Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1973 wird aufgehoben, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, die im Tenor genannten Zeiten bei der Berechnung der Rente des Klägers zu 6/6 zu berücksichtigen.
Insoweit wird der Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der im Jahre 1911 geborene Kläger ist Vertriebener. Er wohnte bis 1946 in B. … … /O. …. B. … gehörte zu der Stadt K. …, die 1922 polnisch wurde. Vom 5. September 1939 bis 1945 war sie deutsch. Seit 1926 arbeitete er als Elektrikerlehrling, darauf als Elektriker in der B. … (polnisch: H. … B. …). Laut einer Bescheinigung der Firma H. … B. … vom 3. Juli 1946 ist er in der B. … wie folgt beschäftigt gewesen:
Vom |
29.10.1926 |
bis |
zum |
20.02.1932, |
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01.04.1932 |
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31.08.1932, |
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15.10.1932 |
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” |
30.11.1933, |
” |
01.01.1934 |
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25.01.1945 und |
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22.03.1945 |
” |
” |
27.06.1946. |
Mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Westfalen vom 21. Januar 1964 wurden die Versicherungsunterlagen auf Grund der §§ 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO), 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) entsprechend der Bescheinigung wiederhergestellt, weil die bescheinigten Zeiten als Versicherungszeiten glaubhaft gemacht seien.
Im Oktober 1968 beantragte der Kläger Versichertenrente; sie wurde ihm von der Beklagten mit Bescheid vom 20. November 1970 bewilligt. Den Zeitraum vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1932 berücksichtigte sie bei der Festsetzung der Rente nicht, die Zeit vom 1. Januar 1934 bis 25. Januar 1945 voll, dh zu sechs Sechstel, die übrigen in der Bescheinigung genannten Zeiten zu fünf Sechstel.
Der Kläger hat Klage erhoben. Er hat ein Schreiben der Firma H. … B. … vom 3. Juni 1971 vorgelegt, mit dem diese ihm mitteilt, daß die ausgewiesenen Arbeitszeitunterbrechungen auf „turnusmäßige Beschäftigung” zurückzuführen seien.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 29. Oktober 1926 bis 31. Dezember 1933 zu sechs Sechstel als Versicherungszeit anzuerkennen. Durch die Bescheinigung der Firma H. … B. … sei bewiesen, daß der Kläger von 1926 bis 1946 bei demselben Arbeitgeber gearbeitet habe. Aus dem Wort „turnusmäßige Beschäftigung” sei zu schließen, daß der Kläger auch während der Arbeitsunterbrechungen in einem Beschäftigungsverhältnis bei der B. … gestanden habe.
Die Beklagte hat Berufung, der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt.
Die Beteiligten haben am 28. April 1972 vor dem Landessozialgericht (LSG) einen Teilvergleich geschlossen, mit dem die Beklagte sich verpflichtet hat, die Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1932 bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat ein Schreiben der H. … B. … vom 7. September 1972 vorgelegt, in dem es heißt, daß unter „Turnus” die Entlassung eines Arbeitnehmers zu verstehen sei, die vom Betrieb wegen Arbeitsmangels ausgesprochen werde. Unterlagen über die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg besitze sie nicht.
Das LSG hat den angefochtenen Bescheid und das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Zeiten vollen Umfangs der Rentenberechnung zugrunde zu legen, die in der Bescheinigung vom 3. Juli 1946 wiedergegeben und von der Beklagten noch nicht voll anerkannt sind. Es könne davon ausgegangen werden, daß der Kläger, wie bescheinigt, in der B. … beschäftigt gewesen sei. Daß er in dieser Zeit Sozialversicherungsbeiträge entrichtet habe, habe sich nicht feststellen lassen. Beim Nachweis von Beschäftigungszeiten sei aber nur eine Anrechnung zu fünf Sechstel möglich. Eine Ausnahme gelte jedoch nach § 19 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 FRG dann, wenn ein ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis von mindestens zehnjähriger Dauer bei demselben Arbeitgeber glaubhaft gemacht sei. Diese Voraussetzung liege hier nicht nur für die Zeit vom 1. Januar 1934 bis 25. Januar 1945, sondern für alle bescheinigten Zeiträume vor. Die längste Unterbrechung der Beschäftigung des Klägers sei die vom 26. Januar bis 21. März 1945. Das seien 55 Tage. Vom Gesetzeszweck her seien Unterbrechungen für solch kurze Zeiträume unbeachtlich, jedenfalls dann, wenn wie hier, ein Zehnjahreszeitraum (1. Januar 1934 bis 25. Januar 1945) bereits gegeben sei. – Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß der Kläger in den Zeiten, in denen er nach der Bescheinigung vom 3. Juli 1946 nicht gearbeitet habe, nicht arbeitslos gewesen sei. Die arbeitsvertragliche Beziehung zwischen dem Kläger und der Hütte sei bestehen geblieben.
Die Beklagte hat Revision eingelegt.
Sie beantragt,
unter Aufhebung der Vorentscheidungen die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet.
Aus dem von dem LSG bisher festgestellten Sachverhalt ist nicht die Rechtsfolge abzuleiten, daß die Zeiten, während denen der Kläger bei der Firma H. … B. … tatsächlich gearbeitet hat, zu sechs Sechstel als Versicherungszeiten anzurechnen sind. Wohl findet zu seinen Gunsten das FRG Anwendung, weil er Vertriebener im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) ist (§ 1 FRG). Nach §§ 15 und 16 FRG werden außerhalb der Bundesrepublik zurückgelegte Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugunsten der Vertriebenen so behandelt, als seien sie in der Bundesrepublik zugebracht worden. Für die Feststellung solcher Beitrags- oder Beschäftigungszeiten genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind (§ 4 Abs 1 Satz 1 FRG). Während der vollständige Beweis die Anrechnung der bewiesenen Zeiten zu sechs Sechstel zur Folge hat, begründet die Glaubhaftmachung nur das Recht auf eine teilweise Anrechnung, nämlich zu fünf Sechstel (§ 19 Abs 2 Satz 1 1. Halbsatz FRG). Dem Berufungsurteil ist nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob das LSG die fraglichen Zeiten als bewiesen oder als glaubhaft gemacht angesehen hat. Das Gericht hat lediglich zum Ausdruck gebracht, es habe sich nicht davon überzeugen können, daß die angegebenen Zeiten Beitragszeiten seien. Beschäftigungszeiten seien aber immer, auch wenn sie bewiesen seien, nur zu fünf Sechstel anzurechnen. Im Rahmen des FRG werden in diesem Zusammenhang jedoch Beitragszeiten und Beschäftigungszeiten zugunsten der Vertriebenen gleich behandelt.
Der Sachverhalt reicht bis jetzt auch nicht aus, die in Betracht kommenden Zeiten als ein „ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis von mindestens zehnjähriger Dauer bei demselben Arbeitgeber” im Sinne des § 19 Abs 2 Satz 1 2. Halbsatz FRG anzusehen, so daß sie allemal zu sechs Sechstel anzurechnen wären. Ob ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis (hierzu: Großer Senat des BSG in SozR RVO Nr 62 zu § 1259) auch in den Zwischenzeiten bestanden hat, die nicht als Arbeitszeiten bescheinigt sind, wäre zuvor zu prüfen.
§ 19 Abs 2 Satz 1 2. Halbsatz FRG ist nicht dahin auszulegen, es müsse nur einmal eine ununterbrochene Beschäftigungszeit von zehn Jahren vorliegen, um auch andere unterbrochene Zeiten, die bei demselben Arbeitgeber zurückgelegt wurden, voll anrechnen zu können. Gegen eine solche Auslegung steht der Wortlaut des Gesetzes. Bei dieser würde die Vorschrift nicht gelesen, wie sie lautet, nämlich, daß „Zeiten eines ununterbrochenen Beschäftigungsverhältnisses von mindestens zehnjähriger Dauer” in vollem Umfang anzurechnen seien. Diese Deutung würde die Vorschrift vielmehr interpretieren, als hieße es, alle Zeiten eines Beschäftigungsverhältnisses seien voll zu berücksichtigen, wenn das Beschäftigungsverhältnis einmal zehn Jahre lang nicht unterbrochen gewesen sei. – Für die Ansicht des Senats spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 19 Abs 2 Satz 1 2. Halbsatz FRG. Dieser Halbsatz wurde durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (BGBl I S 476) ins Gesetz eingefügt. Nach dem Entwurf der Bundesregierung (BR-Drucks 319/64, S 12) sollte der Satz lauten: „dies gilt nicht, wenn ein Beschäftigungsverhältnis von mindestens zehnjähriger Dauer bei demselben Auftraggeber bestanden hat”. Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme (Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 10. Juli 1964 an den Bundeskanzler, S 14) vor, die folgende Fassung zu wählen: „dies gilt nicht für ein Beschäftigungsverhältnis von mindestens zehnjähriger Dauer bei demselben Arbeitgeber”. Seine Gesetz gewordene Fassung erhielt die Vorschrift durch den Ausschuß für Sozialpolitik (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen, Drucks IV, 3233, S 48). Eine Begründung wurde zu dieser Änderung nicht gegeben (zu Drucks IV, 3233, S 8). In der 112. Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 11. März 1965 hatte Ministerialrat von Gellhorn (BMA) die vorgesehene Änderung nur dahin erläutert, nach der Regierungsvorlage hätte das Beschäftigungsverhältnis auch unterbrochen sein können. Offenbar war in die Neufassung der vom Bundesrat ausgehende Änderungswunsch eingegangen. Denn die nunmehr geltende Fassung bringt noch deutlicher die Vorstellung des Bundesrats zum Ausdruck, daß die Vergünstigung nur für das einzelne zusammenhängende Beschäftigungsverhältnis gelten soll.
Da nach alledem in der Sache nicht abschließend entschieden werden kann, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird insbesondere den Sachverhalt dahin zu würdigen haben, ob die Beschäftigungszeiten des Klägers bewiesen oder glaubhaft gemacht sind. Nachgewiesen sind Beschäftigungszeiten nur dann, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, daß Ausfalltatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit usw) nicht eingetreten sind, nicht jedoch schon dann, wenn nur Anfang und Ende der jeweiligen Zeiten feststehen. Zwar besteht, wenn Anfang und Ende einer Beschäftigungszeit genau bekannt sind, keine Vermutung dafür, daß dazwischen Ausfallzeiten liegen. Das FRG macht jedoch den Unterschied zwischen glaubhaft gemachten und nachgewiesenen Zeiten deshalb, weil es von der Erfahrung ausgeht, daß Beschäftigungszeiten im allgemeinen nur zu fünf Sechstel mit Beiträgen belegt sind. Nachgewiesen können Beschäftigungs- oder Beitragszeiten dann sein, wenn das Gericht überzeugt ist, daß im Einzelfall eine höhere Beitrags- oder Beschäftigungsdichte erreicht worden ist. Das wird anzunehmen sein, wenn die Arbeitsbescheinigungen konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Ausfallzeiten enthalten.
Die Einführung des 2. Halbsatzes in § 19 Abs 2 Satz 1 FRG im Jahre 1965 hat bestätigt, daß nicht schon allein durch Beweis des Anfangs- und Endtermins einer Beschäftigungszeit eine ununterbrochene Beschäftigung zwischen beiden Zeitpunkten bewiesen sein kann. Sonst wäre diese Ergänzung überflüssig. Diese gesetzliche Regelung konnte das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. März 1964 (SozR Nr 1 zu § 19 FRG) noch nicht berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen