Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblichkeit deutschen Rechts
Leitsatz (redaktionell)
Die Frage, ob die Versicherung iS des letzten Halbs des RVO § 1263 aF vorher bestanden hat, muß sich nach deutschem Recht richten. Hierbei ist aber LeistungsverbesserungsG RV 1941 § 3 vom 1941-07-24 (RGBl 1, 443) zu beachten.
Normenkette
RVO § 1263 Fassung: 1949-06-17; RVLeistungsVerbG § 3 Fassung: 1941-07-24; RVLeistungsVerbG 1941 § 3 Fassung: 1941-07-24
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. September 1958 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit es die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1958 betrifft.
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der im Jahre 1900 geborene Kläger war früher selbständiger Landwirt in Ungarn. Dort will er von 1913 bis 1929 mit Unterbrechungen versicherungspflichtig tätig gewesen sein, zuletzt in den Wintermonaten 1927/28 und 1928/29 als Saisonarbeiter in der Zuckerfabrik G. Als selbständiger Landwirt hat er keine freiwilligen Beiträge zur ungarischen Sozialversicherung geleistet. 1946 wurde er aus Ungarn vertrieben. Im Bundesgebiet war er bis Anfang April 1952 mit Unterbrechungen invalidenversicherungspflichtig beschäftigt. Hierüber liegen die Quittungskarten Nr. 1 und 2 vor.
Am 24. Mai 1952 beantragte der Kläger die Gewährung von Invalidenrente. Durch Bescheid vom 29. März 1954 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, daß nach den vorhandenen Quittungskarten nur insgesamt 45 rechtswirksame Monatsbeiträge nachgewiesen seien. Von den Beschäftigungszeiten in Ungarn könnten nur die nach dem 1. Januar 1929 liegenden angerechnet werden, weil erst zu diesem Zeitpunkt dort die Sozialversicherung eingeführt worden sei. Die Wartezeit sei damit nicht erfüllt, so daß ein Rentenanspruch nicht gegeben sei.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei vom 1. Oktober 1944 an Soldat bei einer SS-Einheit gewesen und habe sich anschließend bis zum 2. Oktober 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft befunden. Diese Zeit müsse ihm als Ersatzzeit gutgebracht werden. Außerdem habe er noch von Oktober bis Dezember 1946 bei der Firma R & S in W gearbeitet. Dort seien für ihn weitere Versicherungsbeiträge geleistet worden. Im übrigen sei die Wartezeit bei ihm schon deshalb erfüllt, weil er am 9. Juni 1950 einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall erlitten habe, durch den er invalide geworden sei. Schließlich sei die Wartezeit auch nach der Umsiedlerverordnung vom 19. Juni 1943 als erfüllt anzusehen.
Die Beklagte hat demgegenüber im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) vorgebracht, selbst wenn man unterstelle, daß der Kläger tatsächlich entsprechend seinen Angaben bis zum 31. März 1929 in der Zuckerfabrik G beschäftigt gewesen sei, dürfte auf Grund der in der letzten Zeit gemachten Erfahrungen sowie mit Rücksicht darauf, daß seinerzeit die Sozialversicherung in Ungarn sich erst im Entwicklungsstadium befunden habe, anzunehmen sein, daß keine Beiträge abgeführt worden sind. Somit könne auch die nachträglich nachgewiesene Kriegsdienstzeit und die anschließende Kriegsgefangenschaft nicht berücksichtigt werden.
Das SG. Nürnberg hat die Klage durch Urteil vom 28. September 1955 abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, daß selbst bei Berücksichtigung weiterer Beitragsleistungen während der Beschäftigungen bei der Firma R & S sowie bei J M und bei Anrechnung von ungarischen Beiträgen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1929 insgesamt nur 47 Beitragsmonate nachgewiesen seien. Der Wehrdienst komme als Ersatzzeit nicht in Betracht, da der Kläger durch ihn nicht an der Leistung weiterer Versicherungsbeiträge gehindert worden sei. Die Invalidität sei auch nicht durch den Unfall vom 9. Juni 1950 verursacht worden. Da somit die Wartezeit nicht erfüllt sei, bestehe kein Anspruch auf Rente.
In seiner Berufung hat sich der Kläger erneut auf den von ihm geleisteten Wehrdienst bezogen, ferner darauf, daß für ihn als Flüchtling § 1251 Abs. 1 Nr. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF anzuwenden sei.
Hierzu hat die Beklagte vorgebracht, auch nach ungarischem Recht sei nicht versicherungspflichtig gewesen, wer nur eine Nebenbeschäftigung ausgeübt habe. Die Tätigkeit des Klägers in der Zuckerfabrik sei damals für ihn als selbständigen Bauern eine Nebenbeschäftigung (Saisonarbeit) gewesen, die eine Versicherungspflicht nicht begründet habe. Damit könne aus diesem Grunde die spätere Kriegsdienstzeit und die Zeit der Kriegsgefangenschaft nicht angerechnet werden, so daß nach wie vor die Wartezeit nicht erfüllt sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf Grund des inzwischen in Kraft getretenen Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 auf den entsprechend eingeschränkten Klageantrag hin die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Januar 1957 zu gewähren. Es hat festgestellt, der Versicherungsfall der Invalidität sei im Jahre 1952 eingetreten. Damals hätten selbst bei Unterstellung einer Beitragsleistung zur ungarischen Sozialversicherung für die drei Kalendermonate vom Januar bis März 1929 höchstens 49 Beitragsmonate vorgelegen. Damit sei die Wartezeit für die begehrte Rente noch nicht erfüllt gewesen. Der Kläger sei aber Vertriebener i. S. des § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO nF. Diese Vorschrift gelte auch für alte Versicherungsfälle, d. h. für Versicherungsfälle vor dem Inkrafttreten des ArVNG. Danach seien noch 19 Monate Ersatzzeit anzurechnen, nämlich je 12 Kalendermonate für die Jahre 1945/46, von denen jedoch die bereits berücksichtigten Versicherungszeiten bei der Firma R & S mit zwei Monaten und die bei ... G mit 3 Monaten abgingen, so daß noch 19 Monate Ersatzzeit blieben. Hierdurch sei bei 44 sicher nachgewiesenen Beitragsmonaten bereits eine Versicherungszeit von insgesamt 63 Monaten belegt und die Wartezeit nach neuem Recht erfüllt, so daß der Rentenanspruch vom 1. Januar 1957 an gegeben sei. Unter diesen Umständen brauche nicht mehr geprüft zu werden, ob der Kläger in Ungarn sozialversichert gewesen sei und ob damit die Kriegsdienstzeit als Ersatzzeit zu berücksichtigen sei.
Im Urteil ist die Revision zugelassen. Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie ist lediglich bereit, dem Kläger auf Grund des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) Versichertenrente vom 1. Januar 1959 an zu zahlen, und beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 9. September 1958 insoweit aufzuheben, als es den Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1958 betrifft.
Zur Begründung führt sie aus, § 1251 RVO nF gelte entgegen der Auffassung des LSG nicht für alte Versicherungsfälle. Die vom Kläger behaupteten ungarischen Versicherungszeiten könnten auch nicht als glaubhaft gemacht anerkannt werden. Damit entfalle die Anrechenbarkeit der Kriegsdienstzeit nach § 1263 RVO aF ebenfalls.
Hiermit ist der Kläger nicht einverstanden. Er hält das angefochtene Urteil für richtig und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet sowie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Sie mußte auch im wesentlichen Erfolg haben. Das LSG durfte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Rente vom 1. Januar 1957 an nicht auf § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO nF stützen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - vgl. ua BSG 9, 92; 10, 151 - gilt die neue Ersatzzeitenregelung nur für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen, die seit dem Inkrafttreten des ArVNG (1. Januar 1957) eingetreten sind. Für frühere Versicherungsfälle ist § 1251 RVO auch nicht auf dem Wege über Art. 2 § 8 Satz 1 ArVNG i. V. m. den §§ 1249 und 1250 RVO anwendbar. Nach der Rechtsprechung des BSG ergeben der Wortlaut, Zweck und Sinnzusammenhang der genannten Vorschrift, daß Art. 2 § 8 ArVNG nur auf § 1249 RVO hinweist, nicht aber zugleich über die Klammerzusätze in den §§ 1249, 1250 RVO auf die Ersatzzeitenregelung in § 1251 RVO. Die zuletzt erwähnte Vorschrift findet deshalb auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 liegen, keine Anwendung (vgl. BSG 9, 92). Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat angeschlossen (12/3 RJ 60/59 vom 30. Mai 1962). Ihr folgt im übrigen nunmehr das Bayerische LSG ebenfalls (Urt. v. 14.7.1961, Amtsbl. d. Bayer. Staatsmin. f. Arbeit und soz. Fürs. 1962 S. B 9). Auch die Umsiedlerverordnung vom 19. Juni 1943 (RGBl I 375) vermag die Verurteilung nicht zu rechtfertigen. Der Kläger ist nicht Umsiedler im Sinne dieser Verordnung, sondern erst nach dem Kriege aus Ungarn vertrieben worden.
