Leitsatz (redaktionell)
Die Versorgungsverwaltung ist an die Rechtskraft eines Urteils gebunden und kann, soweit die Rechtskraft dieses Urteils reicht, einen früheren Verwaltungsakt, der denselben Sachverhalt betrifft, nicht mehr zurücknehmen. Dabei ist im sozialgerichtlichen Verfahren der Umfang der Rechtskraft eines Urteils wie im Zivilprozeß zu beurteilen. Das, worüber entschieden ist, kann grundsätzlich nur aus dem Urteilsspruch entnommen werden. Dem steht nicht entgegen, daß gegebenenfalls Gegenstand und Umfang der Rechtskraft durch Auslegung aus dem ganzen Urteil, also auch aus dem Tatbestand und aus den Gründen ermittelt werden müssen.
Normenkette
SGG § 141 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. April 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Im November 1948 stellte der Kläger Antrag auf Versorgung wegen eines Steckschusses in der Schulter, Splitter im linken Knie, Granatsplitter rechte Gesäßseite und eines Durchschusses durch die rechte Hand. Er wurde daraufhin von einem Chirurgen, einem Internisten, einem Neurologen und einem Augenfacharzt untersucht. Auf internistischem Gebiet konnte Dr. M von W. in seinem Gutachten vom 13. Juni 1950 keine Gesundheitsstörungen feststellen, die auf schädigende Einflüsse des Wehrdienstes zurückzuführen wären. Auch der Neurologe Dr. L kam in seinem Gutachten vom 13. Juni 1950 zu dem Ergebnis, daß auf seinem Fachgebiet keine Erscheinungen bestehen, die als Wehrdienstbeschädigung aufgefaßt werden könnten. Die Untersuchung durch den Augenarzt Dr. St vom 13. Juni 1950 ergab einen mäßigen, aber offenbar chronischen Reizzustand an der Bindehaut, der nach Angabe des Klägers während des Wehrdienstes aufgetreten sein soll. Dieser Gutachter hielt für wahrscheinlich, daß eine Neigung zu Bindehautentzündung Wehrdienstbeschädigung ist, die jedoch die Erwerbsfähigkeit nicht mindere. Der Facharzt für Chirurgie Dr. K stellte in seinem Gutachten vom 12. Juni 1950 einen IG-Steckschuß in den Weichteilen der linken Schulter mit leichter Bewegungsbeschränkung im Schultergelenk, narbige Beugekontraktur am rechten Daumengrundgelenk nach Granatsplitterdurchschuß, belanglose Narben am rechten Gesäß sowie an beiden Kniegelenken fest und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für diese auf den Wehrdienst zurückzuführenden Gesundheitsstörungen auf 20 v. H. Der Prüfarzt Dr. O hielt jedoch eine MdE um 30 v. H. für vertretbar, weil leichte Funktionsbehinderungen an der linken Schulter und an der rechten Hand vorlägen und gewisse Narbenbeschwerden glaubhaft erschienen. Durch Bescheid vom 7. Dezember 1950 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) R als Leistungsgründe nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG i. S. der Entstehung "Inf. Geschoß-Steckschuß in den Weichteilen der linken Schulter mit leichter Bewegungsbehinderung im Schultergelenk, narbige Beugekontraktur im rechten Daumengrundgelenk nach Durchschuß, belanglose Narben am rechten Gesäß und an den beiden Kniegelenken ohne Funktionsbehinderungen, Neigung zu Bindehautentzündung" an und gewährte Rente nach einer MdE um 30 v. H. vom 1. November 1948 an. Durch Bescheid vom 13. März 1951 wurden die nach dem KBLG anerkannten Leistungsgründe ohne ärztliche Nachuntersuchung als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sowie die MdE um 30 v. H. ab 1. Oktober 1950 übernommen.
Gegen den KBLG-Bescheid vom 7. Dezember 1950 legte der Kläger Berufung beim Oberversicherungsamt (OVA) L ein. Das OVA hört zunächst in der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 1952 Dr. v. G als Terminssachverständigen, der die Schätzung der MdE durch den Prüfarzt Dr. O auf 30 v. H. als wohlwollend ansah, weil nach der Beurteilung der im Juni 1950 gehörten Fachärzte die MdE lediglich 20 v. H. betrage. Im Hinblick darauf, daß der Kläger noch Leberbeschwerden als Schädigungsfolge geltend machte, holte das OVA ein Gutachten des Versorgungskrankenhauses Bayreuth vom 16. April 1952 ein. Die Sachverständigen Prof. Dr. R und Oberarzt Dr. Sch konnten hinsichtlich der bisher anerkannten Verletzungsfolgen keine wesentliche Besserung feststellen. Sie schätzten die MdE weiterhin auf 30 v. H. und führten ferner aus, daß die nunmehr von dem Kläger geltend gemachten Beschwerden im Bereich des Bauches nicht objektivierbar seien, da sämtliche durchgeführten Leberfunktionsprüfungen sowie eine Darstellung der Gallenblase und der Magen-Darm-Passage keinen pathologischen Befund ergeben hätten, der auf eine Erkrankung der Leber oder Galle schließen ließe. Durch Urteil vom 14. Juli 1952 wies das OVA L auf Grund der erhobenen Gutachten die Berufung des Klägers gegen die Bescheide des VersorgA R vom 7. Dezember 1950 und 13. März 1951 zurück und führte zur schädigungsbedingten MdE des Klägers aus, daß sie 30 v. H. betrage.
Bei einer Nachuntersuchung am 22. Juni 1954 kam der Versorgungsarzt Dr. G zu der Beurteilung, daß seitens der Augen eine Wehrdienstbeschädigung nicht vorliege und die Anerkennung insoweit zu Unrecht erfolgt sei. Die Funktionsstörung am rechten Daumen sei geringfügig; die Narben im Bereich der rechten Hand, über dem linken Schulterblatt, unter dem rechten Beckenkamm, der rechten Kniekehle und über dem linken Kniegelenk seien belanglos; der Splitter in den Weichteilen des linken Schulterblatts sei reizlos eingeheilt; die Hebung des Armes im linken Schultergelenk erfolge selbsttätig bis 140 Grad und sei fremdtätig frei. Die Veränderungen im Bereich des linken Schultergelenks bedingten für sich allein eine MdE unter 10 v. H. Die Gesamt-MdE könne somit auch unter Berücksichtigung des Berufes nur auf 20 v. H. geschätzt werden. Mit Bescheid vom 15. Juli 1954 erkannte das VersorgA die bisherigen Schädigungsfolgen weiterhin an, entzog aber die Rente mit Ablauf des Monats August 1954 wegen einer in den anerkannten Gesundheitsstörungen eingetretenen wesentlichen Besserung. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Bescheid des LVersorgA Bayern vom 20. Januar 1955).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Regensburg in der mündlichen Verhandlung vom 25. März 1957 Dr. v. G als gerichtlichen Sachverständigen gehört, der ausgeführt hat, daß die in dem Gutachten des Dr. G angegebenen Befunde, die durch Röntgenuntersuchungen bekräftigt seien, vollständig den Befunden in den Gutachten vom Juni 1950 entsprächen. Von den untersuchenden Ärzten sei die MdE sowohl im Jahre 1950 als auch im Jahre 1954 auf 20 v. H. geschätzt worden; lediglich der Prüfarzt habe im Jahre 1950 die MdE auf 30 v. H. erhöht. Es sei eine rein juristische Frage, ob die MdE heute ohne nachweisbare Befundänderung herabgesetzt werden könne. Durch Urteil vom 25. März 1957 hat das SG Regensburg unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 1955 und in Abänderung des Bescheides des VersorgA R vom 15. Juli 1954 den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 1. September 1954 für die anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 25 v. H. zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt, daß eine wesentliche Besserung in den anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten und die MdE in dem Gutachten des Versorgungskrankenhauses B vom 16. April 1952 mit 30 v. H. bewertet worden sei. Da die Schädigungsfolgen nach der Bescheinigung des Dr. W vom 26. November 1954 eine nicht unerhebliche Erwerbsminderung des Klägers bedingten, habe es die Kammer für angemessen gehalten, dem Kläger vom 1. September 1954 an eine MdE um 25 v. H. zuzusprechen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger noch eine weitere Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. ... vom 19. Januar 1962 eingereicht, in der dieser Arzt auf die Behinderung des Klägers bei der Arbeit in seiner Landwirtschaft hingewiesen und zur MdE ausgeführt hat, diese Behinderungen setzten die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf etwa 35 v. H. herab. Mit Urteil vom 25. April 1962 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Regensburg vom 25. März 1957 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid des VersorgA R vom 15. Juli 1954 abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Das LSG ist der Auffassung, daß der angefochtene Bescheid vom 15. Juli 1954 mit Recht auf § 86 Abs. 3 BVG gestützt werden könne, da der Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 ohne ärztliche Nachuntersuchung ergangen sei. Darin, daß im Laufe des Berufungsverfahrens alten Rechts vor dem früheren OVA L ein gerichtsärztliches Gutachten des Dr. v. G und ein Gutachten des Versorgungskrankenhauses Bayreuth erstattet worden seien, könne eine ärztliche Nachuntersuchung i. S. des § 86 Abs. 3 BVG nicht erblickt werden. Diese Gutachten seien ausschließlich zu dem Zweck eingeholt worden, dem OVA eine Nachprüfung des auf höhere Rente und die Feststellung eines Leidens an den Verdauungsorganen als Schädigungsfolge gerichteten Berufungsbegehrens des Klägers zu ermöglichen, während der Beklagte auf Grund des Umanerkennungsbescheides bereits an die Zuerkennung der Grundrente nach einer MdE um 30 v. H. für die Zeit vom 1. Oktober 1950 an gebunden gewesen sei. Die zutreffend auf § 86 Abs. 3 BVG gestützte Entziehung der Rente sei gerechtfertigt, da sie nicht von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG abhängig sei. Nach den eingeholten Gutachten seien die Narben belanglos und die Funktionsstörungen am rechten Daumen sowie im Bereich des rechten Schultergelenks geringfügig. Eine Erhöhung der ärztlicherseits mit 20 v. H. bewerteten MdE nach § 30 BVG sei auch unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Betroffenheit im Beruf nicht möglich, weil weder dem Vorbringen des Klägers noch den hausärztlichen Zeugnissen ein Hinweis dafür zu entnehmen sei, daß seine berufliche Entwicklung durch die Schädigungsfolgen ungünstig beeinflußt worden wäre.
Gegen das ihm am 29. Mai 1962 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1. Juni 1962, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 4. Juni 1962, Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Regensburg vom 25. März 1957 zurückzuweisen;
hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger hat innerhalb der bis zum 29. August 1962 verlängerten Begründungsfrist die Revision mit Schriftsatz vom 23. August 1962, der am 24. August 1962 beim BSG eingegangen ist, begründet. Er rügt lediglich eine Verletzung des § 86 Abs. 3 BVG und trägt hierzu vor, daß die im früheren Berufungsverfahren vor dem OVA Landshut durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen durch die Sachverständigen Dr. v. G und Prof. Dr. R im Rahmen dieser Vorschrift nicht unberücksichtigt bleiben dürften, weil hier ärztlicherseits zur Frage des Grades der MdE sowohl nach dem KBLG als auch nach dem BVG gutachtlich Stellung genommen worden sei. Die "Feststellung" der Rente i. S. des § 86 Abs. 3 BVG sei hinsichtlich des in das Berufungsverfahren einbezogenen BVG-Bescheides erst durch das rechtskräftige Urteil des OVA Landshut vom 14. Juli 1952 erfolgt, dem die Gutachten vom 7. Februar und 16. April 1952 zugrunde gelegen hätten. Die gerichtliche Entscheidung nach voraufgegangener ärztlicher Nachuntersuchung sei somit die maßgebliche "Feststellung" i. S. des § 86 Abs. 3 BVG. Diese Vorschrift, die auf die Beseitigung offenbarer Fehler und Irrtümer bei der ohne ärztliche Überprüfung erfolgten Umanerkennung abziele, könne daher im vorliegenden Falle keine Anwendung finden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Bayer. LSG vom 25. April 1962 als unbegründet zurückzuweisen.
Er weist darauf hin, daß die erste Feststellung der Rente nach dem BVG nicht durch das rechtskräftige Urteil des OVA Landshut vom 14. Juli 1952, sondern durch den Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 erfolgt sei. Das Urteil des OVA vom 14. Juli 1952 sei kein Feststellungsbescheid nach dem BVG, da damit eine Rente nach dem BVG nicht festgestellt worden sei, vielmehr sei durch dieses Urteil die auf Erlangung einer höheren Rente gerichtete Berufung alten Rechts zurückgewiesen worden; der ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme des Leistungsgrundes und des Grades der MdE ergangene Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 sei dabei unangetastet geblieben. Es sei abwegig, neben dem unverändert weiterbestehenden Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 in dem Urteil vom 14. Juli 1952 einen zweiten solchen Bescheid zu erblicken. Die Voraussetzungen des § 86 Abs. 3 BVG seien somit im vorliegenden Falle gegeben.
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Der Kläger rügt lediglich eine Verletzung des § 86 Abs. 3 BVG durch das LSG. Nach dieser Vorschrift ist, soweit die Rente Beschädigter nach dem BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme des bisher anerkannten Grades der MdE festgestellt wird, eine spätere Neufeststellung der Rente binnen vier Jahren nach Inkrafttreten des BVG nicht von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 Abs. 1 BVG abhängig. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 4. Februar 1959 dargelegt hat (vgl. SozR BVG § 86 Bl. Ca 3 Nr. 5), soll die Verwaltung nach dem Sinn und Zweck des § 86 Abs. 3 BVG die Möglichkeit haben, Fehler zu beseitigen, die bei der Umanerkennung dadurch entstanden sind, daß die Verwaltung im Interesse des Beschädigten zunächst ohne erneute ärztliche Untersuchung im Umanerkennungsbescheid einen Leidenszustand des Beschädigten unterstellt hat, wie er in dem vor dem Inkrafttreten des BVG ergangenen Bescheid anerkannt war (vgl. hierzu auch BMA in BVBl 1953 S. 171 Nr. 105). Im vorliegenden Falle ist der Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951, wie der Kläger nicht bestreitet, ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme der bisher nach dem KBLG anerkannten Gesundheitsstörungen und der MdE um 30 v. H. ergangen. Der Kläger ist nun der Auffassung, die "Feststellung" der Rente i. S. des § 86 Abs. 3 BVG sei erst durch das rechtskräftige Urteil des OVA Landshut vom 14. Juli 1952 erfolgt. Diese Auffassung kann schon deswegen nicht zutreffen, weil dem Kläger "durch den Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951" eine Rente nach dem BVG auf Grund einer MdE um 30 v. H. gewährt worden ist. Der Kläger meint jedoch offenbar, der Beklagte sei durch das Urteil des OVA L vom 14. Juli 1952, dem die Gutachten des Dr. v. G vom 7. Februar 1952 und des Versorgungskrankenhauses B vom 16. April 1962 zugrunde gelegen haben, daran gehindert, die Rente ohne eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG durch den angefochtenen Bescheid vom 15. Juli 1954 zu entziehen.
Es trifft allerdings zu, daß die Versorgungsverwaltung an die Rechtskraft eines Urteils gebunden ist und, soweit die Rechtskraft dieses Urteils reicht, einen früheren Verwaltungsakt, der denselben Sachverhalt betrifft, nicht mehr zurücknehmen kann. Dies ergibt sich aus dem Wesen der Rechtskraft. Das BSG hat daher entschieden, daß die Anerkennung eines Leidens als Schädigungsfolge nicht nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes durch einen Berichtigungsbescheid zurückgenommen werden kann, wenn die Versorgungsverwaltung bereits verurteilt worden war, dieses Leiden weiterhin als Schädigungsfolge anzuerkennen (vgl. BSG 15, 248). Weiter hat das BSG zu § 1293 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF entschieden (BSG 11, 231), daß die Rente nach dieser Vorschrift nicht entzogen werden kann, wenn der Versicherungsträger rechtskräftig zur Rentenzahlung verurteilt worden ist. Nach § 1293 Abs. 2 RVO aF war die Entziehung einer Invalidenrente auch ohne Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen des Berechtigten zulässig, wenn eine neue Überprüfung ergab, daß er nicht invalide war. Diese Vorschrift entspricht somit in ihrem Grundgedanken in gewisser Hinsicht dem § 86 Abs. 3 BVG. Das BSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, mit § 1293 Abs. 2 RVO aF sollten Fehlentscheidungen, auch wenn sie rechtskräftig seien, beseitigt werden können, weil das Interesse aller Berechtigten an einer rechtmäßigen Rentengewährung über dem Interesse an der Rechtskraft des Bescheides stehe. Dieser Gesichtspunkt scheide aber aus, wenn ein Versicherungsträger in einem Urteil zu einer Leistung verurteilt worden ist, der Verwaltungsakt also entgegen seinem Willen erlassen werden mußte. Entsprechend diesen Gesichtspunkten kann daher auch ein ohne ärztliche Nachuntersuchung ergangener Umanerkennungsbescheid i. S. des § 86 Abs. 3 BVG von der Versorgungsverwaltung nicht mehr innerhalb der Frist von vier Jahren seit Inkrafttreten des BVG am 1. Oktober 1950 ohne Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG zurückgenommen werden, wenn und soweit eine Verurteilung zur Rentengewährung durch die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts erfolgt ist. Im vorliegenden Falle kommt es somit darauf an, ob der Beklagte durch das rechtskräftige Urteil des OVA Landshut vom 14. Juli 1952 gehindert war, die Rente des Klägers durch den angefochtenen Bescheid vom 15. Juli 1954 nach § 86 Abs. 3 BVG zu entziehen, ohne daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG vorliegt.
Nach § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Hierbei kommt auch einem vor dem Inkrafttreten des SGG ergangenen Urteil die Rechtskraftwirkung des § 141 SGG zu, da die rechtskräftig gewordenen Entscheidungen der Oberversicherungsämter in einem geordneten, der heutigen Verfahrensregelung in der Sozialgerichtsbarkeit vergleichbaren Verfahren erlassen worden sind. Die Rechtskraftwirkung eines Urteils der früheren Spruchinstanzen ist nach Inkrafttreten des § 141 Abs. 1 SGG somit nicht anders zu beurteilen als während des vor dem 1. Januar 1954 bestehenden Rechtszustandes (vgl. BSG 13, 181, 185). Die Bindung an rechtskräftige Urteile nach § 141 Abs. 1 SGG entspricht der im Zivilprozeß getroffenen Regelung in § 322 der Zivilprozeßordnung (ZPO), wie das BSG bereits in mehreren Entscheidungen ausgesprochen hat (BSG 9, 17, 19; 14, 99, 101). Hierbei deckt sich der Begriff des Streitgegenstandes i. S. des § 141 Abs. 1 SGG mit dem des "erhobenen Anspruchs" i. S. des § 322 ZPO; denn auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist über die erhobenen Ansprüche zu entscheiden (§ 123 SGG). Das hat zur Folge, daß im sozialgerichtlichen Verfahren der Umfang der Rechtskraft eines Urteils nicht anders als im Zivilprozeß beurteilt werden kann. Entschieden ist aber nur insoweit, als der in der Urteilsformel enthaltene Gedanke reicht. Deshalb ist die Feststellung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Entscheidung nicht der Rechtskraft fähig, so daß das Maß der Zuerkennung oder Aberkennung des geltend gemachten Anspruchs grundsätzlich nur aus dem Urteilsausspruch entnommen werden kann. Dem steht nicht entgegen, daß gegebenenfalls Gegenstand und Umfang der Rechtskraft durch Auslegung aus dem ganzen Urteil, also auch aus dem Tatbestand und aus den Gründen ermittelt werden müssen (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 754). Jedenfalls sind die Gründe eines Urteils für den Umfang seiner Rechtskraft nur bedeutsam, soweit sie von der Urteilsformel erfaßt werden (vgl. BSG aaO).
Bei Zugrundelegung dieser für den Umfang der Rechtskraft maßgebenden Gesichtspunkte ergibt sich, daß das Urteil des OVA Landshut vom 14. Juli 1952 keine rechtskräftige, die Versorgungsverwaltung bindende Feststellung über die Höhe der MdE des Klägers getroffen hat. Das OVA hat lediglich über die Berufung des Klägers gegen die Bescheide des VersorgA R vom 7. Dezember 1950 und 13. März 1951 entschieden, mit der vom Kläger Rente nach einer höheren MdE (40 v. H.) gegenüber der ihm in diesen Bescheiden zugebilligten MdE um 30 v. H. begehrt worden ist. Der "Streitgegenstand" oder "erhobene Anspruch" in dem Berufungsverfahren vor dem OVA L betraf demnach nur die Gewährung einer höheren Rente als sie dem Kläger bereits durch den Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 bewilligt worden war. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß das OVA in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat: "Übereinstimmend mit dem Gutachten hat daher die Kammer die MdE des Klägers, soweit sie auf Kriegsfolgen zurückzuführen ist, auf 30 v. H. festgestellt". Darüber, ob dem Kläger damals eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. zustand, hatte das OVA überhaupt nicht zu befinden, da insoweit bereits der Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 vorlag, in welchem dem Kläger eine Rente nach dieser MdE bewilligt worden war. Die Rechtskraft des Urteils des OVA erstreckt sich somit nur darauf, daß dem Kläger eine höhere Rente nicht zustand. Lag aber eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts über die Frage, ob die MdE des Klägers auf Grund der in dem Umanerkennungsbescheid vom 13. März 1951 anerkannten Schädigungsfolgen 30 v. H. beträgt, nicht vor, so war der Beklagte durch das Urteil des OVA vom 14. Juli 1952 nicht gehindert, in dem angefochtenen Bescheid vom 15. Juli 1954 die Rente nach § 86 Abs. 3 BVG zu entziehen.
Gegen die tatsächliche Feststellung in dem angefochtenen Urteil, daß die MdE seit Erlaß des angefochtenen Bescheides vom 15. Juli 1954 keinen rentenberechtigenden Grad mehr erreicht, hat der Kläger mit der Revision keine Verfahrensrügen erhoben. Diese Feststellung ist daher nach § 163 SGG für das BSG bindend, so daß das angefochtene Urteil auch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Die Revision des Klägers mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen