Leitsatz (amtlich)

Auch neben dem Wochengeld nach dem MuSchG wird in entsprechender Anwendung des RVO § 195a Abs 4 S 1 kein Krankengeld gewährt.

 

Normenkette

MuSchG § 13 Fassung: 1952-01-24; RVO § 195a Abs. 4 S. 1

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. Mai 1963 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Sie erhielt nach ihrer Niederkunft am 22. Februar 1962 für 8 Wochen bis zum 19. April 1962 Wochengeld nach § 13 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) vom 24. Januar 1952 (BGBl I 69), auf das das in den ersten sechs Wochen nach der Niederkunft zu gewährende Wochengeld der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 195 a Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) angerechnet wurde. Nach Ablauf der sechs Wochen wurde die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin wegen Schwächezustands nach Zwillingsgeburt ärztlich festgestellt. Die Klägerin beantragte daraufhin, ihr vom 6. April 1962 an Krankengeld zu gewähren.

Die beklagte AOK lehnte den Antrag auf Krankengeld für die Zeit vom 6. April bis 19. April mit Bescheid vom 24. April 1962 ab. Sie ist der Auffassung, dieser Anspruch entfalle auch während der Zeit, in welcher Wochengeld nach dem MuSchG gezahlt werde. Die zusätzliche Zahlung von Krankengeld würde dazu führen, daß die Klägerin eine ihren entsprechenden Nettolohn übersteigende Unterstützung beziehen würde, zumal der Arbeitgeber für die betreffende Zeit auch noch einen Lohnausgleich zwischen Krankengeld und Nettolohn zu zahlen habe. Sie hält eine sinngemäße Anwendung des § 195 a Abs. 4 RVO für geboten. - Der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wurde mit Bescheid vom 24. Mai 1962 zurückgewiesen.

Mit der Klage hat die Klägerin beantragt,

die beklagte AOK zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 6. April bis 19. April 1962 Krankengeld zu gewähren.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Ablehnungsbescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids verurteilt, der Klägerin für die genannte Zeit Krankengeld zu gewähren; die Berufung wurde zugelassen (Urteil vom 28.5.1963). Es hat angenommen, § 195 a Abs. 4 Satz 1 RVO, wonach neben dem Wochengeld kein Krankengeld gewährt wird, sei auf den Bezug von Wochengeld nach dem MuSchG nicht entsprechend anwendbar.

Die beklagte AOK hat hiergegen mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision mit dem Antrage eingelegt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, § 195 a Abs. 4 RVO sei im vorliegenden Fall entsprechend anzuwenden. Der erkennende Senat habe bereits in dem Urteil vom 28. August 1961 (BSG 15, 56) eine Vorschrift der RVO wegen der gleichen Interessenlage im Falle des Bezugs von Wochengeld nach dem MuSchG analog angewendet. Ähnlich müsse der Sinn und Zweck des MuSchG im vorliegenden Falle berücksichtigt werden, der nicht darauf gerichtet gewesen sei, der Wöchnerin unter Umständen ein wesentlich höheres Einkommen als vor ihrem Wochengeldbezug zu verschaffen.

Die Sprungrevision der beklagten AOK ist begründet. Ihr Ablehnungsbescheid ist rechtmäßig.

Die Klägerin hatte sechs Wochen nach der Niederkunft Wochengeld nach § 195 a Abs. 1 Nr. 3 RVO und daneben den Teilbetrag des Wochengelds nach dem MuSchG bezogen, mit dem dieses das nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlende Wochengeld überstieg (vgl. § 13 Abs. 9 MuSchG). Auch die Klägerin geht mit Recht davon aus, daß § 195 a Abs. 4 Satz 1 RVO für diese Zeit des Wochengeldbezugs unmittelbar eingreift und den gleichzeitigen Bezug von Krankengeld neben dem Wochengeld ausschließt.

Ihre Auffassung, ihr stehe jedoch für die siebente und achte Woche nach der Niederkunft neben dem nunmehr allein zu gewährenden - vollen - Wochengeld nach dem MuSchG auch noch Krankengeld zu, ist unbegründet. Ihr ist zwar zuzugeben, daß § 195 a Abs. 4 Satz 1 RVO sich unmittelbar nur auf das nach den Vorschriften der RVO zu gewährende Wochengeld bezieht (vgl. auch Bescheide des Bundesministers für Arbeit vom 12. September 1952 - Die Ortskrankenkasse 1952, 543 - und vom 16. September 1963 - Die Betriebskrankenkasse 1963, 523 -). Indessen ist diese Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck - Ausschluß von Doppelleistungen, die auf das gleiche Ziel der Existenzsicherung gerichtet sind, für denselben Bedarfsfall - nicht auf den Fall des Bezugs von Wochengeld nach der RVO beschränkt. Die versicherte Wöchnerin erhält in der siebenten und achten Woche nach der Niederkunft Wochengeld in gleicher Höhe wie in den ersten sechs Wochen nach der Niederkunft, nur mit dem Unterschied, daß sich ihr Wochengeld zunächst aus zwei Teilbeträgen - nämlich dem Wochengeld nach § 195 a Abs. 1 Nr. 3 RVO und dem nach § 13 Abs. 9 MuSchG verbleibenden Teilbetrag des Wochengelds nach dem MuSchG - zusammensetzt. Dieser formale Unterschied könnte keineswegs rechtfertigen, daß in demselben Bedarfsfall in den ersten sechs Wochen, in denen erfahrungsgemäß ein höherer Lebensbedarf als in den darauffolgenden zwei Wochen besteht, nur das Wochengeld, in der siebenten und achten Woche aber auch noch Krankengeld gewährt wird.

Hinzu kommt, daß die gleichzeitige Gewährung beider Barleistungen, die nach geltendem Recht jede für sich - beim Krankengeld unter Hinzurechnung des Arbeitgeberzuschusses in die Nähe des Nettoarbeitslohns gerückt sind, der Wöchnerin wesentlich höhere Einkünfte als in der Zeit des Lohnbezugs verschaffen würde.

Daß eine solche Besserstellung der Wöchnerin nicht der Zwecksetzung des MuSchG entspricht, ist mehrfach nachzuweisen. Zwar ist den Gesetzesmaterialien zur eigentlichen Frage der Gewährung von Krankengeld neben dem Wochengeld nicht viel zu entnehmen. In den Beratungen des Bundestages zum MuSchG (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, Sten. Berichte, 180. Sitzung S. 7518, 7522) wurde von der Berichterstatterin, der Abgeordneten Dr. R, darauf hingewiesen, es sei dem Ausschuß darum gegangen, der Frau mit den gesetzlichen Schutzfristen den Anreiz zur Arbeit und damit zum Doppelverdienst vor der Entbindung zu nehmen; daher sollte ihr Wochengeld in voller Höhe des Arbeitsentgelts gewährt und damit verhindert werden, daß sich die Frau zwei Einnahmen verschaffe. Hierin kommt immerhin zum Ausdruck, daß der sozialpolitische Zweck des Gesetzes dahin ging, der Frau Barmittel nur in Höhe ihres bisherigen Arbeitsentgelts zu gewähren und sie insoweit nicht etwa aus Anlaß von Schwangerschaft und Niederkunft zu begünstigen.

Diese Absicht hat auch sonst im MuSchG wiederholt ihren Ausdruck gefunden. So entfällt der Anspruch auf Wochengeld in der Zeit, in welcher die Frau gegen Entgelt tätig ist oder ihr das regelmäßige Arbeitsentgelt weitergewährt wird (§ 13 Abs. 4 MuSchG). Stehen der Frau sowohl Leistungen aus einem gekündigten als auch aus einem neuen Arbeitsverhältnis zu, so werden nur die höheren Leistungen gewährt (§ 15 MuSchG). Bezieht sie gleichzeitig nach den Bestimmungen der RVO Wochen- und Stillgeld, so wird dieses auf die Leistungen nach dem MuSchG angerechnet (§ 13 Abs. 9 MuSchG). Aus alledem ist der Wille des Gesetzgebers erkennbar, der durch das MuSchG geschützten Frau Lohnersatz nur bis zur Höhe des entgangenen Arbeitsentgelts zu gewähren und Doppelleistungen zu vermeiden.

Demnach läßt sich zusammenfassend feststellen, daß sich das Wochengeld nach dem MuSchG nach Zweckbestimmung und Sinnzusammenhang nicht vom Wochengeld nach der RVO unterscheidet.

Angesichts der darüber hinaus bestehenden engen Verzahnung der Leistungen nach dem MuSchG mit denen der Wochenhilfe im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist es daher erlaubt und geboten, § 195 a Abs. 4 Satz 1 RVO einen allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen und diesen auf das Wochengeld nach dem MuSchG anzuwenden, wie es der Senat bereits in ähnlichem Zusammenhang - bei § 311 Satz 2 RVO - für notwendig erachtet hat (vgl. BSG 15, 56).

Demnach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 55

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