Leitsatz (amtlich)
Einem Schwerbeschädigten, der seine bisherige unselbständige Tätigkeit nach dem 65. Lebensjahr ohne Unterbrechung unverändert fortgesetzt hat, kann der Berufsschadensausgleich nicht deshalb versagt werden, weil der schädigungsbedingte Einkommensverlust erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres eingetreten ist.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1964-02-21, Abs. 3 Fassung: 1966-12-28
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Mai 1970 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der im Jahre 1895 geborene Kläger erhielt aufgrund des Umanerkennungsbescheides vom 22. Dezember 1951 wegen Eiweißmangelerkrankung Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H., die mit Bescheid vom 12. August 1952 mit Wirkung vom 1. Oktober 1952 an auf 30 v.H. herabgesetzt wurde. Die Versorgungsbehörde gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 12. Januar 1957 sodann wegen "Leberschädigung" vom 1. Januar 1957 an Rente nach einer MdE um 40 v.H.
Der Kläger stellte im April 1964 einen Antrag auf Neufeststellung der Versorgungsbezüge und gab dazu an, er habe seine Tätigkeit als Geschäftsführer einer Buchhandlung am 5. Februar 1964 auf ärztlichen Rat aufgeben müssen und sich wegen einer Gelbsucht in klinische Behandlung begeben. Nach ärztlicher Untersuchung erteilte die Versorgungsbehörde den Bescheid vom 13. Juli 1964, mit welchem sie dem Kläger wegen "Leberschädigung" Rente nach einer MdE um 100 v.H. gewährte. Die Versorgungsbehörde führte in dem Bescheid weiter aus, es werde nachgeprüft, ob auch noch ein Berufsschadensausgleich gewährt werden könne. Mit Bescheid vom 21. Juni 1966 lehnte die Versorgungsbehörde sodann die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1966).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 27. Februar 1969 die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 27. Mai 1970 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, bei der Frage, ob dem Kläger ein Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zustehe, müsse seine frühere Tätigkeit im Staatsdienst - der Kläger war mit Unterbrechungen als Lehrer und Schulrat bis zu seiner Entlassung aus diesem Amte tätig - außer Betracht bleiben, weil er diese Stellung nicht aufgrund der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen verloren habe. Im übrigen habe er in dem Zeitpunkt seiner Antragstellung, also im April 1964, bereits das Pensionsalter überschritten gehabt. Es sei auch nicht ersichtlich, daß das Altersruhegeld des Klägers, welches er seit Vollendung des 65. Lebensjahres beziehe, durch die Schädigungsfolgen gemindert sei. Der Kläger habe selbst bestätigt, daß er bis zu seiner Einlieferung in das Krankenhaus im Februar 1964 voll arbeitsfähig gewesen sei.
Auch aus dem Umstand, daß der Kläger seine seit April 1958 ausgeübte Beschäftigung als Geschäftsführer einer Buchhandlung wegen seiner schädigungsbedingten Erkrankung im Juni 1964 verloren habe, könne er keinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich herleiten. Die nach dem 65. Lebensjahr eingetretene Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen könne bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Berufsschadensausgleich keine Berücksichtigung finden. Dies ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, jedoch aus dem im Recht des Berufsschadensausgleichs herrschenden Grundsatz, wonach das zu berücksichtigende Berufsleben regelmäßig mit Erreichung der Altersgrenze seinen Abschluß finde; denn "beruflich betroffen" i.S. des § 30 Abs. 3 BVG sei nur derjenige, der nach normalen Maßstäben jederzeit einem bestimmten Beruf nachgehen könne, wenn er nicht geschädigt wäre, mit anderen Worten also derjenige, für den ein Angebot an Arbeitsplätzen für Berufe im Rahmen der einschlägigen Vorschriften in nennenswerter Zahl überhaupt zur Verfügung stünden. Das sei bei dem Kreis von Personen, die älter als 65 Jahre seien, nicht der Fall, wobei Ausnahmefälle außer Betracht bleiben müßten. Hinzu komme ferner, daß das Recht des Berufsschadensausgleichs aus Eingliederungsgründen geschaffen worden sei; es sollte nämlich denjenigen Geschädigten geholfen werden, denen es trotz aller Rehabilitationsmöglichkeiten im Rahmen des BVG nicht gelungen sei, aus mannigfachen schädigungsbedingten Gründen ganz oder wenigstens zu einem wesentlichen Umfang wieder eingegliedert zu werden. Dieser Sinn und Zweck verbiete es aber, das Vorliegen eines Einkommensverlustes i.S. des § 30 Abs. 3 und 4 BVG dann anzuerkennen, wenn die Tätigkeit vor und noch in dem Zeitpunkt des Erreichens der üblichen Altersgrenze ohne schädigungsbedingte Minderung ausgeübt worden sei und später - hier im Alter von fast 69 Jahren - Umstände einträten, welche die Beendigung der Beschäftigung erforderten. Es müsse von einem "normalen Berufsschicksal" ausgegangen werden. Heute ende regelmäßig die unselbständige berufliche Tätigkeit mit dem 65. Lebensjahr. Außerdem verbiete auch der im Recht des Berufsschadensausgleichs herrschende Grundsatz der Generalisierung und Pauschalierung dem Begehren des Klägers Rechnung zu tragen. Ein individueller Berufserfolg, der auch darin liegen könne, noch einen Arbeitsplatz zu besitzen, der nach Überschreiten der üblichen Altersgrenze nicht geräumt zu werden brauche, müsse außer Betracht bleiben. Die weitgehende Zahl aller Angestellten der Berufsgruppe, welcher der Kläger vom 58. Lebensjahr an angehört habe, scheide mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsleben aus.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen dieses ihm am 15. Juli 1970 zugestellte Urteil am 29. Juli 1970 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 15. Oktober 1970 am 30. September 1970 begründet.
Er beantragt,
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1) |
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unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des SG Fulda vom 27. Februar 1969, des Bescheides vom 21. Juni 1966 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1966, den Beklagten zu verurteilen, Berufsschadensausgleich in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu gewähren, |
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2) |
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den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. |
In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF des 2. und 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (2. und 3. NOG) durch das LSG. Er bringt hierzu insbesondere vor, daß nach dem eindeutigen Wortlaut jener Vorschriften der gesamte Personenkreis der Schwerbeschädigten ohne Einschränkung unter den näheren Voraussetzungen Anspruch auf Berufsschadensausgleich erhalten müsse, ohne daß es darauf ankomme, ob der Antrag hierauf vor oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres gestellt werde. Ebenso enthielten die zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG erlassenen Durchführungsverordnungen (DVOen) keine Regelung, aus der sich die vom LSG vertretene Auffassung rechtfertigen lasse. Im Gegenteil müsse aus der Vorschrift des § 3 Abs. 5 bzw. Abs. 6 der DVOen in den Fassungen von 1964 und 1968 entnommen werden, daß ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich - wenn auch um 25 v.H. gekürzt - nach Vollendung des 65. Lebensjahres bestehen könne. Wollte man aber der Auffassung des LSG folgen, so sei hier der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verletzt; denn der Kläger wäre gegenüber denjenigen Beschädigten ungleich behandelt, die einen Berufsschadensausgleich auch über das 65. Lebensjahr hinaus erhielten.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugestimmt.
II
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); die Revision ist daher zulässig. Sie ist auch begründet.
Das LSG hat zu Unrecht angenommen, dem Kläger stehe deshalb kein Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG zu, weil er erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres seinen Beruf als Geschäftsführer einer Buchhandlung wegen der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen verloren hat.
Da der Kläger den Antrag auf einen Berufsschadensausgleich im April 1964 gestellt hat und eine laufende Leistung begehrt, richtet sich sein Anspruch nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - 2. NOG -) i.V.m. der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl I 574 - DVO 1964 -), sowie in der Fassung des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 20. Januar 1967 (BGBl I 85 - 3.NOG -) und der hierzu erlassenen DVO vom 28. Februar 1968 (BGBl I 194 - DVO 1968 -). Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG erhält nach Anwendung des Abs. 2 einen Berufsschadensausgleich in bestimmter Höhe, wer als Schwerbeschädigter durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75.- DM hat, während nach dieser Vorschrift idF des 3. NOG Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des Abs. 2 einen Berufsschadensausgleich in bestimmter Höhe erhalten. Aus beiden Fassungen dieser Vorschrift ergibt sich, daß der Schwerbeschädigte dann einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich hat, wenn er durch die Schädigung einen wirtschaftlichen Schaden (Einkommensverlust) erleidet; dieser wirtschaftliche Schaden muß für die Zeit entstanden sein, für die der Berufsschadensausgleich begehrt wird (BSG 32, 1, 2). Weder aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 BVG, noch dem der hierzu erlassenen DVOen 1964 und 1968 ist etwas dafür zu entnehmen, daß einem Schwerbeschädigten nur dann ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich zusteht, wenn er vor Vollendung des 65. Lebensjahres durch die Schädigung einen Einkommensverlust erleidet. Wenn der Kläger allerdings insoweit auf den § 3 Abs. 5 der DVO 1964 und § 3 Abs. 6 der DVO 1968 verweist, nach denen als Durchschnittseinkommen 75 v.H. der nach den vorausgegangenen Absätzen dieser Bestimmung ermittelten Beträge vom Ersten des Monats anzusetzen sind, der auf den Monat folgt, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet, so kann hieraus nicht ohne weiters darauf geschlossen werden, daß - entgegen der Auffassung des LSG - auch dann ein Berufsschadensausgleich zu gewähren ist, wenn der Beschädigte erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres wegen der Schädigung seinen Beruf aufgeben muß. Die genannten Vorschriften betreffen nämlich die Festsetzung des Durchschnittseinkommens, wenn der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet hat oder hätte, besagen aber noch nichts darüber, in welchem Lebensalter der durch die Schädigung bedingte wirtschaftliche Schaden - also der Einkommensverlust - als Voraussetzung des Berufsschadensausgleichs frühestens oder spätestens eingetreten sein muß. Allerdings schließt diese Bestimmung ein, daß auch ein nach dem 65. Lebensjahr bestehender und durch die Schädigung bedingter Einkommensverlust nach diesem Zeitpunkt - wenn auch in vermindertem Umfang - im Rahmen des Berufsschadensausgleichs entschädigt wird. Wenn das LSG seine Auffassung, wonach bei unselbständig Tätigen ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich nur dann gewährt werden kann, wenn sie den durch die Schädigung bedingten Einkommensverlust - hier die Aufgabe der Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer einer Buchhandlung - vor Vollendung des 65. Lebensjahres erleiden, auf den Begriff des "normalen Berufslebens", sowie auf die Vermittlungsfähigkeit des unselbständig Tätigen im allgemeinen Arbeitsleben stützt und dies aus Sinn und Zweck des Berufsschadensausgleichs herleitet, so kann ihm darin nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Dem LSG ist zwar zuzugeben, daß unselbständig Tätige - Arbeiter, Angestellte oder Beamte - in der Regel - sei es aufgrund von Einzelverträgen, Tarifverträgen oder gesetzlicher Vorschriften - mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden; jedoch ist es gerichtsbekannt, daß unselbständig Tätige - und zwar nicht nur vereinzelt - ihre Tätigkeit auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres ohne zeitliche Unterbrechung bei ihren Arbeitgebern uneingeschränkt fortsetzen, wobei die Gründe hierfür mannigfacher Art sein können (jahrzehntelange Tätigkeit im Betrieb, besondere fachliche Qualifikation, soziale Erwägungen usw.). Wenn diese Personen auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres in gleichem Umfange wie bisher bei dem Arbeitgeber - also kontinuierlich - in unselbständiger Tätigkeit verbleiben, ihren Beruf, der in § 30 Abs. 3 BVG angesprochen ist, trotz der allgemeinen Altersgrenze also auch weiter ausüben, so ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, ihnen deshalb den Berufsschadensausgleich zu verweigern, weil sie erst nach dem 65. Lebensjahr durch die Schädigung einen wirtschaftlichen Schaden (Einkommensverlust) davontragen. Der "bisher betätigte Arbeitswille" (§ 30 Abs. 4 BVG) würde damit im Rahmen des Berufsschadensausgleichs zum Nachteil des Schwerbeschädigten "berücksichtigt", während dieser Arbeitswille andererseits bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens eine positive Berücksichtigung finden soll. Der vom LSG zur Stütze seiner anderweitigen Auffassung herangezogene Gedanke des "normalen Berufslebens" ist demnach nicht geeignet, einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich deshalb zu versagen, weil ein Beschädigter den vor Vollendung des 65. Lebensjahres ausgeübten Beruf auch nach diesem Zeitpunkt weiter ausgeübt und sodann durch die Schädigung einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat.
Gleichermaßen ist der vom LSG hervorgehobene Gedanke der Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt kein Kriterium für die Gewährung des Berufsschadensausgleichs. Wollte man von einer solchen Verfügbarkeit - die Schädigung unberücksichtigt gelassen - ausgehen, so müßte folgerichtig jeder Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich in dem Augenblick entfallen, in dem ein Beschädigter das 65. Lebensjahr vollendet, dies unter der Voraussetzung, daß Personen über 65 Jahre grundsätzlich nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die mangelnde Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt würde nämlich bedeuten, daß die Minderung des Einkommens nicht mehr durch die Schädigung, sondern durch das Alter bedingt ist. Eine solche Folgerung zieht aber das Gesetz nicht. Im übrigen stellt der § 30 Abs. 3 BVG weder seinem Wortlaut, noch seinem Sinn und Zweck nach den Anspruch auf Berufsschadensausgleich auf die Verfügbarkeit ab. Sinn und Zweck des Berufsschadensausgleichs ist es, dem Beschädigten wegen einer durch die Schädigung bedingten wirtschaftlichen Beeinträchtigung - anders als beim besonderen beruflichen Betroffensein i.S. des § 30 Abs. 2 BVG durch Erhöhung der MdE - einen gewissen Schadensersatz zu gewähren, nicht aber - wie das LSG meint - den insoweit betroffenen Personen mit der Gewährung des Berufsschadensausgleichs bei der Eingliederung in das Arbeitsleben zu helfen. Es ist zwar die vornehmliche Aufgabe der hierfür zuständigen Stellen, wie sich aus § 30 Abs. 6 BVG ergibt, den Versuch zu unternehmen, durch arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen nach § 26 BVG die Eingliederung des Beschädigten in dem möglichen und zumutbaren Umfange wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern; gelingt dies jedoch nicht oder nur unzureichend ohne Verschulden des Beschädigten, so greift gerade dann die Entschädigung des "beruflichen Schadens" nach § 30 Abs. 2 bis 4 BVG ein. Insoweit könnte man sogar davon sprechen, daß eben derjenige Schwerbeschädigte einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich haben soll, der nicht mehr vermittelt werden kann. Dies kann aber dahinstehen, denn jedenfalls haben bei der Gewährung des Berufsschadensausgleichs Erwägungen darüber, ob der Schwerbeschädigte für den allgemeinen Arbeitsmarkt noch verfügbar ist, keinen Raum.
Auch der im Recht des Berufsschadensausgleichs herrschende Grundsatz der Pauschalierung oder Generalisierung führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Grundsatz betrifft nicht die Frage, in welchem Zeitpunkt der Beschädigte durch die Schädigung berufliche Nachteile und damit den wirtschaftlichen Schaden erlitten hat und insbesondere, bis zu welchem Zeitpunkt der Schaden eingetreten sein muß; vielmehr besagt der Grundsatz der Generalisierung oder Pauschalierung des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich nur, daß seine Höhe sich grundsätzlich nicht nach dem ohne die Schädigung voraussichtlich erzielten individuellen Einkommen, sondern nach dem "Durchschnittseinkommen" i.S. des § 30 Abs. 4 BVG richtet.
Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung, wonach einem unselbständig Tätigen nicht schon deshalb ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich versagt werden kann, weil er erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres durch die Schädigung in demjenigen Beruf einen Einkommensverlust erleidet, den er vor und nach Erreichung der "Altersgrenze" ausgeübt hat, rechtfertigt sich auch aus einem anderen Grunde. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, daß bei selbständig tätigen Schwerbeschädigten (§ 5 der DVOen 1964 und 1968) das "normale Arbeitsleben" regelmäßig nicht mit der Vollendung des 65. Lebensjahres beendet ist, diese Personen also in der Regel auch über diesen Zeitpunkt hinaus ihre selbständige Tätigkeit weiter ausüben. Das bedeutet, daß ein selbständig tätiger Schwerbeschädigter, der nach Vollendung des 65. Lebensjahres durch die Art der Schädigung in seinem Beruf einen Einkommensverlust hat, nicht deshalb von dem Anspruch auf Berufsschadensausgleich ausgeschlossen ist, weil er "zu spät" geschädigt worden ist. Es erscheint nicht gerechtfertigt, den unselbständig Tätigen und den selbständig Tätigen insoweit unterschiedlich zu behandeln. Der Sachverhalt - die ununterbrochene Ausübung des Berufes nach Vollendung des 65. Lebensjahres in demselben Umfange wie früher - ist nämlich in beiden Fällen gleich; nur insoweit besteht ein Unterschied, als der eine Beschädigte unselbständig und der andere selbständig tätig ist. Dieser Unterschied ist aber für die Beurteilung der Frage, wann der durch die Schädigung bedingte Einkommensverlust eingetreten ist, rechtlich unerheblich. Maßgebend allein ist, ob der Schwerbeschädigte "durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust ... hat" (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG), bzw. ob das "Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist" (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 3. NOG).
Ob allerdings jede Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres dann zu einem Berufsschadensausgleich führen kann, wenn der Beschädigte durch die Schädigungsfolgen einen Einkommensverlust hat, wenn also der Beschädigte als unselbständig Tätiger aus dieser Tätigkeit mit Vollendung des 65. Lebensjahres ausgeschieden ist und danach - aus welchen Gründen auch immer - einer gleichartigen oder anderen Beschäftigung mit Erwerbseinkommen nachgeht, kann dahinstehen. Der vorliegende Fall gibt jedenfalls keinen Anlaß, hierzu Stellung zu nehmen. Das LSG hat bindend festgestellt, daß der Kläger vom 1. April 1958 an ununterbrochen - auch über das 65. Lebensjahr hinaus - bis April 1964 als Geschäftsführer einer Buchhandlung tätig war und diese unselbständige Tätigkeit wegen der Verschlimmerung der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen hat aufgeben müssen. Der Kläger hat also seinen Beruf nicht mit Vollendung des 65. Lebensjahres aufgegeben, diesen vielmehr auch danach ununterbrochen bei demselben Arbeitgeber weiter ausgeübt; die Berufsaufgabe erfolgte wegen der Schädigungsfolgen. Da der Berufsschadensausgleich im Falle des Klägers - entgegen der Auffassung des LSG - nicht schon deshalb versagt werden kann, weil der schädigungsbedingte Einkommensverlust erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres eingetreten ist, hat das LSG den § 30 Abs. 3 BVG verletzt, so daß die Revision des Klägers begründet ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache noch nicht abschließend entscheiden, weil das LSG aufgrund seiner anderweitigen Rechtsauffassung keine Feststellungen darüber getroffen hat, welche Höhe der Einkommensverlust des Klägers hat (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG), welches derzeitige Einkommen und welches Durchschnittseinkommen (§ 30 Abs. 4 BVG idF des 2. und 3. NOG) für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs maßgebend ist. Daher mußte die Sache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen