werden, vielmehr hatte der Versicherte dann "zur Zeit des Todes" keinen Unterhalt zu leisten. Im vorliegenden Rechtsstreit haben sich die Verhältnisse des Versicherten und der Klägerin, wie sie beim Tode des Versicherten im Juni 1954 vorlagen, bereits im August 1953, also elf Monate vor dem Tode, stabilisiert; Gründe, die es rechtfertigen könnten, ausnahmsweise von den Verhältnissen einer noch vorher liegenden Zeit auszugehen, sind weder von den Beteiligten geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich. Das LSG hat deshalb mit Recht angenommen, daß beim Tode des Versicherten kein Unterhaltsanspruch der Klägerin bestand. Dieses Ergebnis wird auch dem Wesen der Rente für eine geschiedene Frau gerecht. Diese Hinterbliebenenrente hat Unterhaltsfunktion; sie soll einen Ersatz bieten für den Wegfall entweder der Unterhaltsverpflichtung oder der Unterhaltsleistungen des Versicherten bei dessen Tode (vgl. Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, S. 128). Steht deshalb schon längere Zeit vor dem Tode des Versicherten fest - im vorliegenden Rechtsstreit durch ein gerichtliches Urteil bekräftigt -, daß Unterhaltsleistungen nicht mehr geleistet zu werden brauchen, dann verschlechtert sich durch den Tod des Versicherten die wirtschaftliche Lage der geschiedenen Frau nicht; ein Ausgleich beim Todesfall durch eine Hinterbliebenenrente ist weder geboten noch gerechtfertigt. Bei einer anderen Entscheidung würde die Klägerin für etwas entschädigt, das sie nicht durch den Tod oder eine dem Tode unmittelbar voraufgegangene Krankheit des Versicherten verlor, sondern das ihr vorher durch Urteil abgesprochen wurde.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen