Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Ruhensregelung des § 183 Abs 6 RVO. Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Vertrauensschutz. Gestaltungsfreiheit. Grenzen der Gestaltungsfreiheit von Versicherungsbedingungen
Leitsatz (amtlich)
Der Krankengeldanspruch eines bei einer Ersatzkasse freiwillig Versicherten ruht auch dann in voller Höhe, wenn das gleichzeitig bezogene Versorgungskrankengeld niedriger als das Krankengeld ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Krankenversicherung bei einer Ersatzkasse ist eine Versicherung im Rahmen des gesetzlichen Systems der sozialen Sicherung.
2. Die Ersatzkassen sind in der Gestaltung ihrer Versicherungsverträge auch für solche Mitglieder, die der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht nicht unterliegen, nicht frei.
3. Eine Gestaltungsmöglichkeit etwa dahingehend einen beliebig hohen Krankengeldanspruch gegen einen entsprechend höheren Beitrag wählen zu können, steht die Begrenzung der Höhe des Krankengeldes nach § 508 S 2 RVO entgegen.
Orientierungssatz
1. Die Ruhensregelung des § 183 Abs 6 RVO ist, soweit sie das Zusammentreffen eines Anspruchs auf Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung mit bezogenem Versorgungskrankengeld nach dem BVG betrifft, mit dem Grundgesetz (GG Art 3, 14, 20) vereinbar.
2. Der Gesetzgeber kann im Rahmen seiner Befugnis, Inhalt und Grenzen des Eigentums zu bestimmen (Art 14 Abs 1 S 2 GG), die Voraussetzungen regeln, unter denen Krankengeld zu gewähren ist. Diese Regelungsbefugnis erlaubt es, jedenfalls ohne daß dadurch in ein Eigentumsrecht des Versicherten unzulässig eingegriffen wird, unter bestimmten Voraussetzungen einen Krankengeldanspruch nicht entstehen, wegfallen oder ruhen zu lassen.
3. Eine Regelung, mit der die Kumulierung auch von Leistungen mit unterschiedlicher Zweckbestimmung verhindert wird, ist dagegen soweit sie diese Leistung erfaßt mit Art 3 Abs 1 GG jedenfalls insoweit nicht vereinbar, als die höhere Leistung völlig ausfällt. Sie würde damit ungleiche Sachverhalte willkürlich systemwidrig gleich behandeln.
4. Das schützenswerte Vertrauen bei einem entwertenden Eingriff in der Krankenversicherung ist geringer als etwa in der Rentenversicherung (vgl BVerfG vom 16.7.1985 1 BvL 5/80 ua = BVerfGE 69, 272, 309). Mit der Anordnung des vollständigen Ruhens des Krankengeldanspruchs hat der Gesetzgeber nicht die Grenzen, die seiner Gestaltungsfreiheit durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes gezogen sind, überschritten.
Normenkette
RVO § 182 Abs 4 Fassung: 1974-08-07, § 183 Abs 6 Fassung: 1981-12-22, § 507 Abs 4 Fassung: 1977-06-27, § 508 Fassung: 1970-12-21; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 S 2 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 508 S 2 Fassung: 1970-12-21
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 28.11.1984; Aktenzeichen L 8 Kr 1015/83) |
SG Kassel (Entscheidung vom 26.07.1983; Aktenzeichen S 12 Kr 21/83) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers für die Zeit vom 21. September 1982 bis zum 31. März 1984 auf den Betrag des ihm zustehenden Krankengeldes, der sein Versorgungskrankengeld übersteigt (Krankengeldspitzenbetrag).
Der Kläger ist Schwerbeschädigter. Er bezieht nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zunächst 60 vH und seit dem 1. Januar 1983 von 70 vH. Seit dem 1. April 1984 bezieht der Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Altersruhegeld gemäß § 25 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Der Kläger war in der streitigen Zeit bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig weiterversichert und wurde in der Beitragsklasse 521 geführt. Am 10. August 1982 wurde der Kläger wegen der anerkannten Schädigungsfolgen arbeitsunfähig krank. Die Versorgungsverwaltung (Beigeladener zu 1) gewährte ihm nach Wegfall der Einkommensfortzahlung seit dem 21. September 1982 Versorgungskrankengeld in Höhe von 85,69 DM und seit dem 1. August 1983 bis zum 31. März 1984 in Höhe von 90,48 DM täglich, das die Beklagte im Auftrag der Versorgungsverwaltung an den Kläger zahlte.
Mit dem streitigen Bescheid vom 28. Oktober 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1983 stellte die Beklagte das Ruhen des vollen Krankengeldanspruchs aus der Krankenversicherung in Höhe von 111,-- DM täglich fest.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger habe nach § 183 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF keinen Anspruch auf den begehrten Krankengeldspitzenbetrag. Die Neufassung dieser Bestimmung sei eindeutig und mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Weder Art 3 noch Art 14 GG seien verletzt. Im Rahmen seiner Befugnis, Doppelleistungen zu verhindern, habe der Gesetzgeber nicht willkürlich gehandelt, wenn er das Krankengeld vollständig zum Ruhen gebracht habe, so daß auch kein Spitzenbetrag zu gewähren sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 507 Abs 4, 183 Abs 6 RVO und der Art 3, 14 und 20 GG. Der Gesetzgeber dürfe eine Kumulierung gleichartiger Leistungen nur insoweit verhindern, als der Anspruch des Berechtigten auf die höhere Leistung nicht beeinträchtigt werde. Es lasse sich nicht der geringste überzeugende Grund dafür erkennen, daß ein freiwillig, mit Anspruch auf Krankengeld Versicherter sein Krankengeld allein deswegen nicht erhalten solle, weil er von einer anderen Seite eine völlig außer Verhältnis zur Höhe des Krankengeldes stehende Leistung erhalte. Das sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren. Es sei abwegig, daß zusätzliche Versicherungen zu einer Minderung des Anspruchs gegenüber der Krankenversicherung führten. Auch der Krankengeldanspruch, insbesondere soweit er auf einer freiwilligen Krankenversicherung beruhe, unterliege dem Eigentumsschutz des Art 14 GG. Er habe seine Grundlage in erheblichen Eigenleistungen. Je höher dieser Anteil sei, desto stärker trete der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug hervor. Schließlich sei der aus Art 20 GG folgende Vertrauensschutz verletzt. Ein freiwillig Versicherter müsse wegen seiner freiwilligen Beitragsleistungen darauf vertrauen können, daß ihm die dafür zugesicherten Rechte uneingeschränkt erhalten blieben.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. November 1984 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Juli 1983 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1983 aufzuheben und dem Kläger für die Zeit vom 21. September 1982 bis zum 31. März 1984 den das Versorgungskrankengeld übersteigenden Betrag bis zur Höhe des Krankengeldes auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
§ 183 Abs 6 RVO verstoße nicht gegen das GG, wenn - wie hier - beim Zusammentreffen von Versorgungskrankengeld und Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung das letztere vollständig ruhe. Das Versorgungskrankengeld werde weitgehend nach den gleichen Grundsätzen errechnet wie das Krankengeld aus der Krankenversicherung. Wesentlich sei, daß beide Leistungen auf denselben Zweck gerichtet seien, nämlich auf Lohn- oder Einkommensersatz. Eine völlige wirtschaftliche Gleichwertigkeit beider Leistungen in jedem Einzelfall sei dabei nicht erforderlich.
Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hält die Regelung des § 183 Abs 6 RVO nF ebenfalls nicht für verfassungswidrig. Sie stellt keine ausdrücklichen Anträge.
Das beigeladene Land Hessen hat nicht Stellung genommen und keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben - im Ergebnis zu Recht - die Klage abgewiesen bzw die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen seinem Versorgungskrankengeld und dem (höheren) Krankengeld.
Mit der am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen - und deshalb hier anzuwendenden - Neufassung des § 183 Abs 6 RVO durch Art 4 § 1 Nr 1 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) sollte "klargestellt" werden, daß der Anspruch auf Krankengeld in voller Höhe ruht, solange der Versicherte eine der dort genannten Leistungen - ua Versorgungskrankengeld - bezieht, also kein Spitzenbetrag des Krankengeldes zu zahlen ist (so die gleichlautenden Begründungen der Gesetzesentwürfe in BT-Drucks 9/799 S 51 zu Nr 3 und 9/846 S 52 zu Nr 3). Der hinzugefügte Satzteil ...... "und zwar auch insoweit, als das Krankengeld höher ist als eine dieser Leistungen" läßt eine Auslegung, wie sie das Bundessozialgericht (BSG) in gefestigter Rechtsprechung dem bis zum 31. Dezember 1981 gültig gewesenen § 183 Abs 6 (idF des § 21 Nr 8 RehaAnglG vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 und des Art II § 4 Nr 4 des Gesetzes vom 18. August 1980 - BGBl I 1469) gegeben hat, nicht mehr zu, daß nämlich dem Versicherten grundsätzlich im Ergebnis der Anspruch auf die höhere der zusammentreffenden Leistungen verbleiben müsse (vgl dazu ua BSGE 43, 68, 71; SozR 2200 § 183 Nr 20 und vor allem BSGE 44, 226 und BSGE 49, 41). Ob es sich dabei um eine Klarstellung oder Änderung der bis dahin bestehenden Rechtslage handelte, kann dahingestellt bleiben. Der Gesetzgeber wollte jedenfalls - wohl auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG - eindeutig regeln, daß beim Zusammentreffen der in § 183 Abs 6 RVO nF genannten Sozialleistungen mit Krankengeldansprüchen in jedem Fall, unabhängig von der Höhe der hinzutretenden Leistung, der Krankengeldanspruch in vollem Umfang ruht.
Diese Ruhensregelung ist, soweit sie - wie hier - das Zusammentreffen eines Anspruchs auf Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung mit bezogenem Versorgungskrankengeld nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) betrifft, mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.
Es kann dahinstehen, ob die "Anwartschaft" auf Krankengeld, die ein Versicherter vom Beginn seiner Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse an für den Fall erwirbt, daß die Leistungsvoraussetzungen eintreten, dem Eigentumsschutz des Art 14 GG unterliegt. Denn daraus würde nicht folgen, daß der Krankengeldanspruch jedenfalls teilweise erhalten bleiben muß. Der Gesetzgeber kann nämlich im Rahmen seiner Befugnis, Inhalt und Grenzen des Eigentums zu bestimmen (Art 14 Abs 1 Satz 2 GG), die Voraussetzungen regeln, unter denen Krankengeld zu gewähren ist. Diese Regelungsbefugnis erlaubt es, jedenfalls ohne daß dadurch in ein Eigentumsrecht des Versicherten unzulässig eingegriffen wird, unter bestimmten Voraussetzungen einen Krankengeldanspruch nicht entstehen, wegfallen oder ruhen zu lassen. Die Gliederung des deutschen Systems der sozialen Sicherung in mehrere selbständige Zweige bringt es mit sich, daß Ansprüche auf Leistungen getrennt erwachsen und sich häufen können, wenn ein einziger Vorgang mehrere Leistungsfälle in verschiedenen Zweigen gleichzeitig herbeiführt. Bei Barleistungen kann die Kumulierung zu einer Gesamthöhe der Bezüge führen, die sozialpolitisch unerwünscht ist. Der Empfänger erhielte unter Umständen weit mehr als ihm das System der sozialen Sicherung von seinem Grundgedanken her verschaffen soll. Der Gesetzgeber hat daher das Zusammentreffen mehrerer Leistungen so geregelt, daß jedenfalls nicht beide voll gewährt werden. Wie der Gesetzgeber im einzelnen unerwünschte Doppelleistungen verhindert, unterliegt weitgehend seiner Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 31, 185, 189, 190, 192; 53, 313, 331, 332).
Regelungen, mit denen Doppelleistungen mit gleicher Zweckbestimmung vermieden werden sollen, sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar, denn der Betroffene erhält im Ergebnis die Leistung, die er im Rahmen des Systems der sozialen Sicherung erhalten soll. Der Schutzzweck dieses Systems ist also erfüllt, wenn er nur eine dieser Leistungen erhält. Mit einem Doppelbezug würde er ungerechtfertigt begünstigt und deshalb ungleich behandelt (BVerfG aaO). Es ist auch sachgerecht, wenn § 183 Abs 6 RVO nF diejenige Leistung unberührt läßt, die dem speziellen Zweig zugeordnet ist, der wegen der Besonderheiten des auslösenden Ereignisses primär für die Entschädigung zuständig ist. Es ist deshalb systematisch gerechtfertigt, daß dem Betroffenen die hinzutretende Leistung voll erhalten bleibt und der Anspruch auf Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung, der unabhängig von der Ursache der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit entsteht, zurücktritt. Das Ruhen des Krankengeldanspruches ist im übrigen für den Betroffenen der am wenigsten belastende Eingriff in seine sozialversicherungsrechtliche Position, denn der Anspruch bleibt in seinem Kernbereich - anders als beim Wegfall - bestehen, wodurch unter anderem die Mitgliedschaft nach § 311 RVO erhalten bleibt (vgl BT-Drucks 7/1237 S 64 zu § 21 Nr 8). Im übrigen bleibt der Krankengeldanspruch in Fällen, in denen ein anderer Träger nicht zu leisten hat, unberührt.
Eine Regelung, mit der die Kumulierung auch von Leistungen mit unterschiedlicher Zweckbestimmung verhindert wird, ist dagegen soweit sie diese Leistung erfaßt mit Art 3 Abs 1 GG jedenfalls insoweit nicht vereinbar, als die höhere Leistung völlig ausfällt. Sie würde damit ungleiche Sachverhalte willkürlich systemwidrig gleich behandeln. Es ist mit den Zielen des gegliederten Systems der sozialen Sicherung nicht nur vereinbar, sondern entspricht dessen Zweckbestimmung, wenn in bestimmten Zweigen bestimmte Leistungen gewährt werden, die dem besonderen Schutz der in diesem Zweig einbezogenen Personengruppen dienen, dem von einem anderen Zweig erfaßten Personen jedoch nicht zugute kommen sollen.
Das Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung soll den Lohn- oder Einkommensverlust des Versicherten in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang ersetzen, das heißt sein individuelles, auf seiner Arbeitsleistung beruhendes Nettoeinkommen in angemessener Weise sichern und nicht seine Existenz schlechthin. Es wird deshalb nicht nach festen, an einem allgemeinen Existenzbedarf ausgerichteten Sätzen bemessen, sondern nach dem vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielten Arbeitsentgelt (§ 182 Abs 4, 5, 6 und 8 RVO). Eine hinzutretende Leistung hat daher dieselbe sozialpolitische Zweckbestimmung, wenn sie nach ihrer Art und ihrem Umfang nach dem entgangenen Lohn oder Arbeitseinkommen bemessen und damit der individuelle Lohn- oder Einkommensausfall ähnlich wie durch das Krankengeld ausgeglichen wird. Wenn dabei die Berechnungsmodalitäten der jeweiligen Leistungen nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen und die Ansprüche deshalb in ihrer Höhe nicht völlig gleich sind, ändert das nichts an ihrer grundsätzlich identischen Zweckbestimmung, so daß auch ein höheres Krankengeld vollständig ruhen kann, ohne daß damit unter Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in die Rechtsposition des Betroffenen aus der Krankenversicherung unzulässig eingegriffen wird. Auch der 1. Senat des BSG hat es in seinem Urteil vom 31. August 1977 (BSGE 44, 226, 230) offen gelassen, ob auch dann ein Spitzenbetrag des Krankengeldes zu zahlen ist, wenn die hinzutretende Leistung, die das Ruhen des Krankengeldes bewirkt, ihrer Art nach dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt zu sichern und auch den Lebensunterhalt tatsächlich abdeckt (ebenso im Ergebnis des 16. Senats des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 8. März 1985 - L 16 Kr 18/84). Es mag zwar auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, daß ein Betroffener, der wegen ein und desselben Sachverhalts (durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eingetretener Lohn- oder Einkommensausfall) Ansprüche aus zwei (oder mehreren) Versicherungs- oder Versorgungssystemen auf Lohnersatzleistungen hat, schlechter gestellt sein kann als ein anderer, der einen solchen Anspruch nur aus einem Zweig - nämlich der Krankenversicherung - hat, wenn nämlich die hinzutretende Leistung niedriger ist als das Krankengeld. Hierin liegt aber keine willkürliche Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte, denn der Betroffene erhält in jedem Fall im Rahmen der aufeinander abgestimmten verschiedenen Systeme der sozialen Sicherung eine individuelle Lohn- oder Einkommensersatzleistung, solange die Bemessungsgrundlage und die Bemessungsmaßstäbe für die einzelnen Leistungen im Ausgangspunkt gleichartig sind.
Schließlich folgt auch aus dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 GG und dem daraus hergeleiteten Grundsatz des Vertrauensschutzes keine Unvereinbarkeit der Ruhensregelung des § 183 Abs 6 RVO nF. Unmittelbare Ansprüche können aus Art 20 GG nur insoweit hergeleitet werden, als das Existenzminimum unmittelbar nicht mehr gewährleistet ist. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Es darf jedoch nicht dahin ausgelegt werden, daß mit seiner Hilfe jede Einzelregelung, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten und Unbilligkeiten führt, modifiziert werden könnte (vgl BVerfGE 26, 44, 61 f; 34, 118, 136; 36, 73, 84). Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt vielmehr im wesentlichen dem Gesetzgeber (BVerfGE 1, 97, 105; 8, 274, 329; 36, 73, 84). Er ist daher berechtigt, eine günstige Versicherungsmöglichkeit in eine andere Versicherungsregelung umzugestalten, die eine angemessene Sicherung ermöglicht. Jedenfalls kann der Einzelne sich gegenüber gesetzlichen Änderungen dann nicht auf sein Vertrauen auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung berufen, wenn dieses Vertrauen unter Berücksichtigung der gesamten Umstände billigerweise eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber nicht beanspruchen kann (ua BVerfGE 51, 356, 363 mwN; 69, 272, 300, 310). Im Gegensatz zur Rentenversicherung, wo langfristige Beitragsverpflichtungen erst sehr viel später zu Leistungen führen, bietet die Krankenversicherung dem Versicherten vom ersten Tag an vollen Versicherungsschutz ohne Rücksicht darauf, wie lange und in welcher Höhe er Beiträge geleistet hat. Das schützenswerte Vertrauen bei einem entwertenden Eingriff ist daher geringer als etwa in der Rentenversicherung (BVerfGE 69, 272, 309). Der Gesetzgeber muß - wie im Bereich der Rentenversicherung - auch in der Krankenversicherung aus Gründen des Allgemeinwohls Neuregelungen treffen können, die wechselnden Interessenlagen, insbesondere auch der Belastbarkeit der Solidargemeinschaft aller Versicherten Rechnung tragen. Mit der Anordnung des vollständigen Ruhens des Krankengeldanspruchs in dem oben näher beschriebenen Umfang hat der Gesetzgeber nicht die Grenzen, die seiner Gestaltungsfreiheit durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes gezogen sind, überschritten.
Das Versorgungskrankengeld, welches der Kläger erhalten hat, ist eine in dem oben genannten Sinne seinem Krankengeldanspruch gleichwertige Leistung. Es beträgt 80% des entgangenen Regellohnes bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter (§ 16a BVG). Die Ausgestaltung im einzelnen nach den §§ 16a bis 16h BVG hat nicht dazu geführt, daß es mit dem Krankengeld, welches dem Kläger von der Beklagten zu zahlen gewesen wäre, nicht mehr vergleichbar ist. Dieses beträgt zwar in der Beitragsklasse 521 94,4 vH des Höchstgrundlohnes (§ 180 Abs 1 RVO) und erhöht sich um 10 oder 20 vH des Höchstgrundlohnes, wenn es wegen Fortzahlung des Arbeitsentgelts mindestens 12 oder 26 Wochen geruht hat (§ 15 Abs 8 der Versicherungsbedingungen der Beklagten). Die Krankenversicherung bei der Beklagten als einer Ersatzkasse ist jedoch ebenfalls eine Versicherung im Rahmen des gesetzlichen Systems der sozialen Sicherung. Auch für sie gelten weitgehend die Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie in der RVO geregelt ist, so ua auch die Ruhensregelung des § 183 Abs 6 RVO und die Bestimmungen über den Grundlohn nach § 180 RVO (§ 507 Abs 4 RVO). Ersatzkassen sind in der Gestaltung ihrer Versicherungsverträge (Versicherungsbedingungen) auch für solche Mitglieder, die der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht nicht unterliegen (freiwillig Weiterversicherte und Versicherungsberechtigte) nicht frei. Sie dürfen zwar nach § 508 Satz 1 RVO ihren Mitgliedern ohne Beschränkung der Dauer und der Höhe alle Leistungen gewähren, die § 179 RVO ihrer Art nach bei den Krankenkassen zuläßt (also auch Krankengeld - §§ 179 Abs 1 Nr 2, 182 Abs 1 Nr 2 RVO -). Für den Beginn des Krankengeldes und seine Höhe sind jedoch die für die in § 225 RVO genannten (gesetzlichen) Krankenkassen geltenden Vorschriften maßgebend (§ 508 Satz 2 RVO). In diesem Rahmen sind Ersatzkassen in der Ausgestaltung des Krankengeldanspruchs allerdings frei - soweit sie nicht nach § 507 Abs 1 ihren versicherungspflichtigen Mitgliedern mindestens die Regelleistungen der Krankenkassen zu gewähren haben -, weil § 182 Abs 1 Nr 2 und die folgenden Absätze nicht gelten (§ 507 Abs 4 RVO). Nichtversicherungspflichtige, die Mitglieder ihrer Ersatzkasse bleiben und Beitrittsberechtigte können deshalb ihren Versicherungsschutz in diesem eingeschränkten Rahmen im Hinblick auf ihren Krankengeldanspruch selbst wählen. Sie können sich bei der Beklagten ohne oder mit Anspruch auf Krankengeld oder mit Anspruch auf höheres Krankengeld versichern (§ 508 Satz 1 RVO; § 15 Abs 6 und 7 der Versicherungsbedingungen). Einer weiteren Gestaltungsmöglichkeit, etwa in dem Sinne, daß sie einen von einem Einkommensverlust unabhängigen, beliebig hohen Krankengeldanspruch gegen einen entsprechend höheren Beitrag wählen können, steht die Begrenzung der Höhe des Krankengeldes nach § 508 Satz 2 RVO entgegen. Die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter ist sowohl für das Versorgungskrankengeld als auch für das Krankengeld nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten maßgebend (§ 180 Abs 1 Halbs 2 RVO), soweit das tatsächliche Krankengeld des Klägers nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten höher wäre als das ausgefallene Nettoeinkommen, so ist es doch - ebenso wie das Versorgungskrankengeld - darauf ausgerichtet, das ausgefallene Einkommen in angemessener Weise zu ersetzen. Damit ist der am Zweck beider Leistungen orientierte Maßstab, nach dem der individuelle Krankengeldanspruch bemessen wird, in beiden Fällen derselbe. Beide Leistungen ersetzen mindestens den Nettolohn, errechnen sich im Ansatzpunkt nach denselben Richtsätzen und enthalten auch in der Ausgestaltung im Einzelfall keine solchen, den Zweck der Leistung bestimmenden typischen Besonderheiten, die zu einer nicht gerechtfertigten willkürlichen Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte führten, so daß der Gesetzgeber auch im Rahmen seiner Befugnis zur typisierenden Regelung gezwungen wäre, ohne Art 3 Abs 1 GG zu verletzen, diese Besonderheiten bei einer Ruhensregelung zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen