Leitsatz (redaktionell)

Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR nach FinÄndG 1967 Art 3 § 3.

Eine Befreiung nach FinÄndG 1967 Art 3 § 3 kommt auch dann in Betracht, wenn über den Rentenantrag sowie über den Antrag auf den Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4 S 2 erst nach dem 1968-01-01 entschieden wurde, die Rente und der Beitragszuschuß aber von einem vor dem 1968-01-01 liegenden Zeitpunkt an gewährt wird.

 

Normenkette

FinÄndG 1967 Art. 3 § 3 Fassung: 1967-12-21; RVO § 381 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1956-06-12, § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 173a Abs. 1 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. September 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechte aus der Mitgliedschaft zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Kläger sind die Erben der am 2. November 1897 geborenen und am 12. April 1973 gestorbenen Chemikerin Dr. Marie S (Versicherte). Diese war seit 1949 bei einem Krankenversicherungsunternehmen voll versichert. Sie beantragte am 27. November 1967 bei der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Gewährung des Altersruhegeldes und im Zusammenhang damit auch die Zahlung eines Beitragszuschusses nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach dem Erlaß des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (FinÄndG; BGBl I 1259) beantragte sie bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) aufgrund der am 1. Januar 1968 in Kraft getretenen Änderung die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit bindend gewordenem Bescheid vom 5. März 1968. Alsdann gewährte die Beigeladene der Versicherten mit Bescheid vom 12. Juni 1968 das Altersruhegeld rückwirkend ab 1. Juli 1967 und mit Bescheid vom 4. September 1968 den Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO rückwirkend ab 27. November 1967.

Im Dezember 1970 kündigte die Versicherte ihr privates Krankenversicherungsverhältnis und teilte der Beklagten mit, die Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO solle wirksam werden. Die Beklagte erklärte mit Bescheid vom 5. Januar 1971, sie könne die Versicherte nicht als Pflichtmitglied in die Rentnerkrankenversicherung aufnehmen, weil deren Befreiung von der Versicherungspflicht unwiderruflich sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Nach Verkündung des sozialgerichtlichen Urteils ist die Versicherte im Krankenhaus gestorben. Die Kläger als ihre Erben haben den Rechtsstreit aufgenommen und mit der Berufung beantragt, das Urteil des Sozialgerichts (SG) sowie die Bescheide der Beklagten vom 5. März 1968 und 5. Januar 1971 aufzuheben. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 27. September 1974 das Urteil des SG geändert und den Bescheid vom 5. Januar 1971 aufgehoben. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Als mit den Nachlaßverbindlichkeiten belastete Erben hätten die Kläger ein Rechtsschutzinteresse an der Fortführung des Prozesses, weil in diesem mittelbar darüber zu entscheiden sei, ob die Beklagte AOK die der Versicherten entstandenen Krankenhauskosten zu tragen habe. Die Klage sei jedoch nicht zulässig, soweit sie den bindend gewordenen Bescheid vom 5. März 1968 betreffe. Hinsichtlich des Bescheides vom 5. Januar 1971 dagegen habe das SG die Klage zu Unrecht abgewiesen. Durch die Erklärung der Versicherten vom Dezember 1970 sei ihre Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO gemäß Art. 4 § 3 des 2. Krankenversicherungsänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1970 - 2. KVÄG - (BGBl I 1770) wirksam geworden; denn die Versicherte habe zu dem Kreis der Rentner gehört, die nach Art. 3 § 3 FinÄndG als von der Versicherungspflicht befreit gelten. Dieser Personenkreis umfasse auch diejenigen Rentner, denen gleich der Versicherten der Beitragszuschuß nachträglich rückwirkend bis zum Inkrafttreten des FinÄndG bewilligt worden sei. Dem Umstand, daß die Versicherte am 1. Januar 1968 das Altersruhegeld noch nicht ausgezahlt erhalten habe, komme um so weniger Bedeutung zu, als Art. 3 § 3 FinÄndG den Rentenbezug nicht ausdrücklich als Voraussetzung erwähne. Ebenfalls ohne Bedeutung sei es, daß die Versicherte durch den bindend gewordenen Bescheid vom 5. März 1968 von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Da sie damals schon als von der Versicherungspflicht befreit gegolten habe, komme diesem Bescheid lediglich bestätigende Wirkung zu. Einer Feststellungsklage schließlich habe es nicht bedurft, weil die Versicherte aufgrund ihrer Erklärung automatisch am 1. Januar 1971 Mitglied der Beklagten geworden sei.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung von Art. 4 § 3 des 2. KVÄG i. V. m. Art. 3 § 3 des FinÄndG. Sie meint, die Versicherte habe nicht als von der Versicherungspflicht befreit gegolten, weil ein Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 Satz 2 RVO nur Rentenbeziehern zustehe, über den Rentenantrag der Versicherten aber erst im Juni 1968 entschieden worden sei, so daß sie bei Inkrafttreten des FinÄndG noch keinen Anspruch auf den Beitragszuschuß gehabt habe.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Kläger sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen und dem Antrag der Beklagten an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Das LSG hat den Bescheid vom 5. Januar 1971 zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid der Beklagten war rechtswidrig; denn nach Art. 4 § 3 des 2. KVÄG ist die Versicherte aufgrund ihrer im Dezember 1970 der Beklagten gegenüber abgegebenen Erklärung über das Wirksamwerden der Versicherungspflicht am 1. Januar 1971 Mitglied der Beklagten geworden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift beginnt in einem solchen Fall die Mitgliedschaft am Ersten des auf die Erklärung folgenden Monats. Zur Abgabe der Erklärung war die Versicherte auch berechtigt; denn Satz 1 der Vorschrift besagt, daß derjenige, der eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder aus der Rentenversicherung der Angestellten bezieht und nach Art. 3 § 3 FinÄndG von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO als befreit gilt, vom Tage der Verkündung des 2. KVÄG - also vom 24. Dezember 1970 - bis zum 31. März 1971 erklären kann, daß die Versicherungspflicht wirksam werden soll. Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen für die Berechtigung zur Abgabe dieser Erklärung lagen bei der Versicherten vor. Sie bezog im Dezember 1970 Altersruhegeld - also eine Rente - aus der Rentenversicherung der Angestellten. Auch galt sie nach Art. 3 § 3 FinÄndG von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO als befreit. Nach dieser Vorschrift gilt insoweit als befreit, wer bei Inkrafttreten des FinÄndG, also am 1. Januar 1968 (Art. 22 FinÄndG) einen Betrag nach § 381 Abs. 4 RVO erhält, weil er bei einem Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, sofern er nicht bis zum 30. Juni 1968 erklärt hat, daß die Versicherungspflicht wirksam werden soll. Eine solche Erklärung hat die Versicherte bis zu diesem Zeitpunkt unstreitig nicht abgegeben. Auch erhielt sie wegen ihrer damals noch bestehenden Vollversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen am 1. Januar 1968 einen Betrag nach § 381 Abs. 4 RVO. Daß ihr dieser Betrag seinerzeit noch nicht ausgezahlt wurde, ist entgegen der Auffassung der Beklagten unerheblich. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO bei Inkrafttreten des FinÄndG auch derjenige Rentner "erhält", dem dieser Zuschuß rückwirkend bis zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden ist (Urteil vom 14. Dezember 1973 - 3 RK 25/73 - SozR Nr. 5 zu FinÄndG Allg.). Das war bei der Versicherten der Fall; ihr ist mit Bescheid der Beigeladenen vom 4. September 1968 der Zuschuß rückwirkend ab 27. November 1967 bewilligt worden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert sich die Rechtslage nicht dadurch, daß hier der Versicherten - anders als in dem vom Senat am 14. Dezember 1973 entschiedenen Fall - auch das Altersruhegeld mit Bescheid der Beigeladenen vom 12. Juni 1968 erst rückwirkend ab 1. Juli 1967 gewährt worden ist.

Maßgebend ist insoweit nicht, wann die Gewährung der Rente und des Beitragszuschusses erfolgt. Entscheidend ist nur, ob die Versicherte zur Zeit des Inkrafttretens des FinÄndG (1. Januar 1968) einen Beitragszuschuß erhalten hat. Diese Voraussetzung war, wie ausgeführt, erfüllt. In dem Urteil vom 14. Dezember 1973 hat der Senat bereits dargelegt, daß Art. 3 § 3 FinÄndG die Rentner erfaßt, die nicht zwangsweise krankenversichert zu werden brauchen, weil sie schon privat voll krankenversichert sind und deshalb des Schutzes der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bedürfen. Für sie ist anstelle dieses Schutzes der Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO gedacht. Stellt der Rentenversicherungsträger durch rückwirkende Gewährung von Rente und Beitragszuschuß die Rechtslage für den Zeitpunkt des Inkrafttretens des FinÄndG (1. Januar 1968) klar, wie das bei der Versicherten geschehen ist, so ist deshalb kein Grund ersichtlich, einen solchen Versicherten insoweit anders zu behandeln als denjenigen, der Rente und Beitragszuschuß am 1. Januar 1968 bereits ausgezahlt erhalten hat.

Ebensowenig ändert sich die Rechtslage dadurch, daß die Versicherte durch den Bescheid der Beklagten vom 5. März 1968 gemäß § 173 a Abs. 1 Satz 1 RVO von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO befreit worden ist. Eine Befreiung nach § 173 a Abs. 1 Satz 1 RVO ist zwar unwiderruflich (§ 173 a Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz RVO). Hier hat jedoch - rückwirkend betrachtet - der Befreiungsbescheid nichts anderes ausgesprochen, als nach Art. 3 § 3 FinÄndG bereits kraft Gesetzes feststand, nämlich daß die Versicherte von der Versicherungspflicht befreit war. Abgesehen davon besteht unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 des Grundgesetzes) kein Anlaß, in Abweichung von dem bereits genannten Urteil des Senats vom 14. Dezember 1973 die in Art. 4 § 3 des 2. KVÄG ausgesprochene Vergünstigung (Erklärung bis zum 31. März 1971, daß die Versicherungspflicht wirksam werden soll) nur auf den Personenkreis zu beschränken, der am 1. Januar 1968 bereits tatsächlich einen Beitrag nach § 381 Abs. 4 RVO bezog.

Nach alledem ist die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649476

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