Der Kläger kann sich jedoch möglicherweise, was das LSG dahingestellt gelassen hat, auf § 1263 Nr. 3 RVO aF berufen. Danach gelten als Ersatzzeiten für die Erfüllung der Wartezeit ua. Zeiten, in denen der Versicherte in Mobilmachungs- oder Kriegszeiten dem Deutschen Reich Kriegs-, Sanitäts- oder ähnliche Dienste geleistet hat, wenn die Versicherung vorher bestanden hat. Dabei ist das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I 848) zu berücksichtigen. Nach dessen § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 werden in den Rentenversicherungen die bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung i. S. des § 1 Abs. 2 FAG zurückgelegten oder von ihm zu berücksichtigenden Versicherungszeiten (Beitrags- oder Ersatzzeiten) für Wartezeit und Anwartschaft, für die Rentenberechnung und das Recht auf freiwillige Versicherung wie die in den Rentenversicherungen im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet. Dies gilt für Beitragszeiten ohne Rücksicht darauf, ob sie nach Bundesrecht anrechenbar waren, für Ersatzzeiten jedoch nur, soweit sie nach dem Bundesrecht anrechenbar sind. Aus dieser völligen Gleichstellung fremder und bundesrechtlicher Beitragszeiten ergibt sich, daß die nach Bundesrecht, also nach den §§ 1263, 1267, 1268 RVO aF und den einschlägigen Sonderbestimmungen zu berücksichtigenden Ersatzzeiten auch dann anzurechnen sind, wenn sie auf die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 zu berücksichtigende fremde Beitragszeit folgen. Umgekehrt können aber Ersatzzeiten, die nach Bundesrecht nicht angerechnet werden - zB Kriegsdienstzeiten in der ungarischen Wehrmacht - weder für die Wartezeit noch für die Rentenberechnung angerechnet werden (vgl. VerbKomm. 5. Aufl. § 4 FAG Anm. 3). Mithin muß sich hiernach die Frage, ob die Versicherung im Sinne des letzten Halbsatzes des § 1263 RVO aF vorher bestanden hat, ebenfalls nach deutschem Recht richten. Hierbei ist aber § 3 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl I 443) zu beachten, wonach die Anwartschaft aus allen Beiträgen, die für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahres entrichtet sind, als erhalten galt, sofern nicht der Versicherungsfall bereits vor dem 26. August 1939 eingetreten war. Schon hiernach hätte somit der Kläger, falls Anfang des Jahres 1929 einige Beiträge zur ungarischen Rentenversicherung für ihn entrichtet worden sein sollten, z. Zt. seiner Einberufung noch versichert gewesen sein können (BSG 4, 186, 189; 9, 43, 46; 10, 150; 11, 295, 297). Damit erübrigte sich eine Stellungnahme zu dem oben erwähnten Urteil des Bayerischen LSG vom 14.7.1961, wonach bei in der Zeit vom 1.4.1945 bis 31.12.1956 eingetretenen Versicherungsfällen eine Versicherung im Sinne des § 1263 RVO aF vor Beginn der etwaigen Wartezeit stets bereits dann bestanden hat, wenn bei Beginn ein nach § 1249 RVO nF anrechenbarer Beitrag vorhanden ist.
Das LSG hat bisher jedoch keine Feststellungen darüber getroffen, ob für den Kläger tatsächlich Anfang des Jahres 1929 einige Beiträge zur ungarischen Sozialversicherung abgeführt worden sind und ob er später dem Deutschen Reich Kriegsdienste geleistet hat.
Somit mußte die Sache nach § 171 Abs. 2 SGG zur Nachholung dieser Feststellungen und zu neuer Verhandlung und Entscheidung hinsichtlich der noch streitigen Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1958 an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
Dabei wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen