Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der 1930 geborene und im Januar 1987 verstorbene Versicherte war von November 1945 bis November 1956 als Elektriker Pflichtmitglied der Beklagten und anschließend bis zum 31. Dezember 1967 als technischer Angestellter Pflichtmitglied der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Letztere befreite ihn durch Bescheid vom 5. August 1968 mit Wirkung ab 1. Januar 1968 antragsgemäß von der Versicherungspflicht. Danach entrichtete der Versicherte noch freiwillige Beiträge bis September 1975.
Wegen der Folgen eines 1982 erlittenen Herzinfarktes beantragte der Versicherte im Januar 1985 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 19. Februar 1985 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Versicherte in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht mindestens 36 Kalendermonate eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- Gießen vom 21. Januar 1986; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Niedersachsen vom 26. Juni 1986). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit - und ebenso der Berufsunfähigkeit - sei beim Versicherten nicht vor dem 1. Januar 1984, sondern frühestens im Jahre 1985 eingetreten, weil er zur Zeit der Antragstellung im Januar 1985 noch seinem Beruf als Geschäftsführer eines Unternehmens nachgegangen sei und erst seit 24. April 1985 arbeitsunfähig erkrankt sei. Die seit Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 geltende zusätzliche Voraussetzung für die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente, nämlich mindestens 36 mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegte Kalendermonate innerhalb der letzten 60 Kalendermonate vor Eintritt des Versicherungsfalls der Berufsunfähigkeit bzw. der Erwerbsunfähigkeit, habe der Versicherte nicht erfüllt. Die Übergangsregelung des Art 6 Nr. 4 des HBegleitG 1984 erfasse seinen erst 1985 eingetretenen Versicherungsfall nicht. Die Einführung der zusätzlichen Voraussetzung für den Anspruch auf Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente durch das HBegleitG 1984 verstoße als Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums auch nicht gegen das Grundgesetz.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten geltend, die gesetzliche Erschwerung des Zugangs zur Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit verstoße, soweit sie Fälle der hier zu beurteilenden Art erfasse, gegen das Grundgesetz.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Februar 1985 und der Urteile des Sozialgerichts Gießen vom 21. Januar 1986 sowie des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1986 zu verurteilen, dem Versicherten vom 1. Januar 1985 bis zu seinem Tode Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise, wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückzuverweisen.
Der Senat hat seinen Beschluß vom 8. April 1987, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen, nach Kenntnis des Beschlusses des BVerfG vom 8. April 1977 (1 BvR 564/84 u.a.) aufgehoben.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung im Hinblick auf den Beschluß des BVerfG vom 8. April 1987 (1 BvR 564/84 u.a.) von der Verfassungsmäßigkeit des § 46 Abs. 1 und 3, des § 47 Abs. 1 und 2a des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) sowie des Art 2 § 4 Abs. 2 des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG), jeweils i.d.F. des HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl. I S. 1532) auszugehen. Die Feststellungen des LSG zum Eintritt des Versicherungsfalls beim Versicherten reichen jedoch für die Anwendung dieser Bestimmungen und damit für die abschließende Entscheidung des Rechtsstreits nicht aus.
Seit dem 1. Januar 1984 setzt der Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit und ebenso der Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit neben dem Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit voraus, daß der Versicherte zuletzt vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Das ist nach § 46 Abs. 3 und § 47 Abs. 2a RKG in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung der Fall, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bzw. der Erwerbsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind. Für die Anwendung dieser Bestimmung kommt es mithin auf die rechtsfehlerfreie Feststellung des Eintritts der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit nach dem 30. Juni 1984 an, weil nur dann - wie sich aus der Übergangsregelung des Art 2 § 4 Abs. 2 Satz 2 KnVNG ergibt - die genannten einschränkenden Voraussetzungen gelten.
Das LSG hat zwar festgestellt, der Versicherte sei vor dem 1. Januar 1984 nicht erwerbsunfähig oder berufsunfähig geworden. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß der Versicherungsfall der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit frühestens im Jahre 1985 eingetreten sein könne. Denn der Versicherte sei zur Zeit der Antragstellung im Januar 1985 noch seinem Beruf als Geschäftsführer (Direktor) eines Unternehmens nachgegangen und erst seit dem 24. April 1985 arbeitsunfähig krank. Diese Feststellungen des LSG reichen indes für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits deshalb nicht aus, weil das LSG ihnen eine mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht vereinbare materiell-rechtliche Beurteilung zugrunde gelegt hat. Das LSG hat nämlich auch festgestellt, daß der Versicherte im Jahre 1982 einen Herzinfarkt erlitten hat. Wenn es gleichwohl gefolgert hat, der Versicherungsfall der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit könne frühestens im Jahre 1985 eingetreten sein, weil der Versicherte erst im April 1985 arbeitsunfähig erkrankt und zuvor noch seinem Beruf als Geschäftsführer nachgegangen sei, geht es damit erkennbar von der Voraussetzung aus, daß es für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht darauf ankomme, ob es sich bei der nach dem Herzinfarkt fortgesetzten früheren Beschäftigung noch um eine gesundheitlich zumutbare Beschäftigung handele. Von dieser Voraussetzung durfte das LSG nach der Rechtsprechung des 5b Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, aber nicht ausgehen. Bereits im Urteil vom 27. Januar 1981 - 5b RJ 58/79 - (SozR 2200 § 1247 Nr. 31 m.w.H.) und ebenso im Urteil vom 8. September 1982 - 5b RJ 16/81 - (a.a.O. § 1246 Nr. 101) hat der 5b Senat des BSG ausgeführt, das BSG habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, auf Kosten der Gesundheit ausgeführte Arbeiten seien bei Prüfung von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen. Könne ein Versicherter eine Tätigkeit nur unter unzumutbaren Schmerzen, unter unzumutbarer Anspannung seiner Willenskräfte oder auf Kosten seiner Gesundheit verrichten, so sei er gesundheitlich nicht in der Lage, diese Tätigkeit auszuüben. Das gelte auch dann, wenn er unter solchen Bedingungen einen zumutbaren Arbeitsplatz tatsächlich innehabe. Damit stimmt die nach dem Leitsatz abweichende Auffassung des 11. Senats im Urteil vom 14. September 1978 - 11 RA 86/77 - (BSGE 47, 57, 58 = SozR 2200 § 1247 Nr. 22) jedenfalls insofern überein, als es auch nach der Auffassung des 11. Senats keinen Erfahrungssatz gibt, das die Ausübung einer nicht mit unmittelbarer Gefahr für die Gesundheit verbundenen Tätigkeit trotz entgegenstehender Gutachten eine entsprechende Leistungsfähigkeit beweist.
Angesichts des im Jahre 1982 beim Versicherten eingetretenen Herzinfarktes mußte sich das LSG unter Berücksichtigung der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BSG mit der Frage auseinandersetzen, ob der Versicherte etwa seit 1982 auf Kosten seiner Gesundheit der Beschäftigung als Geschäftsführer nachgegangen war, ob also bei ihm trotz der weiteren Berufsausübung nach seinem damaligen Gesundheitszustand Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit - ggf. dauernd oder auf Zeit - bestand. Jedenfalls konnte die Aufgabe dieser Beschäftigung im April 1985 nicht ohne weiteres und insbesondere nicht ohne medizinische Beurteilung anhand der Behandlungsunterlagen als Eintritt des Versicherungsfalls der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gewertet werden. Auch der erst im Januar 1985 gestellte Rentenantrag, der nur für den Beginn der Rente, nicht aber für den Eintritt des Versicherungsfalls von Bedeutung ist, stand dem nicht entgegen. Rückblickend kann dabei auch nicht unbeachtet bleiben, daß der Versicherte bereits mit 56 Jahren gestorben ist.
Sollte aber der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit oder der Berufsunfähigkeit beim Versicherten vor dem 30. Juni 1984 eingetreten sein, so richten sich bei ihm die Voraussetzungen für den Rentenbezug noch nach dem bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Recht (Art 2 § 4 Abs. 2 Satz 2 KnVNG). Ob dies zutrifft, vermag der Senat indes nach den insoweit nicht ausreichenden Feststellungen des LSG nicht abschließend zu beurteilen; deshalb muß die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Erst wenn unter sachkundiger Auswertung der über den Versicherten seit dem Eintritt seines Herzinfarktes vorhandenen ärztlichen Unterlagen festgestellt ist, ob ihm die Beschäftigung als Geschäftsführer nach Eintritt des Herzinfarktes gesundheitlich noch zumutbar war oder ob dies dauernd oder für begrenzte Zeit nicht mehr der Fall war, kann entschieden werden, ob sich der Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit noch nach dem bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Recht richtet oder ob er auch von der durch das HBegleitG 1984 eingeführten zusätzlichen Anspruchsvoraussetzung von mindestens 36 Beitragsmonaten innerhalb der letzten 60 Kalendermonate vor Eintritt des Versicherungsfalls abhängig ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen