Leitsatz (amtlich)

Der Dienst eines Zollbeamten im verstärkten Grenzaufsichtsdienst an der "deutsch-sowjetischen Interessengrenze" in der Zeit von Ende 1939 bis Anfang 1941 ist kein militärähnlicher Dienst iS von BVG § 3 Abs 1 Buchst d.

 

Normenkette

AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 3 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1950-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.09.1976; Aktenzeichen L 18 An 43/73)

SG Aachen (Entscheidung vom 12.01.1973; Aktenzeichen S 17 (11) An 217/70)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. September 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch darüber, ob eine (weitere) Ersatzzeit für die Versichertenrente des Klägers zu berücksichtigen ist.

Die Beklagte gewährt dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In dem Bescheid vom 2.Mai 1972 legte sie der Berechnung ua die Zeit von Februar 1941 bis September 1943, während der der Kläger als Zollbeamter im Verstärkten Grenzaufsichtsdienst (VGAD) in Frankreich Dienst getan hat, als Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zugrunde. Der Kläger begehrt, auch die Dienstzeit vom 19. Dezember 1939 bis zum 13. Februar 1941 als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war er damals als Zollsekretär im "Grenzaufsichtsdienst an der deutsch-sowjetischen Staats- und Interessengrenze" am San im Bereich der Befehlsstelle Sanok-Nord (bei der Befehlsstelle und als Postenführer in Dynow) und beim Bezirkszollkommissar N. (als Beamter zbV) tätig.

Das Sozialgericht (SG) hat seiner Klage stattgegeben, das LSG hat sie abgewiesen (Urteile vom 12. Januar 1973 und vom 14. September 1976). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der Kläger habe an der deutsch-russischen Interessengrenze weder militärischen noch militärähnlichen Dienst geleistet. Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 Buchst d des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) lägen nicht vor, weil er nicht zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet worden sei, sondern ausschließlich eigenständige Aufgaben des Zollgrenzschutzes erfüllt habe. Das Generalgouvernement, dessen Grenze zur Sowjetunion der Zollgrenzschutz überwacht habe, sei damals nicht (mehr) Kampfgebiet gewesen; die Aufgaben hätten mithin denen in Friedenszeiten an den Reichsgrenzen entsprochen. Zwar sei der Zollgrenzschutz taktisch militärischem Kommando unterstellt und mit Pistolen, Karabinern und Maschinengewehren ausgerüstet gewesen; seine Angehörigen seien auch im Waffengebrauch, kriegsmäßigen Verhalten und in der Partisanenbekämpfung unterwiesen worden. Das habe aber dem Dienst insgesamt keinen militärähnlichen Status gegeben. An Einsätzen militärischer Art außerhalb des normalen Zollgrenzschutzdienstes wie zB der Partisanenbekämpfung oder der Abwehr von Fliegerangriffen habe der Kläger seinerzeit nicht teilgenommen; er habe sich im Gegenteil sogar auf die Inspektorenprüfung im Zolldienst vorbereiten können.

Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Zur Begründung rügt er unzutreffende Anwendung materieller Rechtsvorschriften (§§ 28 Abs 1 Nr 1, 32, 32a AVG, § 3 Abs 1 Buchst d BVG) sowie Verletzung des § 128 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er habe an der deutsch-russischen Interessengrenze militärähnlichen Dienst verrichtet. Nicht nur hätten die Beamten des VGAD dort der Befehlsgewalt der Wehrmacht unterstanden, sie hätten auch - anstelle der Wehrmacht - dieser obliegende Aufgaben zur Sicherung der Grenze erfüllt. Zu diesem Zweck seien sie bewaffnet gewesen und hätten Stützpunkte, MG-Nester und Mannschaftsunterstände angelegt. Die Feststellung des LSG, der Einsatz sei ausschließlich zolldienstlich gewesen, beruhe nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Das LSG habe dabei Schreiben von Finanzbehörden und Fachministerien sowie des Bundesarchivs nicht gewürdigt.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Zeit vom 19. Dezember 1939 bis zum 13. Februar 1941 kann ihm nicht als Ersatzzeit iS von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG angerechnet werden. Der Kläger macht nur noch geltend, daß er damals militärähnlichen Dienst iS des § 3 Abs 1 Buchst d BVG verrichtet habe. Einen solchen Dienst hat er indessen nicht versehen.

§ 3 BVG enthält keine Bestimmung, welche den Dienst im Zollgrenzschutz bzw im Verstärkten Grenzaufsichtsdienst - VGAD - allgemein zum militärähnlichen Dienst erklärt. Die Verwaltungsvorschrift Nr 6 zu § 3 BVG erwähnt den "verstärkten Zollgrenzschutz" nur im Zusammenhang mit § 3 Abs 1 Buchst k BVG; diese Vorschrift bezieht sich auf Notdienstverpflichtete, zu ihnen gehört der Kläger, der Zollbeamter im Dienst der Reichsfinanzverwaltung war, nicht.

Von den Fallgruppen des § 3 Abs 1 BVG kann für den Kläger nur Buchst d in Frage kommen (dafür, daß er auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt war - § 3 Abs 1 Buchst b BVG -, ist nichts festgestellt). Hiernach ist militärähnlicher Dienst ua "der Dienst der Beamten der Zivilverwaltung, die auf Befehl ihrer Vorgesetzten zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet und damit einem militärischen Befehlshaber unterstellt waren". Diese Voraussetzungen waren beim Kläger in der streitigen Zeit jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil er nicht in dem zur Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst d BVG erforderlichen Maße zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet worden ist; die außerdem geforderte Unterstellung unter einen militärischen Befehlshaber, die nach dem Gesetzeswortlaut ("damit") mit einer solchen Verwendung einhergehen muß, bedarf hiernach keiner Erörterung.

Was die Verwendung "zur Unterstützung militärischer Maßnahmen" angeht, kann dahingestellt bleiben, ob hierunter nur diejenige Verwendung fällt, bei der Zivilbeamte militärische Maßnahmen "unterstützen" oder auch eine solche, bei der sie "anstelle der Wehrmacht" handeln; die Revisionsbegründung hält das letztere offenbar für selbstverständlich. Des weiteren braucht nicht entschieden zu werden, ob "militärische Maßnahmen" iS von § 3 Abs 1 Buchst d BVG außer Maßnahmen der Kriegsführung militärischer Art, wie sie im wesentlichen der Abwehr feindlicher Angriffe und dem Gegenangriff dienen (SozR Nr 8 zu § 3 BVG), noch weitere Maßnahmen umfassen können. Auch wenn der Begriff "militärische Maßnahmen" weiter reichen müßte, könnten die vom Kläger in der streitigen Zeit verrichteten Tätigkeiten allenfalls zu einem unerheblichen Teil als militärische Maßnahmen gewertet werden. Damit ist aber die Anwendung von § 3 Abs 1 Buchst d BVG nicht möglich, weil diese Bestimmung voraussetzt, daß die Verwendung "zur Unterstützung militärischer Maßnahmen" die Verwendung für andere Zwecke überwogen hat (BSGE 4, 8, 15; s auch SozR Nr 11 zu § 3 BVG zur Auslegung des Begriffs "für Zwecke der Wehrmacht" in § 3 Abs 1 Buchst m BVG).

Schon in einer früheren Entscheidung (Breithaupt 1961 S 1033, 1035) hat der erkennende Senat, der damals noch für Streitigkeiten aus der Kriegsopferversorgung zuständig war, darauf hingewiesen, daß dem Zollgrenzschutz "gewisse Grenzsicherungsaufgaben auf personellem und sachlichem Gebiet wie etwa die Erfassung und Meldung verdächtiger Personen ... auch im Frieden obliegen". Nach den Feststellungen des LSG und auch nach dem Vorbringen des Klägers bezogen sich die in der streitigen Zeit vom Zollgrenzschutz bzw dem VGAD wahrgenommenen Aufgaben und die in dieser Organisation vom Kläger verrichteten Tätigkeiten auf die Überwachung und die Sicherung der Grenze. Zu den Aufgaben gehörten ua eine damals weitgehende Grenzsperrung, die Kontrolle der Grenze, die Beobachtung des russischen Interessengebietes, die Meldung aller zollmäßig, polizeilich und militärisch bedeutsamen Begebenheiten, die Verhinderung von Spionage, von Sabotage und der Nachrichtenübermittlung von russischer Seite her sowie im Falle eines Angriffs kleinerer militärischer Einheiten notfalls ein erster hinhaltender Widerstand. Die dazu erforderlichen Tätigkeiten bestanden ua in Kontroll- und Streifendiensten, in der Anlage von Sperren und Stellungen (einschließlich MG-Stellungen), in Waffen- und Schießausbildung sowie Alarm- und Felddienstübungen. Von den hiernach dem Zollgrenzschutz bwz dem VGAD gestellten Aufgaben ist lediglich der Auftrag zum ersten Widerstand bei einem Angriff militärischer Einheiten als eine militärische Aufgabe zu werten. Alle anderen Aufgaben lagen im Rahmen der von einem Zollgrenzschutz erwarteten Tätigkeit; dabei spielt es keine Rolle, daß sich diese zum Teil von den Tätigkeiten im Frieden unterschieden und daß einzelne Aufgaben auch von militärischer Seite hätten wahrgenommen werden können (zB Beobachtung und Meldung militärisch bedeutsamer Ereignisse). Auch die verrichteten Tätigkeiten dienten weitgehend der Erfüllung der nichtmilitärischen Aufgaben des Zollgrenzschutzes; eine Ausnahme kann hier allenfalls für die Anlage von MG-Stellungen und von militärischen Grenzsperren gelten, bei denen von militärischer Seite taktischer Rat oder sogar Anweisungen gegeben wurden. Gemessen an der Gesamtheit der damals vom Zollgrenzschutz bzw VGAD wahrzunehmenden Aufgaben und der vom Kläger verrichteten dienstlichen Tätigkeiten machten aber die Wahrnehmung militärischer Aufgaben und die Beteiligung des Klägers hieran weit weniger als die Hälfte der Gesamtaufgaben und der Gesamttätigkeit des Klägers aus. Der Kläger hat damit zwar nicht, wie das LSG meint, ausschließlich eigenständige Aufgaben des Zollgrenzschutzes erfüllt, seine Verwendung "zur Unterstützung militärischer Maßnahmen" hat aber selbst bei weiter Auslegung dieses Begriffs die Verwendung für andere Zwecke nicht überwogen.

Nach alledem kann sich der Kläger nicht auf § 28 Abs 1 Nr 1 AVG stützen. Die streitige Zeit mag zwar als ruhegehaltfähige Dienstzeit bei seiner Beamtenversorgung zu berücksichtigen sein, eine Ersatzzeit (mit der Folge der Doppelanrechnung) ist sie jedoch nicht.

Schließlich kann der Revision die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des § 128 SGG nicht zum Erfolg verhelfen. Es ist schon zweifelhaft, welche im vorliegenden Fall rechtserheblichen Tatsachen sich aus den in der Revisionsbegründung bezeichneten Schreiben ergeben sollen; selbst wenn diese nicht nur Rechtsauffassungen enthalten, wie etwa, daß der Einsatz im Zollgrenzschutzdienst militärähnlicher Dienst gewesen sei, kann allein daraus, daß sich das LSG nicht ausdrücklich mit jedem dieser Schreiben befaßt hat, nicht geschlossen werden, das Berufungsgericht habe seine tatsächlichen Feststellungen nicht aus dem "Gesamtergebnis des Verfahrens" (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) unter Einschluß dieser Schreiben gewonnen.

Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1650634

BSGE, 76

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